Samuel Glesel
Samuel Glesel (* 27. Junijul. / 10. Juli 1910greg. in Chrzanów, Österreich-Ungarn; † 5. November 1937 in Leningrad) war ein deutschsprachiger Journalist und Schriftsteller. 1937 wurde er Opfer des Großen Terrors während der stalinistischen Herrschaft in der Sowjetunion.
Leben
Als jüngstes Kind jüdischer, 1912 aus Galizien eingewanderter Eltern wuchs er in Gotha (bis 1924) und in Berlin auf.
Glesel war Mitglied der KPD und schrieb für die Rote Fahne, die Welt am Abend und die Arbeiterstimme. 1932 folgte er seiner Lebensgefährtin, der Lehrerin und Kommunistin Elisabeth Wellnitz, in die Sowjetunion, in die wolgadeutsche Stadt Engels. Dort hatte Wellnitz eine Arbeit als Lehrerin für die deutsche Sprache angenommen. 1933/34 erfolgte der Umzug nach Leningrad, wo Wellnitz eine Dozenten-Stelle am Pädagogischen Institut im Smolny angeboten wurde. Sie wohnten im Gemeinschaftshaus („Deutsches Haus“) in der Detskajy Uliza Nr. 3. Nach dem Tod der Tochter Else (* 1932 Engels; † 1934 Leningrad) wird im Juli 1935 Sohn Alex geboren.
Glesel schrieb für die Deutsche Zentral-Zeitung und war Redakteur der Leningrader Rote Zeitung. 1935 nahm er die sowjetische Staatsbürgerschaft an, nachdem er seine polnische Staatsbürgerschaft verloren hatte. Unter dem Pseudonym Sally Gles veröffentlichte er ein Drama, ein Schauspiel und zwei Erzählbände im Kiewer Staatsverlag der nationalen Minderheiten der UdSSR. 1934 veröffentlichte Glesel zwei Erzählungen in dem Sammelband: Das faschistische Deutschland. Sammelband. Herausgeber F. Heckert, Charkov, Verlag: „Ukrainischer Arbeiter“, 1934, 180 Seiten. „Brigade deutscher revolutionärer Schriftsteller“; Vorwort von Fritz Heckert, Erzählungen von Andor Gábor, Egon Erwin Kisch, Peter Konrad, Walter Schönstedt, S. Gles (Samuel Markovich Glesel), Hugo Huppert, Erich Müller, Ernst Ottwalt, Johannes R. Becher, Hans Günther. Von Samuel Glesel sind zwei kurze Erzählungen enthalten: „Boi s Faschistami“ (Antifaschistische Aktion (S. 92–96)) und „Smena“ (Schichtwechsel (S. 97–100)). Dieser Sammelband ist in russischer Sprache erschienen und bisher nicht im Verzeichnis der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) enthalten.
1935 war er Delegierter der deutschen Schriftstellergruppe in Leningrad zum 1. Unionskongress der sowjetischen Schriftsteller in Moskau.
1936 wurde er während der Stalinschen Säuberungen aus dem sowjetischen Schriftstellerverband und der Partei ausgeschlossen, was ein Berufsverbot bedeutete. Am 4. September 1937 wurde er im Zuge der sogenannten Deutschen Operation verhaftet, am 29. Oktober zum Tode verurteilt und am 5. November erschossen. Die Erschießung erfolgte mit weiteren namentlich bekannten 99 Männern und Frauen, die in einem dafür abgesonderten Teil eines Waldgebietes in Lewaschowo bei Leningrad in Massengräbern vergraben wurden, gemeinsam mit weiteren ca. 40.000 Opfern des Stalinterrors zwischen 1937 und 1938 in Leningrad. Dort befindet sich heute der Gedenkfriedhof Lewaschowo; unter vielen anderen auch mit dem Gedenkstein für Samuel Glesel und der Gedenktafel für alle erschossenen Bewohner der Detskaja Uliza Nr. 3 auf dem Gedenkfriedhof Lewaschowo.[1] Siehe dazu unter Weblinks die ausführliche Dokumentation Gedenkfriedhof Lewaschowo.
Elisabeth Wellnitz wurde nach Kriegsbeginn 1941 nach Kasachstan verbannt und arbeitete in einem Steinkohlebergwerk in Karaganda, 1955 kehrte sie nach Deutschland – in die DDR – zurück. Ein Jahr später folgte ihr der Sohn Alex nach, der aus Leningrad von 1941 bis 1948 in ein Kinderheim in Sibirien evakuiert gewesen war. Anschließend arbeitete auch er in Karaganda im Kohlebergwerk. Alex Glesel heiratete 1961 in Berlin Inge Hähnel, die Tochter von Walter Hähnel (1905–1979).
Im Juni 1958 wurde Samuel Glesel auf Antrag der Familie postum rehabilitiert. Die Rehabilitierungsurkunde des Leningrader Militärgerichts mit falscher Todesangabe (Herzversagen) und falschem Todeszeitpunkt (1944) war offensichtlich fingiert.
Erst 2003 wurden die tatsächliche Todesursache sowie der Zeitpunkt der Erschießung durch das Zentrum für „Wiedergegebene Namen“ bei der Russischen Nationalbibliothek in St. Petersburg offengelegt. Unter der Leitung von Anatolij Jakowlewitsch Rasumow[2], der an der Russischen Nationalbibliothek tätig ist, die seit 1995 die Buchreihe Leningrader Martyrolog herausgibt[3], wurde im Leningrader Martyrolog 1937–1938, Bd. 3, November 1937; Sankt-Petersburg: Verlag d. Russ. Nationalbibliothek (Gedenkbuch der Opfer politischer Repressionen) auch die wahre Geschichte von Samuel Glesel veröffentlicht.[4]
Ehrung
- 2011 Gedenktafel für Samuel Glesel und 27 weitere Frauen und Männer aus dem gleichen Wohnhaus Detskaja Uliza 3, die unter falschen Anschuldigungen ermordet wurden oder in einem Straflager umkamen und postum rehabilitiert wurden, auf dem in Lewaschowo errichteten Gedenkfriedhof für die Opfer stalinistischen Terrors
- 2015 Errichtung eines Gedenksteines durch die Familie des Sohnes Alex Glesel in Lewaschowo
- seit 2015 Gedenktafel auf dem jüdischen Friedhof in Gotha errichtet durch die Stadt Gotha
Werke
- Verboten, Drama, Charkow 1933, veröffentlicht in der Zeitschrift Der Sturmschritt
- Mord im Lager Hohenstein. Berichte aus dem Dritten Reich, Mitautor, Moskau 1933
- Faschistkaja Germania [Das faschistische Deutschland], Sammelband, [enthält die Beiträge Boi s Faschistami (Antifaschistische Aktion) und Smena (Schichtwechsel) von Samuel Glesel], hrsg. von Fritz Heckert, [russ.], Verlag Ukrainischer Arbeiter, Charkow 1934
- Deutschland erwacht, Erz., Red. Karl Weidner, Engels 1935
- Deutschland gestern und heute, Erz., Kiew 1935
- Verboten, Mai-Schauspiel in drei Akten, Kiew-Charkow 1935
- Kampf. Deutsche, revolutionäre Dichter gegen Faschismus. Sammlung für Kinder mittleren Alters, Zeichnungen von Heinrich Vogeler, Mitautor, Charkow 1935
- Buchdeckel Faschistkaja Germanija mit Nennung S. Gles (С. Глес)
- Titelseiten Faschistkaja Germanija, Charkov, 1934
- Inhaltsverzeichnis Faschistkaja Germanija mit zwei Erzählungen S. Gles (С. Глес)
Literatur
- Elfriede Brüning: Nun, ich lebe noch. Deutsche Kommunistinnen in sowjetischen Lagern. Berlin: Verlag am Park 2013. ISBN 978-3-89793-291-3
- Wladislaw Hedeler, Inge Münz-Koenen (Hrsg.): »Ich kam als Gast in euer Land gereist…«. Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933–1956. Berlin: Lukas Verlag 2013. ISBN 978-3-86732-177-8
- Reinhard Müller (Hrsg.): „Die Säuberung“, Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung. Georg Lukács / Johannes R. Becher / Friedrich Wolf u. a..Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag GmbH, 2018, Rowohlt repertoire. ISBN 978-3-688-10953-1
- Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung (Hrsg.): In den Fängen des NKWD: Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. Dietz, Berlin 1991, ISBN 3-320-01632-6, S. 80.
Weblinks
- Literatur von und über Samuel Glesel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Глезель (Глес) Самуил Маркович (Glesel Samuel). In: Виртуальный музей Гулага (Gulagmuseum). (russisch).
- Samuel Glesel. In: Thüringer Literaturrat. Archiviert vom Original am 26. November 2020; abgerufen am 23. Februar 2021.
- Jens Kirsten: Samuel Glesel. In: Literaturland Thüringen. Archiviert vom Original am 26. November 2020; abgerufen am 23. Februar 2021.
- Jens Kirsten: Samuel Glesel - Von Gotha in die Welt. In: Literaturland Thüringen. Archiviert vom Original am 26. November 2020; abgerufen am 23. Februar 2021.
- Zentrum „Wiedergegebene Namen“ bei der Russischen Nationalbibliothek: Gedenkfriedhof Lewaschowo. (PDF) Herausgegeben von der Fürst-Wladimir-Kathedrale, 2013, abgerufen am 23. Februar 2021.
- Erinnerung an den Gothaer Sally Glesel anlässlich des 105. Geburtstages. Pressemitteilung der Stadt Gotha, 10. Juli 2015 .
Einzelnachweise
- Denkmal deutscher Emigranten–Antifaschisten, Памятный знак немецким эмигрантам-антифашистам
- Anatolij Jakowlewitsch Rasumow, Анатолий Яковлевич Разумов, Leiter des Zentrums „Wiedergegebene Namen“ in der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg
- Leningrader Martyrolog, Ленинградский мартиролог, ISBN 5-7196-0951-2.
- Leningrader Martyrolog, 11 Bände digitalisiert, Glesel/Глезель (Глес) Самуил Маркович in Bd. 3, herausgegeben von der Russischen Nationalbibliothek St. Petersburg; Redaktion u. a. Anatolij Jakowlewitsch Rasumow