Stockton and Darlington Railway
Die Stockton & Darlington Railway Company (S&DR) war die erste öffentliche Eisenbahn, die für den Güterverkehr Dampflokomotiven einsetzte. Die Linie hat für die Geschichte der Eisenbahn auch besondere Bedeutung, weil ihre Gleisspurweite von 1435 mm in der Folge weltweit bei den meisten Bahnen als Normalspur Verbreitung fand. Der Legende zufolge soll daneben die 1435-mm-Spur auf dem Abstand der Spurrillen der bis nach England führenden Fernwege des Römischen Reiches basieren.[1] Tatsächlich wurde jedoch darauf geachtet, dass die Gleise der Stockton and Darlington Railway auch die Benutzung durch von Pferden gezogenen Kutschen für Passagiere und Kohlenwagen zuließen, die die älteren Fahrwege zu den umliegenden Kohlenminen benutzten. Dies scheint der Hauptgrund zu sein, dass das 4ft-8-½- bzw. 1435-mm-Maß übernommen und später fabrikationsbedingt als Standardspurweite weiterverbreitet wurde.[2][3]
Die 40 Kilometer lange Strecke in Nordostengland verband die Kohlengruben rund um Bishop Auckland mit den Ortschaften Shildon, Darlington, Stockton-on-Tees und später auch Port Darlington, das heutige Middlesbrough. Die Bahn bestand von 1825 bis 1863 als selbstständiges Unternehmen und ging danach im Netz größerer Eisenbahngesellschaften auf.
Geschichte
Kohlentransporte in Nordostengland im 19. Jahrhundert
Ende des 18. Jahrhunderts entstand im Zuge der Industrialisierung in England zunehmend ein Bedarf an Kohle für die neu entstehenden Dampfmaschinen, zur Verhüttung von Erzen und nicht zuletzt auch für die Heizung der Häuser in London und anderen großen Städten. Gut verwertbare Kohlevorkommen fanden sich im nordöstlichen England und speziell auch in den Grafschaften um den Fluss Tees und Stockton-on-Tees.
Seit dem Mittelalter wurde hier die Kohle mit Pferden zu den Flüssen gebracht, um von dort vor allem nach London verschifft zu werden. Im 16. Jahrhundert waren dazu Hunderte, vermutlich sogar Tausende von Packpferden in der ganzen Grafschaft zu allen Zeiten unterwegs. Die Pferde trugen die Kohle zunächst in seitlichen Packtaschen, später wurde die Kohle auch auf Karren verladen. Der Transport mit schweren Karren in der feuchtigkeitsgetränkten Erde von Nordostengland war jedoch mühsam. Daher entstanden hier bald „tramroads“ für den Güterverkehr, auf denen ein Pferd eine Tonne Kohle über neun bis zehn Meilen an einem Tag ziehen konnte. Diese „tramroads“ bestanden aus einer in den Boden eingelassenen, mit Holzbohlen ausgekleideten Spur, in der die Wagenräder einen leichteren Lauf als auf bloßer Erde hatten.
Der Umfang dieser Transportgeschäfte begünstigte wirtschaftlich die Regionen und Orte, die darin einbezogen waren. Zwischen den umliegenden Orten bildete sich naturgemäß eine Konkurrenz heraus und wer nicht geographisch bevorteilt war, etwa mit einem gut gelegenen Hafen, der versuchte, diese Transportströme zu seinen Gunsten zu beeinflussen. So planten Bürger von Stockton-on-Tees einen Kanal von ihrer Stadt nach Evenwood am Gauge, den „Stockton and Auckland Canal“. Mit diesem sollten Kohlentransporte aus den Bergwerken der Grafschaft Durham gefördert und natürlich auch Gebühren eingenommen werden.
Lokale Rivalitäten – Kanal oder „Tramroad“?
Der geplante Kanalbau missfiel jedoch den in Darlington ansässigen Geschäftsleuten Edward Pease, Jonathan Backhouse und Francis Mewburn. Der Kanal hätte ihre Heimatstadt und die umliegenden Kohlebergwerke um 13 Kilometer verfehlt. Sie setzten sich daher für den Bau einer „tramroad“ ein, die von den Bergwerken um Bishop Auckland über Darlington nach Stockton führen sollte.
Bereits zur damaligen Zeit war England so dicht besiedelt, dass Straßen und Transportwege unvermeidbar über privaten Landbesitz oder störend in deren Nähe verliefen. Neue Transportwege bedurften auch daher der parlamentarischen Genehmigung. Die Gruppe um Pease beschloss am 13. November 1818, den erforderlichen Parlamentsakt für den Bau der „tramroad“ (deutsch etwa: „Huntstraße“) zu beantragen. Durch günstigere Kapitalnachweise und Kostenberechnungen gelang es Pease zunächst, die Idee eines Bahnstreckenbaus überzeugender als das konkurrierende Kanalprojekt darzustellen. Dieses und ein weiteres Genehmigungsverfahren vor dem britischen Parlament verloren sie jedoch vor allem durch den Widerstand von Lord Darlington, der um seine zur Fuchsjagd genutzten Gebiete fürchtete.
Mit einer neuen Linienführung wollte das Komitee von Darlington 1820 wieder vor das Parlament treten. Der Tod von König George III. am 29. Januar 1820 und die darauf folgende Neuwahl des Parlaments ließen die Eingabe jedoch erst 1821 zu. Die von George Overton neu entworfene Streckenführung umfasste 37 Meilen mit fünf Zweiglinien. Am 12. April 1821 wurde der Eingabe durch das House of Commons und am 17. April durch das House of Lords zugestimmt. Sie erhielt am 19. April die königliche Genehmigung von George IV.
Die Genehmigung legte unter anderem fest, dass jedermann einen Eisenbahnwagen auf der Strecke fahren lassen konnte, vorausgesetzt, er zahlte die Gebühren und benutzte sichere Ausrüstung. Der Betrieb wurde zwischen 7 Uhr morgens und 6 Uhr nachmittags im Winter und zwischen 5 Uhr morgens und 10 Uhr abends im Sommer gestattet. Es wurde jedoch weder der Hauptzweck des Kohlentransports erwähnt noch eine eventuelle Beförderung von Passagieren. Um 1828 ist jedoch die regelmäßige Beförderung von Personen durch eine von einem Pferd gezogene Kutsche (Gesamtkapazität 16 Passagiere) dokumentiert.[4]
George Stephenson und die „Railway“
Noch während Pease am Abend des 19. April 1821 zu Hause in Darlington auf die entscheidende Nachricht aus London wartete, sprachen bei ihm der Manager der Zeche Killingworth, Nicholas Wood, und sein Ingenieur George Stephenson vor. Anekdotisch wird berichtet, dass Stephenson Peases Haus barfuß betrat. Gestritten wird jedoch, ob Stephenson barfuß nach Darlington gewandert sei, um sein Schuhwerk zu schonen, oder ob er aus Respekt vor dem einflussreichen Pease die Schuhe vor dessen Haus auszog.
Stephenson schlug Pease vor, statt der „tramroad“ eine Schienenbahn („railway“) mit Lokomotiven zu errichten. Stephenson erklärte, dass „ein Pferd auf einer Eisenstraße 10 Tonnen im Vergleich zu einer Tonne auf einer normalen Straße ziehen“ würde. Er fügte hinzu, dass die von ihm in Killingworth gebaute Lokomotive Blücher „fünfzig Pferde wert“ wäre.
Pease besichtigte diese Maschine in der Killingworth-Zeche und berichtete am 23. Juli 1821 den Komitee-Mitgliedern von ihrer beeindruckenden Leistung. Daraufhin wurde beschlossen, statt der „tramroad“ eine „railway“ zu bauen. Gegen den Widerstand einiger Komiteemitglieder setzte Pease zudem durch, dass die Streckenführung durch Stephenson neu festgelegt werde. Stephenson präsentierte das Ergebnis seiner Untersuchungen am 18. Januar 1822 und erhielt vier Tage später eine Festanstellung sowie den Auftrag zum Bau der Bahn. Er wurde mit 660 Pfund Sterling pro Jahr bezahlt.
Im späteren Verlauf zeigte sich, dass Stephenson Schwierigkeiten hatte, die Lokomotiven rechtzeitig zu bauen. Pease erwog daher sogar, einer anderen Firma in Leeds den Bauauftrag für die Lokomotiven zu geben. Das Problem für Stephenson und seinen mitarbeitenden Sohn Robert war paradoxerweise, dass sie bei dem jetzt in England ausbrechenden „Eisenbahnfieber“ zu erfolgreich waren. Sie galten als führend auf ihrem Gebiet und übernahmen Aufträge für viele neue Bahnprojekte. So übernahm George Stephenson beratende Funktionen bei vier weiteren Eisenbahnprojekten und Sohn Robert reiste kurzerhand nach Südamerika, wo er einen Posten als Ingenieur bei der Columbian Mining Association übernahm und die nächsten drei Jahre zumeist in Venezuela und Bolivien arbeitete.
Zwischenzeitlich bemühte sich das Komitee um eine parlamentarische Genehmigung für die von Stephenson geänderte Streckenführung und erhielt den entsprechenden Amending Act am 23. Mai 1823. Hiergegen erhob Lord Darlington wiederum Einspruch, der jetzt jedoch abgelehnt wurde. Das Dokument enthielt auch die Erlaubnis, eine Gebühr von 6 Schilling pro Meile von jedem zu erheben, der ein Fahrzeug mit Passagieren auf der Strecke fahren lassen wollte. Damit wird erstmals der Gedanke an eine Personenbeförderung auf Schienen belegt. Noch wichtiger war aber, dass auch der Betrieb mit einer selbstfahrenden Zugmaschine genehmigt wurde.
Bau der Bahnlinie
Für den Bau der Linie wurden 64.000 steinerne Schwellen mit hölzernem Unterbau gelegt. Die Steinschwellen hatten paarweise angeordnete Löcher für die Nägel, mit denen die Schienen durch die Steinlage hindurch am Holz befestigt wurden. Diese ersten Schwellen wurden allerdings in Anlehnung an die „tramroad“ noch so verwendet, dass sie längs unter den Schienen verliefen. Die sinnvollere Anordnung quer zum Gleis mit stabilerer Spurhaltung wurde erst einige Jahre später eingeführt.
Ebenfalls in Anlehnung an die „tramroads“ wurden die Schienen in einem Abstand von vier Fuß und achteinhalb Zoll (1435 mm) gelegt, die in der Folge vor allem durch George und Robert Stephensons weltweite Beteiligung an den ersten Bahnbauten die meistverbreitete Bahn-Spurweite der Welt bzw. die Normalspur (bzw. Regelspur) wurde.
Am 23. Mai 1822 legte der Komiteevorsitzende Thomas Meynell nahe St John’s Well in Stockton zeremoniell die erste stählerne Schiene auf die Schwellen. Im Sommer 1823 waren dann 22 von 26 Meilen Schienen gelegt. Mühsam zu bewältigen war dabei das sumpfige Land zwischen Heighington und Darlington, wo die Schienen trotz des tonnenweise aufgeschütteten Bodens immer wieder einsanken. Die im Oktober 1823 fertiggestellte eiserne Gaunless Bridge wurde durch ein starkes Hochwasser schwer beschädigt und musste im folgenden Jahr erneuert werden.
Eine weitere Schwierigkeit für den Bau war das Gusseisen, das bis zu diesem Zeitpunkt normalerweise als Schiene verwendet wurde. Es war schwer und vor allem zu spröde für die Belastung durch rollende Eisenräder. Stephenson wich hier jedoch rechtzeitig auf walzbares Eisen aus und bewog das Komitee, einen Auftrag über £ 14,000 an die Bedlington Iron Works zur Produktion gewalzter Schienen zu vergeben. Um das Komitee zu überzeugen, verzichtete Stephenson dabei auf £ 500, die ihm als Patenthalter für das Schmiedeverfahren zugestanden hätten. Dadurch ging seine Freundschaft mit dem Co-Patenthalter William Losh in die Brüche, der dies als Betrug wertete. Das Problem war dabei, dass Stephenson damit auch den bisherigen Erbauer seiner Lokomotiven an der Killingworth-Zeche als Partner verlor. Mit der finanziellen Unterstützung durch Pease gründete daher George Stephenson mit seinem erst 19-jährigen, aber sehr gut ausgebildeten Sohn die „Robert Stephenson and Company Limited“ zum Bau von Lokomotiven. Am 7. November 1823 erteilte das Komitee für die Stockton- und Darlington-Bahn dieser Firma den ersten Auftrag über vier stationäre Zugmaschinen, die an den Steigungen bei Brusselton und Etherley eingesetzt werden sollten.
Da Stephenson auch diese Maschine nicht termingerecht fertigstellen konnte, riefen die Schwierigkeiten alte Gegner wieder auf den Plan, die zuvor erfolglos versucht hatten, die parlamentarische Genehmigung zu verhindern. Sogar einer der eigenen Anteilseigentümer, ein Mr. Rowntree, forderte und bekam eine Entschädigung, da die vorgesehene Bahnlinie sein nahegelegenes Haus ihm zufolge unbewohnbar machen würde.
Die erste Fahrt mit der Lokomotive
Da Stephenson angesichts seiner vielfältigen Aktivitäten die zugesagte Lokomotive anscheinend nicht termingerecht fertigstellen konnte, berief Pease 1824 über Stephensons Kopf hinweg Michael Longbridge, den Eigner der Bedlington Iron Works, als ausführenden Ingenieur für die Robert Stephenson and Co. Longbridge war jedoch nicht in der Lage, die Probleme beim Bau der Lokomotiven zu bewältigen.
Im April 1825 fiel jedoch das Genehmigungsverfahren für die Liverpool and Manchester Railway, eines von Stephensons Projekten, im House of Commons durch, und so war Stephenson plötzlich wieder frei für die Arbeit in seiner Fabrik und konnte die Locomotion No. 1 fertigstellen. Sie wurde am 16. September 1825 in Teile zerlegt und mit Pferdewagen zu der Bahnstation Aycliffe Village transportiert, dort zusammengebaut und auf die Schienen gesetzt. Am 26. September 1825 fanden Probefahrten und am darauf folgenden 27. September die Jungfernfahrt statt.
Der Zug bestand aus 36 Wagen, von denen zwölf mit Kohle und Mehl, sechs mit Gästen und vierzehn mit Arbeitern beladen waren. Der Zug hatte auch einen eigens gebauten Passagierwagen, „Experiment“ genannt.[5] Pease, die Stephensons und andere Gäste saßen in diesem Wagen, der 18 Sitzplätze hatte. Da er keine Federung besaß, muss die Fahrt darin sehr unbequem gewesen sein. Der Passagierwagen gilt als der erste seiner Art, obwohl bereits die Dampflokomotive Catch me who can 1808 Passagiere befördert hatte.
An der Brusselton-Höhe zwischen West Auckland und Shildon begann die Fahrt des Zuges unter der Anteilnahme tausender Zuschauer. Angehängt an ein 1,2 Meilen langes Seil wurde der Zug zunächst von den stationären Maschinen hügelauf gezogen und eine halbe Meile weit wieder herabgelassen. Dann wurde der Zug an die Lokomotive angehängt, auf der George Stephensons Bruder James an den Hebeln stand. Zunächst gab es mehrere unvorhergesehene Halte, weil ein Wagen wiederholt aus den Schienen sprang und abgehängt werden musste. Ein nächster Halt musste wegen Dampfmangels aufgrund einer verstopften Leitung eingelegt werden. George Stephenson arbeitete 35 Minuten, bis er ein Stück eines alten Seils aus dem Rohr entfernen konnte.
Diese Erstfahrt von Brusselton nach Darlington über neun Meilen dauerte zwei Stunden. Die weitere Fahrt bis Stockton (20 Meilen von Brusselton) mit zwischenzeitlicher Wasser-Ergänzung dauerte insgesamt fünf und dreiviertel Stunden. Auf dem Abhang zum Bahnhof Stockton erreichte der Zug eine Geschwindigkeit von 15 mph (24 km/h). Die Ankunft des Zuges wurde im Hafen von Stockton mit 21 Salutschüssen begrüßt.
Timothy Hackworth und die Lokomotiven
Am 1. Juli 1828 zerstörte ein Kesselzerknall die Locomotion No 1 bei Aycliffe Level (heute Heighington). Dabei wurde der Maschinist John Cree getötet und der Wasserpumper Edward Turnbull verkrüppelt, die Wrackteile bedeckten mehrere Felder. Weitere von Stephenson gebaute Maschinen waren die Nr. 2, Hope, (November 1825), die Nr. 3, Black Diamond (April 1826) und Nr. 4, Diligence (Mai 1826). Von ihnen zerbarsten zwei ebenfalls und wurden zunächst abgestellt. Der Gesellschaft mangelte es daher an betriebsbereiten Lokomotiven. Auch das Wagenmaterial wurde als in sehr schlechtem Zustand befindlich beschrieben.
Um die Betreuung der Maschinen zu sichern, stellte Pease Timothy Hackworth ein, den Mann, der bereits William Hedleys Lokomotive Puffing Billy gebaut hatte. Zuvor hatte ihm Stephenson sein halbes Salär angeboten, wenn er für ihn arbeitete. Da Hackworth jedoch selbstständig bleiben wollte, richtete das Komitee für ihn neben seiner Wohnung in Shildon eine Werkstatt mit 20 Arbeitern ein.
Hackworth baute die explodierte Locomotion No 1 wieder auf und trug wesentlich zu ihrer erfolgreichen Nutzung bei – sie fuhr insgesamt 25.000 Meilen. Nach mehrfachen Entgleisungen in den Jahren 1837 und 1839 wurde die im Grunde unausgereifte Maschine 1841 außer Dienst gestellt. Von 1857 bis in die 1880er Jahre war sie in einem Gebäude des Ausbesserungswerks von Alfred Kitching in der Nähe der Hopetown Carriage Works der Bahngesellschaft ausgestellt und von 1892 bis 1975 auf einem der Bahnsteige des Hauptbahnhofs in Darlington, bis sie in das North Road Railway Museum in der North Road Station von Darlington gebracht wurde, wo sie bis heute zu besichtigen ist. Auch Stephensons andere havarierte Maschinen wurden von Hackworth in seiner Werkstatt in Shildon wieder in Betrieb gesetzt.
Da sich Stephensons Lokomotiven als so schwach und unzuverlässig zeigten, ging sogar ihr Erbauer selbst zwischenzeitlich daran, so genannte „Dandy-Cart“-Wagen zu bauen. Diese konnten mit schwerer Ladung leicht von Pferden hangaufwärts gezogen werden. Auf dem Scheitelpunkt der Steigung konnten die Pferde abgeschirrt und in einen der Wagen verladen werden, in dem sie mitsamt den anderen Wagen hangabwärts rollten. Während der Abwärtsfahrt mit Futter versorgt, konnten sie an der nächsten Steigung erfrischt wieder vor den Wagen gespannt werden.
Während die Bahneigner schon am Konzept der Lokomotiven zweifelten, glaubte nur Timothy Hackworth weiterhin daran. Nachdem er glaubhaft versichert hatte, alle Probleme lösen zu können, gaben ihm die Gesellschafter die Erlaubnis, in der Werkstatt in Shildon eine neue Maschine zu bauen. In der Zwischenzeit hatte Hackworth bereits angefangen, drei Maschinen in seiner freien Zeit zu bauen, denen er eine bessere Leistung zutraute als den Stephenson’schen Maschinen. 1827 stellte er die sechsrädrige Royal George fertig. Sie hatte die doppelte Heizfläche im Vergleich zu Stephensons Maschinen und eine Einrichtung, die den Dampf aus den Zylindern in den Schornstein entließ und damit die Feuerung wirkungsvoll anfachte. Stephensons Bruder John bewunderte sie beeindruckt als die „beste Maschine der Welt“. Sie schien jetzt die Erwartungen zu bestätigen, die die Gesellschaft in die Lokomotiven steckte. Doch im März 1828 flog auch die Royal George in die Luft und wurde zum Wiederaufbau nach Shildon gebracht. Insgesamt trug Hackworth offensichtlich deutlich mehr zu einem erfolgreichen Maschinenbetrieb der Stockton and Darlington Railway bei als der berühmtere Stephenson.
Kontraktbasis und pferdebetriebene Personenbeförderung
Die Stockton and Darlington Railways Company war mittlerweile auch hoch überschuldet, der wirtschaftlich notwendige Betrieb auf den Zweiglinien zu den Bergwerken bei Coundon und nach Croft konnte nicht aufgenommen werden. Es mussten sogar Ausgleichszahlungen an die Eigner der Coundon-Minen geleistet werden, weil diese weiterhin Pferdewagen benutzen mussten, um ihre Kohle zu der bereits fertiggestellten Bahnlinie zu bringen.
In großem Umfang betrieb die Gesellschaft ihre Geschäfte daher auf Einzel-Kontrakt-Basis. Die Maschinisten der Lokomotiven durften für die beförderte Tonne Kohle pro Meile einen Farthing kassieren, mussten aber von diesem Geld selbst für die Feuerung, für Öl und für die Einstellung eines Heizers aufkommen.
Passagiertransporte gehörten nicht zum ursprünglichen Betriebskonzept. Angesichts der finanziellen Probleme wurde aber der Passagierwagen Experiment für 200 Pfund pro Jahr an Richard Pickersgill vermietet, der den Wagen mit einem vorgespannten Pferd auf den Schienen fahren ließ und einen Passagierdienst betrieb. Pickersgill ließ dazu zwölf weitere Sitzplätze auf dem Dach des Wagens aufbauen. Andere Unternehmer folgten, und so betrieben ab Juli 1826 Martha Howson und Richard Scott zwei Kutschen namens Defence und Defiance auf der Linie. Im Oktober 1826 begann auch The Union, eine besonders elegante „Schienenkutsche“, die Fahrt.
Der Eigner der Union ließ seine Kutsche an den Pubs entlang der Linie halten, und bald folgten andere Kutschenbetreiber diesem Gewinn versprechenden Konzept. Diese Nähe zum Alkohol erwies sich bald als Problem. Während die pferdebetriebenen Kutschen den lokomotivbetriebenen Zügen Vorfahrt geben mussten, waren sie bei Begegnungen auf der Schiene einander gleichgestellt. Da es keine Regeln gab, wurde um die Vorfahrt jedes Mal neu gestritten, und dies manchmal stundenlang. Der dabei genossene Alkohol konnte sowohl Passagiere als auch die Kutscher zur gewalttätigen Entfernung der gegnerischen Passagiere und des Wagens von den Schienen veranlassen. Es kam jedoch auch vor, dass die überlegene Mannschaft nach siegreicher Vorbeifahrt abstieg und der unterlegenen Gruppe wieder auf die Schienen half.
Für die Kutschen gab es keine Begrenzung der Personenzahl, so war die Kutsche Defence einmal mit 46 Personen besetzt, von denen nur neun im Inneren saßen. Von den übrigen saßen etliche rund um die Dachkanten, andere standen in einer zusammengedrängten Gruppe auf dem Dach und der Rest klammerte sich an alles, was irgendeinen Halt bot.
„Port Darlington“ – die erste „Eisenbahnstadt“
Um 1830 hatte die S&DR ein Streckennetz mit vier Zweiglinien und über 45 Meilen Länge. Die wichtigste Linie war zwar die zum Hafen von Stockton, doch erwies sich dieser häufig als zu flach und seefern für die zunehmende Zahl von Kohletransporten. Die Darlingtoner Pioniere planten daher ab 1827 eine Erweiterung zu den Salzmarschen von Middlesbrough. 1828 beantragten sie vor dem Parlament die Genehmigung dazu und hatten dabei hart gegen die Hafeneigner vom Tyne und dem Wear zu kämpfen. Auch innerhalb der Gesellschaft gab es Ärger, Leonard Raisbeck aus Stockton, Anwalt der ersten Stunde, und der Vorsitzende Thomas Meynell aus Yarm zogen sich zurück, weil sie Nachteile für ihre Städte fürchteten. So wurde die S&DR eine rein von der Darlingtoner Gruppe und der Familie Pease dominierte Gesellschaft. Nach zahlreichen Auseinandersetzungen konnte die Linie in Richtung Middlesbrough im November 1829 in Angriff genommen werden.
Edward Peases Sohn Joseph machte hier das Geschäft seines Lebens. Zusammen mit den Quäkern Joseph Pease, Thomas Richardson, Henry Birbeck, Simon Martin und Francis Gibsonvier aus London und Norwich erwarb er 1829 von William Chilton für etwa 30.000 Pfund die Middlesbrough Estate, 520 Acres (2,1 km²) Salzmarschen.[6] Diese „Middlesbrough-Eigner“ fingen an, hier einen Hafen zu bauen, den sie – sehr zum Ärger der Stocktoner – „Port Darlington“ nannten.
Über den Tees entstand bei Stockton eine Hängebrücke, die sich aber als so schwach erwies, dass immer nur Gruppen von vier Wagen im Abstand von neun Fuß über die Brücke fahren konnten. 1844 wurde die Brücke durch eine andere Konstruktion von Robert Stephenson ersetzt. Die Kohle, die nach der Fahrt über die Brücke ankam, wurde dort von Dampf-Kränen, die von Timothy Hackworth konstruiert waren, in die Lastkähne verladen. Um 10 Uhr am 27. Dezember 1830 fuhr der erste Kohlenzug mit Ehrengästen über die Brücke zum Port Darlington. Dieser Tag wird als die Geburtsstunde der späteren „Eisenbahnstadt“ Middlesbrough betrachtet.
Stabilisierung und Betriebsbereinigung
1832, acht Jahre nach der Betriebsaufnahme, verfügte die S&DR über 19 Lokomotiven, die dank der Fähigkeiten und des Einsatzes von Timothy Hackworth sämtlich betriebsbereit waren. Zwischen Brusselton (westlich von Darlington) und Stockton verlief die Bahn sogar zweigleisig, um das Verkehrsaufkommen zu bewältigen.
Doch es gab weiterhin ein großes Problem – die Pferde und ihre Eigner. Die S&DR war eine öffentliche Einrichtung und Eigentümerin der Schienenanlagen, doch jeder war berechtigt, die Schienen zu benutzen, sofern er die Gebühren zahlte und die Regeln einhielt. Die S&DR betrieb selbst nur die Kohlenzüge und überließ den Passagierdienst anderen Unternehmern. Diese waren oft gleichzeitig die Wirte der Pubs, die als Haltestationen dienten. Dies führte zu „Anarchie“ auf den Schienen. So weigerten sich am 1. März 1832 zwei betrunkene Pferdeführer, vor der Lokomotive William IV in das Ausweichgleis zu fahren, legten nicht nur eine Schiene und einen Sitz über das Gleis, sondern sprangen auch auf die Lokomotive und gingen gewaltsam gegen das Maschinenpersonal vor. Nicht unüblich war es auch, dass Pferdeführer ihre Pferde und Wagen auf den Schienen stehen ließen und in einem nahegelegenen Pub zum Trinken verschwanden. Bei einer solchen Gelegenheit rammte beispielsweise die Lokomotive Globe bei Aycliffe Lane einen unbeleuchtet auf den Schienen stehenden Wagen.
Im August 1833 wurden etliche Pferdewagen-Eigner für schuldig befunden, die Fahrten nicht korrekt gemeldet zu haben, um Gebühren zu sparen. Damit lieferten sie dem S&DR-Komitee den lang ersehnten Grund zur Kündigung. Im Oktober kaufte die S&DR die Kontraktoren für £ 316, 17 Schillinge und 8 Pence aus. Das Konzept des „Public Way“ war damit beendet. Die Bahngesellschaft konnte nun allein über ihre Schienen verfügen, wozu sie bereits vorausschauend Schritte eingeleitet hatte. So war Hackworth schon 1829 angewiesen worden, eine schnelllaufende Lokomotive für den Passagierdienst zu bauen.
Die Maschinen für den Kohlentransport waren schwer und langsam, was zunächst nicht als Nachteil betrachtet wurde, da der zusätzliche Pferdebetrieb auf den Schienen keine schnellere Fahrt zuließ. Hackworth baute dann die oben erwähnte Globe in Robert Stephensons Werkstatt in Newcastle upon Tyne. Sie soll leichte hölzerne Räder besessen und eine Geschwindigkeit von knapp 50 mph erreicht haben. Der Maschinist stand dabei mangels anderem Platz in dem hölzernen Schlepptender. Als revolutionärste Einzelheit wurde jedoch die gekröpfte Achse für den zwischen den Rädern angeordneten Zylinder betrachtet, die zu ruhigem Lauf bei hoher Geschwindigkeit führte. Die Baukosten der Globe betrugen £ 515. Ihre erste Fahrt, geführt von Johnny Morgan, war gleichzeitig die Eröffnung der Verlängerung nach Port Darlington. Nach dem Hinauskauf der Pferdeführer wurde die Globe ausschließlich im Passagierdienst eingesetzt, bis sie im Januar 1838 mangels Wasserzufuhr bei Middlesbrough einen Kesselzerknall erlitt.
Übernahmen und Fusionierungen, heutiger Betrieb
Am 23. Juli 1858 wurde die erst 1846 gegründete Middlesbrough and Redcar Railway (M&RR) in die S&DR übernommen. Diese Bahnstrecke verlief acht Meilen entlang des südlichen Tees-Flussufers zur weiter seewärts gelegenen Ortschaft Redcar. Neu entdeckte Eisenerzvorkommen sowie der Gedanke an ein Seebad bewogen den S&DR-Direktor Henry Pease, die Linie 1861 über Redcar bis Saltburn an der Küste zu verlängern. Die Schienen führten dabei komfortabel bis in die Rückseite des dort erbauten Zetland-Hotels hinein.
Am 13. Juli 1863 vereinigte sich die S&DR mit der erst wenige Jahre zuvor aus zwei anderen Bahngesellschaften gegründeten North Eastern Railway. Diese wurde 1923 in die London and North Eastern Railway (LNER) umgewandelt und ging 1948 selbst wieder in den British Railways auf.
Die heute als Tees Valley Line bezeichnete Strecke von Bishop Auckland über Darlington und Stockton-on-Tees nach Middlesbrough und von dort weiter nach Saltburn wird bis heute als Teil des öffentlichen Verkehrssystems genutzt. Bis 2004 wurde der Bahnverkehr dort von Arriva Trains North betrieben, einer Privatbahn, die heute der Deutschen Bahn gehört.
Seit 2004 fahren auf den Schienen stündlich und teils halbstündlich Züge der Northern Rail, eines Franchise-Unternehmens von einem Konsortium der englischen Abteilung der Nederlandse Spoorwegen, den NedRailways, und Serco, einem internationalen Betreiber öffentlicher Transportsysteme. Dieses Konsortium gewann 2003 die Ausschreibung zum Betrieb des nordostenglischen Bahnnetzes. An der Strecke befindet sich mit der Station in Stockton-on-Tees auch der weltweit älteste in Betrieb befindliche Bahnhof. Andere Anlagen wurden teilweise in ein Eisenbahnmuseum umgewandelt.
Literatur
- James Stephen Jeans: Jubilee Memorial of the Railway System: History of the Stockton and Darlington Railway. Graham, Newcastle upon Tyne 1974, ISBN 0-85983-050-0 (englisch)
- Charles Alexander McDougall: The Stockton & Darlington Railway, 1821–1863. Durham County Council, Durham 1975, ISBN 0-904738-00-0 (englisch)
- Maurice W. Kirby: The Origins of Railway Enterprise. The Stockton and Darlington Railway 1821–1863. Cambridge University Press, Cambridge 2002, ISBN 0-521-89280-5 (englisch)
- Jakob Schmitz: Aufbruch auf Aktien, Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1996, ISBN 3-87881-101-2
Weblinks
Einzelnachweise
- Römische Streitwagen und urbane Legenden (Memento vom 21. August 2010 im Internet Archive) (englisch).
- The Great Western World Heritage Site 2010, Seite 6: The S&DRs track gauge was required to accommodate the horse-drawn wagons used in the older wagonways serving coal mines. This influence appears to be the main reason that 4ft 8 ½ was subsequently adopted as standard gauge.
- Terra X: Sieg der Dampfrakete (TV-Dokumentation).
- Railway Travelling. In: The Mechanics’ Magazine (and Journal of Engineering, Agricultural Machinery, Manufactures, and Shipbuilding), 2. Februar 1828, S. 16 (online bei ANNO).
- Smiles, Samuel: Lives of the Engineers. The Locomotive. George and Robert Stephenson. John Murray, 1904, OCLC 220796785, S. 166 (archive.org).
- Immigration and Emigration auf bbc.co.uk.