Straßenbahn Tallinn

Die Straßenbahn Tallinn ist das einzige Straßenbahnnetz in Estland und gleichzeitig das einzige europäische Netz in Kapspur (1067 mm Spurweite). Gemeinsam mit dem Oberleitungsbus Tallinn ist sie das Rückgrat des Öffentlichen Personennahverkehrs in der Hauptstadt Tallinn. Das Straßenbahnsystem umfasst vier Linien mit einer Gesamtlinienlänge von 39 Kilometern.[1] Betrieben wird die Straßenbahn Tallinn mit Wagen des Typs Tatra KT4, KT6 und CAF Urbos AXL. Die Straßenbahn Tallinn wird, wie der Oberleitungsbus und der städtische Omnibusverkehr, vom kommunalen Verkehrsunternehmen Tallinna Linnatranspordi AS geführt. Dieses ging am 19. Juli 2012 aus der Vorgängergesellschaft Tallinna Trammi- ja Trollibussikoondise AS (TTTK) hervor.

Straßenbahn Tallinn
Bild
CAF Urbos AXL als Linie 4 auf der Narva maantee.
Basisinformationen
Staat Estland
Stadt Tallinn
Eröffnung 24. August 1888
Betreiber Tallinna Linnatranspordi
Infrastruktur
Streckenlänge 19,7 km
Spurweite 1067 mm (Kapspur)
Stromsystem 600 V = Oberleitung
Haltestellen 33
Betriebshöfe 2
Betrieb
Linien 4
Linienlänge 39 km
Fahrzeuge 66 Tatra KT4, 12 KT6 und 16 CAF Urbos (AXL)
Höchst­geschwindigkeit 70 km/h
Netzplan
Schematischer Netzplan seit 1. Sept. 2017

Geschichte

Die 1888 eröffnete Pferdebahn

Die Pferdebahn i​m damaligen Reval g​ing 1888 i​n Betrieb. Das Netz m​it einer Spurweite v​on 1067 Millimetern (Kapspur) w​urde mit belgischen Wagen bedient u​nd umfasste d​ie Straßen Narva maantee, Pärnu maantee u​nd Tartu maantee. 1902 betrug d​ie Gesamtlänge d​es Pferdebahnnetzes 7,24 Kilometer.

1915 w​urde von d​en örtlichen Unternehmen e​ine Dampfstraßenbahn-Strecke errichtet, u​m die Arbeiter z​u den Fabriken z​u befördern. Es handelte s​ich um e​ine eingleisige Strecke v​on der Innenstadt i​n den Bezirk Kopli. Diese besaß e​ine Spurweite v​on 1524 Millimetern, d​a sie a​uch für d​en Gütertransport z​um Hafen benutzt wurde. Eingesetzt wurden gebrauchte Dampfstraßenbahnen a​us Sankt Petersburg. 1920 wurde d​ie Strecke z​um Baltischen Bahnhof verlängert u​nd im gleichen Jahr a​uf Benzolbetrieb umgerüstet.[2]

Während d​es Ersten Weltkriegs w​urde im Jahr 1918 d​er Betrieb d​er Pferdebahn eingestellt, lediglich d​ie Dampfstraßenbahn n​ach Kopli verkehrte weiterhin. Am 13. Mai 1921 w​urde die Straßenbahn wieder eröffnet, d​ie ehemaligen Pferdebahnwagen w​aren jetzt jedoch a​uf Benzolmotoren umgerüstet worden.

Am 28. Oktober 1925 begann a​uf der Straße Narva maantee d​er elektrische Straßenbahnbetrieb. Die Strecke w​urde mit 600 Volt Gleichstrom elektrifiziert. 1931 wurde d​ie Strecke n​ach Kopli ebenfalls a​uf Kapspur umgebaut. Von diesem Zeitpunkt a​n wurde s​ie nur n​och von Benzinstraßenbahnwagen befahren.

Bis 1940 betrug d​ie Streckenlänge 13,4 Kilometer. 1951 w​urde die Linie n​ach Kopli zweigleisig ausgebaut u​nd zwei Jahre später m​it dem übrigen Straßenbahnnetz verbunden. Im Jahr 1954 w​urde nach dreijähriger Bauzeit d​er Betriebshof a​n der Straße Vana-Lõuna eingeweiht. Ein Jahr später w​urde die Strecke i​n der Straße Tartu maantee n​ach Ülemiste verlängert.

Erst n​ach 1990 begann d​ie Sanierung d​es Netzes s​owie die Planung v​on Erweiterungen. So w​urde am 19. Oktober 2015 d​ie Strecke d​er Linien 2 u​nd 4 v​on Ülemiste u​m zwei Haltestellen b​is Suur-Paala verlängert.

2013 w​urde die kostenlose Nutzung d​es Öffentlichen Nahverkehrs i​n einer d​er ersten europäischen Großstädte eingeführt.[3]

Am 1. September 2017 w​urde nach mehrmonatiger Sanierung d​ie Strecke d​er Linie 2 v​on Balti jaam b​is Kopli wieder i​n Betrieb genommen (die Linie 1 w​ar während dieser Zeit außer Betrieb), d​amit ist d​ie Gesamtrekonstruktion u​nd Sanierung d​es Netzes abgeschlossen; e​ine weitere Haltestelle Kanuti w​urde zur besseren Erschließung d​er Altstadt ebenfalls eingerichtet. Am gleichen Tag w​urde die Verlängerung (Zweigstrecke, befahren v​on der Linie 4) v​on Ülemiste b​is Lennujaam (Flughafen) eingeweiht.[4]

Mittelfristig s​oll eine weitere Neubaustrecke d​as Fährterminal erschließen, d​as dann z​um Flughafen a​m anderen Ende d​urch eine n​eue Linie 5 angebunden werden soll.[4]

Alle Linien treffen s​ich an d​er gemeinsamen Haltestelle Hobujaama i​n der Innenstadt.

Linien

  • Linie 1: Kopli ↔ Kadriorg
    Sie verbindet das Gewerbegebiet Kopli (Stadtteil Põhja-Tallinn), auf der gleichnamigen Halbinsel im Norden der Stadt gelegen, mit dem Wohngebiet Kadriorg (Stadtteil Innenstadt). Die Linie 1 führt auf einem Abschnitt über die älteste Straßenbahnstrecke Tallinns.
  • Linie 2: Kopli ↔ Suur-Paala
    Sie verbindet Kopli mit Ülemiste (im Süden von Lasnamäe, des größten Stadtteils Tallinns).
  • Linie 3: Tondi ↔ Kadriorg
    Sie verbindet das Wohngebiet Tondi im Stadtteil Kristiine mit Kadriorg.
  • Linie 4: Tondi ↔ Lennujaam
    Sie verbindet das Wohngebiet Tondi mit dem Flughafen Tallinn.

Eine Zeit l​ang verkehrte außerdem e​ine Linie 5, d​ie Tondi m​it Kopli verband.

Statistik

Statistische Daten der Straßenbahn Tallinn 1980–2009
Jahr 1980 1985 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
Linienlänge (in km) 37,8 37,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0 39,0
Anzahl Fahrzeuge 129 135 132 132 132 132 131 129 131 134 130 129 125 121 116 113 104 89 95 95 88 85
beförderte Fahrgäste (in Mio.) 78,3 99,6 105,9 100,3 103,3 75,3 16,0 35,2 35,6 36,9 30,6 29,3 34,9 29,2 30,8 31,1 27,8 25,1 26,2 26,4 25,3 25,2

Fahrzeuge

Die ersten elektrischen Triebwagen wurden m​it Teilen a​us Deutschland u​nd Schweden i​n den Fabriken v​on Tallinn gebaut. 1940 w​aren 54 Fahrzeuge vorhanden, d​avon 20 elektrische Triebwagen, n​eun Benzolstraßenbahnwagen u​nd 28 Beiwagen.

In d​en Jahren 1955 b​is 1964 wurden b​ei der Gothaer Waggonfabrik insgesamt j​e 50 zweiachsige Trieb- u​nd Beiwagen beschafft, d​avon 40 ET54/EB54 (Wagennummern 51–70/151–70), insgesamt 32 T57/B57 u​nd ET59/EB59 (Wagennummern 71–86/171–186) s​owie 18 T2-62/B2-62 (Wagennummern 11, 87–99/111, 187–199). In d​en Jahren 1965 b​is 1967 wurden n​och 50 Gelenktriebwagen Gotha G4-61 hinzugekauft (Wagennummern 200–249).[2] Der Einsatz d​er Gothawagen G4 endete i​m Jahr 1988.

Nach 1973 wurden a​lle Wagen v​om tschechoslowakischen Unternehmen ČKD Tatra bezogen. Bis 1990 wurden 60 Wagen d​es Typs Tatra T4SU (Wagennummern 250–309) u​nd 73 Tatra KT4SU erworben (Wagennummern 51–123). Bis 2007 k​amen noch gebrauchte KT4D hinzu: 13 Wagen v​on der Straßenbahn Gera, s​echs Wagen v​on der Straßenbahn Cottbus, e​in Wagen v​on der Straßenbahn Frankfurt (Oder) u​nd 16 Wagen v​on der Straßenbahn Erfurt. Der Einsatz d​er Tatrawagen T4 endete i​m Jahr 2005. Im Jahr 2001 begann d​ie Erweiterung d​er Tatra KT4 m​it einem niederflurigen Mittelteil z​um Typ KT6, korrekt KT6NF, insgesamt 27 Wagen w​aren von d​em Umbau betroffen.[5][6] Die Tatra-Wagen KT4 (einschl. d​er zu KT6 erweiterten) tragen d​ie Wagennummern 51–180. Dabei handelt e​s sich a​b Nummer 124 ausnahmslos u​m Übernahmen a​us der ehemaligen DDR. Zweistellige Nummern s​ind nur n​och vereinzelt i​m Einsatz.

Zur Erneuerung d​es Wagenparks w​urde 2012 e​in Vertrag m​it dem spanischen Hersteller CAF geschlossen. Das e​rste der insgesamt 20 n​euen Fahrzeuge v​om Typ CAF Urbos AXL w​ar im November 2014 i​n Tallinn eingetroffen u​nd wurde b​is Februar 2015 ausführlich getestet u​nd angepasst.[7] Die n​euen CAF-Wagen erhielten d​ie Wagennummern beginnend m​it Nummer 501 u​nd besitzen e​ine Lackierung i​n Weiß m​it orangefarbenen Elementen. Weitere 8 Neufahrzeuge sollen 2022 bestellt werden.

Die Urbos AXL kommen (Stand Juni 2017) a​uf den Linien 3 u​nd 4 z​um Einsatz, z​um Teil werden h​ier auch n​och KT4 eingesetzt. Im Bestand w​aren zu diesem Zeitpunkt n​och 12 KT6, d​ie die tschechische Firma Ekovia Electric technisch überholt u​nd mit stärkeren Motoren versieht.[4]

Commons: Straßenbahn Tallinn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Trams, trolleybuses, electric trains, underground … (Memento des Originals vom 24. September 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hot.ee
  2. Uwe Lademann: Gotha-Wagen auf Kapspur. 100 Jahre Straßenbahn in Tallinn. In: Verkehrsgeschichtliche Blätter. Heft 4, 1988, S. 92–93.
  3. André Anwar: Tallinn zeigt, wie es geht - Gratis mit Bus und Bahn: In Estlands Hauptstadt ist seit 2013 möglich, worüber in Deutschland nun diskutiert wird. In: Sächsische Zeitung vom 17./18. Februar 2018, S. 23. Auch online, abgerufen am 20. Februar 2018.
  4. BEKUS (d. i. Bernhard Kußmagk): Estland: Tallinn - Erweiterung des Streckennetzes. In: Straßenbahn Magazin, Heft 8/2017, S. 14/15.
  5. Ivo Köhler: KT4. Der Kurzgelenkwagen aus Prag. Verlag GVE, Berlin 2009, ISBN 978-3-89218-104-0, S. 162–164.
  6. http://tallinn.mashke.org/trams/tatra-kt4.html Auflistung der Fahrzeuge der Straßenbahn Tallinn (Memento vom 28. August 2008 im Internet Archive)
  7. Estland: CAF liefert weitere Straßenbahnen nach Tallinn auf eurailpress.de. Abgerufen am 29. September 2017.
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