Anshu Jain
Anshuman „Anshu“ Jain (Hindi अंशुमान जैन Anśumāna Jaina; * 7. Januar 1963[1] in Jaipur,[2] Bundesstaat Rajasthan, Indien) ist ein britischer Bankmanager indischer Herkunft und war vom 1. Juni 2012 bis zum 30. Juni 2015 zusammen mit Jürgen Fitschen Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank und des Group Executive Committee.[3][4]
Herkunft und Schulbildung (1963–1980)
Anshu Jain wurde als älterer von zwei Söhnen des Beamten Ambuj Jain und dessen Frau Shashi 1963 in Jaipur geboren. Er wuchs mit seinem Bruder in einer konservativ geprägten Mittelschichtsfamilie in Nizamuddin-West, einem Stadtviertel im Süden von Neu-Delhi, auf. Er ist der jüngere Cousin[5] des 1951 geborenen Ajit Jain, der zur Zeit von Jains Berufung auf den Vorstandsposten der Deutschen Bank als einer der möglichen Nachfolger des US-amerikanischen Finanzinvestors Warren Buffett bei dessen Holdinggesellschaft Berkshire Hathaway galt.[6]
Aufgrund einer beruflichen Versetzung von Anshu Jains Vater nach Afghanistan besuchte er von 1975 bis 1977 eine indische Privatschule in Kabul. An der Delhi Public School Mathura Road, einer Privatschule in Neu-Delhi, absolvierte er 1980 das Higher Secondary Exam (Abitur in Indien).
Studium (1980 bis 1985)
Anshu Jain studierte in Indien und den USA an öffentlichen Universitäten. 1983 schloss er sein Bachelor-Studium der Wirtschaftswissenschaften am Shri Ram College of Commerce der Universität Delhi in Indien ab. 1985 erwarb er einen MBA in Finanzen an der Isenberg School of Management der University of Massachusetts in Amherst/USA.
Investmentbanker in Boston und New York (1985 bis 1995)
Nach seinem MBA-Studium 1985 stieg er als Analyst in die damalige Investmentbank Kidder, Peabody & Co. in Boston (heute Teil der UBS) ein. 1988 wechselte er zu Merrill Lynch (heute Teil der Bank of America Corporation) nach New York, baute dort die branchenweit erste Abteilung für spezielles Hedgefonds-Management auf und leitete diese als Managing Director.
Deutsche Bank in London (1995 bis 2012)
1995 verließ Anshu Jain mit seinem Mentor Edson Mitchell Merrill Lynch und ging zur Deutschen Bank nach London. Innerhalb von fünf Jahren, in denen Jain in leitender Funktion im Investmentbanking der Deutschen Bank in London tätig war, soll seine Abteilung mit ihm 16 Milliarden Euro netto, nach Abzug sämtlicher Boni, verdient haben. Grob gerechnet sind laut WirtschaftsWoche rund 50 % des gesamten Gewinns der Deutschen Bank im Jahr 2005 der Abteilung Jains zuzurechnen. Aufgrund dieser Erfolge und der entsprechenden Boni hat Anshu Jain die interne Gehaltsrangliste der Deutschen Bank in den letzten Jahren regelmäßig angeführt und war zu dieser Zeit dem Vernehmen nach der bestverdienende Angestellte einer deutschen Aktiengesellschaft. Von der Zeitschrift eFinancialNews wurde er auf Platz 2 ihrer Liste der „100 Most Influential People“ gewählt.
In den Verantwortungsbereich von Jain fielen in London auch die Bereiche der Deutschen Bank, die durch die Teilnahme an sog. Karussellgeschäften in den Fokus der strafrechtlichen Ermittlungen wegen schwerer Steuerhinterziehung, der Geldwäsche und der versuchten Strafvereitelung gerieten. Im Zuge dieser Ermittlungen wurden im Jahre 2012 Geschäftsräume der Deutschen Bank in Frankfurt durchsucht. Dabei wurden ehemalige Mitarbeiter von Jain verhaftet, denen die Hinterziehung von Hunderten Millionen Euro Umsatzsteuer vorgeworfen wurde.[7]
Ebenfalls in den Verantwortungsbereich von Jain in den Londoner Jahren fiel der Libor-Skandal, bei dem durch die Deutsche Bank ein Leitzins zu Gunsten ebendieser manipuliert worden war.[8]
Die Deutsche Bank musste mehrere Milliarden zurückstellen, um die Strafzahlungen und Verluste der Geschäfte Jains zu begleichen.[9]
Co-Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank (2012–2015)
Anshu Jain war seit 2009 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank. Im Juli 2011 gab die Deutsche Bank bekannt, dass Anshu Jain gemeinsam mit Jürgen Fitschen am 1. Juni 2012 den Vorsitz des Vorstandes übernehme und somit einer der beiden Nachfolger von Josef Ackermann werde. Als Co-Vorstandsvorsitzender war Jain zuständig für die Bereiche Corporate Finance, Sales and Trading sowie Global Transaction Banking.[10]
In der über 140-jährigen Konzerngeschichte der Deutschen Bank war Jain als Brite nach dem Schweizer Josef Ackermann der zweite ausländische Vorstandsvorsitzende bzw. Co-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank.[11] 2012 erhielt er wie Jürgen Fitschen ein Gehalt von 4,8 Millionen Euro (Brutto).[12]
Auf der Hauptversammlung am 21. Mai 2015 erhielt er nur von 61 % der anwesenden Aktionärsstimmen das Vertrauen ausgesprochen; üblich sind in solchen Fällen Zustimmungsraten von 95 % und mehr.[13] Dieses schlechte Ergebnis leitete seine Ablösung ein. Am 7. Juni 2015 gab die Deutsche Bank bekannt, dass Jain und Fitschen ihre bis zum 31. März 2017 befristeten Verträge vorzeitig beenden werden. Während Fitschen auf Bitte des Aufsichtsrats sein Mandat noch bis zum Ende der nächsten Hauptversammlung am 19. Mai 2016 ausübte, schied Jain bereits am 30. Juni 2015 aus.[14]
Vorwürfe
Als Folge der in den USA ausgelösten weltweiten Subprime-Krise wurden im April 2008 auch Vorwürfe gegen Jain laut.[15] Die zuvor über Jahre anscheinend erfolgreichste Sparte (Corporate Banking & Securities) der Deutschen Bank AG schrieb unter Jains Führung im ersten Quartal 2008 nach Milliardenabschreibungen auf Kredite zur Finanzierung von Firmenübernahmen und dramatisch eingebrochenen Erlösen einen Vorsteuerverlust von 1,6 Milliarden Euro. Im Vorjahreszeitraum hatte die Abteilung noch einen Gewinn von 2,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. In einer im Mai 2012 ausgestrahlten Fernsehreportage des WDRs wird Jain auch für Betrügereien bei dem Verbriefen riskanter Hypotheken verantwortlich gemacht. Bei Zwangsvollstreckungen der Deutschen-Bank-Tochter Deutsche Bank National Trust wurden 1,4 Millionen Familien in den USA – unter anderem mit Hilfe von durch CBS recherchierten Dokumenten- und Unterschriftenfälschungen[16] (Robo-Signing) – aus ihren Häusern vertrieben. Die von Jain verantworteten Hypothekengeschäfte brachten der Deutschen Bank Milliarden Euro ein.[16] Der ehemalige Chef der Westdeutschen Landesbank, Ludwig Poullain, warf in einer Reportage 2012 der Deutschen Bank vor, missbräuchlich ihre Macht für Geschäfte eingesetzt und damit volkswirtschaftlichen Schaden angerichtet zu haben.[16] Mit hochriskanten Wettgeschäften, an denen die Deutsche Bank – und andere Unternehmen, darunter JPMorgan Chase & Co. – hohe Provisionen verdiente und die auf falschen Zinsprognosen basierten, verloren Städte – darunter Hagen und Pforzheim, Würzburg, Neuss und Mailand –, Gemeinden und europäische Regionen – darunter die Toskana – Millionenbeträge, welche die betroffenen Kommunen zum Teil ruinierten.[17]
Dem Abschlussbericht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu den Manipulationen des Zinssatzes Libor (→ Libor-Skandal) zufolge seien Jain, zur fraglichen Zeit Chef des Investmentbankings der Deutschen Bank, in Bezug hierzu „schwere Versäumnisse“ vorzuwerfen gewesen.[18] So habe er bei den entsprechenden Untersuchungen zur Manipulation wichtiger Zinssätze bewusst ungenaue Angaben gegenüber der Bundesbank gemacht.[19] Im Zusammenhang mit der Libor-Affäre hat die Bank zwölf Händler entlassen und neun weitere versetzt. Die behördlichen Ermittlungen dauerten mehrere Jahre.
Weitere Ergebnisse wurden im April 2015 bekannt.[20] In der ausführlichen Stellungnahme kommt die deutsche Aufsicht zu dem Schluss, dass Jain wissen musste, dass in seinem Bereich die Zinssätze manipuliert wurden und dass bewusst kein funktionierendes Risikomanagement aufgebaut wurde.[21]
Privates
Anshu Jain ist mit seiner Frau Geetika, einer Sikh, seit über 25 Jahren verheiratet. Das Ehepaar hat zwei Kinder und lebt im westlichen Londoner Stadtbezirk Royal Borough of Kensington and Chelsea[22] und hat weitere Wohnsitze in Frankfurt und New York.[23]
Jain ist Einkommensmillionär und Vermögensmillionär. Sein Privatvermögen wird auf ca. 60 Mio. Euro geschätzt.[24]
Er spricht fließend Englisch, Hindi und ein wenig Deutsch. Privat spielt er gerne Golf und Cricket, weshalb er etwa einen Zeitschriftenartikel anlässlich des Cricket World Cup 2011 schrieb.[25][26] Anshu Jain ist britischer Staatsbürger.[27]
Literatur
- Anshu Jain, in: Internationales Biographisches Archiv 36/2012 vom 4. September 2012, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Weblinks
- Bettina Schulz: Der Favorit für die Ackermann-Nachfolge. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 2011.
- Stefan Kaiser, Christian Rickens: Machtwechsel bei der Deutschen Bank: Der stille Putsch des Anshu Jain. In: Der Spiegel, 7. März 2012.
- Christian Siedenbiedel: Zinsmanipulationen. Der Skandalbanker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juli 2012.
- Uwe Jean Heuser: Ich werde so lange hier sein, wie ich gebraucht werde. Gespräch mit Anshu Jain. In: Die Zeit, 21. Februar 2015.
- Madhura Karnik: The India-born banker who transformed Deutsche Bank is on his way out (Memento vom 2. Juli 2015 im Internet Archive), QUARZ - India, 8. Juni 2015
Einzelnachweise
- http://www.br.de/radio/bayern-plus/deutsche-bank-ackermann100~_csn-d338df27-476e-4cba-bcaf-35721538d1d0_-837eac426c70e2777b1760225b2a0ebc01dd8507.html (Link nicht abrufbar)
- Der Kronprinz erklimmt die Spitze. Handelsblatt, 25. Juli 2011, abgerufen am 6. Juni 2012.
- Ackermann-Nachfolger: Anshu Jain – Wider die Deutschtümelei (Memento vom 2. Juni 2012 im Internet Archive) bei ftd.de, 31. Mai 2012 (abgerufen am 1. Juni 2012).
- Jain und Fitschen werfen hin: Früherer UBS-Vorstand John Cryan wird Deutsche-Bank-Chef. In: faz.net. 7. Juni 2015, abgerufen am 21. Januar 2016.
- Handelsblatt, 1. Juni 2012: Die Jains regieren die Welt
- Berkshire Hathway Shareholder Letter for 2014 (PDF) Abgerufen am 14. April 2015: „his successors would not be ‘of only moderate ability.’ For instance, Ajit Jain and Greg Abel are proven performers“
- Christian Teevs, Stefan Kaiser, DER SPIEGEL: Wie die Deutsche Bank in den Steuerbetrug verstrickt ist - DER SPIEGEL - Wirtschaft. Abgerufen am 10. Januar 2020.
- Die dunkle Seite der Deutschen Bank. spiegel.de. 12. Dezember 2012. Abgerufen am 14. Januar 2020.
- Strafzahlungen - Die Niederlagen der Deutschen Bank. zdf.de. 29. November 2018. Archiviert vom Original am 25. September 2019. Abgerufen am 14. Januar 2020.
- Die perfekte Inszenierung des Anshu Jain Handelsblatt Online, 13. Juni 2012
- Gleich zwei neue Chefs für die Deutsche Bank, Neue Zürcher Zeitung (Zugriff am 26. Juli 2011)
- sueddeutsche.de 24. März 2013: Jain verzichtet auf zwei Millionen Euro
- Hauptversammlung der Deutschen Bank - Denkzettel für Jain und Fitschen (Memento vom 23. Mai 2015 im Internet Archive)
- www.deutsche-bank.de: Deutsche Bank ernennt John Cryan zum Nachfolger von Jürgen Fitschen und Anshu Jain
- Lutz Reiche: „Vision“ geplatzt manager magazin online, 25. August 2012
- ARD, WDR, 21. Mai 2012: Verzockt – und verklagt: Die guten Geschäfte der Deutschen Bank (Memento vom 15. Juni 2012 im Internet Archive), Fernsehreportage
- Ethecon Stiftung Ethik & Ökonomie, 2013: Dossier: Black Planet Award 2013
- Deutsche Bank. Heftige Vorwürfe gegen Noch-Chef Jain. In: Süddeutsche Zeitung. 12. Juni 2015, abgerufen am 10. März 2018.
- Libor-Skandal. Neue Vorwürfe gegen Deutsche-Bank-Chef Jain. In: Welt. 28. Juni 2015, abgerufen am 10. März 2018.
- Harald Freiberger: Libor-Skandal: Deutsche Bank bezieht Prügel von der Aufsicht. In: sueddeutsche.de. 23. April 2015, abgerufen am 10. März 2018.
- DocumentCloud Document Viewer. Abgerufen am 10. Januar 2020.
- Selbstdarstellung G. Jain (Memento vom 23. Mai 2015 im Internet Archive)
- Kim Velsey: Deutsche Bank Boss Anshu Jain Invests In $7.2 M. Beacon Court Spread. Observer Media, 11. Mai 2012, abgerufen am 3. Juni 2015 (englisch).
- Reshmanth: These CEOs of Indian Origin Will Make You Feel Proud.. SouthReport.com. 4. Juni 2015. Abgerufen am 28. Februar 2016.
- Georg Meck: Anshu Jain, der Banker, der „The Deutsche“ umbaut. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Nr. 40, 7. Oktober 2012, S. 28–29.
- „Cricket, Lovely Cricket“, Newsweek Magazine vom 13. Februar 2011 (Memento vom 5. Juli 2012 im Internet Archive)
- Eintrag "Jain, Anshu" in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000025630 (abgerufen am 11. April 2015)