Wahlrecht in der Zeit des Nationalsozialismus
Nach dem Wahlrecht in der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 war die Bevölkerung im Deutschen Reich zu mehreren Wahlen zum Reichstag aufgerufen, außerdem fanden Referenden statt, die außer 1934 gleichzeitig mit der Reichstagswahl abgehalten wurden. Die Abstimmungen hatten nicht den Charakter von freien Wahlen, sondern von Scheinwahlen: Die nationalsozialistische Führung versuchte, ihr Regime durch eine angebliche Zustimmung durch das Volk zu legitimieren. Seit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 war der Reichstag entmachtet, da auch die Reichsregierung Gesetze erlassen durfte.
Wahlen und Wahlberechtigte
Die nationalsozialistische Regierung übernahm das bestehende Wahlrecht der Weimarer Republik. Damit blieben sowohl die Reichsstimmordnung als auch das Reichswahlgesetz in Kraft. Damit waren offiziell nach Paragraph 1 des Reichswahlgesetzes und Paragraph 2, Absatz 1 der Reichsstimmordnung freie und geheime Wahlen mit Wahlurnen, Wahlzettel und Wahlkabinen vorgeschrieben. Rechtlich gesehen mussten die Abstimmungen durch einen Wahlvorstand während des Urnengangs überwacht werden. Da das Frauenwahlrecht seit dem 30. November 1918 bestand,[1] verfügten alle Reichsbürger, die mindestens 20 Jahre alt waren über das aktive Wahlrecht. Das passive Wahlrecht hatten alle Staatsangehörigen, die mindestens 25 Jahre alt waren.[2] Auch KZ-Häftlinge waren wahlberechtigt, so sie diese Voraussetzungen erfüllten.[3]
Die Reichstagswahl am 5. März 1933 war die erste Wahl unter nationalsozialistischer Herrschaft und zugleich die letzte Wahl, bei der mehrere Parteien zugelassen waren. Nach diesem Urnengang fanden in der Zeit des Nationalsozialismus noch drei Reichstagswahlen statt. Am 12. November 1933 verbuchte die NSDAP 92,2 Prozent der Stimmen, am 29. März 1936 kam sie auf 99 Prozent. Am 10. April 1938 wurde der sogenannte Großdeutsche Reichstag gewählt mit 99 Prozent Stimmen für die NSDAP. Am 4. Dezember 1938 fand zudem die Ergänzungswahl für das Sudetenland statt, nachdem das Gebiet infolge des Münchner Abkommens vom 29. September an das Reich angeschlossen worden war.[4]
Die Saarländer waren 1936 nach der Rückgliederung des Saargebiets zum 1. März 1935 erstmals wieder seit 1919 zu einer gesamtdeutschen Wahl aufgerufen. Dagegen verloren Juden durch das Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 das Wahlrecht. Damit durften sie, genauso wie sogenannte jüdische Mischlinge, nicht mehr an einer Reichstagswahl teilnehmen.[5]
Am 25. Januar 1943 verlängerte Adolf Hitler die Wahlperiode des Reichstages durch das Gesetz über die Verlängerung der Wahlperiode des Großdeutschen Reichstags bis zum 30. Januar 1947.[6] Damit wurde vermieden, während des Krieges Wahlen abhalten zu müssen. Durch den Kriegsausgang kam es nicht mehr zu einem weiteren Urnengang.
Kandidaten und Mandate
Seit 1920 erhielt im Deutschen Reich eine Partei pro 60.000 Stimmen einen Sitz im Reichstag, was ab 1933 in Anbetracht der relativ hohen Wahlbeteiligung sowie der durch Anschluss weiterer Gebiete größer werdenden Bevölkerung zu einem Wachstum an Mandaten führte.
Kurz nach dem Betätigungsverbot für die SPD als „staats- und volksfeindliche Partei“ am 22. Juni 1933 lösten sich sämtliche Parteien selbst auf. Am 14. Juli 1933 folgte das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien. Bei den drei weiteren in der Zeit des Nationalsozialismus durchgeführten Wahlen nahmen somit nur Mitglieder der NSDAP sowie einige Parteilose, die als „Gäste“ bezeichnet wurden, als Kandidaten auf einer Einheitsliste teil.
Bedeutung des Reichstags
Nach dem 17. Mai 1933 trat der Reichstag, der ab Dezember 1933 lediglich aus Abgeordneten der NSDAP und parteilosen „Gästen“ bestand, nur noch zu 18 Sitzungen zusammen. Formal besaß er noch ein Gesetzgebungsrecht, doch nach der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“ am 24. März 1933 wurden von den annähernd tausend Reichsgesetzen allein sieben vom Reichstag beschlossen. Am 26. April 1942 fand die letzte Sitzung des nationalsozialistischen Reichstages statt.
Volksabstimmungen
In der Weimarer Republik waren Volksentscheide möglich gewesen. Die Nationalsozialisten verabschiedeten am 14. Juli 1933 ein eigenes „Gesetz über Volksabstimmung“. Dieses Gesetz ermöglichte, die Wähler nicht nur über Gesetze, sondern auch über Regierungsmaßnahmen votieren zu lassen. Zur Annahme bzw. Ablehnung sah es eine einfache Mehrheit der gültigen Stimmen vor. Ursprüngliche Intention war die Möglichkeit, verfassungsändernde Beschlüsse zu fällen, die nicht durch das Ermächtigungsgesetz abgedeckt waren. Die nationalsozialistischen Verfassungsexperten widersprachen dieser Möglichkeit. In der Praxis erhielt das Gesetz nicht die ursprünglich geplante Wichtigkeit. Es wurde als Mittel eingesetzt, um die Einheit zwischen der NS-Führung und der Volksgemeinschaft zu demonstrieren.
Die Nationalsozialisten führten vier Volksabstimmungen durch, die bereits getroffene Entscheidungen nachträglich bestätigen sollten. Über den beschlossenen Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund wurde am 12. November 1933 abgestimmt. Über die Vereinigung der Ämter des Reichspräsidenten und Reichskanzlers gab es am 19. August 1934 eine Volksabstimmung. Die Wahlbeteiligung lag über 95 Prozent, davon über 89 Prozent Ja-Stimmen. Am 29. März 1936 folgte die Volksabstimmung über die Ermächtigung zur Rheinlandbesetzung und am 10. April 1938 schließlich die Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.
Nachbetrachtung
Während der Weimarer Republik gab es Ansätze zur Reform der Reichstagswahl, und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde darüber diskutiert, ob das Wahlsystem eine Mitschuld am Untergang der Republik hatte. Die herrschende Meinung in der Geschichts- und Politikwissenschaft betont, dass die damalige Verhältniswahl ohne Sperrklausel zur Parteienzersplitterung beigetragen habe. So waren bis zu 15 Parteien im Parlament vertreten. Umstrittener ist, ob die Zersplitterung auch zur Radikalisierung und zum Aufstieg der NSDAP beitrug.
Literatur
- Ralph Jessen, Hedwig Richter: Voting for Hitler and Stalin. Elections under 20th Century Dictatorship. Chicago University Press, Chicago 2011.
- Peter Hubert: Uniformierter Reichstag. Die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933–1945. Droste, Düsseldorf 1992, ISBN 3-7700-5167-X.
- Martin Döring: „Parlamentarischer Arm der Bewegung“. Die Nationalsozialisten im Reichstag der Weimarer Republik. Droste, Düsseldorf 2001, ISBN 3-7700-5237-4.
Einzelnachweise
- Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz). dokumentarchiv.de, 30. November 1918, abgerufen am 24. Mai 2015.
- RGBl. Teil 1, Jg. 1924, Berlin 1924, S. 159ff.; Bekanntmachung der neuen Fassung des Reichswahlgesetzes und des Gesetzes über die Wahl des Reichspräsidenten. S. 173ff. und Drittes Gesetz zur Änderung des Reichswahlgesetzes. Darin: Reichsstimmordung.
- Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors: Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Verlag C. H. Beck, München 2005, Bd. 2, ISBN 3-406-52962-3, S. 69.
- Daniel-Erasmus Khan: Die deutschen Staatsgrenzen. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2004, S. 90.
- Hans-Joachim Heinz: Das Wahlvolk unterm Hakenkreuz. In: Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt Germersheim, Band II. Germersheim 2001, ISSN 1618-9663, S. 192–204.
- Gesetz über die Verlängerung der Wahlperiode des Großdeutschen Reichstags. Reichsgesetzblatt, Teil 1, 25. Januar 1943, abgerufen am 26. November 2016.