Paul Sacher
Paul Sacher (geboren am 28. April 1906 in Basel; gestorben am 26. Mai 1999 ebenda) war ein Schweizer Dirigent und Mäzen. Sacher galt im Jahr 1996 mit einem Privatvermögen von ca. 13 Milliarden Franken als reichster Schweizer und drittreichster Mann der Welt.[1]
Biografie
Sacher stammte aus kleinen Basler Verhältnissen, leitete auf dem Gymnasium bereits ein Schülerorchester, studierte Musikwissenschaft bei Karl Nef und Dirigieren bei Felix Weingartner und tat sich schon in dieser Zeit (1926[2]) als Gründer des Basler Kammerorchesters (BKO) und der Ortsgruppe Basel der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) hervor.[3] Sacher galt bei seinem Tod als der reichste Mann der Schweiz.[4][5]
Familie
Sacher heiratete 1934 die Bildhauerin und Kunstsammlerin Maja Hoffmann-Stehlin, die Witwe von Emanuel Hoffmann, Sohn von Fritz Hoffmann-La Roche, Gründer des gleichnamigen Pharma-Unternehmens Hoffmann-La Roche. Sacher konnte der Familie die verlorene Aktienmehrheit sichern und stand für 60 Jahre an der Spitze des Unternehmens. Das Privatvermögen der Familiengruppe wurde auf 37 Milliarden Schweizer Franken geschätzt, sein persönliches Vermögen auf 13 Milliarden Franken.[1] Sacher hatte drei Kinder, Cornelia und Katharina Gräfin von Faber-Castell sowie Georg Schmid.[6][7]
Musik
Seine Mittel erlaubten ihm, dessen Hauptinteresse der Musik galt,[8] bedeutende, oft auch befreundete Komponisten wie Béla Bartók, Igor Strawinsky, Anton Webern und Alfredo Casella mit Kompositionsaufträgen zu unterstützen; dadurch förderte er die Musik des 20. Jahrhunderts. Die Komponisten der Wiener Schule Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg hat er allerdings nie mit Kompositionsaufträgen bedacht. Die von ihm gegründete Paul-Sacher-Stiftung betreut heute den Nachlass von mehreren Dutzend Komponisten, darunter Igor Strawinsky und Anton Webern. Sacher leitete als Dirigent auch Uraufführungen der von ihm geförderten Werke, so 1937 Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, 1939 dessen Divertimento für Streichorchester, 1940 Ernst Kreneks Symphonisches Stück für Streichorchester, 1947 Strawinskys Concerto en Ré, 1958 Hans Werner Henzes Sonata per archi. Bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days) wirkte er 1938 in London und 1970 in Basel als Dirigent, 1970 zudem als Juror.[9][10] Insgesamt hat Sacher mehr als 250 Kompositionsaufträge vergeben. Andere Auftragnehmer waren Conrad Beck, Harrison Birtwistle, Boris Blacher, Willy Burkhard, Elliott Carter, Alfredo Casella, Henri Dutilleux, Wolfgang Fortner, Alberto Ginastera, Cristóbal Halffter, Paul Hindemith, Heinz Holliger, Arthur Honegger (für seine 2. Sinfonie sowie seine 4. Sinfonie), Jacques Ibert, Witold Lutosławski, Gian Francesco Malipiero, Frank Martin u. a. für seine Petite Symphonie concertante (1946), Bohuslav Martinů, Peter Mieg, Norbert Moret, Wolfgang Rihm, Rolf Urs Ringger, Michael Tippett, Sándor Veress, Wladimir Vogel, Jürg Wyttenbach und weitere.[11][12] Zu der spätromantischen Musik von Richard Strauss hatte Sacher keine Affinität, gleichwohl hat er, um ihm in seiner wirtschaftlichen und finanziellen Not nach dem deutschen Zusammenbruch zu helfen, ihm den Auftrag für die Metamorphosen für 23 Solostreicher erteilt, die am 25. Januar 1946 mit dem Collegium Musicum Zürich uraufgeführt wurden.[13]
1933 gründete Paul Sacher die Schola Cantorum Basiliensis. 1941 folgte die Gründung des Collegium Musicum Zürich (CMZ). Von 1935 bis 1955 war er Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Neue Musik (SGNM).[14] 1972 erhielt Sacher den Kunstpreis der Stadt Basel, 1997 die Ehrendoktorwürde der Musikakademie Krakau und die Maecenas-Ehrung des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute e. V. (AsKI) in Deutschland. 1986 stellte er die Mitfinanzierung des Basler Kammerorchesters ein, das in der Folge aufgelöst wurde.
Explizite Würdigung findet seine systematische Förderung moderner Musik auch in den letzten Kapiteln des Romans Doktor Faustus von Thomas Mann, anlässlich eines Auftretens des Romanhelden Adrian Leverkühn (der Züge Mahlers und Schönbergs in sich vereint) in der Schweiz.
Der Roman Der Geliebte der Mutter des Schweizer Schriftstellers Urs Widmer wird auch als Schlüsselroman vor dem Hintergrund von Paul Sachers Leben gelesen.[15]
Sacher lebte hoch über Pratteln in einem von Maja Sacher-Hoffmann-Stehlin entworfenen Haus (Hofgut Schönenberg) bei Frenkendorf.[16]
Die in Basel ansässige Paul-Sacher-Stiftung archiviert und finanziert die musikwissenschaftliche Erschliessung von zeitgenössischen Komponisten-Nachlässen mit eigenen Publikationen und Forschungsprojekten, neben dem von Sacher selbst zum Beispiel den des Mexikaners Conlon Nancarrow.[17]
Als Würdigung für seine Verdienste um die Musik des 20. Jahrhunderts wurde Paul Sacher 1971 zum Ehrenmitglied der International Society for Contemporary Music ISCM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik) gewählt.
Literatur
- Ingrid Bigler-Marschall: Paul Sacher. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 3, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1549 f.
- Jürg Erni: Paul Sacher – Musiker und Mäzen. Schwabe, Basel 1999, ISBN 3-7965-1096-5.
- Christoph Keller: Die verhinderte Festschrift: Paul Sacher zum 80. Geburtstag. In: Magma. 7/8, 1986.
- Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. ecomed, Landsberg am Lech 2000, ISBN 3-609-20149-5, S. 147 f.
- Ulrich Mosch (Hrsg.): Paul Sacher – Facetten einer Musikerpersönlichkeit. Paul Sacher Stiftung, Basel 2006, ISBN 3-7957-0454-5.
- Lesley Stephenson: Symphonie der Träume – Das Leben von Paul Sacher. Rüffer & Rub, Zürich 2001, ISBN 978-3-907625-00-2.
- Heidy Zimmermann: Sacher, Paul Oswald. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 324 f. (Digitalisat).
- Peter Hagmann: Kultur, Mäzene und Politik. Paul Sacher. Zum Tod des grossen Mäzens. In: Basler Stadtbuch 1999, S. 119-123.
Weblinks
- Literatur von und über Paul Sacher im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Regula Puskás: Sacher, Paul. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Tondokumente von und über Paul Sacher im Katalog der Schweizerischen Nationalphonothek
- Biografie von Paul Sacher auf der Website der Paul-Sacher-Stiftung
Einzelnachweise
- Jürgen Schönstein: 14 Millionen Dollar als Tageslohn. In: Die Welt. 2. Juli 1996, abgerufen am 13. Januar 2020.
- Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. 2000, S. 147.
- Ein Briefwechsel mit dem deutschen Musikpädagogen Hilmar Höckner, verwahrt im Archiv der deutschen Jugendbewegung (Burg Ludwigstein, Witzenhausen), beleuchtet die frühe Dirigiertätigkeit Paul Sachers mit zwei Basler Schülerorchestern (bes. 1927).
- Gerd Löhrer: Die Hitparade der Reichen. In: TagesWoche. 1. Dezember 2011, abgerufen am 13. Januar 2020.
- Manuel Brug: Paul Sachers Notenschatz im Baseler Haus «Auf Burg». In: Die Welt. 26. September 2001, abgerufen am 13. Januar 2020.
- Über Paul Sacher, diesen Animator der Musikwelt. In: Die Welt. 19. Mai 2001, abgerufen am 13. Januar 2020.
- André Hoffmann-Roche. In: Handelszeitung. 31. Dezember 1999, abgerufen am 13. Januar 2020.
- Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. 2000, S. 147 f.
- Programme der ISCM World Music Days von 1922 bis heute
- Anton Haefeli: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart. Zürich 1982, S. 480ff
- List of Sacher commissions. In: All the conducting masterclasses. 22. Juni 2011.
- Siehe auch das Verzeichnis der im Auftrag Paul Sachers komponierten Werke bei Mosch, S. 251–262.
- Beim Künstler steht immer die Arbeit im Vordergrund, Paul Sacher im Gespräch mit Ferenc Bónis. 17. November 1995, Mosch, S. 65 und S. 264.
- Zur Geschichte der SGNM. iscm-switzerland.ch
- Rezensionen zu Der Geliebte der Mutter bei culturactif.ch
- Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. 2000, S. 147.
- Nachlässe von rund hundert Komponisten, paul-sacher-stiftung.ch, abgerufen 23. Februar 2020