Albrecht Pflaum
Albrecht „Tonio“ Pflaum (* 7. März 1947; † 30. April 1983 Zompopera, Departamento Estelí, Nicaragua) war ein deutscher Arzt und Entwicklungshelfer, der 1983 während des Contra-Krieges bei einem Contra-Überfall zusammen mit 13 Nicaraguanern ermordet wurde.
Leben und Wirken
Über Pflaums Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Offenbar hatte er in Freiburg im Breisgau Medizin studiert. Seit 1980 war er in Nicaragua für den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) tätig. Das Land befand sich seit Anfang der 1980er Jahre im Bürgerkrieg, in dem von den USA unterstützte Contra-Rebellen als Guerilla die sozialistisch orientierte sandinistische Regierung unter Daniel Ortega bekämpfte, die wiederum vom Ostblock wirtschaftlich, militärisch und nachrichtendienstlich unterstützt wurde; insbesondere von Kuba und der DDR.
Am 30. April 1983 befand sich Pflaum im Raum Jinotega – Estelí zusammen mit 13 Einheimischen auf dem Weg zu einer Feier zum Ersten Mai. Nach ersten Presseberichten wurde der mit 14 Personen besetzte Linienbus von einer Contraeinheit angehalten, die Passagiere zum Aussteigen gezwungen und unmittelbar darauf entweder durch Gewehrschüsse und/oder Bajonettstiche ermordet. Die Nachricht über den Tod Pflaums traf über die westdeutsche Botschaft in Managua noch am Abend im Auswärtigen Amt in Bonn ein. Pflaum hinterließ eine Ehefrau und zwei Kinder.
Folgen
Als unmittelbare Folge des Attentats rief der DED seine rund 50 in ganz Nicaragua tätigen Entwicklungshelfer in die Hauptstadt Managua zurück, wo ihre Sicherheit gewährleistet werden konnte. Pflaums Leichnam wurde wenige Tage später in die Bundesrepublik überführt.
Am 2. Mai 1983 besetzten rund 25 westdeutsche Staatsangehörige, die sich selbst als „Internationalisten“ bezeichneten, die westdeutsche Botschaft in Managua und forderten von Botschafter Horst Heubaum unter anderem die Einsetzung einer Untersuchungskommission, „um die Ermordung des deutschen Arztes und Entwicklungshelfers Albrecht Pflaum ohne Rücksicht auf ´alliierte´ Regierungen aufzuklären“. (NWZ v. 3. Mai 1983, S. 2) Zwei dem Botschaftspersonal bekannte Frauen, die dort regelmäßig Post abholten, hatten den Pförtner und eine aus einem Bundesgrenzschutzbeamten bestehende Wache abgelenkt, so dass die Besetzer auf das Botschaftsgelände vordringen konnten.
Die Besetzung wurde nach sieben Stunden friedlich beendet; am nächsten Tag wurde die Aktion von 70 Vertretern des DED, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in einer Erklärung an die Bundesregierung unter Helmut Kohl kritisiert, diese aber gleichzeitig aufgefordert, ihre bisherige Mittelamerikapolitik zu überdenken, zumal sich inzwischen herausgestellt habe, dass die Politik von US-Präsident Ronald Reagan der größte Störfaktor der mittelamerikanischen Verhältnisse sei. (NWZ v. 4. Mai 1983, S. 2) Reagan selbst wiederum bezeichnete kurz darauf die ehemaligen Anhänger des Diktators Somoza (Contras) als „Freiheitskämpfer“ und forderte deren offene Unterstützung. (NWZ vom 6. Mai 1983, S. 3)
Am 4. Mai 1983 benutzten im Deutschen Bundestag in Bonn die Abgeordneten der Grünen, Petra Kelly und Gabriele Gottwald, die Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl als Gelegenheit zur Entfaltung eines Transparents mit der Aufschrift „Herr Kohl! Unterstützung der USA in Nicaragua heißt Mitschuld am Tod Albrecht Pflaums“. Das Transparent wurde von Saaldienern sichergestellt, nachdem sich Kelly und Gottwald geweigert hatten, es herunterzunehmen.
Ob in der Bundesrepublik oder Nicaragua strafrechtliche Ermittlungen zum Tode Pflaums eingeleitet wurden, ist nicht bekannt.
Erinnerungskultur
- Noch 1983 komponierte der Liedermacher Walter Mossmann das Musikstück „Unruhiges Requiem“, in dem er US-Präsident Ronald Reagan und Bundeskanzler Kohl für den Tod Pflaums, den er offenbar persönlich gekannt hatte, verantwortlich machte.
- Zur Erinnerung an Pflaum wurde an der Freiburger Wiwilíbrücke eine Gedenktafel angebracht.
- Im Freiburger Stadtteil Rieselfeld ist der Tonio-Pflaum-Weg nach Pflaum benannt.
Siehe auch
Literatur
- Holly Sklar: Washington’s War in Nicaragua. South End Press, Boston (Massachusetts) 1988, ISBN 0-89608-296-2, S. 357
- Nicaragua: Deutscher Arzt ermordet. Rechte Freischärler richten Gemetzel an. In: Nordwest-Zeitung, 2. Mai 1983, S. 1.
- Sorge um Mittelamerika. In: Nordwest-Zeitung, 3. Mai 1983, S. 2.
- Invasion der Somoza-Anhänger. Nicaragua: Bonn-Kontroverse – Wischnewski-Reise. In: Nordwest-Zeitung, 4. Mai 1983, S. 2.
- Reagans „Freiheitskämpfer“. Präsident stellt Links-Regierung Nicaraguas in Frage. In: Nordwest-Zeitung, 6. Mai 1983, S. 3.
Weblinks
- Foto von Albrecht Pflaum, Aufnahmeort und -datum unbekannt
- Informationen zur Städtepartnerschaft Wiwilí - Freiburg im Breisgau
- Informationen zur Botschaftsbesetzung in Managua, in: Akten zur Asuwärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1983
- Comandante Hans. Auf einer Rundreise durch Mittelamerika studierte Hans-Jürgen Wischnewski die Ergebnisse der US-Politik gegenüber Nicaragua. Sein Befund: „eine Schweinerei“, in: Der Spiegel Nr. 21 vom 23. Mai 1983
- Foto der Protestaktion von Petra Kelly und Gaby Gottwald am 4. Mai 1983 im Deutschen Bundestag
- Was nun, Sandino? In: Die Zeit vom 17. Juni 1983
- Text von Unruhiges Requiem von Walter Mossmann
- Die Witwe des deutschen Arztes. Zum Tod meines Mannes hätte ich viel zu sagen, in: Hamburger Abendblatt vom 4. Mai 1983