Rugby Union in Frankreich
In Frankreich ist Rugby Union (französisch Rugby à quinze) die zweitbeliebteste Sportart nach Fußball, gespielt wird es seit den frühen 1870er Jahren. Die besten Mannschaften spielen in der Liga Top 14 um die Meisterschaft. Der zuständige Verband ist die Fédération française de rugby (FFR). Als Hochburg des Rugby gilt der Südwesten des Landes.
Geschichte
Im Jahr 1872 gründeten einige in Frankreich lebende Briten den ersten Verein, Le Havre Athlétique.[1] Gespielt wurde zunächst eine Hybridform aus Rugby und Fußball, combination genannt. Der erste Verein, der nach den standardisierten Regeln spielte, war der 1877 von britischen Geschäftsleuten gegründete English Taylors RFC (Rugbyclub der englischen Schneider), ein Jahr später folgte der Paris Football Club. Die Rugby-Kommission des Sportverbandes Union des sociétés françaises de sports athlétiques (USFSA) nahm 1890 ihre Tätigkeit auf; damals waren sämtliche Sportarten in einem einzigen Verband organisiert. Die immer größer werdende Vielfalt und Mitgliederzahl führte 1919 zur Gründung des eigenständigen Verbandes Fédération française de rugby und zum Austritt aus der USFSA.[2]
Rugby war eine Sportart an den in Paris ausgetragenen Olympischen Sommerspielen 1900. Frankreich nahm mit einer Auswahl der USFSA teil und gewann die Goldmedaille. Das erste Spiel der Nationalmannschaft fand 1906 in Paris statt, sie verlor 6:38 gegen die All Blacks aus Neuseeland. 1910 legten die vier britischen und der französische Verband die Grundlagen für das Five-Nations-Turnier. Bei den Olympischen Sommerspielen 1920 in Antwerpen verlor die Nationalmannschaft eher überraschend im Finale gegen die USA, ebenso vier Jahre später in Paris.
1932 wurde die Nationalmannschaft aus dem Five-Nations-Turnier ausgeschlossen (bis 1947); Gründe waren der verkappte Professionalismus, zunehmende Gewalt auf dem Spielfeld und schlechte Organisation.[3] Als Folge des Ausschlusses wurde 1934 unter französischer Führung die FIRA gegründet, als Konkurrenz zum International Rugby Board (heute World Rugby), die daraufhin Europameisterschaften durchführte.[4] Im selben Jahr begann in Frankreich die Ära von Rugby League (französisch rugby à treize) und viele Union-Spieler wechselten zur Profi-Variante. Rugby League begann Rugby Union zunehmend den Rang abzulaufen. Das Vichy-Regime stoppte diese Entwicklung, als sie 1941 sämtliche Rugby-League-Spiele verbot.[5] Auch wenn diese Variante nach dem Krieg wieder zugelassen wurde, so konnte Rugby Union seine Vormachtstellung zurückgewinnen und ausbauen.
1947 wurde die Nationalmannschaft wieder zum Five-Nations-Turnier zugelassen und gewann dieses 1954 zum ersten Mal. 1978 trat die Fédération française de rugby dem International Rugby Board bei, blieb aber auch der FIRA verbunden.[6][7] Der französische Verband unterstützte das vorgeschlagene Konzept zur Einführung einer Weltmeisterschaft, gegen heftigen Widerstand der britischen Verbände. 1995 begann auch im französischen Rugby Union die Ära des Profisports.
Wettbewerbe
Der wichtigste Wettbewerb für Vereinsmannschaften ist die Top 14, die als eine der finanzstärksten Ligen der Welt gilt. Die 14 beteiligten Mannschaften tragen je ein Heim- und ein Auswärtsspiel gegen alle anderen Mannschaften aus. Die vier besten Mannschaften spielen anschließend im K.-o.-System um den Meistertitel; der Sieger des Meisterschaftsendspiels ist französischer Meister. Die erste Meisterschaft wurde 1892 ausgetragen und vom Racing Club de France gewonnen, erst ab 1899 durften Mannschaften von außerhalb der Hauptstadt teilnehmen.
Die zweithöchste Liga ist die Pro D2. Sowohl Top 14 als auch D2 werden im Auftrag des Verbandes von der Ligue nationale de rugby organisiert. Für die Amateurmeisterschaften ist der Verband allein zuständig, die höchste Amateurliga ist die Fédérale 1. Nicht mehr ausgetragen werden der Coupe de France und die Challenge Yves du Manoir, die während der Amateurära einen bedeutenden Stellenwert besaßen.
Der European Rugby Champions Cup, der bedeutendste Pokalwettbewerb auf europäischer Ebene, tritt in Frankreich wegen strengerer Alkoholwerbegesetze unter der Bezeichnung H Cup auf. Bisher haben zwei französische Mannschaften diesen Pokal gewonnen: Stade Toulousain (1996, 2003, 2005, 2010) und CA Brive (1997). Den zweitwichtigsten europäischen Wettbewerb, den European Rugby Challenge Cup, konnten bisher vier französische Mannschaften gewinnen: CS Bourgoin-Jallieu (1997), US Colomiers (1998), AS Montferrandaise (1999), Section Paloise (2000), Biarritz Olympique (2012).
Die Nationalmannschaft wird auch Les Bleus („die Blauen“) genannt und gehört zu den Besten der Welt. Sie nimmt jedes Jahr am Six Nations (bis 1999 Five Nations) teil und hat dieses prestigeträchtige Turnier bisher 23 Mal gewonnen, davon acht Mal mit einem Grand Slam. Sie qualifizierte sich für sämtliche Weltmeisterschaften seit deren Einführung im Jahr 1987 und wurde dreimal Vizeweltmeister (1987, 1999, 2011). Lediglich 1991, 2015 und 2019 stieß sie nicht ins Halbfinale vor. Die Weltmeisterschaft 2007 fand in Frankreich statt und die Weltmeisterschaft 2023 ist in Frankreich geplant.
Im Rahmen der Six Nations spielt Frankreich gegen Italien um die Giuseppe-Garibaldi-Trophäe und gegen Schottland um die Auld-Alliance-Trophäe. Außerdem spielt Frankreich gegen Australien um die Trophée des Bicentenaires und gegen Neuseeland um die Dave Gallaher Trophy.
Beliebtheit und Berichterstattung
Rugby Union ist insbesondere im Südwesten des Landes sehr populär, während in den anderen Landesgegenden eher der Fußball dominiert. Es gibt mehr als 1600 Vereine mit über 533.000 lizenzierten Spielern.[8] In jüngster Zeit ist die durchschnittliche Zuschauerzahl stark angestiegen, seit der Saison 2004/05 um nicht weniger als 25 Prozent. Die Rekordzuschauerzahl beträgt 79.604, aufgestellt am 4. März 2006, als im Stade de France die Mannschaften Stade Français und Biarritz Olympique aufeinander trafen. Damit wurde der Höchstwert der Ligue 1 im Fußball um mehr als 20.000 übertroffen.
Der öffentlich-rechtliche und frei empfangbare Fernsehsender France 2 überträgt sämtliche Länderspiele der Nationalmannschaft am Six-Nations-Turnier und im eigenen Land. Darüber hinaus überträgt France 2 regelmäßig Spitzenspiele der Top 14. Canal+, der bedeutendste Pay-TV-Sender, zeigt ebenfalls zahlreiche internationale Spiele, auch solche des Rugby Championships in der südlichen Hemisphäre (Australien, Argentinien, Neuseeland, Südafrika).
Literatur
- Tony Collins: The Oval World – A Global History of Rugby, 2. Aufl., London 2016, ISBN 978-1-40-883157-1 (engl.)
- Dieter Kuhn u. Marcus Rosenstein: Rugby – Kampf in Gasse und Gedränge, 3. Aufl., Berlin 2012, ISBN 978-3-87-892060-1
- Tobias Schenk: Politische Effekte der Rugby-WM in Frankreich, München 2008, ISBN 978-3-65-612141-1
- Huw Richards: A Game for Hooligans – The History of Rugby Union, Edinburgh 2007, ISBN 978-1-84-596255-5 (engl.)
Einzelnachweise
- Historische Rugby-Meilensteine - 1870er Jahre
- La Fédération. Fédération française de rugby, abgerufen am 4. Oktober 2020 (französisch).
- Gilles Dhers: 1931 : violence, amateurisme marron, la France exclue du Tournoi des cinq nations. Libération, 16. März 2019, abgerufen am 4. Oktober 2020 (französisch).
- About us. Rugby Europe, 2020, abgerufen am 4. Oktober 2020 (englisch).
- Verbot von Rugby League durch das Vichy-Regime (Memento des Originals vom 11. Mai 2006 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Huw Richards: A Game for Hooligans: The History of Rugby Union. Mainstream Publishing, Edinburgh 2007, ISBN 978-1-84596-255-5 (google.ch).
- Member Unions. World Rugby, abgerufen am 8. April 2021 (englisch).
- World Rugby Year in Review 2019. World Rugby, S. 68, abgerufen am 18. April 2021 (englisch).
Weblinks
- Fédération française de rugby (französisch)
- Frankreich auf Planet Rugby (englisch)