Quaestur
Die Quaestur (eingedeutscht Quästur) war das niedrigste Amt der senatorischen Ämterlaufbahn (cursus honorum) der römischen Republik. Quästoren wurden (bis zum Beginn der Kaiserzeit) vom Volk auf ein Jahr gewählt.
Antike
Die Entstehung der Quästur ist streitig und beruht auf reinen Spekulationen. Manche schrieben sie bereits der Königszeit zu,[1] weil Romulus und Numa beziehungsweise Tullus Hostilius Quästoren als Gehilfen beschäftigt hätten, andere verweisen auf die Zuordnung erstmals zu den Konsuln.[2] Jedenfalls sind sie in den XII Tafeln bereits erwähnt.[3][4] Die Gehilfenfunktion existierte noch in der hohen Kaiserzeit, als jeder Konsul über zwei quaestores consulis verfügte. Mit der Zeit wurde der Aufgabenbereich der Quästoren erweitert, und neben der Tätigkeit als Untersuchungsrichter[5][6] waren sie auch mit der Verwaltung der Staatskasse betraut, der Eintreibung von Steuern und Pachten und der Betreuung des Staatsarchives. Während der Kaiserzeit waren die Quästoren auch für die Ausrichtung der Gladiatorenspiele verantwortlich. Analog zu den quaestores consulis gab es in dieser Zeit auch jeweils zwei quaestores Augusti, die im Senat Reden des Kaisers verlasen.
Mit der Ausweitung der Pflichten eines Quästors wurde auch deren Zahl vergrößert. Diese bestanden in der Verwaltung der Kriegskasse, der Verwertung der Beute im Interesse des Ärars und der Soldzahlungen an die Soldaten sowie die Rechnungsführung zu diesen Vorgängen. Waren es anfangs nur zwei, so betrug ihre Zahl seit 421 v. Chr. vier, von denen zwei den Konsuln zugewiesen waren und zwei in Rom verblieben (quaestores urbani).[7] Es gab auch Quästoren, die ins Feld geschickt wurden, betraut mit der Aufgabe die Kriegskasse zu verwalten. Die per Senatsbeschluss zugestandenen finanziellen Mittel wurden nicht dem Feldherrn, sondern den weisungsgebundenen Verwaltern ausgehändigt, dies unter Auflage ordnungsgemäßer Rechnungslegung. Feldquästoren verantworteten auch das Zeugwesen, was auch die Zuteilung von Beuteausrüstung umfasste.[8] Gegebenenfalls war die Requisition bei den untertänigen Gemeinden geboten.[9] Seine Tätigkeit glich zunehmend der des in militärischen Belangen eingesetzten Legaten.
Nach nicht unumstrittener Auffassung Mommsens[10] soll seit 267 v. Chr. die Zahl unmittelbar um vier weitere Quästoren für das Flottenwesen aufgestockt worden sein. Später, so mutmaßt Wolfgang Kunkel, sind noch weitere Quästoren hinzugekommen, sodass es zehn bis zwölf waren. Seit der Einrichtung verschiedener Provinzen wurde je ein Quästor dem Statthalter zugewiesen, so dass ihre Gesamtzahl noch weiter erhöht wurde. Sulla setzte sie für administrative Zwecke auf 20 fest, Caesar verdoppelte ihre Zahl auf 40 (Helferbelohnung).[11] Augustus reduzierte die Zahl der Quästoren wieder auf 20.[10]
Das Mindestalter für die Bekleidung der Quästur war seit Sulla auf 30 Jahre festgesetzt, Augustus senkte es auf 25. Die Quästur war Voraussetzung für die Bekleidung des Amtes als kurulischer Ädil (meist durch Patrizier), plebejischer Ädil (nur Plebejer) oder als Volkstribun (nur Plebejer). Nach der Bekleidung der Quästur wurde man seit Sulla normalerweise in den Senat aufgenommen.
Während der Kaiserzeit verlor das Amt rasch an Bedeutung und verschwand schließlich. In der Spätantike gab es dann das wohl von Konstantin dem Großen eingeführte Amt des quaestor sacri palatii. Dieser war eine Art „Justizminister“ des Kaisers und hatte mit dem republikanischen Quästor nicht mehr viel gemein.
Quästoren gab es als städtische Amtsträger auch in vielen Provinzstädten des römischen Reichs.
Neuzeit
Bis ins 20. Jahrhundert wurde die Finanzabteilung deutscher Universitäten als Quästur bezeichnet. Ihr Leiter war der Quästor. In Österreich, der Schweiz und teils auch in früher zu Österreich-Ungarn gehörigen Ländern, zum Beispiel Tschechien und der Slowakei als kvestor, hat sich diese Amtsbezeichnung bis in die Gegenwart erhalten. In Österreich ist diese Bezeichnung an Universitäten gesetzlich vorgeschrieben.
Im Europäischen Parlament werden ebenfalls Quästoren gewählt, die dem Präsidium angehören und eine beratende Funktion ausüben. Sie sind gemäß den vom Präsidium erlassenen Leitlinien mit Verwaltungs- und Finanzaufgaben betraut, die die Mitglieder direkt betreffen.[12]
In Italien wird heute noch das Polizeipräsidium als questura (Quästur) bezeichnet. Geleitet wird es von einem questore (Quästor).
Literatur
- William V. Harris: The Development of the Quaestorship, 267–81 B. C. CQ 70, 1976, S. 92–106.
- Francisco Pina Polo, Alejandro Díaz Fernández: The quaestorship in the Roman Republic (= Klio. Beihefte, 31). De Gruyter, Berlin, Boston 2019.
- F. Sobeck: Die Quästoren der römischen Republik. Dissertation an der Universität Breslau, 1909.
- Gunter Wesener: Quaestor. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 4, Stuttgart 1972, Sp. 1289–1291.
- Gunter Wesener: quaestor. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XXIV, Stuttgart 1963, Sp. 801–827.
Weblinks
- Jona Lendering: Quaestor. In: Livius.org (englisch)
- Fünf Quästoren des Europäischen Parlaments gewählt, Pressemitteilung vom 2. Juli 2014, abgerufen am 27. Juni 2017.
Einzelnachweise
- Ulpian, Digesten 1,13,1 pr.; Tacitus, Annales 11,22,4.
- Plutarch, Poplicola 12,3.
- Funktional als Untersuchungsrichter für Mordfälle (quaestores parricidii); vgl. Sextus Pomponius, Digesten 1,2,2,23.
- Wolfgang Kunkel mit Roland Wittmann: Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. Zweiter Abschnitt. Die Magistratur. München 1995, ISBN 3-406-33827-5 (von Wittmann vervollständigte Ausgabe des von Kunkel unvollendet nachgelassenen Werkes). S. 510–531 (510 f.).
- Titus Livius, Ab urbe condita 2,41,11.
- Dionysios von Halikarnassos 8,77 ff.
- Titus Livius, Ab urbe condita 4,43,3 ff; Tacitus, Annales 11,22,4.
- Titus Livius, Ab urbe condita 26,46,5 ff.
- Cicero, Reden gegen Verres 2,1,95.
- Theodor Mommsen: Römisches Staatsrecht, Bd. II, S. 527 f., 572.
- Cassius Dio 43,47,2.
- Wahl der fünf Quästoren auf europarl.de, Nachricht vom 15. Juli 2009, gesehen 17. Dezember 2010.