Paul Wolfowitz
Paul Dundes Wolfowitz (* 22. Dezember 1943 in Brooklyn, New York City) ist ein amerikanischer Politiker (Republikanische Partei). Von 2005 bis 2007 war er Präsident der Weltbank. Zuvor fungierte er als politischer Berater von George W. Bush sowie als stellvertretender Verteidigungsminister (Deputy Secretary of Defense) unter Minister Donald Rumsfeld.
Herkunft und Ausbildung
Sein Vater war der Mathematiker Jacob Wolfowitz, ein polnischer Jude, der 1920 nach Amerika emigriert war. Seine Mutter war Lillian Dundes. Mehrere Verwandte seines Vaters in Polen wurden im Holocaust umgebracht.
Intellektuell von Leo Strauss, Allan Bloom und seinem Doktorvater Albert Wohlstetter beeinflusst, gilt Wolfowitz als Neokonservativer, der sich vehement für die Unterstützung Israels und eine starke Militärpräsenz zur Sicherung von US-Interessen weltweit einsetzt. Das Studium der Mathematik und Chemie schloss er 1965 an der Cornell University als Bachelor ab. An der University of Chicago studierte er Politikwissenschaft und promovierte 1972.
Karriere in Politik und Wissenschaft
Wolfowitz’ Karriere in Politik und Lehre reicht weit zurück, wobei er immer wieder zwischen beiden Feldern wechselte. Bereits 1966/67 war er Regierungsangestellter. Von 1970 bis 1973 lehrte er in Yale. In dieser Zeit stand er den Social Democrats USA (SDUSA) nahe, die aus dem rechten Flügel der Socialist Party of America (SPA) hervorgegangen waren; später war er Mitglied der Demokratischen Partei, ehe er sich den Republikanern anschloss. Vier Jahre – von 1973 bis 1977 – diente er in der Arms Control and Disarmament Agency, wo er an Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion mitwirkte und sich mit Fragen der Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen beschäftigte. Dies war auch Gegenstand seiner Dissertation „Nukleare Proliferation im Nahen Osten: Politik und Wirtschaft der nuklearen Wasserentsalzung“ in Chicago. In seiner Dissertation setzte sich Wolfowitz nachdrücklich gegen Kernwaffen unter israelischer Kontrolle ein, weil die arabischen Staaten ebenfalls atomar aufzurüsten versuchen würden. Von 1977 bis 1980 war Wolfowitz „Deputy Assistant Secretary of Defense for Regional Programs“ und wirkte an der Schaffung jener Einrichtung mit, aus der später das United States Central Command (US-Zentralkommando) entstand. Zudem initiierte Wolfowitz das strategische Programm zur globalen Dislozierung von Marinestreitkräften, offizieller Darstellung zufolge zwölf Jahre später das „Rückgrat“ der „Operation Desert Shield“ (s. Zweiter Golfkrieg). Zwischen 1981 und 1982 fungierte er als Director of Policy Planning im Außenministerium. Danach war er von 1982 bis 1986 als Nachfolger von Richard Holbrooke Staatssekretär für Ostasien- und Pazifik-Angelegenheiten (Assistant Secretary of State for East Asian and Pacific Affairs) im Außenministerium sowie von 1989 bis 1993 Staatssekretär für politische Fragen im Verteidigungsministerium.
1986 wurde der Wissenschaftler, der bereits für Nixon und unter Jimmy Carter im Pentagon tätig war, unter Präsident Ronald Reagan als Nachfolger von John H. Holdridge zum US-Botschafter in Jakarta (Indonesien) berufen. Dort lernte Wolfowitz Indonesisch. Damals befand sich Osttimor im blutigen Unabhängigkeitskampf gegen den indonesischen Diktator Suharto, dessen Truppen Osttimor okkupiert hielten. Wolfowitz setzte sich zugunsten Suhartos ein. Später setzte sich Wolfowitz vehement dafür ein, so genannte Schurkenstaaten zu bekämpfen – wenn nötig, auch militärisch.
Im März 1992, nach dem Zweiten Golfkrieg, entwarf Wolfowitz, damals Staatssekretär unter George Bush, eine Neufassung der globalen US-Militärstrategie. In seinem Entwurf argumentierte er, die USA könnten zu Präventivschlägen (pre-emptive strikes) gezwungen sein, um den Einsatz oder die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen durch feindliche Staaten zu verhindern. Verantwortlich für diese Neufassung zeichnete offiziell der seinerzeitige Verteidigungsminister Dick Cheney – verfasst wurde sie jedoch von Wolfowitz und seinem Assistenten Lewis Libby.
In den 1990er-Jahren leitete der Politikwissenschaftler als Dekan die Paul H. Nitze School of Advanced International Studies in Washington, eine Einrichtung der Johns Hopkins University mit Hauptsitz in Baltimore. Sie hat sich auf Fragen der internationalen Beziehungen (International Relations) spezialisiert. 1993 war Wolfowitz zudem „George F. Kennan Professor für Nationale Sicherheitsstrategie“ am National War College.
Zu seinen Kernthemen hat Wolfowitz eine Fülle von Publikationen veröffentlicht. Er ist Träger zahlreicher Orden und Auszeichnungen.
Am 26. Januar 1998 schrieben Paul Wolfowitz, Richard Perle, Donald Rumsfeld, Richard Armitage und vierzehn weitere Unterzeichner einen Brief an Präsident Bill Clinton, in dem ein gewaltsamer Regimewechsel im Irak und eine offensivere Politik im Nahen Osten gefordert wurde. Dieses Schreiben wurde von dem von William Kristol begründeten Project for the New American Century (PNAC) unterstützt.[1]
Wolfowitz ist Co-Autor der im September 2000 erschienenen Schrift Rebuilding America's Defenses, in welcher die Anwendung von rassenspezifischen biologischen Waffen als nützliches politisches Werkzeug bezeichnet wird.
Im Februar 2001 wurde Wolfowitz stellvertretender Verteidigungsminister in der Regierung George W. Bush, sein drittes Engagement im Pentagon.
Weltbank
Am 31. März 2005 wurde Wolfowitz vom Exekutivrat der Weltbank, in dem die 184 Mitgliedsländer durch 24 Direktoren vertreten sind, einstimmig zu deren Präsident gewählt. Es gab keinen Gegenkandidaten. Er war der Wunschkandidat von George W. Bush, was seit längerer Zeit bekannt war, aber erst Anfang März 2005 wurde er offiziell nominiert. Wolfowitz folgte James Wolfensohn nach, dessen zehnjährige Amtszeit am 1. Juni 2005 endete.
Kritik
Irakkrieg
Der Islamwissenschaftler Michael Lüders wirft Wolfowitz Inkompetenz bei der Entscheidung vor, ohne Konzept für die weitere Entwicklung die Baath-Partei nach dem gewonnenen Irakkrieg aufzulösen. Lüders sieht in dieser Entscheidung Wolfowitz’ die Ursache für die Entstehung des Islamischen Staates in Irak und Syrien.[2][3]
Direktor der Weltbank
Traditionell nominieren die USA – größter Anteilseigner des Instituts – den Präsidenten der Weltbank, während der geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Regel von den Europäern gestellt wird.
Die Nominierung von Paul Wolfowitz stieß insbesondere in Europa, allerdings auch in den USA selbst auf erhebliche Skepsis. Es wurde befürchtet, Wolfowitz könne die Weltbank im Sinne amerikanischer Interessen und zu Lasten der ärmeren Länder führen. Zudem könne Wolfowitz kaum Erfahrung auf dem Gebiet der internationalen Entwicklungspolitik vorweisen. Wolfowitz gelang es jedoch im Vorfeld, die Bedenken zu zerstreuen, indem er in Brüssel europäischen Entwicklungspolitikern seine Programmatik erläuterte – ein Novum in der Geschichte des Instituts. Er betonte, keine eigene politische Agenda zu verfolgen und die Weltbank im Sinne aller Mitglieder führen zu wollen.
Beförderungsaffäre
In einer Affäre um die fragwürdige Begünstigung seiner Lebensgefährtin, der arabischen Frauenrechtlerin[4] Shaha Ali Riza, der er als ihr Vorgesetzter bei der Weltbank 2005 eine Beförderung sowie eine beträchtliche Gehaltserhöhung verschafft hatte, gestand Wolfowitz im April 2007 ein, „einen Fehler gemacht“ zu haben.[5] Aufgrund massiver Kritik wegen Günstlingswirtschaft trat er zum 30. Juni 2007 von seinem Amt zurück.[6] Sein Nachfolger wurde Robert Zoellick.
Gegenwärtige Tätigkeit
Wolfowitz ist Gastwissenschaftler am American Enterprise Institute (AEI) sowie seit 2008 zuständig für die wirtschaftlichen Beziehungen der USA mit Taiwan.[7]
Literatur
- Watanabe Koji, Bill Emmott, Paul Wolfowitz (Hrsg.): Managing the International System Over the Next Ten Years. Report to the Trilateral Commission. The Brookings Institution, Newe York, NY 1997, ISBN 0-930503-76-7.
- Hans Leyendecker: Die Lügen des Weißen Hauses. Warum Amerika einen Neuanfang braucht. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-498-03920-2.
- James Mann: Rise of the Vulcans. The History of Bush's War Cabinet. Viking Books, New York, NY 2004, ISBN 0-670-03299-9.
- Adam Curtis: The Power of Nightmares, BBC, London 2004.
Weblinks
- Paul Wolfowitz in der Notable Names Database (englisch)
- Bernd W. Kubbig, Wolfowitz’ Welt verstehen. Entwicklung und Profil eines „demokratischen Realisten“ (HSFK-Report 7/2004, Frankfurt/M.; PDF; 290 kB)
- Siegfried Buschschlüter, Wolfowitz wird neuer Weltbankchef – „Ewiger Protegé“ zwischen Gut und Böse (tagesschau.de-Archiv) (Tagesschau.de, 31. März 2005)
- Michael Streck und Jan Christoph Wiechmann: Paul Wolfowitz – Der Überzeugungstäter (Stern, 18. Oktober 2004)
- „Ich bin ein guter Zuhörer“ – US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz über seine Nominierung zum künftigen Chef der Weltbank (Die Welt, 19. März 2005)
- Charlie Cray and Jim Vallette, Dancing with the Wolf – What did Wolfowitz know with regard to Halliburton's inside advantage in gaining Iraq contracts, and when did he know it? (AlterNet, 2. April 2005, englisch)
- The Wolfowitz Chronology (Memento vom 9. Januar 2008 im Internet Archive) – An examination of the presumptive World Bank President’s works on oil, national security, development, corruption, human rights, and debt (englisch)
- Tim Shorrock, Paul Wolfowitz, Reagan's Man in Indonesia, Is Back at the Pentagon (Memento vom 3. September 2009 im Internet Archive) – Eine Analyse des liberalen US-Think-Tanks 'Foreign Policy In Focus' zu Wolfowitz Tätigkeit in Indonesien, Februar 2001 (englisch)
Quellen
- newamericancentury.org (Memento vom 9. September 2008 im Internet Archive)
- Michael Lüders: „Wer Wind sät... Was westliche Politik im Orient anrichtet“, 2015 erschienen im Verlag C.H.Beck
- Michael Lüders: Wer Wind sät... Was westliche Politik im Orient anrichtet, Video der tele-akademie eines Vortrags im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg.
- Süddeutsche Zeitung: Tohuwabohu nach einem Techtelmechtel 10. April 2007
- Spiegel Online: Korruption - Wolfowitz verliert jeden Rückhalt 12. April 2007
- Spiegel Online: Weltbank-Präsident Wolfowitz tritt zurück 18. Mai 2007
- Paul Wolfowitz – Visiting Scholar (Memento vom 27. Oktober 2011 im Internet Archive)