Sender Bisamberg
Der Sender Bisamberg war eine Sendeanlage für Mittelwelle (MW) auf dem Bisamberg an der Grenze zwischen Wien und Niederösterreich. Er lag auf einer Höhe von 308 m ü. A. Die erste Sendeanlage wurde 1933 errichtet, am Ende des Zweiten Weltkriegs aber zerstört. Die zweite Sendeanlage wurde – von Kronstorf, Oberösterreich übernommen – 1959 hier neu errichtet und war bis 1995 in Betrieb. Zwischen 1997 und 2008 wurde die Sendeanlage nochmals teilweise genutzt. Am 24. Februar 2010 wurden beide Sendemasten gesprengt, da ihre Erhaltung zu kostspielig gewesen wäre.
Sender Bisamberg | |||||||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Basisdaten | |||||||||||||||||
Ort: | Berg Bisamberg bei Floridsdorf | ||||||||||||||||
Bundesland: | Wien | ||||||||||||||||
Staat: | Österreich | ||||||||||||||||
Höhenlage: | 308 m ü. A. | ||||||||||||||||
Verwendung: | Rundfunksender | ||||||||||||||||
Besitzer: | Österreichische Rundfunksender | ||||||||||||||||
Abriss: | 24. Februar 2010 | ||||||||||||||||
Daten zur Sendeanlage | |||||||||||||||||
| |||||||||||||||||
Wellenbereich: | MW-Sender | ||||||||||||||||
Rundfunk: | MW-Rundfunk | ||||||||||||||||
Stilllegung: | Ende 2008 | ||||||||||||||||
Positionskarte | |||||||||||||||||
|
Einer der beiden Sendemasten dieser Anlage galt mit 265 m Höhe bis zum Jahre 2010 (und 274 m am Vorstandort Kronstorf) als das höchste Bauwerk Österreichs und der Stadt Wien, und in den Anfangsjahren ganz Europas.[1] Mit dem Fall des hohen Sendemastes wurde der 1964 fertiggestellte Donauturm (252 m) erstmals Österreichs höchstes Bauwerk.
Geschichte
Erste Sendeanlage
Der Bisamberg wurde aufgrund vorangegangener Ausbreitungsmessungen mit einem transportablen Sendegerät als Standort der Sendeanlage ausgewählt.[2] Die erste Sendeanlage ging am 28. Mai 1933 in Betrieb und sendete bis zu ihrer Zerstörung am 13. April 1945 durch die abziehenden SS-Truppen.
Der damalige Sender stellte eine Richtantenne mit der Hauptstrahlrichtung nach Westen dar, die aus zwei gegen Erde isolierten rautenförmigen Sendemasten, so genannten Blaw-Knox-Sendemasten, bestand. Da es über diese Art der Sendemasten kaum Publikationen gab, führte die Radio Verkehrs AG (RAVAG) zunächst bei Seyring Versuche durch.
Als Masthöhe wurde ein Viertel der Betriebswellenlänge, also zirka 130 Meter, gewählt. Bei der Konstruktion der beiden identen Maste wurde jedoch die Möglichkeit eingeplant, einen 5 Meter hohen zusätzlichen Mastteil mit einem bis zu 15 Meter verschiebbaren Stahlrohr auf die Mastspitze aufzusetzen, um eventuellen Änderungen der Wellenlänge Rechnung tragen zu können.
Die hochfrequenztechnischen Anlagen des 100-kW-Senders wurden von der Firma Telefunken geliefert.[2] Der Sendemast wurde von Ignaz Gridl jun. und der Richtmast von Waagner-Biro angefertigt, wobei die Pläne von den beiden Firmen gemeinsam erarbeitet wurden. Die Abspannseile für den Sendemast lieferte Felten & Guilleaume, jene für den Richtmast die Sankt Egyder Eisen- und Stahl-Industrie-Gesellschaft in Wien. Die Überprüfung der Pläne und Berechnungen für die Ravag als Auftraggeber übernahm Ernst Melan.
Der Sendemast wurde von der Firma Gridl im Winter 1932/1933 aufgestellt,[3] der Richtmast wurde von Waagner-Biro im Herbst 1933 montiert. Diese Arbeit konnte nur während der Sendepausen durchgeführt werden, da ansonsten Lebensgefahr bestand. Während der Radiosendungen musste er gegen Erde isoliert werden, um die Sendequalität nicht zu beeinträchtigen.
Da der Sender damals noch nicht ausreichend an das öffentliche Stromnetz angeschlossen war, dienten zwei 420-kVA- und ein 335-kVA-Generator der Österreichischen Siemens-Schuckert-Werke mit Dieselmotoren der Grazer Waggonfabrik als autarke Stromversorgung.[4] Durch das Eingreifen von Angestellten konnte 1945 die Sprengung der Maschinen mit Baujahr 1932 verhindert werden und sie stehen noch heute, auch wenn sie nicht mehr genutzt werden. Zerstört wurden hingegen das Sendergebäude und die Antennenanlage.
Nach der Auflösung der RAVAG im Jahr 1938 wurde die Sendeanlage von der Deutschen Reichspost übernommen.[2]
Zweite Sendeanlage
Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein behelfsmäßiger Sendebetrieb mit je einem 10-kW-Sender im Funkhaus in der Argentinierstraße und einem im Gebäude der Tabakregie aufgenommen, bis 1950 am Bisamberg wieder ein von der Firma Czeija & Nissel gebauter Sender mit 35 kW Leistung im erhalten gebliebenen Stiegenhaus in Betrieb ging. Als Antenne wurde ein 65 Meter hoher Leichtbaumast eingesetzt. Nachdem am Wilhelminenberg ein 100-kW-Sender errichtet worden war, konnte dieses Provisorium wieder abgebaut werden.[2]
Im Jahre 1954 wurde der zwischen 1950 und 1952 von der amerikanischen Besatzungsmacht in Oberösterreich errichtete und primär nach Osten, in die sowjetische Besatzungszone strahlende Sender Kronstorf an Österreich übergeben. Nach Abzug der US-Truppen im Jahre 1955 war damit der stärkste Sender des Landes an einer ungünstigen Stelle und mit einer ungünstigen Strahlrichtung. So baute man 1956 den 274 m hohen und einen der beiden 137 m hohen Sendemasten ab und an die neuen Frequenzen angepasst am Bisamberg wieder auf.[5]
Die am Fußpunkt isolierten, jeweils auf drei Ebenen abgespannten selbststrahlenden und als Halbwellendipole ausgeführten Sendemaste waren nun 265 m (Nordmast für 585 kHz) und 120 m (Südmast für 1476 kHz) hoch. Der Nordmast war bis 2010 das höchste Bauwerk in Österreich. Während des Betriebes standen die Masten unter Hochspannung. Im Bereich der Mittelplattform des Nordmastes befand sich ein Trennisolator, so dass der obere Teil simultan für die 1476 kHz-Frequenz genutzt werden konnte. Später wurde der Trennisolator abgebaut und der Simultanbetrieb durch eine aufwendige Anpassung im Antennenhaus möglich. Beide Sendemasten befanden sich auf Wiener Stadtgebiet im Bezirk Floridsdorf, wohingegen das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Sendegebäude zum Großteil auf dem Gemeindegebiet von Langenzersdorf und damit in Niederösterreich steht.
Am 17. August 1959 ging die Sendeanlage mit den neuen Masten und vier Röhren-Sendern zu je 120 kW Maximalleistung (laut anderen Quellen 150 kW[2]) regulär in Betrieb. Je zwei waren für eine Frequenz abgestimmt und konnten im Parallelbetrieb mit 240 kW senden. Die Leistung konnte auch auf 60 kW gedrosselt werden. Die beiden 150-kW-Sender und die Antennenhauseinrichtungen wurden von der Firma Brown Boveri geliefert.[2] Am 1. Mai 1975 ging ein 600-kW-Sender in Betrieb, der ebenfalls mit Elektronenröhren arbeitete. Dieser war zwischen 585 kHz und 1476 kHz umschaltbar. Als Senderöhren kamen die Typen CQS400 mit einer Anodenverlustleistung von 400 kW und einer Anodenspannung von 14 kV zum Einsatz.[6]
Am 6. September 1994 wurde die Senderhauptkontrolle für alle Fernseh- und Radioprogramme in Österreich zum Sender Kahlenberg verlegt[7] und am 1. Jänner 1995 der Sendebetrieb eingestellt. Am 21. März 1997 gingen die 120-kW-Sender mit auf 60 kW reduzierter Leistung auf der Frequenz 1476 kHz wieder in Betrieb. Gesendet wurde ein Mischprogramm aus Ö1, Radio Österreich International und Programmen unterschiedlichster Gruppen aus dem In- und Ausland. Am 3. Mai 1999 wurde für ca. 3 Monate der 600-kW-Sender reaktiviert, um im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens Informationssendungen wie die ORF-Sendung Nachbar in Not in Richtung Balkan ausstrahlen zu können.
Ende 2000 wurden alle Röhrensender außer Betrieb und stattdessen ein volltransistorisierter 100-kW-Mittelwellensender auf der Frequenz 1476 kHz in Betrieb genommen. Der Sender sendete allerdings nur mit einer reduzierten Leistung von 60 kW und strahlte täglich das Programm „Radio 1476“ aus. Der Transistorsender besteht aus 80 einzelnen HF-Endstufen, von denen jede maximal 3 kW aufweist.
Ende 2008 wurde seitens der Betreibergesellschaft ORS der Betrieb der Sendeanlage eingestellt.[8] Das Programm „Radio 1476“ ist terrestrisch nicht mehr zu empfangen und wurde durch das Webradio „oe1campus“ ersetzt.
Laut Sendetechniker Jürgen Conrad trug der Sender den internen Namen „Alice“. (Alle MW-Sender des ORF tragen weibliche Namen, Kurzwellensender männliche.) Statt den Sender am 1. Jänner 1995 genau um 0 Uhr abzuschalten, übertrug er noch den Donauwalzer – und wäre bereit gewesen, die Stromkosten für diese elf Minuten privat zu bezahlen.
Sprengung
Die beiden Sendemasten sollten am 24. Februar 2010 um 12 Uhr (niedrigerer Sendemast)[9] bzw. 15 Uhr (hoher Sendemast)[10] gesprengt werden. Der erste Mast konnte wegen einer Verzögerung durch einen Anrainer, der sein Haus in der Sicherheitszone nicht verlassen wollte, erst um 12:42 Uhr gesprengt werden. Der zweite Turm folgte planmäßig um 15:00 Uhr.[11] Ein Erhalt der Sendemasten als Denkmal war aufgrund der damit verbundenen Kosten nicht möglich. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude mit dem Senderaum, der der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, bleibt erhalten.[12]
Literatur
- Zeitschrift des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines, Wien 1934.
- Großsender Bisamberg. In: Radio Wien, Nr. 35/1933 (IX. Jahrgang), Sonderheft „Bisambergsender“, 26. Mai 1933, S. 11–46. (online bei ANNO). .
- Die Sendeanlage Bisamberg und andere existierende MW/KW-Rundfunksender in Österreich in der Zeitschrift Denkma(il) der Initiative Denkmalschutz Ausgabe 7/2011, S. 11 (pdf; 7,5 MB)
Weblinks
- Nordmast Bisamberg. In: Structurae
- Südmast Bisamberg. In: Structurae
- Mittelwellen Sendeanlage Bisamberg von Harald Chmela – Historisches, Technik, Fotos, Lampentausch
- Der „Großsender“ Wien-Bisamberg (1933–1945, 1950–1955, 1959–2010) Ein Nachruf. In: „Dampfradio“: Rundfunksender in Österreich (und angrenzendem Ausland), letzte Änderung vom 25. Juni 2012
- Videos von der Sprengung auf Youtube
- Ö1-Sendung Menschenbilder: Mit und über den Sendetechniker Jürgen Conrad (vom 4. April 2010)
- ADXB Österreich: „MW-Sender Bisamberg: Ist Geschichte“ Linksammlung zu Bildern vom ersten Sender aus 1933 bis zu Bildern von der Sprengung
- Digitalisat der Sondernummer zur Eröffnung des Senders mit vielen technischen Details
Einzelnachweise
- Google und das Mittelwellenmonster, ORF-Futurezone, 30. Mai 2008, abgerufen am 24. Februar 2010.
- Hans Kikinger: Die Großsendeanlage am Bisamberg, in: Erich Gusel (Red.): Rund um den Bisamberg. Ein Heimatbuch, Band 2, Lang-Enzersdorf 1961
- Der Radiogroßsender Bisamberg (mit Bild). In: Volkspost. Sozialdemokratisches Wochenblatt für die Bezirke Schwechat, Hainburg und Bruck a. d. L. / Volkspost. Sozialdemokratisches Wochenblatt für die Bezirke Schwechat, Hainburg und Bruck a. d. L. Die rote Spottdrossel. Blatt für Kritik und Humor, 23. Dezember 1932, S. 9 (online bei ANNO).
- ANNO, Radio Wien, 1933-05-26. Abgerufen am 1. April 2020.
- Erich Moechel: Sendemasten auf dem Bisamberg fallen, futurezone.orf.at, 24. Februar 2010
- Mittelwellen Harald Chmela: Sendeanlage Bisamberg. http://www.hcrs.at – Sendermesstechniker auf der Mittelwellen Sendeanlage Bisamberg
- Peter: Modernisierung der Senderhauptkontrolle am Kahlenberg, blog.ors.at, 23. September 2008. Nicht erreichbar am 18. Februar 2016.
- Abschaltung DAB Pilotprojekt und Mittelwelle, blog.ors.at. Nicht erreichbar am 18. Februar 2016.
- Sendemast am Bisamberg wird gesprengt, orf.at, 24. Februar 2010.
- Bisamberg: Beide Sendemasten gesprengt, 22. Jänner 2010. Nicht erreichbar am 18. Feb. 2016.
- Bisamberg: Erster Mast gesprengt. Österreich, 24. Februar 2010, abgerufen am 2. Juli 2020..
- Hannes Uhl, Kurier, 22. Jänner 2010: Sender Bisamberg: Ein Wahrzeichen fällt (Memento vom 25. Januar 2010 im Internet Archive)