Voralbbahn
Als Voralbbahn oder Boller Bähnle wird die 12,4 Kilometer lange Nebenbahn von Göppingen nach Boll bezeichnet, die 1926 eröffnet und auf der 1989 der Personenverkehr eingestellt wurde. Der Höhenunterschied der Strecke von Göppingen zum Bahnhof Boll beträgt 105 Meter. Die Bahn wurde im Volksmund auch „Boller Mariele“ beziehungsweise nur „Mariele“ genannt, analog zum „Josefle“ von Göppingen nach Schwäbisch Gmünd.
Göppingen–Boll | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Streckennummer: | 4730 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kursbuchstrecke (DB): | 902 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Streckenlänge: | 12,4 km | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Geschichte
Der Gemeinde Boll war an einem Bahnanschluss gelegen, um ihren Kurgästen eine bessere Anreisemöglichkeit bieten zu können. 1901 wurde in Boll ein sogenanntes Eisenbahnkomitee gegründet, das bis 1904 einen ersten Plan für eine Strecke von Göppingen nach Boll ausarbeitete. Der Plan wurde zunächst abgelehnt, weil die Einführung in den Göppinger Bahnhof für zu aufwändig gehalten wurde. Aber im Rahmen des Baus der 1912 eröffneten Hohenstaufenbahn von Göppingen nach Schwäbisch Gmünd wurde der Bahnhof ohnehin umgebaut und dabei die Strecke nach Boll bedacht. 1913 wurde der Bau einer Normalspurbahn nach Boll bewilligt. Der Erste Weltkrieg verzögerte den Bau, erst nach seinem Ende konnte damit begonnen werden.
Am 13. Mai 1926 fand die Eröffnung statt. Zunächst übernahmen Güterzüge mit Personenbeförderung die Bedienung der Strecke, dadurch betrug die Fahrtzeit 87 Minuten. Erst durch die Einführung reiner Personenzüge konnte sie in der Folgezeit auf 50 Minuten verkürzt werden. Den Zweiten Weltkrieg überstand die Strecke ohne Schäden.
Ab 1952 wurden Uerdinger Schienenbusse eingesetzt, die letzte planmäßige Dampflokomotive fuhr 1965. Die Schienenbusse waren in der Regel in Dreifachtraktion unterwegs. Vor allem im Schüler- und Berufsverkehr kamen neben den Schienenbussen auch lokbespannte Züge mit Silberlingen zum Einsatz. Während die Schienenbusse in Göppingen am nicht durchgängigen Gleis 13 fuhren, hielten die lokbespannten Züge am Gleis 7, da sie auch auf anderen Strecken eingesetzt wurden. 1972 konnte eine Fahrtzeit von 25 Minuten erreicht werden.
Doch auch die Reisezeitverkürzung konnte den Fahrgastrückgang nicht aufhalten. Benutzten Mitte der 1960er-Jahre noch täglich über 2500 Personen die Bahn, so waren es 1985 nur noch etwas über 1000. 1975 wurde der Bahnbetrieb am Samstagnachmittag sowie an Sonn- und Feiertagen eingestellt, stattdessen wurden Bahnbusse eingesetzt. Eine Einstellung des Personenverkehrs wurde absehbar. Der Landkreis Göppingen und die Anliegergemeinden gaben Studien zur Erhöhung der Attraktivität in Auftrag. Maßnahmen wie ein Taktverkehr, Optimierung der Umsteigemöglichkeiten von Anschlussbussen und zu anderen Zügen in Göppingen, zusätzliche Haltepunkte und günstigere Platzierung einzelner Stationen sollten helfen, ein größeres Fahrgastpotenzial zu erschließen. Es gelang jedoch nicht, für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen.
Stilllegung
Am 27. Mai 1989 fuhr der letzte fahrplanmäßige Personenzug. Güterverkehr war bis zum 25. September 1994 möglich. Mit Wirkung zum 15. Dezember 1997 wurde die Streckeninfrastruktur formell stillgelegt, nachdem ein Verkauf per Ausschreibung fehlgeschlagen war. Die Streckengleise wurden aber nicht abgebaut. Der Verein Ein neuer Zug im Kreis bemüht sich um eine Wiederaufnahme des Verkehrs. Die ersten 1,6 Streckenkilometer wurden als Anschlussgleis an die Gleisbaufirma Leonhard Weiss verkauft. Außerdem wurde in Bad Boll der Güterbahnhofbereich überbaut (circa 150 Meter), der sich westlich dem heute noch existierenden Bahnhofsgebäude an der Ecke Bahnhofallee/Bühlstraße anschloss.
Überlegungen zur Reaktivierung
Der Regionalverkehrsplan der Region Stuttgart von 2001 hat den Aufbau einer Schienenverbindung zwischen Göppingen und Kirchheim unter Teck mit Verbindung der Trassen der Boller Bahn und der zu reaktivierenden Bahnstrecke Kirchheim (Teck) Süd–Weilheim (Teck) unter hohe Dringlichkeit eingestuft.[1] Die Gemeinde Bad Boll hat inzwischen im Zuge der Bebauung des Güterbahnhofs verschiedene Trassenführungen für die Weiterführung nach Kirchheim geprüft.
2011 wurde die Strecke in Heiningen im Rahmen einer Kanalsanierung an einem Bahnübergang unterbrochen.[2] Die restlichen Gleisanlagen sind noch vollständig vorhanden. In Heiningen sind diese jedoch teilweise für die Schaffung von Parkplätzen mit Betonplatten überdeckt worden.
Ein erneuter Versuch, die Weilheimer Strecke mit der Voralbbahn zu verknüpfen, erfolgte im März 2018.[3] Jedoch bescheinigte ein Gutachten dem Vorhaben, trotz bis zu 1800 prognostizierter täglicher Fahrgäste, mangelnde Rentabilität. Diese wird vor allem durch die kostenintensive Neubaustrecke zwischen Bad Boll und Weilheim verursacht. Auch die alleinige Reaktivierung der Voralbbahn würde wegen zu geringer Fahrgastzahlen nicht kostendeckend sein.[4]
Im Zuge der Verdoppelungspläne des öffentlichen Nahverkehrs der grün-schwarzen Landesregierung wird auch die Reaktivierung der Voralbbahn erneut ins Auge gefasst. Die hierfür durchgeführte Potentialuntersuchung vom November 2020 attestiert der Voralbbahn ein "sehr hohes Nachfragepotential"[5]. Die Untersuchung im Auftrag des Landes Baden-Württemberg wurde hierbei einerseits für die Voralbbahn allein als auch für den Zusammenschluss mit der Weilheimer Strecke durchgeführt. Sowohl die Voralbbahn allein als auch die Gesamtstrecke bis Kirchheim (Teck) Süd kamen in der Potentialanalyse unter die Top 12 der aktuell stillgelegten Strecken in Baden-Württemberg, die bei einer Reaktivierung das höchste Fahrgastpotential haben.[6] Unter anderem durch bereitgestellte Fördermittel des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg wurde im September 2021 eine Machbarkeitsstudie für die Reaktivierung der Voralbbahn mit einem Zusammenschluss der Weilheimer Strecke durchgeführt.[7] Ein Neubau der Trasse Bad Boll – Weilheim (Teck) würde die Orte Zell unter Aichelberg und Aichelberg erstmals an das Schienennetz anbinden.
Besonderheiten
Der Bahnhof Schlat befand sich zwei Kilometer vom Ortsrand der namensgebenden Gemeinde entfernt auf der Gemarkung der Stadt Göppingen. Ab 1962 entstand im Umfeld des Bahnhofs die Siedlung Ursenwang, deren Bewohner den Bahnhof überwiegend nutzten. Dennoch behielt der Bahnhof bis zur Einstellung des Personenverkehrs den Namen Schlat.
Simulation
Die Voralbbahn wurde für den Rail Simulator von einem Benutzer detailgetreu nachgebaut.
Weblinks
Einzelnachweise
- Regionalverkehrsplan der Region Stuttgart von 2001. Anhang 3, Abbildung 2.1.
- Heiningen - Boller Bahnlinie wird erstmals unterbrochen (Memento vom 1. April 2013 im Internet Archive), Göppinger Kreisnachrichten vom 29. September 2011
- Karen Schnebeck: Von Göppingen nach Kirchheim. Neue Hoffnung für alte Bahnstrecke. Stuttgarter Nachrichten, 1. März 2018, abgerufen am 18. Mai 2019.
- Philipp Braitinger: Bahnverbindung Göppingen – Kirchheim. Die Schiene ist wohl doch zu teuer. Stuttgarter Nachrichten, 8. März 2019, abgerufen am 18. Mai 2019.
- Stillgelegte Gleise zu neuem Leben erwecken. Abgerufen am 11. September 2021.
- Potentialanalyse des Landes BW zur Reaktivierung Stillgelegter Bahnstrecke in BW
- Reaktivierung Nebenbahnen. Abgerufen am 11. September 2021.