Rudolf Manga Bell
Rudolf Duala Manga Bell (* 1873; † 8. August 1914 in Duala) war König des Duala-Volkes in Kamerun zur deutschen Kolonialzeit. Er war Anführer des Widerstandes gegen die widerrechtliche Vertreibung[1] der Duala aus ihren angestammten Siedlungsgebieten.
Leben
Rudolf Manga Bell wurde 1873 im Raum Duala als ältester Sohn von König Manga Ndumb’a geboren. Er war ein Enkel von König King Bell, der den „Schutzvertrag“ mit Deutschland unterzeichnet hatte.
Rudolf Manga Bell besuchte in Kamerun die deutsche Regierungsschule, bevor er 1891 für fünf Jahre als Pflegekind zur Lehrerfamilie Österle nach Aalen kam. In dieser Zeit lernte er Deutsch und wurde für sein Leben geprägt. 1897 ging er zurück nach Kamerun, um dort Emily Engome Dayas zu heiraten. 1902 reiste er nach Deutschland und traf in Berlin auf den Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Oscar Wilhelm Stübel. Er erhielt so Einblicke in die Struktur der deutschen Kolonialverwaltung, was ihm später von Nutzen war.
1905 verfasste er gemeinsam mit König Akwa von Bonambela und 26 weiteren kamerunischen Volksoberhäuptern einen offenen Brief an den deutschen Reichstag. In diesem beschwerten sich die Duala u. a. über rechtsbeugende Handlungen durch den Gouverneur Jesko von Puttkamer, Enteignungen, Niederreißen von Häusern ohne Genehmigung, Zwangsarbeit ohne Lohn, willkürliche Verhaftungen und übermäßige Strafen sowie entwürdigende Behandlung von kamerunischen Volksoberhäuptern durch die Prügelstrafe. So schrieben die Duala in ihrem Beschwerdebrief vom 19. Juni an den Reichstag:
„Den Herrn Gouverneur von Puttkamer, dessen Richtern, Bezirksamtmänner, kurz seine ganze Regierungsbesatzung wollen wir nicht mehr hier haben. Sämtliche jetzigen Gouvernementsbeamten des Schutzegebietes Kamerun bitten wir forträumen zu wollen, denn ihre Regierung führen sie nicht gut, sie sind nicht gerechtfertigt, ihre Art und Weise exploitieren das Land. Als Ersatz-Gouverneur bitten wir allerunterthänigst, uns Consulat anstatt Assessorismus senden zu wollen, Assessorismus wollen wir nie wieder haben, diese verderben die Regierung und machen die redliche, gute deutsche Macht zu einer wucherischen und gäunerischen Macht! Also fort mit Assessorismus, zum Ersatze: Consulat! […] Wir sind deutsch und bleiben deutsch bis an das Ende der Welt. Mit allerunterthänigstem Gruß an Seine Majestät Kaiser Wilhelm von Deutschland und Kamerun“
Ihr Ruf wurde zwar in Deutschland mit Erstaunen und ungläubiger Anerkennung aufgefasst, jedoch eher belächelt als erhört. Ein Gouverneurswechsel fand erst 1907 statt, als Theodor Seitz seinen Dienst in Buea aufnahm. Dessen reformerische Haltung in den sogenannten „Eingeborenenfragen“ entsprach etwa der des Staatssekretärs Bernhard Dernburg. Als 1910 Friedrich von Lindequist die Leitung der deutschen Kolonialverwaltung übernahm, ging Seitz nach Deutsch-Südwestafrika und wurde durch den erheblich rassistischeren, alldeutsch geprägten Otto Gleim ersetzt.
Unter Gleim wurden Pläne entwickelt, die Duala von ihrem Wohngebiet am Kamerunfluss ohne entsprechende Entschädigung zu vertreiben, ihre Häuser zugunsten von Faktoreien niederzubrennen und in Douala schwarze und weiße Wohnviertel zu trennen. Dagegen setzte sich Rudolf Manga Bell zur Wehr. Er richtete Petitionen an Gouvernement und an den Reichstag, schickte 1912 seinen Sekretär Ngoso Din nach Berlin, nahm Kontakt zur deutschen Opposition und christlichen Missionen auf und schaltete einen Berliner Anwalt in dem Fall ein. Bei den „Sozialdemokraten im Reichstag“ fand er Gehör. So bezeichnete Georg Ledebour die Vorgänge in Kamerun als Rechtsbruch schmählichster Art. Im Reichstag reichte August Bebel eine Flusspferd-Peitsche zur Veranschaulichung der Brutalität der Kolonialverwaltung herum.
Als König Manga Bell von der deutschen Besatzung angeklagt und verfolgt wurde, suchte und fand er Schutz bei seinem Cousin und Freund König Ekandjoum Joseph. Auch letzterer beanspruchte die Rechte seines Volkes, und kamerunischen Archiven zufolge trafen sich die beiden Könige mehrmals.
Die deutsche Presse berichtete dagegen von einem „Hilfsgesuch“ an Frankreich und Großbritannien, das bis heute jedoch nicht belegt ist. 1914 wurde Rudolf Manga Bell, der bis zuletzt Deutschland und dem Kaiser treu geblieben sein soll und friedlich gegen konkrete Missstände vorgegangen war, wegen „Hochverrates“ zum „Tode durch den Strang“ verurteilt. Es gab keine faire Verhandlung. Der Prozess wurde zunächst auf den 17. September 1914 angesetzt, dann aber auf den 7. August vorgezogen, ohne die Verteidigung davon zu unterrichten. Deshalb konnten die prominenten deutschen Verteidiger des Angeklagten, Hugo Haase und Paul Levi nicht in Duala anwesend sein. Wegen der großen Aufmerksamkeit, die der Prozess in Deutschland ausgelöst hatte, wandte sich der Gouverneur Karl Ebermeier an das Reichskolonialamt in Berlin und forderte die Einhaltung von Mindeststandards bei der Gerichtsverhandlung. Diese Eingabe wurde aber ignoriert. Der in Duala niedergelassene Anwalt Alfred Etscheid wurde gegen den Willen von Manga Bell zu seinem Verteidiger bestellt. Er beging Parteienverrat, indem er gegen das Todesurteil keinen Einspruch einlegte, obwohl es keine Zeugen gab und keine Beweise für die Schuld von Manga Bell vorgelegt worden waren. Eingaben durch Heinrich Vieter von der katholischen Pallottiner-Mission, der Basler Mission und der Baptisten-Mission, die beiden Angeklagten zu verschonen, wurden von Ebermaier abgelehnt.[2] Manga Bell wurde mit seinem Sekretär Ngoso Din am 8. August 1914 in Duala durch Erhängen[3] hingerichtet. Seine letzten Worte waren: „Unschuldiges Blut hängt ihr auf. Umsonst tötet ihr mich. Aber die Folge davon wird die größte sein.“[4]
Nachwirkungen
Die Hinrichtung von Manga Bell machte ihn in Kamerun zum Märtyrer. Seine Geschichte wurde zur Legende und wurde zum "Mythos der extremen kolonialen Unterdrückung, basierend auf dem katastrophalen Höhepunkt der deutschen Herrschaft in Douala". Manga Bell war noch bis in die 1920er Jahre populär. 1929 wurde Tet'Ekombo, eine Hymne an ihn, komponiert. 1935 wurde sein Leichnam exhumiert und hinter seinem Haus in Bonanjo, Douala, beigesetzt. Am 8. August 1936, dem 22. Jahrestag seiner Hinrichtung, wurde dort ein Obelisk aufgestellt.[2]
In seinem Artikel in der ZEIT vom August 2021 berichtet der Jurist und Autor des Buchs Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914, Christian Bommarius, dass 2014 eine Anfrage an die Bundesregierung bezüglich einer Rehabilitierung des Justizmordes an Rudolf Manga Bell und Ngoso Din mit folgender Begründung beantwortet wurde: „Eine Forderung der Vertreter der Douala aus Kamerun zur Rehabilitierung von Rudolf Manga Bell wurde gegenüber der Bundesregierung bislang nicht erhoben.“[5]
Am 11. April 2018 gab die Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Berlin-Mitte bekannt, dass der zuvor nach dem kolonialistischen Forscher Gustav Nachtigal benannte Nachtigalplatz nach Emily und Rudolf Duala Manga Bell benannt werden soll.[6]
Vom 14. April 2021 bis 31. Dezember 2022 zeigt das Museum am Rothenbaum (MARKK) die medial aufbereitete Ausstellung „Hey Hamburg, kennst Du Duala Manga Bell?“[7] Hierbei vermittelt das Museum die Biografie Rudolf Duala Manga Bells und seiner Mitstreiter Rudolf Ngoso Din und Maria Mandessi Bell und wirft Fragen nach ihrer Rehabilitation auf.[8] Die Ausstellung richtet sich speziell an junge Besucher und Familien und greift Themen wie den Umgang mit kolonialem Erbe und Rassismus auf.
Literatur
- Suy Lan Hopmann und Fiona Siegenthaler (Hg.). Hey, kennst du Rudolf Duala Manga Bell?. MARKK, Hamburg 2021, ISBN 978-3-9441-9314-4, 256 Seiten
- Gisela Graichen, Horst Gründer: Deutsche Kolonien. Traum und Trauma. Ullstein, Berlin 2005, ISBN 3-548-36940-5, S. 108–110.
- Wilfried Westphal: Geschichte der deutschen Kolonien. Bertelsmann, München 1984, ISBN 3-570-03450-X, S. 293.
- Christian Bommarius: Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914. Berenberg Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-937834-77-1 (Taschenbuchausgabe: Berenberg Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-946334-71-2).
- Hermann Stützel: Die ersten Neger in Aalen. In: Friedrich Heintzeler (Hrsg.): 50 Jahre Schubart-Gymnasium Aalen 1914–1964. Aalen 1964 (hs-augsburg.de [abgerufen am 21. Juni 2021]).
Weblinks
- Hinrichtung kamerunischer Widerstandskämpfer, Neue Zürcher Zeitung 4. August 2014
- Film über Rudolf Manga Bell
- Dokumentarstück über Manga Bell von Kum'a Ndumbe III.
- Hans Hielscher: Deutsche Kolonialisten in Kamerun – Die Tragödie um Rudolf Manga Bell. Spiegel online, 6. August 2019 .
Einzelnachweise
- Hans Hielscher: Die Tragödie um Rudolf Manga Bell. Als die Deutschen sein Volk betrogen, beraubten, brutal unterjochten, drängte ein König in Kamerun 1914 friedlich auf Einhaltung eines Vertrages. Dafür brachte das Kaiserreich Rudolf Manga Bell an den Galgen., SPON, heruntergeladen am 10. August 2019, als Memento gespeichert
- Austen, Ralph A., und Derrick, Jonathan (1999): Middlemen of the Cameroons Rivers: The Duala and their Hinterland, c. 1600–c.1960. Cambridge University Press, S. 93, 171, 193, 222
- Der König, der Recht wollte bei zeit.de, abgerufen am 1. September 2021
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/todestag-von-rudolf-manga-bell-ein-opfer-der-willkuer.976.de.html?dram:article_id=455749 abgerufen am 30. August 2021
- Christian Bommarius: Der König, der Recht wollte. zeit.de, 25. August 2021, abgerufen am 31. August 2021.
- Laura Hofmann: Neue Straßennamen fürs Afrikanische Viertel gefunden. In: Der Tagesspiegel. 11. April 2018, abgerufen am 11. April 2018.
- MARKK: Hey Hamburg, – MARKK. Abgerufen am 31. August 2021.
- Anke Schwarzer: Das Hamburger MARKK zeigt eine Ausstellung über die deutsche Kolonialzeit in Kamerun. In: www.dandc.eu/. ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH, 22. August 2021, abgerufen am 31. August 2021.