Beggars Banquet
Beggars Banquet (englisch; deutsch „Bettler-Bankett“) ist das siebte in Großbritannien veröffentlichte Studioalbum der Rolling Stones.
Das Album
Mit Beggars Banquet kehrten die Rolling Stones nach ihrem psychedelisch orientierten Album Their Satanic Majesties Request zu ihren Wurzeln zurück. Wyman nennt es eine „konzentrierte, auf dem Blues basierende Tour de Force“. Bei den Aufnahmen zu Beggars Banquet arbeiteten die Stones erstmals mit Jimmy Miller als Produzent. Diese Zusammenarbeit begann am 21. Februar 1968 mit den ersten Probesessions für dieses Album und endete im Juli 1973 mit den Aufnahmen zu Goats Head Soup. Die Jimmy-Miller-Ära wird von vielen Kritikern und Fans als Höhepunkt im Schaffen der Rolling Stones angesehen. Fertiggestellt wurde das Album innerhalb von drei Wochen im Juli 1968 in Los Angeles, als Miller und Glyn Johns unter der Aufsicht von Jagger in den Sunset Sound Studios den endgültigen Mix vornahmen.
Beggars Banquet wurde nach langen Querelen mit der Plattenfirma Decca Records am 7. Dezember in den USA und am 8. Dezember 1968 in Großbritannien veröffentlicht, kurz nach dem Weißen Album der Beatles, das am 22. November erschien. Damit waren die Chancen der Rolling Stones, auf Platz 1 der britischen Charts vorzurücken, sehr begrenzt; schließlich erreichte Beggars Banquet am 21. Dezember Platz 3 und hielt sich 12 Wochen in den Charts. Auf dem 2. Platz: Eine best of-Zusammenstellung der Seekers[1]. In den Vereinigten Staaten stieg es lediglich auf Platz 5, hielt sich aber 13 Wochen in den Charts.[2]
Mit einer Ausnahme wurden sämtliche Songs von Mick Jagger und Keith Richards geschrieben und in der Zeit von März bis Juli 1968 in den Olympic Studios in London aufgenommen. Eröffnet wird das „Bankett“ mit Sympathy for the Devil, mit dem die Stones ihre Auseinandersetzung mit dem Teufel vom Vorgängeralbum fortsetzen (beide Alben verbindet darüber hinaus der Einladungscharakter). Diese Nummer wird zu einem Klassiker der Band werden. Der Song Prodigal Son, basierend auf der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn, stammt von Reverend Robert Wilkins. Der 1896 in Hernando, Mississippi geborene schwarze Sänger und Songwriter nahm den Song unter dem Titel That’s No Way to Get Along 1929 auf. 1964 wurde er im Zuge des Folk-Blues-Revivals wiederentdeckt. Seit den 1930er Jahren ein geweihter Priester, hatte Wilkins den „unheiligen“ Text dieses Songs in das biblische Thema abgeändert und nannte ihn fortan The Prodigal Son. Auf den ersten Veröffentlichungen von Beggars Banquet wurden jedoch fälschlicherweise Jagger und Richards als Autoren genannt. Wilkins, der 1928 selbst einen Song namens Rolling Stone aufgenommen hatte, starb 1987.[3]
Der Stones-Gitarrist Brian Jones trat auf dem Album kaum mehr in Erscheinung, weil er sehr stark durch seinen Drogenmissbrauch geschädigt war und Mick Jagger und Keith Richards ihn deswegen isolierten, seine Beiträge entweder gar nicht aufnahmen oder nachträglich löschten. Bei dem Titel No Expectations „blitzt Brian Jones’ Können und Brillanz noch einmal auf“, so Steve Appleford zu diesem Song. Trotz seiner Drogenprobleme und zerrütteten Gesundheit beweist No Expectations, dass Jones immer noch in der Lage war, jedes Stück mit tief bewegenden Verzierungen zu versehen und zu krönen. „Das war das letzte Mal, dass ich Brian völlig engagiert erlebt habe, beteiligt an etwas, das echt was wert war. Danach verlor er einfach an allem das Interesse“, sagte Jagger dem Magazin Rolling Stone 1995.[4]
Der Song Dear Doctor dokumentiert das steigende und vertiefte Interesse der Rolling Stones an Country-Musik, basierend auf Richards’ langjähriger Verehrung der Musik von Hank Williams und Merle Haggard. Durch die Zusammenarbeit mit Gram Parsons sollte sich diese Entwicklung bis zu Exile on Main Street fortsetzen.[5] Zeitgleich hatten sich die US-amerikanische Folkband The Byrds unter dem Einfluss Parsons’ mit Country Music beschäftigt und das Album Sweetheart of the Rodeo veröffentlicht.
Im sehnsuchtsvollen Song Parachute Woman („Fallschirm-Frau“) fließen nach Peter Appleford alte Bluesmetaphern: „mit lasziver Fröhlichkeit und rollender Zunge verkündet Jagger seine Botschaft – derbe sexuelle Anspielungen. Wyman spielte eine bundlose akustische Bassgitarre, Watts schlug auf einen Satz Straßentrommeln ein, Jagger spielte Perkussion, Richards die Akustikgitarre und Jones versuchte sich an verschiedenen Instrumenten, darunter eine Sitar.“[6]
Street Fighting Man gilt als Statement der Stones zur damals stattfindenden Jugendrebellion, deren Aufflackern die Band „eher von außen begleitet hat“ (Appleford).[7] Sie bewiesen damit aber immerhin die Fähigkeit, „Fragen zu stellen, die keine Seite gerne hörte“: „But what can a poor boy do…“ eröffnet eine Reihe musikalischer Stellungnahmen und Selbstdefinitionen der Band zum Verhältnis von Politik und Musik; diese Reihe wird fortgesetzt werden in You Can’t Always Get What You Want auf der Nachfolgeplatte Let It Bleed und findet einen vorläufigen Abschluss Mitte der siebziger Jahre: It’s only Rock’n Roll… Street Fighting Man wurde in den USA während des Parteitags der Demokraten von den Radiosendern Chicagos nicht gespielt. Während Jig-Saw Puzzle stark von Bob Dylan beeinflusst ist, hat der düstere Stray Cat Blues seine Vorbilder in Titeln wie Sister Ray und Heroin von The Velvet Underground, „düstere Analysen der Menschheit, Musik voll kräftiger Rhythmen und ungewöhnlicher Verzerrungen“.[8] Nach Factory Girl, einem Countrysong Jaggers über ein Mädchen der Arbeiterklasse, setzt der Schluss-Song ein. Für den Chorgesang beim hymnischen Salt of the Earth engagierte Keith Richards Gospel-Sängerinnen aus Los Angeles. Der Song beginnt mit einem entwaffnend einfachen Sound: Richards singt mit einer rauchigen Stimme und spielt akustische Gitarre. „Er sitzt im Pub und hebt das Glas auf die Arbeiterklasse: ‚Let’s drink to the hard-working people‘“. Der Song entwickelt sich dann zu einem epischen Gospel, mit Chor und einer hinreißenden Klavier-Melodie.[9] Im Dezember 1968 wurde der Song bei der Fernsehshow Rock and Roll Circus von Jagger und Richards live zu einem Playback gesungen.
Rezeption des Albums
Beggars Banquet wird von vielen Kritikern als eines der besten Alben im Bereich der Rockmusik bewertet. In der November-Ausgabe 2004 wählte der deutsche Rolling Stone das Album auf Platz 21 seiner Liste der 500 besten Alben aller Zeiten. Die US-amerikanische Ausgabe des Rolling Stone platzierte das Album auf 58.[10]
Einige Radiostationen weigerten sich, das Lied Street Fighting Man zu spielen, weil sie darin einen Aufruf zur Gewalt sahen.
Der Filmemacher Jean-Luc Godard filmte die Entstehung des vom Voodoo-Kult beeinflussten Songs Sympathy for the Devil und brachte damit die dunklen Seiten der Rolling-Stones-Musik zur Geltung. Eine 18-minütige Live-Version, gespielt zusammen mit afrikanischen Trommlern, bildete den Abschluss und Höhepunkt des legendären Stones-Konzerts im Londoner Hyde Park am 5. Juli 1969.
Von den zehn Songs des Albums Beggars Banquet wurden zwei nie live gespielt: Dear Doctor und das auf den Einfluss von Bob Dylan zurückgehende Jig-Saw Puzzle. Rod Stewart hatte mit seiner Version von Street Fighting Man einen frühen Hit, Bryan Ferry nahm eine eigene Version von Sympathy for the Devil auf. Die politisch aktive Band Rage Against the Machine coverte das Lied Street Fighting Man und kleidete es musikalisch neu ein. Es erschien dann auf ihrem Album Renegades.
Das Cover
Die Stones hatten die Absicht, auf dem Cover der LP eine mit Graffiti bemalte Wand und eine Toilette abzubilden. Der Fotograf Barry Feinstein erinnerte sich später: „Ich hing mit Mick in Hollywood herum und wir überlegten, was wir für das Album aufnehmen könnten. Wir sind dann zu meinem Automechaniker in die Werkstatt. Ich musste da eh noch hin. Da haben wir dann auf dem Klo mit roter Farbe den Albumtitel auf die Wand geschmiert.“[11] Die Plattenfirma wollte dieses Cover aber nicht veröffentlichen, also entschloss man sich dazu, die LP mit einem beigen Cover mit goldfarbenem Rand, welches nur den Schriftzug Rolling Stones Beggars Banquet R.S.V.P. trug, auf den Markt zu bringen (R.S.V.P. steht im Französischen für „répondez s’il vous plaît“ als höfliche Bitte um Rückantwort an den Gastgeber auf Einladungen). Die Plattenhülle ist aufklappbar, die innere Doppelseite zeigt die Bandmitglieder an einem mächtigen Tisch, in verwegener Kleidung, sitzend und teilweise liegend, während einer pompösen Fressorgie. Heute ist die Platte wieder in der ursprünglich geplanten Version mit dem Bild der Toilette erhältlich. Ausgaben mit dem beigen Cover sind deshalb zu begehrten Sammlerstücken geworden.
Die Auseinandersetzung um die Covergestaltung verzögerten 1968 die Edition des Albums immer wieder; am 7. September verkündete der Sprecher der Band: „Es gibt noch keinen Erscheinungstermin.“ Daily Mail meldete am 30. Oktober: „Die Stones konnten sich im Kampf um das Foto mit den Klosprüchen nicht durchsetzen.“[12]
Künstlerischer Leiter bei der Covergestaltung war Tom Wilkes.
Titelliste
Alle Songs stammen von Mick Jagger und Keith Richards, außer wenn anders angegeben.
Seite 1:
- Sympathy for the Devil (6:18)
- No Expectations (3:56)
- Dear Doctor (3:22)
- Parachute Woman (2:20)
- Jig-Saw Puzzle (6:06)
Seite 2:
- Street Fighting Man (3:16)
- Prodigal Son (Reverend Robert Wilkins) (2:52)
- Stray Cat Blues (4:37)
- Factory Girl (2:09)
- Salt of the Earth (4:47)
Literatur
- Steve Appleford: The Rolling Stones. Rip this Joint. Die Story zu jedem Song. Rockbuch Verlag, Schlüchtern 2003, ISBN 3-927638-11-0.
- Bill Wyman: Bill Wyman’s Rolling Stones Story. Dorling Kindersley, Starnberg 2002, ISBN 3-8310-0391-2.
- The Rolling Stones. Songbook. 155 Songs [1963–1977] mit Noten. Deutsch von Teja Schwaner, Jörg Fauser und Carl Weissner. Mit 75 Alternativübersetzungen von Helmut Salzinger. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1977, S. 180–203, 585–629 und 939–940.
Weblinks
- Beggars Banquet bei AllMusic (englisch)
- Beggars Banquet bei Discogs
Einzelnachweise
- https://www.officialcharts.com/charts/albums-chart/19681222/7502/
- Informationen nach B. Wyman, S. 314 f.
- Information nach B. Wyman, S. 315
- zit. nach Appleford, S. 75.
- Vg.Appleford, S. 76 f.
- zit. nach Appleford, S. 77.
- zit. S. 79
- vgl. Appleford, S. 80
- zit. nach Appleford, S. 81.
- Levy, Joe (Hrsg.): Rolling Stone. Die 500 besten Alben aller Zeiten. (Originalausgabe: Rolling Stone. The 500 Greatest Albums of all Time. Wenner Media 2005). Übersetzung: Karin Hofmann. Wiesbaden: White Star Verlag, 2011, S. 75
- zit. nach Andrian Kreys: Ich bin’s. Süddeutsche Zeitung, Nr. 196 vom 23./24. August 2008
- zit. nach B. Wyman, S. 315