Anhaltische Gemäldegalerie Dessau
Die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau ist ein Kunstmuseum in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau, dessen Sammlungsschwerpunkt auf Werken der Alten Meister liegt. Sie geht zurück auf die Gemäldesammlung der Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, welche 1793 nach dem Willen der Stifterin als erste öffentliche Kunstsammlung in Dessau eröffnet wurde. Nach der Zerstörung ihres seit 1927 genutzten Gebäudes im Zweiten Weltkrieg befindet sich die Anhaltische Gemäldegalerie seit 1959 im Schloss Georgium unweit des historischen Bauhausgebäudes und des Dessauer Hauptbahnhofs. Momentan erfährt das Schloss eine bauliche Erneuerung, die 2021 im Wesentlichen abgeschlossen wurde.[1] Gemäldegalerie, Schloss und Park Georgium gehören zum Unesco-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz.
Geschichte
Zur Gründung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau
Mit der Eröffnung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau am 17. September 1927 wurde die Idee der Gründung eines modernen Kunstmuseums in Dessau umgesetzt, die bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts existierte. Grundlage war die Zusammenführung mehrerer Kunstsammlungen: der Kunstnachlass der Henriette Amalie von Anhalt-Dessau (Amalienstiftung), der Kunstbesitz der Stadt Dessau und des Staates Anhalts sowie Bestände der Joachim-Ernst-Stiftung, die seit 1918 einen Teil des Kunstbesitzes des Hauses Anhalt verwaltete. Sitz des Museums wurde das Palais Reina in der Dessauer Innenstadt, ein klassizistischer Bau des frühen 19. Jahrhunderts. Leitbild des Museums war nach den Worten des ersten Direktors Ludwig Grote, ein „lebendiges Organ der Bildung“ zu schaffen. Zur farbigen Gestaltung der Ausstellungsräume zog Grote den Bauhausmeister Hinnerk Scheper heran. Nach 1927 eröffnete im Schloss Oranienbaum eine Filialgalerie der Gemäldegalerie, um dem Problem begrenzter Ausstellungsflächen im Palais Reina zu begegnen. Bemerkenswert ist die Ankaufspolitik Ludwig Grotes, die neben Werken des 19. Jahrhunderts bevorzugt Kunst der Bauhausmeister und der Moderne umfasste. So wurden ab 1928 mit Mitteln der Stadt Dessau Gemälde von Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer, Fritz Winter, Wassily Kandinsky und Paul Klee erworben.
Die Galerie in der NS-Zeit
Nach der 1932 in Anhalt erfolgten politischen Machtübernahme der NSDAP waren die Ankäufe moderner Kunst ein Grund für politischen Druck auf Grote, der sich daraufhin aus seinem Amt zurückzog. Die Galerie sollte nun im Sinne der nationalsozialistischen Kulturpolitik ein „Spiegelbild der Vielfältigkeit und des Reichtums des germanischen Geistes“ vermitteln. Die altdeutschen Meister Albrecht Dürer und Lucas Cranach d. Ä. bekamen den prominentesten Platz in der Dauerausstellung.
1937 wurde in der Nazi-Aktion „Entartete Kunst“ aus dem Bestand der Galerie eine große Anzahl von Bildern beschlagnahmt. Viele davon wurden anschließend vernichtet.[2] 1939 begann angesichts des Kriegseintritts und bevorstehender Luftangriffe die Evakuierung der Kunstwerke an diverse Standorte, wie z. B. in Bergwerksstollen des Schachtes I des Salzbergwerks Solvayhall bei Bernburg. Im Palais Reina verbliebene und in das Zerbster Schloss ausgelagerte Werke wurden bei Luftangriffen zerstört. Sie sind Teil der mehr als 200 Gemälde umfassenden Kriegsverluste.
Künstler, deren Werke 1937 aus der Galerie als "entartet" beschlagnahmt wurden
Lothar Bechstein, René Beeh, Dora Brandenburg-Polster, Heinrich Campendonk, Karl Caspar, Maria Caspar-Filser, Lovis Corinth, Franz Karl Delavilla, Josef Eberz, Friedrich Feigl, Lyonel Feininger, Max Feldbauer, Conrad Felixmüller, Robert Genin, Alexander Gerbig, Rudolf Großmann, George Grosz, Carl Gunschmann, Erich Heckel, Franz Heckendorf, Werner Heuser, Karl Hofer, Johannes Itten, Willy Jaeckel, Richard Janthur, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Paul Klee, César Klein, Paul Kleinschmidt, Wilhelm Kohlhoff, Oskar Kokoschka, Otto Kopp, Bruno Krauskopf, Alfred Kubin, Gerhard Marcks, Ludwig Meidner, Moriz Melzer, Georg Muche, Otto Mueller, Heinrich Nauen, Emil Nolde, Willi Nowak, Max Oppenheimer, Max Pechstein, Alfred Heinrich Pellegrini, Walter Püttner, August Roeseler, Edwin Scharff, Oskar Schlemmer, Werner Paul Schmidt, Lothar Schreyer, Julius Wolfgang Schülein, Richard Seewald, Otto Theodor Wolfgang Stein, Jakob Steinhardt, Armin Stern (1883–1944), Walther Teutsch (1983–1964), Erich Thum, Viktor Tischler (1890–1951), Max Unold und Hans Wimmer.
Die Galerie in der DDR-Zeit
1946 übernahm Dr. Julie Harksen das Direktorenamt und kümmerte sich aktiv um die Bergung der Werke aus den Auslagerungsstandorten. Die in Solvayhall gelagerten Werke wurden 1946 von sowjetischen Militärs sichergestellt und nach Moskau und Leningrad verbracht. Eine Wiedereröffnung der Galerie mit eingeschränkter Präsentation fand 1948 im kurzzeitigen Domizil Schloss Mosigkau statt. 1950 erfolgte der Umzug in das Palais Bose in Dessau. Mit der 1958/59 erfolgten Rückgabe der beschlagnahmten Bestände aus der Sowjetunion war eine erneute umfängliche Präsentation Alter und Neuer Meister möglich. Sie wurde 1959 im Schloss Georgium umgesetzt, das seitdem Sitz der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau ist.
Sammlung
Die Sammlung umfasst heute ungefähr 1.800 Gemälde und 18.000 Arbeiten auf Papier (Zeichnungen, Druckgraphik) sowie kleinere Bestände an Plastik und angewandter Kunst. Die Werke entstammen der Zeitspanne vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, wobei ein klarer Schwerpunkt in der Zeit von 1500 bis 1850 liegt.
Eine besondere Verbundenheit mit dem Werk des in Dessau als Hofmaler tätigen Johann Friedrich August Tischbein zeigt sich in der großen Gruppe seiner Gemälde in dem nach ihm benannten Festsaal des Hauses. In der Abteilung der Altdeutschen Malerei nehmen die Werke Lucas Cranachs des Älteren den prominentesten Platz ein, hierunter eines seiner Hauptwerke: der Dessauer Fürstenaltar. Auch die Graphische Sammlung der Anhaltischen Gemäldegalerie besitzt einen wichtigen Schwerpunkt bei den Zeichnungen deutscher und Schweizer Künstler des 16. Jahrhunderts. Die durch verwandtschaftliche Beziehungen zu den Oraniern begründete Neigung der Mitglieder des Hauses Anhalt-Dessau für die niederländische Malerei spiegelt sich auch in den Beständen der Anhaltischen Gemäldegalerie wider. In großer Dichte die künstlerische Entwicklung in allen Genres wiedergebend, weist sie wichtige Werke niederländischer Maler vom späten 15. bis zum frühen 18. Jahrhundert auf. Wesentlich vom Geschmack der anhaltischen Fürstenfamilie ist die Auswahl deutscher Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts geprägt. Aufgrund der Aufgeschlossenheit der Prinzessin Henriette Amalie für die zeitgenössische Kunst ihrer Wahlheimat befindet sich darunter eine singuläre Gruppe von Gemälden Frankfurter Meister der Mitte des 18. Jahrhunderts. Anschließend an diese Maler aus Goethes Frankfurter Kindheit entwickelt sich der Dessauer Sammlungsschwerpunkt der deutschen Kunst der Goethezeit. Besonders gut vertreten sind hier die aus Anhalt stammenden oder in den anhaltischen Residenzen tätigen Künstlerinnen und Künstler wie Johann Friedrich August Tischbein, die Gebrüder Olivier, Caroline Bardua und Franz Krüger.
Wesentlich durch Erwerbungen in den 1920er und 1930er Jahren ist der Bestand der deutschen Kunst nach 1850 geprägt. Dabei konnte die Werkgruppe der von den Dessauer Bauhausmeistern angekauften Gemälde und Grafiken nach den Verlusten nach 1933 nur in Ausnahmefällen zurückerworben werden. Die Erwerbungen deutscher Kunst nach 1945 haben ein besonderes Augenmerk für die Nachfolge des Bauhauses und die künstlerischen Entwicklungen auf dem Territorium des historischen Landes Anhalt. Wie auch bei der Stärkung der älteren Sammlungsschwerpunkte sowie dem Ausgleich der Kriegsverluste sind Schenkungen und Dauerleihgaben in den letzten Jahrzehnten von grundsätzlicher Bedeutung für die inhaltliche Fortentwicklung der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau gewesen.
- Petrus Christus, Kreuzigung (seit dem 2. Weltkrieg vermisst)
- Lucas Cranach d. Ä., Dessauer Fürstenaltar
- Lucas Cranach d. Ä., Verlobung der Hl. Katharina
- Lucas Cranach d. Ä., Heilige Familie von Engeln umgeben, Erziehung der Jungfrau Maria (linker und rechter Flügel eines Marienaltares)
- Urs Graf, Bildnis einer lächelnden Frau, 1525
- Jan Brueghel der Ältere, Der Einzug in die Arche Noah
- Aelbert Cuyp, Orpheus mit den Tieren, 1639
- Domenicus van Tol, Mädchen mit Käfig und seifenblasender Junge
- Balthasar van der Ast, Stillleben mit Blumen, Früchten und exotischen Schnecken
- Ádám Mányoki, Leopold I. Fürst von Anhalt Dessau, 1714
- Friedrich Wilhelm Güte, Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau (1720–1793), 1746
- Christian Wilhelm Ernst Dietrich, Jason tötet den kolchischen Drachen, 1760/70
- Jakob Philipp Hackert, Blick auf die Villa Albani bei Rom, 1779
- Johann Friedrich August Tischbein, Friederike von Preußen mit Turban, 1796–97
- Johann Friedrich August Tischbein, Christiane Amalie Erbprinzessin von Anhalt-Dessau (1774–1846) mit drei ihrer Kinder
- Heinrich Olivier, Die Heilige Allianz, 1815
- Caroline Bardua, Die Kranzwinderin, um 1838
- Friedrich August von Kaulbach, Bildnis Hedda, Tochter des Künstlers, um 1878/1880
- Wassily Kandinsky, Schwere Fläche, 1925
Literatur (Auswahl)
- Werner Schade: Lucas Cranach Gemälde. Zwischen 1510 und 1530. Dessau 1993
- Stephan Klingen und Margit Ziesché: Die deutschen Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts. Böhlau, Weimar 1996, ISBN 3-7400-1009-6
- Norbert Michels (Hrsg.): „... Waren nicht des ersten Bedürfnisses, sondern des Geschmacks und des Luxus“: Zum 200. Gründungstag der Chalcographischen Gesellschaft in Dessau. Böhlau, Weimar 1996, ISBN 3-7400-1021-5
- Norbert Michels (Hrsg.): Verrat an der Moderne. Die Gründungsgeschichte und das erste Jahrzehnt der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau 1927–37. Dessau 1996
- Bettina Werche: Die altniederländischen und flämischen Gemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. Böhlau, Weimar 2001, ISBN 3-7400-1037-1
- Manfred Großkinsky/Norbert Michels (Hrsg.): Sammlerin und Stifterin – Henriette Amalie von Anhalt-Dessau und ihr Frankfurter Exil. Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-00-010315-5
- Alexandra Nina Bauer: Die holländischen Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Stekovics, Dößel 2005, ISBN 3-89923-097-3
- Guido Messling: Handzeichnungen. Die deutschen und schweizerischen Meister der Spätgotik und der Renaissance. Imhof, Petersberg 2011, ISBN 978-3-86568-695-4
- Norbert Michels (Hrsg.): Cranach in Anhalt. Vom alten zum neuen Glauben. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2015, ISBN 978-3-7319-0227-0
- Norbert Michels (Hrsg.): Hendrick Goltzius (1558–1617). Mythos, Macht und Menschlichkeit. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, ISBN 978-3-7319-0581-3
- Margit Schermuck-Ziesché: Gestohlen, abtransportiert, zurückgekehrt : die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau im Zweiten Weltkrieg. Böhlau, Weimar 2020, ISBN 3-412-51833-6
Weblinks
- Anhaltische Gemäldegalerie Dessau (Homepage der Galerie)
- Anhaltische Gemäldegalerie Dessau (Internetpräsenz auf der Homepage der Stadt Dessau-Roßlau)
- Förderverein „Anhaltische Gemäldegalerie und Georgengarten“ Dessau e.V. (Homepage des Fördervereins)
Einzelnachweise
- Sandra Meyer: Anhaltische Gemäldegalerie Dessau ist saniert und hat neuen Chef. In: MDR. MDR Kultur, 15. Dezember 2020, abgerufen am 12. Februar 2021.
- Datenbank zum Beschlagnahmeinventar der Aktion „Entartete Kunst“, Forschungsstelle Entartete Kunst, FU Berlin