Richard Kandt
Richard Kandt (vor 1894 Richard Kantorowicz; * 17. Dezember 1867 in Posen; † 29. April 1918 in Nürnberg) war ein deutscher Arzt und Afrikaforscher.
Leben
Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld berichtet in seiner Autobiografie[1] von seiner Freundschaft mit Richard Kantorowicz, mit dem er gemeinsam am Kolberger Domgymnasium am 5. September 1887 die Abiturprüfung bestand[2]. Hirschfeld berichtet unter anderem folgende Episode: „Als ich […] unsere Petition für die Befreiung der Homosexuellen in Umlauf setzte, bekam ich von ihm [Kantorowicz] ein sehr langes Schreiben, in dem er mich beschwor, mich nicht einem Ziel zu opfern, das ich doch nie und nimmer erreichen könne […]. Nicht lange nach Empfang dieses Warnbriefes kam der 'Auch Du, mein Sohn Brutus'-Tag. Kandt war in die Hände eines Erpressers gefallen, der ihn […] bereits um einen beträchtlichen Teil seines Vermögens gebracht hatte. Er gab immer wieder, weil er wähnte, daß alles, was seine Ehre, wenn auch noch so unverschuldet, verdunkele, einen Flecken auf dem Ehrenschild seiner Verbindung sei. Mit völlig zermürbten Nerven ging er uns um Hilfe gegen seinen unersättlichen Vampir an, die ihm erfolgreich zu gewähren wir in der glücklichen Lage waren. Äußerlich befreit, blieb er innerlich gebrochen.“[3]
Richard Kantorowicz studierte Medizin in München und war dort seit 1887 Mitglied der Burschenschaft Rhenania-München. 1893 ließ er sich taufen. 1894 nahm er den Namen Kandt an. Richard Kandt war später als Psychiater in Bayreuth und München tätig. Zwischen 1897 und 1907 erforschte er den Nordwesten von Deutsch-Ostafrika und wurde 1906 zum Kaiserlichen Residenten der mit Verordnung vom 20. Juni 1906 und mit Wirkung vom 15. November 1907 geschaffenen Residentur Ruanda von Deutsch-Ostafrika berufen. Kandt traf im August 1907 in Ruanda ein und gründete noch im gleichen Jahr seinen Residentensitz Kigali. Im Frühjahr 1914 war er zu einem Urlaub nach Deutschland gekommen und konnte wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges im August 1914 nicht nach Ruanda zurückkehren. Bald nach Kriegsausbruch meldete er sich als Arzt und ging an die Ostfront.[4]
Kandt ist in Ruanda noch heute eine hoch geachtete Person. In seinem Haus in Kigali ist ein Naturkundemuseum eingerichtet worden und dort wird in einem Raum auch über ihn informiert.[5] Eine Monografie über Ruanda, an der er mindestens schon seit 1911 schrieb, und die er bei seinem nächsten Urlaub in Deutschland (1914) abschließen zu können glaubte, blieb nach seinem Tode unauffindbar.[6]
Richard Kandt entdeckte im Jahr 1898 im ruandischen Nyungwe-Wald eine der Quellen des Nils. In seinem Werk Caput Nili berichtet Kandt darüber. Von 1899 bis 1901 widmete er sich der Erforschung des Kiwusees.
Seit etwa 1900 war er eng mit dem Schriftsteller Richard Voss befreundet, in dessen „Erinnerungen“ (1922) er einen breiten Raum einnimmt. Kandt starb am 29. April 1918 in einem Reservelazarett in Nürnberg an den Folgen einer im Ersten Weltkrieg erlittenen Gasvergiftung.[7] Sein Grab befindet sich auf dem Johannisfriedhof von Nürnberg.
Rezeption
Ein Gedicht von Richard Kandt wird in Nora Bossongs Roman Schutzzone (2019) zitiert.[8]
Werke
- Caput Nili. Eine empfindsame Reise zu den Quellen des Nils. Reimer, Berlin 1904 (archive.org); 3. Auflage 1914 (archive.org, archive.org); 6. Auflage 1921
- Meine Seele klingt. Nachgelassene Gedichte aus dem Kriege. [Hrsg. v. Franz Stuhlmann.] Reimer, Berlin 1918 (Digitalisat).
Literatur
- Reinhart Bindseil: Ruanda und Deutschland seit den Tagen Richard Kandts. Reimer, Berlin 1988, ISBN 3-496-00983-7.
- Reinhart Bindseil: Richard Kandt und die indirekte Kolonialherrschaft in Ruanda. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast, Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2.
- Reinhart Bindseil: Ruanda im Lebensbild des Afrikaforschers, Literaten und Kaiserlichen Residenten Richard Kandt; dreisprachig: Deutsch, Französisch, Englisch. Selbstverlag der Geographischen Gesellschaft der Universität Trier in Zusammenarbeit Ruanda Komitee Trier, Trier 2008, ISBN 3-921599-57-1.
- Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 3: I–L. Winter, Heidelberg 1999, ISBN 3-8253-0865-0, S. 62–63.
Weblinks
Einzelnachweise
- Magnus Hirschfeld: Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hrsg. von Manfred Herzer und James Steakley. Westberlin 1986, S. 156–161.
- Koenigliches Domgymnasium … zu Colberg 1888. Schulnachrichten über das Jahr 1887/8. Colberg 1888, S. 19.
- Magnus Hirschfeld: Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897–1922. Hrsg. von M. Herzer und J. Steakley. Westberlin 1986, S. 159.
- Innocent Kabagema: Ruanda unter deutscher Kolonialherrschaft 1899-1916. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1993, S. 114, 117–119.
- Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 28. August 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Innocent Kabagema: Ruanda unter deutscher Kolonialherrschaft 1899-1916. Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1993, S. 118 f.
- Deutsches Kolonialblatt. Nr. 9/10, 15. Mai 1918.
- N. Bossong: Schutzzone. Berlin 2019. S. 115f.