Jordan Peterson
Jordan Bernt Peterson (geboren am 12. Juni 1962 in Edmonton, Alberta[1]) ist ein kanadischer klinischer Psychologe, Sachbuchautor und emeritierter Professor. Von 1997 bis 2022 lehrt er Psychologie an der University of Toronto, seine Hauptforschungsgebiete sind die Psychologie des religiösen und ideologischen Glaubens sowie die Verbesserung der Persönlichkeit und Leistung.
Peterson vertritt konservative Positionen und wurde durch seine Kritik der Genderpolitik sowie Aufzeichnungen seiner Vorlesungen, Vorträge und Streitgespräche bekannt. Über das Internet und seine in zahlreiche Sprachen übersetzten Bücher erreicht er ein großes Publikum. 2018 veröffentlichte er den Lebensratgeber 12 Rules for Life, der zum internationalen Bestseller wurde.
Herkunft und Jugend
Peterson wuchs in Fairview, Alberta, einer Kleinstadt nordwestlich von Edmonton, als ältestes von drei Kindern auf. Sein Vater Walter Peterson war Lehrer und Konrektor, seine Mutter war Bibliothekarin am Grande Prairie College. Da Literatur in seiner Familie einen hohen Stellenwert genoss, lernte Peterson sehr früh lesen und schreiben.[2] Im Alter von 13 Jahren erweckte Sandy Notley, die Mutter Rachel Notleys und damals Bibliothekarin an seiner Schule, sein Interesse für Literatur von George Orwell, Aleksandr Solschenizyn und Ayn Rand. Gleichzeitig begann auch sein politisches Engagement in der New Democratic Party (NDP), der er als Jugendlicher angehörte. Mit 18 Jahren verließ er die Partei wieder.[3]
Karriere
Peterson studierte Politikwissenschaft zunächst am Grande Prairie College, wechselte jedoch später auf die University of Alberta, wo er 1982 mit dem Bachelor of Arts abschloss. Nach dem Abschluss reiste er ein Jahr lang durch Europa und begann sich für die psychologischen Ursachen des Kalten Krieges zu interessieren. Peterson erkannte die „Zerstörungsfähigkeit“ des Menschen, was bei ihm zu Depressionen führte. In seiner Suche nach Antworten vertiefte er sich in die Werke von Carl Gustav Jung, Friedrich Nietzsche und Aleksandr Solschenizyn. Er kehrte an die University of Alberta zurück und erwarb 1984 den Bachelor of Arts in Psychologie.[4] 1985 zog er nach Montreal und wurde bei Robert O. Pihl an der McGill University promoviert.[5]
Von 1993 bis 1998 lehrte Peterson als Assistenzprofessor an der Harvard-Universität und konzentrierte sich auf das durch Drogen und Alkoholismus bedingte Aggressionsverhalten.[6] 1998 kehrte er an die University of Toronto zurück, wo er seitdem als Professor lehrte.[7] Im Januar 2022 gab Peterson in einem Beitrag in der National Post bekannt, von seinem Posten zurückgetreten zu sein. Als Grund gab er an, sich als akademische persona non grata zu fühlen. Er sei außerdem besorgt, dass seine „qualifizierten und herausragend ausgebildeten heterosexuellen, weißen männlichen Studenten“ wegen ihres Weiß- und Männlichseins und ihrer Assoziation zu ihm keine Jobs angeboten würden. Die Universität sei durch Initiativen für mehr Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion gefährdet.[8]
Peterson begann 2013, seine Vorlesungen auf Youtube hochzuladen; das Interesse an ihm wuchs. 2017 hatte sein YouTube-Kanal mehr als eine Million Abonnenten,[9] 2019 waren es mehr als zwei Millionen. Seit 2013 veröffentlicht er dort auch seine Vorlesungen, seine Vorträge zum Alten Testament und Psychologie wurden 17 Millionen Mal aufgerufen. Er nutzte die Plattform Patreon, um monatliche Spenden zu sammeln (sein Einkommen auf der Plattform überstieg zwischenzeitlich sein akademisches Einkommen[10]), hielt Vorträge im Rahmen der TEDx-Veranstaltungen und hatte Fernsehauftritte in den USA, Kanada, Großbritannien und Australien. Ein von Cathy Newman geführtes Interview auf Channel 4 mit Peterson verzeichnete auf YouTube mehr als 18 Millionen Aufrufe.[11] Im Dezember 2018 löschte Peterson seinen Patreon-Account aus Protest gegen die Löschung von Accounts von politischen Akteuren, die laut Patreon deren Regeln bezüglich Hassrede verletzt hätten.[12][13]
2018 veröffentlichte er den Selbsthilfe-Ratgeber 12 Rules for Life, der zu einem Bestseller in den USA und Kanada wurde.[14][15]
Nachdem Peterson am 18. März 2019 angekündigt hatte, er werde sich für ein zweimonatiges Gaststipendium an der Universität Cambridge aufhalten, zog die dortige theologische Fakultät die Einladung zurück.[16] Ein Social-Media-Foto, auf dem Peterson mit einem Mann posierte, auf dessen T-Shirt breit und falsch geschrieben stand Ich bin stolzer Islamaphober, wurde vielfach weiterverbreitet.[17] Am 15. März 2019 kam es in Neuseeland zu dem rassistisch motivierten Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch mit 50 Toten. Peterson hatte im Februar 2019 eine Lese-Tour durch Neuseeland unternommen, wo das Foto entstand. Nach dem Terroranschlag boykottierten einzelne neuseeländische Buchhandlungen sowie eine Buchhandelskette für wenige Tage das Buch, für das er auf Lese-Tour gewesen war.[18][19]
Die bibliographische Datenbank Scopus gab Petersons h-Index im Jahre 2022 bei 98 Publikationen mit 44 an.[20]
Politische Positionen
Einordnung
Während viele Kommentatoren Petersons Ansichten als zum Konservatismus neigend[21] oder als konservativ[22][23][24][25] einordnen, beschreibt sich Peterson selbst als klassischer britischer Liberaler (classic British liberal)[26]. Politico beschreibt Petersons Weltanschauung als „tief konservativ“. Da sie gleichzeitig „tief traditionell“ sei, unterscheide sie sich scharf vom Radikalismus der „Online-Rechten“.[27]
Redefreiheit und Political Correctness
Peterson kritisiert den Einfluss der Political correctness auf die Redefreiheit und die Gesamtgesellschaft. Öffentlicher und interner Druck würden zu Selbstzensur im Journalismus führen.[28] Die kanadische The Globe and Mail bezeichnet Peterson als „selbsternannten Kämpfer gegen die Politische Korrektheit“.[29] Seiner Ansicht nach sind größtenteils die Universitäten für die „Welle“ der Politischen Korrektheit verantwortlich, die Europa und Nordamerika „überrollt“ habe. Diese würden sich nicht um die Rechte des Individuums kümmern und müssten „gestoppt“ werden.[30]
Neomarxismus und Postmarxismus
Peterson spricht sich sehr deutlich gegen Marxismus und Neomarxismus aus. Diese seien nicht besser als Faschismus und Neofaschismus.[30] Marxismus beruhe, so Peterson, im Kern auf einem Hass auf Menschen, die in der kapitalistischen Wirtschaft erfolgreich seien.[31]
Ferner behauptet er, durch einen „postmodernen Neomarxismus“, „Kulturmarxismus“[32] bzw. durch die „postmarxistischen radikalen Sozialkonstruktivisten“[33] wie Jacques Derrida und Michel Foucault würden die Prinzipien des Marxismus heute unter „neuem Gewand“ fortgesetzt. Marxisten seien damit gescheitert, mit wirtschaftlichen Argumenten zu überzeugen. Sie hätten sich daher entschieden, anstatt mit Klassenunterdrückung mit Identitätsunterdrückung wie Rassismus und Sexismus zu argumentieren.[31] Und sie würden versuchen, das Bildungssystem zu infiltrieren und westliche Werte mit „bösartigen, unhaltbaren und anti-menschlichen Ideen“ zu untergraben. Diese Ideen würden den Weg zum Totalitarismus pflastern; zu den Ideen gehöre die Identitätspolitik.[34]
Petersons Ansicht, dass Philosophen wie Derrida und Foucault einen signifikanten Einfluss auf die westliche politische Linke gehabt hätten, wird von einigen Politikwissenschaftlern nicht geteilt und als unbelegt angesehen.[35] Ihm wird vorgeworfen, postmoderne Denker nur oberflächlich gelesen zu haben.[35] Seine Herleitung eines heutigen „postmodernen Neo-Marxismus“ wird von linken Autoren als „schlichtweg falsch“[32] bzw. als „allumfassende Verschwörungstheorie“[35] gewertet.
Sozial- und Drogenpolitik
Peterson vertritt zu vielen sozialen Themen libertäre Ansichten, so zur Liberalisierung des Drogenkonsums. Er unterstützt eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung.[36]
Bill C-16
Öffentliche Aufmerksamkeit erlangte Peterson 2016 als Gegner des im Juni 2017 verabschiedeten kanadischen Gesetzes Bill C-16 (englisch An Act to amend the Canadian Human Rights Act and the Criminal Code ‚Gesetz zur Änderung des kanadischen Menschenrechtsgesetzes und Strafgesetzbuchs‘[Anm. 1]).
Die gesetzlich erzwungene Verwendung von durch Betroffene gewünschten spezifischen Pronomen in der dritten Person wie “ze” und “zher” lehnt er ab.[37][38] Solche Worte seien keine Bestandteile des Standard-Englischen, sondern „Konstrukte einer kleinen Koterie ideologisch motivierter Menschen“.[39] Nach eigenen Angaben würde er aber dem Wunsch einzelner Studierender entsprechen, andere Pronomen zu verwenden, wenn sie an ihn herantreten und ihn darum bitten würden.[37]
In einem BBC-Interview erläuterte Peterson zur Begründung seiner Ablehnung des Gesetzes, dass er vierzig Jahre lang Totalitarismus studiert habe und dieser immer mit dem Versuch beginne, das ideologische und sprachliche Territorium zu kontrollieren. „Unter keinen Umständen werde ich diese Worte benutzen, die von Leuten erfunden wurden, die genau dies tun.“[40] Laut Peterson sei nicht ausreichend belegt, dass Geschlechtsidentität und biologische Geschlechtlichkeit voneinander unabhängig variierende Konstrukte sind. Vielmehr sei es so, dass alle Belege nahelegen, dass es keine unabhängig voneinander variierenden Konstrukte sind.[39]
Peterson kritisierte, durch die Änderungen am Menschenrechtsgesetz würden sich Arbeitgeber und Organisationen künftig strafbar machen, wenn ein Mitarbeiter oder Gesellschafter etwas sage, das direkt oder indirekt, „ob absichtlich oder unabsichtlich“, als beleidigend ausgelegt werden könne.[41] Jura-Professorin Brenda Cossman, wie Peterson von der University of Toronto, betont, dass es nichts in Bill C-16 gebe, das den Missbrauch von Pronomen kriminalisiere.[42] Der absichtliche Fehlgebrauch von Pronomen könne aber rechtlich verfolgt und geahndet werden; es drohten u. a. Geldbußen, jedoch keine Haftstrafen.[43][44]
Im Mai 2017 gehörte Peterson zu den 24 eingeladenen Sachverständigen, die zum Bill C-16 vor dem Senatsausschuss für Rechts- und Verfassungsangelegenheiten sprachen. Peterson erläuterte in dem Ausschuss, dass die Argumente, Biologie bestimme nicht das Geschlecht, aus den Geisteswissenschaften stammten und ideologisch angetrieben seien.[45]
Das kanadische Gesetz ergänzte Geschlechtsidentität oder Geschlechtsausdruck als weitere Gruppe für das bereits anerkannte – und von Peterson nicht kritisierte – Verbot von sprachlichen Äußerungen (wie etwa öffentliche Beleidigungen starken Ausmaßes/Hassrede; ähnlich Volksverhetzung) und Gewalttaten (Hasskriminalität), welche in der Gesetzgebung des kanadischen Menschenrechtsgesetzes und des Strafgesetzbuches bereits verankert waren. Die Gruppe war bis dahin jedoch nur implizit statt explizit inkludiert. Die Canadian Bar Association[Anm. 2] widersprach vor der Verabschiedung des Gesetzes Petersons Behauptung, dass das Gesetz das Recht auf freie Rede behindere. Der Vorwurf, Bill C-16 zwinge Individuen dazu, bestimmte Pronomen zu benutzen, beruhe auf einem Missverständnis. Die juristische Definition von Hasskriminalität (hate crime) bzw. Hassrede (hate speech) sei durch die bloße falsche pronominale Anredeform nicht erreicht.[46][47]
Die neu eingeführte diskriminierungsschützenswerte Gruppe sei bereits indirekt in der Gesetzgebung enthalten und werde mit Bill C-16 direkt erwähnt.[46][47] Hingegen könne der absichtliche Fehlgebrauch von Pronomen nach einer Stellungnahme des Centre for Sexual Diversity Studies der University of Toronto durchaus Klagen vor den kanadischen Human Rights Tribunals oder Gerichten begründen und zu Geldbußen sowie anderen Rechtsmitteln (wie Unterlassung, Entwicklung von Anti-Diskriminierungsrichtlinien etc.) führen, jedoch sei dieses Verhalten keine Straftat und führe nicht zu Haftstrafen.[43]
Rezeption
Popularität und Zuhörer
Peterson wurde ab 2016 durch seine Kritik an moderner Genderpolitik und Political Correctness international bekannt.[22][24][25][48]
Sein erstes Buch Maps of Meaning: The Architecture of Belief aus dem Jahre 1999 fand nach Veröffentlichung noch kaum 500 Käufer – erst infolge des plötzlichen Erfolgs von Peterson wurde es ins Deutsche übersetzt.[49] Sein zweites Buch 12 Rules for Life wurde millionenfach verkauft und ist zur Übersetzung in mindestens 50 Sprachen vorgesehen.[50]
Viel Beachtung fand eine Diskussion des erklärten Marx-Gegners Peterson mit dem linken slowenischen Philosophen Slavoj Žižek, die am 19. April 2019 im Sony Centre for the Performing Arts in Toronto stattfand.[51][52][53] Žižek nahm an der Debatte teil, da er hoffte zeigen zu können, dass nicht nur Peterson und die Neue Rechte kritisch zu politischer Korrektheit stehen.[54] Žižek argumentiert, Peterson sei auch deshalb so erfolgreich, da die von ihm kritisierte „politisch korrekte“ Linke tatsächlich nicht mehr ehrlich argumentiere und die Sprache „obsessiv“ reguliere. Dies hätte aber nichts mehr mit authentischer linker Politik zu tun.[55]
Nach Einschätzung der Irish Times ist Peterson zu einem Helden, insbesondere für junge Männer und nordamerikanische Christen geworden. Er habe eine Anhängerschaft unter der Alt-Right-Bewegung; Petersons Verteidiger betonen aber, dass es nicht möglich sei, sich seine Anhänger auszusuchen.[37]
Matt McManus sieht das Phänomen Peterson als symptomatisch für die Finanzkrise ab 2008 und die kapitalistische Realität. Petersons Popularität sei Ausdruck dafür, dass die politisch Linken versagt hätten, die ökonomische Krise zu adressieren und Alternativen zum Kapitalismus aufzuzeigen, und sich stattdessen darauf beschränkt hätten, sich über Petersons Fangemeinde lustig zu machen und diese als rückständig, sexistisch oder rassistisch zu bezeichnen.[56] Mathias Nilges betont die zahlreichen strukturellen Probleme, wie etwa die hohen Studienkredite in den USA, mit denen die jungen Menschen konfrontiert sind, die Peterson folgen. Peterson verspreche insbesondere jungen Männern, ihre Probleme durch eine Rückkehr zu einer „geordneten“ Welt mit klassischen Geschlechtervorstellungen zu lösen, was eine typische Strategie von Teilen der zeitgenössischen Rechten sei.[57] Die „verwirrten und entfremdeten“ jungen Männer, die Peterson folgen, werden laut Michael Brooks durch „spirituelle und existentielle Sorgen“ in die Arme Petersons getrieben. Dem müsse mit einer materialistischen Analyse begegnet werden, anstatt jungen Männern zu erzählen „ihre Privilegien zu hinterfragen“ und alles zu moralisieren.[58] Josh Glancy von Men's Health sieht in zunehmender Einsamkeit als Folge sozialer Medien, Urbanisierung und knapper werdender Freizeit einen Faktor, wieso Peterson mit seiner „Untersuchungen der männlichen Psyche“ bei jungen Männern so beliebt wurde.[59]
Kritik
Der amerikanische Ökonom Tyler Cowen nannte Peterson im Januar 2018 in einem Blogbeitrag als einen der derzeit einflussreichsten öffentlichen Intellektuellen der westlichen Welt, betont aber, dass er auf seiner Liste Personen nach Einfluss und nicht bloß durch persönliche Zustimmung gewichtet habe.[60] Der konservative Journalist David Brooks teilte diese Einschätzung in einem Kommentar der New York Times.[61]
Der Autor Pankaj Mishra bezichtigte Peterson in der New York Review of Books des faschistischen Mystizismus[62]. Die Journalistin Susanne Kaiser hält Peterson für „das wohl bekannteste Gesicht der männlichen Suprematisten“, der vor allem mit pseudowissenschaftlichen Thesen bekannt geworden sei.[63] Der Amerikanist Simon Strick bezeichnet Peterson als „Wissens- und Diskursspekulant, der mit anschlussfähiger Provokation und massentauglichem ,wissenschaftlichen‘ Zorn am Meinungs- und Affektmarkt teilnimmt“.[64] Der Politikwissenschaftler Ben Whitham bezeichnet Peterson als „Poster-Boy für die aufsteigende transnationale extreme Rechte“. Peterson vermische misogynen Antifeminismus mit Gemeinplätzen des islamophoben Rassismus.[65]
Die Autorin Judith Sevinç Basad hält in der NZZ Zuschreibungen wie „Rassist“, „Frauenhasser“ oder zur extremen Rechten für unbegründete Ressentiments. Äußerungen in diese Richtung würden „in keiner Zeile seiner Schriften“ vorkommen. Seine Kritiker würden ihn ohne Kenntnis seiner Bücher und Interviews „reflexartig“ vorverurteilen. Petersons Ansichten könne man stattdessen als eine Ablehnung der Identitätspolitik deuten, wie beispielsweise bei seinem Widerstand gegen Bill C-16. Diese Ablehnung sei hier nicht wie von den Kritikern unterstellt gegen die LGBTQ-Bewegung gerichtet, sondern gegen ein „Gruppendenken“, das Menschen bloß über ihre „sexuelle oder ethnische Zugehörigkeit definiert“ und nicht mehr als „eigenständige Persönlichkeiten“ wahrnehme. Sie bedauert, dass Peterson in Feuilletons „für gewöhnlich schlecht“ wegkomme.[66]
Ben Burgis und Matt McManus kritisieren Peterson in Myth and Mayhem von einer linken Perspektive. Sie werfen Peterson vor, den „freien Markt des neoliberalen Kapitalismus“ zu idolisieren und bestehende Hierarchien mit pauschalen Argumenten zu rechtfertigen; Argumente die man auch hätte nutzen können um z. B. Sklaverei zu rechtfertigen. Auch würde er vernachlässigen, dass viele persönliche Probleme strukturelle und politische Dimensionen haben. So sei es ein „zentraler Widerspruch“, dass Peterson nicht erkenne, wie die von ihm beklagte soziale Vereinzelung mit dem neoliberalen Kapitalismus und ökonomischem Druck zusammenhinge.[67][32]
Hella Dietz sieht in der ZEIT Petersons Aussagen als häufig so vage an, dass – wie bei einem Rorschachtest – sowohl seine medialen Kritiker als auch seine Befürworter jeweils das in seine Aussagen hinein interpretieren könnten, was ihrem Weltbild entspreche. Peterson werde nach Ansicht von Dietz von manchen Kritikern ohne argumentative Auseinandersetzung verurteilt.[68] Sie führt dafür als Beispiel ein über 32 Millionen Mal abgerufenes Interview an, das Cathy Newman für den britischen Channel 4 mit Peterson führte.[69]
In der Zeitschrift The Atlantic kritisierte Conor Friedersdorf, Newman würde in dem Interview wiederholt vorgeben, Peterson für kontroverse Aussage zur Rede zu stellen, die die Menschen aufwiegeln und deren Zorn aufpeitschen würden. Tatsächlich sei es aber Newman, die über die Dauer von knapp 30 Minuten immer wieder Petersons Äußerungen als extremer, als frauenfeindlicher oder als erschreckender in ihrem Auswirkungen erscheinen lasse, als sich aus Petersons Bemerkungen ergebe. Diese Art polemischer Kritik, die „es nicht für nötig hält, Argumente für ihre Verurteilung anzuführen“ führt nach Meinung von Dietz dazu, dass Petersons „Inszenierung als Tabubrecher an Glaubwürdigkeit“ gewinne.[70]
Bernard Schiff, ehemaliger Kollege von Peterson in Toronto, bezeichnet Peterson als „einen der agilsten und kreativsten Geister“, die er je gekannt habe.[71] Bereits vor vielen Jahren sei Peterson jedoch auch exzentrisch, eher ein Prediger als ein Lehrer gewesen. Schiff brach mit Peterson, als dieser im Zusammenhang mit der Bill C-16-Kontroverse seine Position als Professor missbraucht habe: Peterson habe die „Gender Science“ fehlrepräsentiert, indem er die Belege dafür abgewiesen habe, dass das Verhältnis zwischen „Gender und Biologie“ nicht absolut sei. Schiff entwickelt im Folgenden Hinweise darauf, dass Peterson sich auf Themen konzentriere und so kommuniziere, wie es das „Handbuch für autoritäre Demagogen“ vorsehe – ein Handbuch, das Peterson selbst in seiner wissenschaftlichen Arbeit beschrieben habe. Schiff, der den Marxismus als „respektable politische und philosophische Tradition“ bezeichnet, kritisiert, dass Peterson Identitätspolitik und Political Correctness für linke Verschwörungen hält, die in einer „ ‚mörderischen‘ Ideologie – dem Marxismus“ wurzelten. Peterson wolle linke Professoren zum Schweigen bringen und Universitäten Mittel streichen, die ihrerseits die Redefreiheit nicht schützten. Schiff hält Peterson heute für „gefährlich“.[71]
Der britische The Economist betont, dass die Einschätzung von Peterson vom Blickwinkel des Betrachters abhänge: entweder monströs oder großartig, entweder bestärkend, inspirierend und männlich oder jemand, der das Patriarchat mit küchenbiologischem Faktoiden über Hummer zu stützen versuche. Es herrsche jedoch Einigkeit: Peterson sei ein "Phänomen". Sein Buch “12 Rules for Life” sei eine faszinierende Lektüre: Es habe den Effekt als sei der Heilige Augustinus als Lebensberater wiedergeboren worden inklusive "Ratschläge Deiner Mutter".[72]
Die Aussagen Petersons zum Thema Klimawandel, insbesondere seine Meinung, Klima sei zu komplex, um es erfolgreich zu modellieren, geschweige denn auf Basis dieser Modelle belastbare Aussagen zu treffen, wurde in der Fachwelt überwiegend negativ aufgenommen, "[sie] zeugen von einem fundamentalen Missverständnis von Statistik und Prozessen wissenschaftlicher Erkenntnisfindung".[73]
Privatleben
Peterson heiratete 1989 Tammy Roberts.[74] Die beiden hatten sich bereits in früher Kindheit kennengelernt, und Peterson hatte seinem Vater im Alter von elf Jahren angekündigt, eines Tages Tammy zu heiraten.[75] Das Paar hat einen Sohn und eine Tochter.[76] Nach eigenen Angaben ernährt sich Peterson ausschließlich von Rindfleisch mit Salz.[77][78]
2019 ließ sich Peterson in einer Entzugsklinik in der Nähe von Moskau behandeln, nachdem er nach dem Absetzen von Clonazepam, einem Anxiolytikum, physische Entzugssymptome entwickelte. Clonazepam war ihm zuvor von seinem Arzt verordnet worden, um Angstzustände aufgrund der Krebsdiagnose seiner Frau zu behandeln.[79][80][81] Er wurde für neun Tage mithilfe von Propofol in ein Koma versetzt und trug deswegen neurologische Schäden davon. 2020 trat er wieder vor die Kamera und gab bekannt, nun seine Arbeit fortsetzen zu können, er hoffe außerdem, bald zu so etwas wie einem normalen Leben zurückkehren zu können.[82]
Bibliografie
Bücher
- Maps of Meaning: The Architecture of Belief. Routledge, New York 1999, ISBN 0-415-92221-6.
- Deutsche Ausgabe: Warum wir denken, was wir denken. Wie unsere Überzeugungen und Mythen entstehen. mvg Verlag, München 2018, ISBN 978-3-86882-947-1.
- 12 Rules for Life: An Antidote to Chaos. Penguin Random House, Toronto 2018, ISBN 0-345-81602-1.
- Deutsche Ausgabe: 12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt. Goldmann, München 2018, ISBN 978-3-442-31514-7.
- Beyond order: 12 more rules for life [New York, New York]: Penguin; Portfolio, [2021], ISBN 978-0-593-08464-9.
- Deutsche Ausgabe: Beyond Order – Jenseits der Ordnung. FinanzBuch Verlag, München 2021, ISBN 978-3-959-72428-9.
Artikel in wissenschaftlichen Journalen
Die 15 meist zitierten wissenschaftlichen Arbeiten nach Google Scholar und ResearchGate:
- Peterson J. B., Rothfleisch J., Zalazo P., Pihl R. O.: Acute alcohol intoxication and cognitive functioning. In: Journal of Studies on Alcohol. 51, Nr. 2, 1990, S. 114–122. doi:10.15288/jsa.1990.51.114.
- Peterson J. B, Peacemaking among higher-order primates. https://www.researchgate.net/publication/235336060_Peacemaking_among_higher-order_primates
- Pihl R. O., Peterson J. B., Finn P. R.: Inherited Predisposition to Alcoholism: Characteristics of Sons of Male Alcoholics. In: Journal of Abnormal Psychology. 99, Nr. 3, 1990, S. 291–301. doi:10.1037/0021-843X.99.3.291.
- Pihl R. O., Peterson J. B., Lau M. A.: A biosocial model of the alcohol-aggression relationship. In: Journal of Studies on Alcohol, Supplement. 11, Nr. 11, 1993, S. 128–139. doi:10.15288/jsas.1993.s11.128.
- Stewart S. H., Peterson J. B., Pihl R. O.: Anxiety sensitivity and self-reported alcohol consumption rates in university women. In: Journal of Anxiety Disorders. 9, Nr. 4, 1995, S. 283–292. doi:10.1016/0887-6185(95)00009-D.
- Peterson J. B., Smith K. W., Carson S.: Openness and extraversion are associated with reduced latent inhibition: replication and commentary. In: Personality and Individual Differences. 33, Nr. 7, 2002, S. 1137–1147. doi:10.1016/S0191-8869(02)00004-1.
- Colin G. DeYoung, Peterson J. B., Higgins D. M.: Higher-order factors of the Big Five predict conformity: Are there neuroses of health?. In: Personality and Individual Differences. 33, Nr. 4, 2002, S. 533–552. doi:10.1016/S0191-8869(01)00171-4.
- Carson S. H., Quilty L. C., Peterson J. B.: Decreased Latent Inhibition Is Associated With Increased Creative Achievement in High-Functioning Individuals.. In: Journal of Personality and Social Psychology. 85, Nr. 3, 2003, S. 499–506. doi:10.1037/0022-3514.85.3.499.
- DeYoung C. G., Peterson J. B., Higgins D. M.: Sources of openness/intellect: cognitive and neuropsychological correlates of the fifth factor of personality.. In: Journal of Personality. 73, Nr. 5, 2005, S. 825–858. doi:10.1111/j.1467-6494.2005.00330.x.
- Carson S. H., Quilty L. C., Peterson J. B.: Reliability, Validity, and Factor Structure of the Creative Achievement Questionnaire. In: Creativity Research Journal. 17, Nr. 1, 2005, S. 37–50. doi:10.1207/s15326934crj1701_4.
- Mar R. A., Oatley K., Keith Oatley, Hirsh J. B., az J. D., Peterson J. B.: Bookworms versus nerds: Exposure to fiction versus non-fiction, divergent associations with social ability, and the simulation of fictional social worlds. In: Journal of Research in Personality. 40, Nr. 5, 2006, S. 694–712. doi:10.1016/j.jrp.2005.08.002.
- DeYoung C. G., Quilty L. C., =Peterson J. B.: Between Facets and Domains: 10 Aspects of the Big Five. In: Journal of Personality and Social Psychology. 93, Nr. 5, 2007, S. 880–896. doi:10.1037/0022-3514.93.5.880.
- Mar R. A., Oatley K., Peterson J. B.: Exploring the link between reading fiction and empathy: Ruling out individual differences and examining outcomes. In: The European Journal of Communication Research. 34, Nr. 4, 2009, S. 407–429. doi:10.1515/COMM.2009.025.
- Hirsh J. B., DeYoung C. G., Xu X., Peterson J. B.: Compassionate Liberals and Polite Conservatives: Associations of Agreeableness With Political Ideology and Moral Values. In: Personality and Social Psychology Bulletin. 95, Nr. 2, 2010, S. 655–664. doi:10.1177/0146167210366854.
- Morisano D., Hirsh J. B., Peterson J. B., Pihl R. O., Shore B. M.: Setting, elaborating, and reflecting on personal goals improves academic performance. In: Journal of Applied Psychology. 36, Nr. 5, 2010, S. 255–264. doi:10.1037/a0018478.
- Hirsh J. B., Mar R. A., Peterson J. B.,: Psychological Entropy: A Framework for Understanding Uncertainty-Related Anxiety. In: Psychological Review. 119, Nr. 2, 2012, S. 304–320. doi:10.1037/a0026767.
Literatur
- Literaturübersichten
- Rezensionen
- Julian Baggini: On planet Peterson. Rezension von 12 Rules, in: Financial Times, 20. Januar 2018, S. L&A10
Weblinks
- Persönliche Website
- Hella Dietz: Mythos Tabubrecher. In: Die Zeit, 13. August 2018.
- Die neuen Prediger in Nordamerika, Deutschlandfunk Kultur, 29. September 2018.
- Markus Schär: Er ist ein Anhänger der evolutionären Psychologie, und die Leute hängen an seinen Lippen: Aber hat Jordan Peterson auch recht? In: Neue Zürcher Zeitung, 6. Oktober 2018.
- Mikael Krogerus: Der gefährliche Prediger. In: Das Magazin Nr. 42 vom 20. Oktober 2018, S. 8–17 (Archiv).
- Jordan Peterson in der Internet Movie Database (englisch)
Anmerkungen
- englisch The bill is intended to protect individuals from discrimination within the sphere of federal jurisdiction and from being the targets of hate propaganda, as a consequence of their gender identity or their gender expression. The bill adds „gender identity or expression“ to the list of prohibited grounds of discrimination in the Canadian Human Rights Act and the list of characteristics of identifiable groups protected from hate propaganda in the Criminal Code. It also adds that evidence that an offence was motivated by bias, prejudice or hate based on a person’s gender identity or expression constitutes an aggravating circumstance for a court to consider when imposing a criminal sentence. ‚Der Gesetzentwurf soll Menschen vor Diskriminierung innerhalb der Sphäre der Bundesgerichtsbarkeit und sowie Ziel von Hassrede als Folge ihrer Geschlechtsidentität oder -ausdrucks zu sein schützen. Der Gesetzentwurf fügt „Geschlechtsidentität oder -ausdruck“ der Liste verbotener Diskriminierungsgründe im kanadischen Menschenrechtsgesetz und der Liste von Merkmalen identifizierbarer Gruppen hinzu, die vor Hassrede im Strafgesetzbuch geschützt sind. Es fügt hinzu, dass der Beweis dafür, dass ein Vergehen durch Befangenheit, Vorurteile oder Hass motiviert über Geschlechtsidentität oder -ausdruck einer Person erfolgte, einen erschwerenden Umstand für ein Gericht darstellt, der bei Verhängung eines Strafmaßes zu prüfen ist.‘ Aus: Legislative Summary of Bill C-16: An Act to amend the Canadian Human Rights Act and the Criminal Code vom 21. Oktober 2016, Library of Parliament Research Publications, Parlament von Kanada
- Die kanadische Vereinigung von etwa 36.000 Anwälten, Richtern, Notaren, Jura-Professoren und -Studierenden.
Einzelnachweise
- Vinay Menon: Jordan Peterson is trying to make sense of the world – including his own strange journey. In: Toronto Star, 16. März 2018. Abgerufen am 22. Mai 2018.
- A professor’s refusal to use gender-neutral pronouns, and the vicious campus war that followed. In: Toronto Life. 25. Januar 2017, abgerufen am 31. Mai 2017.
- Jordan Peterson | News | The Harvard Crimson. Abgerufen am 31. Mai 2017 (englisch).
- nurun.com: Where we live... (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 22. April 2017; abgerufen am 23. April 2019 (kanadisches Englisch).
- Jordan Peterson – U of T Mind Matters. In: U of T Mind Matters. Abgerufen am 14. August 2017.
- Jordan Peterson: Linking Mythology to Psychology. 26. April 1995, abgerufen am 19. August 2017 (englisch).
- nurun.com: Where we live... (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 22. April 2017; abgerufen am 23. April 2019 (kanadisches Englisch).
- Colleen Flaherty: Jordan Peterson retires from U of Toronto. In: Inside Higher Ed. 21. Januar 2022, abgerufen am 23. Januar 2022 (englisch).
- Simona Chiose: Jordan Peterson and the trolls in the ivory tower. In: The Globe and Mail, 2. Juni 2017.
- Inge van de Ven, Ties van Gemert: Filter bubbles and guru effects: Jordan B. Peterson as a public intellectual in the attention economy. In: Celebrity Studies. Band 0, Nr. 0, 18. November 2020, ISSN 1939-2397, S. 1–19, doi:10.1080/19392397.2020.1845966.
- The Jordan Peterson Moment The New York Times, abgerufen am 7. Juli 2018
- Brian Flood: Jordan B. Peterson, Dave Rubin ditch crowdfunding site Patreon to stand up for free speech. In: FoxNews.com. 4. Januar 2019. Abgerufen am 16. Januar 2019.
- Nellie Bowles: Patreon Bars Anti-Feminist for Racist Speech, Inciting Revolt (en-US). In: The New York Times, 24. Dezember 2018. Abgerufen am 19. November 2019.
- Best-Selling Books Week Ended Feb. 11, The Wall Street Journal, abgerufen am 5. Juli 2018
- Bestsellers: National nonfiction, The Washington Post, abgerufen am 5. Juli 2018
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