Serdar Somuncu
Serdar Somuncu [ˈseɾdaɾ soˈmund͡ʒu] (* 3. Juni 1968 in Istanbul, Türkei) ist ein deutscher[1] Kabarettist, Autor und Regisseur türkischer Herkunft. Gelegentlich tritt er auch als Musiker, Schauspieler und Synchronsprecher in Erscheinung.
Leben
Somuncu studierte am Konservatorium für Musik in Maastricht (1984 bis 1986) und an der Staatlichen Hochschule für Musik in Wuppertal (1986 bis 1992) Musik, Schauspiel und Regie. Er inszenierte mehr als 100 Theaterstücke, unter anderem für das Shakespeare-Festival Neuss, das Forum in Wuppertal und das TiB in Frankfurt und trat auch als Schauspieler auf, unter anderem an den Schauspielhäusern in Bochum, Bremen, Mailand und Oberhausen. 2003 war er zuletzt als Bassa Selim am Stadttheater Münster in Die Entführung aus dem Serail von Mozart zu sehen,[2] er spielte diese Rolle 2014 erneut, diesmal (Mai bis Juli) am Theater Dortmund. Außerdem übernahm Somuncu Rollen in Fernsehserien, wie beispielsweise in Schwarz greift ein, der Lindenstraße, Dr. Psycho, als Anwalt Samir Chada im Tatort: Verbrannt und als Taxifahrer in Broken Comedy. Als Sprecher vertonte er mehrere Hörspiele, unter anderem für den WDR.
Bekannt wurde er nach 1996 durch eine szenische Lesung ausgewählter Textstellen aus Hitlers Buch Mein Kampf. Seine jahrelange Tournee unter dem Titel Nachlass eines Massenmörders wurde zu einem großen Publikumserfolg (1.428 Auftritte vor mehr als 250.000 Zuschauern). Somuncu deckte dabei die inneren Widersprüche des Buchs auf komische Weise auf und kommentierte sie. Dabei trat er unter anderem vor ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager in Buchenwald und Sachsenhausen auf. Die taz zeichnete ihn in Folge als „Mann des Jahres 1996“ aus.
Im Jahr 2001 startete Somuncu eine weitere Lesung, in der er Ausschnitte aus der Sportpalastrede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels vom 18. Februar 1943 präsentierte.
Somuncu hatte während seiner Arbeit immer wieder Probleme mit Neonazis und las deshalb nicht selten mit kugelsicherer Weste und unter Polizeischutz. So stürmten am 12. Oktober 2005 im sächsischen Dippoldiswalde etwa 25 teilweise vermummte Personen während des Zitierens von Hitlers Mein Kampf den Saal und entrollten auf der Bühne ein Transparent. Somuncu blieb ruhig, ging von der Bühne und versuchte später unter stehenden Ovationen des Publikums, die Protestierer zu einer Diskussion aufzurufen; die Störer verließen mit den in der Zwischenzeit erschienenen Polizeibeamten den Saal, die Veranstaltung konnte fortgesetzt werden.[3][4]
Bis Dezember 2006 war Somuncu mit seinem Programm Hitler Kebab unterwegs. Er las dabei unter anderem einzelne Kurzgeschichten aus seinem Buch Getrennte Rechnungen und griff auch tagespolitische Situationen auf.
Außerdem moderierte er von 2005 bis 2007 eine eigene Bühnentalkshow unter dem Titel Schöner Reden. Sie fand abwechselnd im Bonner Pantheon, den Berliner Wühlmäusen, dem Düsseldorfer Zakk und dem Neusser Kulturkeller statt. Gäste waren Matto Barfuss, Hennes Bender, Johann König, Kurt Krömer, Martin Sonneborn, John Doyle, Georg Ringsgwandl, Dirk Bach, Claudia Roth und Vivian Schmitt. In seinem Programm Der Hassprediger liest Bild rezitierte und kommentierte Somuncu die jeweils aktuelle Ausgabe der Bild-Zeitung. In Österreich hieß das Programm Kronenzeitung lesen, dort beschäftigte er sich mit der Kronenzeitung.
Am 14. Juni 2008 startete Somuncu eine Internet-Show mit dem Titel Hatenight,[5] in der er wöchentlich aktuelle Themen kommentierte. Während die ersten 50 Folgen über YouTube verbreitet wurden, sperrte das Videoportal im Juni 2009 aus inhaltlichen Gründen Somuncus Kanal mit über 2000 Abonnenten ohne Vorwarnung und löschte alle Videos. Danach war Hatenight über Sevenload zu sehen. Am 5. März 2010 wurde bekanntgegeben, dass die Sendung aus rechtlicher Sicht eingestellt werden müsse, nach Verhandlungen durfte sie aber weiter produziert werden, allerdings sehr verkürzt und entschärft.
Ende Januar 2009 begann seine Tournee Der Hassprediger – Ein demagogischer Blindtest. Im Oktober 2010 veröffentlichte er sein neues Buch Karneval in Mio. Im Rahmen der Late-Night-Show neoParadise hatte Somuncu bis zu deren Einstellung Anfang 2013 die regelmäßige Rubrik Aufzeichnungen aus dem Kellerloch, in der er sich mit den Kuriositäten der modernen Fernsehunterhaltung auseinandersetzte.
Am 25. November 2011 veröffentlichte Somuncu beim Label Groove Attack sein erstes Musikalbum mit dem Titel Dafür kommt man in den Knast. Das Album ist in Zusammenarbeit mit dem Kölner Produzenten und Musiker André Fuchs entstanden, der in einem Song unter seinem Künstlernamen Onkel Zwieback als Gastrapper zu hören ist. Sämtliche Instrumente der 18 Songs des Albums wurden von Somuncu eingespielt. Als Duo Zwieback & T veröffentlichten Somuncu und Fuchs am 19. September 2013 das Rap-Album Wir beide. Somuncu rappt hier neben Fuchs unter dem Pseudonym T beziehungsweise Scheiß T in Anlehnung an den US-amerikanischen Rapper Ice-T.[6]
Seit April 2014 ist Somuncu gelegentlich als Kommentator bei der ZDF-Satiresendung heute-show zu sehen. Somuncu ist Mitglied im P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland des Schriftstellerverbandes P.E.N. Seit September 2016 wird sonntags Somuncus zweistündige Sendung Die Blaue Stunde bei Radio Eins ausgestrahlt.[7] Von Oktober 2015 bis Ende 2019 wurde Somuncus TV-Sendung So! Muncu! auf n-tv ausgestrahlt. Es handelte sich laut Somuncu dabei um die Dekonstruktion einer Talkshow, die sich eher „in der Tradition von Christoph Schlingensief als in der von Anne Will und Frank Plasberg“ sieht.[8]
Somuncu trat als Spitzenkandidat zur Bundestagswahl 2017 für Die PARTEI an.[9] Im Wahlkreis Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost bewarb er sich um ein Direktmandat[10] und erzielte dort 7,2 % der Erststimmen.[11]
Somuncu moderiert zusammen mit Niels Ruf einen regelmäßigen Podcast namens Tischgespräche.[12] Im April 2018 war die Premiere seiner Inszenierung von George Taboris Mein Kampf am städtischen Theater Konstanz. 2017 wurde es Somuncu per einstweiliger Verfügung des Landgerichts Hamburg untersagt, eine Redakteurin des Westdeutschen Rundfunks öffentlich weiter als „WDR-Fotze“ zu bezeichnen. Er legte über seinen Anwalt Heiko Klatt Widerspruch dagegen ein. Das Gericht hielt die Bezeichnung jedoch für unterlassungswürdig.[13] Im September 2020 wurde Somuncu für als sexistisch und rassistisch empfundene Äußerungen in einem gemeinsamen Podcast mit Florian Schroeder hart kritisiert.[14][15] Im Anschluss zog der verantwortliche RBB die bereits veröffentlichte Folge wieder zurück und stellte eine redaktionell bearbeitete Folge online,[16] Schroeder und Somuncu baten um Entschuldigung.[17]
Auszeichnungen
- 1990: 1. Deutscher Literatur-Theater-Preis für seine Darstellung des Affen Rotpeter in Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie
- 1993: Europäischer Nachwuchsförderpreis in Wien für seine Inszenierung von Bukowski-Blues
- 2004: Prix Pantheon „Jurypreis Frühreif und Verdorben“ für seine Darstellung der Sportpalastrede und Mein Kampf (geteilt mit Hagen Rether)
- 2007: Kulturnews-Award für bestes Entertainment
- 2008: Gache Wurzn – Preis für Toleranz und Zivilcourage
- 2011: Montreux Comedy Award – für Broken Comedy als beste Sketchshow international
- 2016: Plattino – Preis für Völkerverständigung und Integration[18]
- 2016: Kulturnews-Award für bestes Entertainment
- 2016: Goldene Schallplatte (Comedy-Award) für die DVD Der Hassprediger/Hardcore live[19]
- 2017: Goldene Schallplatte (Comedy Award) für die DVD Pussy Terror, (Regie)
- 2017: Quotenmeter Fernsehpreis für SO!muncu (Beste Informationsshow)[20]
- 2019: Deutscher Fernsehpreis Nominierung für SO!muncu (Beste Late Night)[21]
- 2019: Grimme-Preis-Nominierung für SO!muncu (Beste Unterhaltung)[22]
Veröffentlichungen
Bücher
- Nachlass eines Massenmörders. Bastei Lübbe, 2002, ISBN 3-404-60513-6.
- Getrennte Rechnungen. Storys. Lübbe, 2004, ISBN 3-7857-2162-5.
- Die Türkei und das deutsche Verständnis. In: Mehpare Bozyigit & Michel Friedman (Hrsg.): Die andere Türkei: Wie die Moderne den Bosporus erobert. Aufbau Verlag, 2005, ISBN 3-351-02591-2, S. 157–161 (Essay).
- Der Antitürke. Rowohlt, 2009, ISBN 978-3-499-62510-7.
- Auf Lesereise mit Adolf. Edel, 2009, ISBN 978-3-941378-40-7.
- Karneval in Mio. Edel, 2010, ISBN 978-3-8419-0017-3.
- Zwischen den Gleisen: Roman. WortArt, 2012, ISBN 978-3-8419-0144-6.
- Hasstament. Sämtliche Folgen der Hatenight-Show in Schriftform. WortArt, 2013, ISBN 978-3-942454-02-5.
- Der Adolf in mir: Die Karriere einer verbotenen Idee. WortArt, Köln 2015, ISBN 978-3-942454-17-9.
- Matchpointe. Ein Buch über Lampenfieber, Erfolg und Versagen. WortArt, Köln 2017, ISBN 978-3-942454-29-2.
Hörbücher
- Serdar Somuncu liest aus dem Tagebuch eines Massenmörders „Mein Kampf“. 2000, ISBN 3-7857-1125-5.
- Diese Stunde der Idiotie, Serdar Somuncu liest Joseph Goebbels. 2004, ISBN 3-7857-1355-X.
- Serdar Somuncu liest E. A. Poe: Das verräterische Herz, Grube und Pendel. 2003, ISBN 3-7857-1254-5.
- Das Partei-(Hör)Buch. 2009, ISBN 978-3-8371-0255-0.
- Hassprediger – Ein demagogischer Blindtest. 2010, ISBN 978-3-8371-0256-7. (Live-Mitschnitt)
- Bibel vs. Koran. 2011, ISBN 978-3-8218-6336-8.
- H2 Universe: Die Machtergreifung. 2015, ISBN 978-3-8371-3218-2.
DVDs
- Der Hassprediger liest BILD. WortartBMG, 2009.
- Der Hassprediger/Hardcore live. Sony Music, 2011.
- H2 Universe – Die Machtergreifung. Sony Music, 2016.
Hörspiele
- Das Haus am Kanal – (WDR 2007)
- Der Verbrannte Vogel – (WDR 2009)
- Radio Tatort – Currykill (WDR 2012)
Filme
- Four Lions (2010, deutsche Stimme von Kayvan Novak)
- Vive la France – Gesprengt wird später (2013, deutsche Stimme von José Garcia)
- Marry Me – Aber bitte auf Indisch (2015)
- Tatort – Verbrannt (2015)
- Schatz, nimm Du sie! – Immobilienmakler (2017)
Weitere Veröffentlichungen
- Wollt ihr den totalen Beat. Sony BMG, 2005.
- Hitler Kebab. Sony BMG, 2006 (Hörbuch). (Live-Mitschnitt)
- Diary Of A Massmurderer, Serdar Somuncu reads „Mein Kampf“. Sony BMG, 2007 (Hörbuch engl.).
- Dafür kommt man in den Knast. Groove Attack, 2011 (Album).
- Wir beide. Groove Attack, 2013 (Album).
- Sexy Revolution & The Politics. Wortart, 2017 (Album).
- Sysphs. Wortart, 2019 (Album).
Weblinks
- Eigene Webpräsenz
- Literatur von und über Serdar Somuncu im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Serdar Somuncu in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Wie gehen Sie in den Wahlkampf?. In: haz.de vom 29. Januar 2017, abgerufen 30. Januar 2017.
- STÄDTISCHE BÜHNEN MÜNSTER. Abgerufen am 4. Dezember 2021.
- (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven: Fotoarchiv mit Bildern vom Auftritt in Dippoldiswalde)
- zaphod3000: Der Auftritt von Serdar Somuncu in Dippoldiswalde, der von Protestierenden gestört wird. Bericht im Sachsenspiegel des MDR. 14. Juni 2006, abgerufen am 3. September 2017.
- Serdar Somuncu spielt Bassa Selim in Mozart-Oper „Die Entführung aus dem Serail“. In: Das Opernmagazin, März 2014, abgerufen am 22. Januar 2016.
- http://www.somuncu.de/?r=13 – Offizielle Website
- Scharf beobachtet! Die Blaue Stunde mit Serdar Somuncu (Memento vom 16. September 2016 im Internet Archive), rbb-online, abgerufen am 11. September 2016
- Markus Ehrenberg: „Ich glaube diese ganze Refugees-Welcome-Kacke nicht“. In: tagesspiegel.de vom 28. Januar 2016, abgerufen am 29. Januar 2016.
- Julia Haase: „Die Partei“: Serdar Somuncu kandidiert offiziell fürs Kanzleramt. In: welt.de. 2. Dezember 2016, abgerufen am 24. Januar 2017.
- Kabarettist Somuncu hofft auf Direktmandat bei Bundestagswahl. In: welt.de vom 28. Januar 2017, abgerufen 30. Januar 2017
- https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99/land-11/wahlkreis-83.html
- Niels Ruf. Abgerufen am 9. Juli 2017.
- Redakteurin “WDR-Fotze” genannt: Gericht hält Verbalattacke von Serdar Somuncu für unterlassungswürdig. In: www.meedia.de. Abgerufen am 1. Februar 2019.
- Kritik am Podcast „Schröder und Somuncu“: „Gezielte Provokation“. In: Sueddeutsche.de. 15. September 2020, abgerufen am 25. September 2020.
- Maxi Beigang: Florian Schroeder entschuldigt sich für umstrittene Podcast-Folge. In: Berliner Zeitung. 22. September 2020, abgerufen am 25. September 2020.
- Schroeder und Somuncu – RBB-Sender Radioeins stellt redaktionell bearbeitete Podcast-Fassung online. In: Deutschlandfunk. 19. September 2020, abgerufen am 25. September 2020.
- Serdar Somuncu über Podcast-Provokation: „Es tut mir wirklich aufrichtig leid“. In: RedaktionsNetzwerk Deutschland. 22. September 2020, abgerufen am 25. September 2020.
- http://www.td-plattform.com/?page_id=3635
- aberratio GmbH, Hamburg, www.aberratio.de: Bundesverband Musikindustrie: Gold-/Platin-Datenbank. In: www.musikindustrie.de. Abgerufen am 16. August 2016.
- Der 14. Quotenmeter.de-Fernsehpreis: Das sind die Gewinner (2). 4. September 2017, abgerufen am 2. Mai 2021.
- So! Muncu! ist für den Deutschen Fernsehpreis 2019 nominiert – Aktuell | Serdar Somuncu. Abgerufen am 2. Mai 2021.
- Grimme-Preis Nominierung für So! Muncu! - Aktuell | Serdar Somuncu. Abgerufen am 2. Mai 2021.