Ädil
Die Ädilen (lateinisch: aediles, Singular aedilis, von aedes, dt. Tempel) bekleideten ein niederes Amt der Ämterlaufbahn (cursus honorum) der römischen Republik. Sie wurden jeweils auf ein Jahr gewählt. Ihren Namen haben die Ädilen von ihrer ursprünglichen Funktion als Tempelhüter des Cerestempels (lat. aedis Cereris) am Fuß des Aventin, in dem sich dann unter anderem das Staatsarchiv für Volks- und Senatsbeschlüsse befand.[1] Theodor Mommsen mutmaßte in Anlehnung an eine dahin interpretierte Quelle Livius’ noch, die Ädilen hätten die Aufsicht über die Baufronden geführt.[2]
In der Hauptstadt Rom
Seit 495/494 v. Chr. gab es zwei plebejische Ädile (aediles plebei), die die Polizeigewalt in der Stadt Rom innehatten.[3] Die Vermutung liegt nahe, dass das Amt ein Resultat der stattgehabten Ständekämpfe war, denn die Ädile assistierten gewissermaßen den Volkstribunen und leiteten ihre Amtsgewalt aus deren sakrosankter Rechtsstellung ab. Möglicherweise waren auch sie selbst sakrosankt (lat. sacrosanctitas: etwa „Unantastbarkeit, Unverletzlichkeit“).[4]
Seit 367/366 v. Chr. wurden ihnen zwei kurulische Ädilen beigestellt (aediles curules), die abwechselnd von den Patriziern und den Plebejern gestellt wurden.[5] Diese waren insbesondere für die großen Spiele verantwortlich und führten die Aufsicht über die Tempel. Der jährliche Amtsbeginn der Ädile fiel mit dem der Konsuln und Prätoren zusammen. Wie alle römischen Beamten wurden die Ädile für ein Jahr gewählt, jedoch nicht in einer Versammlung, sondern die plebejischen Ädile im concilium plebis, die kurulischen in den Tributskomitien.[6] Im Weiteren galten für das Amt die Prinzipien aller römischen Magistrate: Iteration (wiederholte Übernahme desselben Amtes), Kontinuation (direkter Übergang in ein höheres Amt) und Kumulation (Ämterhäufung) waren verboten.
Alle vier Ädilen hatten grundsätzlich die Aufsicht über öffentliche Gebäude, die Thermen, die Bordelle[7], die Aquädukte, die Straßen, den Verkehr, das Bauwesen und die Märkte und übten die Marktgerichtsbarkeit aus, d. h., sie führten die Aufsicht über Preise, Maße und Gewichte der Waren, die auf dem Marktplatz verkauft wurden. Im Rahmen dieses Aufgabenbereichs schufen sie die Rechtsinstitute Wandlung (actio redhibitoria) und Minderung (actio quanti minoris), die deshalb „ädilizische Rechtsbehelfe“ genannt werden. Zu den Aufgaben der kurulischen Ädile gehörte der Ankauf von Getreide und dessen Verkauf in Rom beziehungsweise die Verteilung an Bedürftige; die plebejischen Ädile führten die Aufsicht über die plebejischen Tempel. Die Ausrichtung von Gladiatorenspielen mussten die Ädilen auf eigene Kosten übernehmen, was ein großes Vermögen erforderte, andererseits aber auch die nötige Popularität einbrachte, um im Rahmen der Ämterlaufbahn später in höhere Ämter gewählt zu werden. Über die Strafgewalt der Ädile ist wenig bekannt, es kann aber davon ausgegangen werden, dass sie als nachgeordnete Magistrate zumindest ordnungspolitische Aufgaben hatten.[8] Das Mindestalter für die Bewerbung um ein Ädilamt betrug in der späten Republik 37 Jahre.
Unter Gaius Iulius Caesar wurde die Zahl der Ädilen auf sechs erhöht, wobei die beiden neugeschaffenen Ämter, die sogenannten aediles cereales, hauptsächlich für die Versorgung der Bevölkerung mit billigem oder gar kostenlosem Getreide zuständig waren. Spätestens seit dieser Zeit gab es zwischen den Ädilen keine Unterschiede im Status oder im Rang mehr, sie waren ein Kollegium im Dienst der Stadt.[9]
Das Ädilenamt bestand auch in der römischen Kaiserzeit als Teil des cursus honorum fort, hatte aber keine politische Bedeutung mehr.
In den Kolonien
Nach stadtrömischem Muster gab es in den römischen Kolonien jeweils zwei duoviri aediles. Sie wurden vom Stadtrat (ordo decurionum) aus den frei geborenen römischen Bürgern gewählt. Ihre Kompetenzen sind mit denen der stadtrömischen Ädilen vergleichbar.
Literatur
- Wilhelm Kubitschek: Aedilis. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,1, Stuttgart 1893, Sp. 448–464.
- Maximilian Becker: „Suntoque aediles curatores urbis...“. Die Entwicklung der stadtrömischen Aedilität in republikanischer Zeit (= Frankfurter historische Abhandlungen. Band 50). Franz Steiner, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-515-11880-4.
- Jochen Bleicken: Die Verfassung der römischen Republik. 5. Auflage. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-49665-4 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 2).
- Werner Dahlheim: Die griechisch-römische Antike. Band 2: Stadt und Imperium. Die Geschichte Roms und seines Weltreiches. 2. durchgesehene und aktualisierte Auflage. Schöningh, München 1994, ISBN 3-8252-1647-0 (UTB 1647).
- G. Dignös: Die Stellung der Ädilen im römischen Strafrecht. Dissertation an der Universität München, 1966.
- Max Kaser: Die Jurisdiktion der kurulischen Ädilen, in: Mélanges Philippe Meylan I, Lausanne 1963. S. 173–191.
- Wolfgang Kunkel mit Roland Wittmann: Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik. Zweiter Abschnitt. Die Magistratur. München 1995, ISBN 3-406-33827-5 (von Wittmann vervollständigte Ausgabe des von Kunkel unvollendet nachgelassenen Werkes). S. 472–509.
- Andrew W. Lintott: The Constitution of the Roman Republic. Clarendon Press, Oxford u. a. 1999, ISBN 0-19-815068-7.
Weblinks
- Jona Lendering: Aedile. In: Livius.org (englisch)
Einzelnachweise
- Livius 3,55,13.
- Theodor Mommsen: Römisches Staatsrecht, Bd. II, S. 470 ff.; in Anlehnung an die wohl missverstandene Quelle: Livius 6,4,6.
- Dionysios von Halikarnassos 6,90.
- Andrew Lintott: The Constitution of the Roman Republic, S. 129.
- Das Amt war nicht ursprünglich patrizisch; vgl. Livius 7,1,6 und Livius 7,2,4.
- Andrew Lintott: The Constitution of the Roman Republic, S. 130.
- Julius Rosenbaum: Geschichte der Lustseuche im Altertume nebst ausführlichen Untersuchungen über den Venus- und Phalluskultus, Bordelle, Νούσος ϑήλεια der Skythen, Paederastie und andere geschlechtliche Ausschweifungen der Alten als Beiträge zur richtigen Erklärung ihrer Schriften dargestellt. 7. Auflage, H. Barsdorf, Berlin 1904, S. 107 f.
- Andrew Lintott: The Constitution of the Roman Republic, S. 130; Dahlheim, Die griechisch-römische Antike. Band 2: Stadt und Imperium. Die Geschichte Roms und seines Weltreiches. S. 61
- Andrew Lintott: The Constitution of the Roman Republic, S. 133.