Mark Rutte
Mark Rutte [mɑrk ˈrʏtə] (* 14. Februar 1967 in Den Haag) ist ein niederländischer Politiker und seit dem 14. Oktober 2010 Ministerpräsident der Niederlande (Kabinette Rutte I, II, III und IV). Seit 2006 ist er politischer Führer der bürgerlich-liberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD). Von 2006 bis 2010 war er deren Fraktionsvorsitzender im nationalen Parlament.
Leben
Der aus einer christlichen Familie stammende Rutte studierte an der Universität Leiden Geschichte und arbeitete nach dem Studium bei Unilever. Er ist ledig[1] und gehört der Protestantischen Kirche in den Niederlanden an.
Politik
Von 1988 bis 1991 war Mark Rutte Vorsitzender der liberalen Jugendorganisation JOVD und von 1993 bis 1997 Vorstandsmitglied der Partei. 2002 wurde er Staatssekretär für Arbeit und Soziales und 2004 für Bildung.
2006 wurde er Fraktionsvorsitzender der VVD. Sein Nachfolger wurde im Oktober 2010 Stef Blok.
Machtkampf um die Führung der VVD
Nachdem bei der VVD die Position des politischen Führers frei geworden war, bewarb sich der als gemäßigt und eher sozialliberal angesehene Rutte am 8. März 2006 dafür. Seine Gegenkandidatin war Rita Verdonk, die für eine harte Position bei den Themen Immigration und Kriminalität stand. 51,5 Prozent der Parteimitglieder entschieden sich am 31. Mai 2006 für Rutte, der VVD-Spitzenkandidat und am 29. Juni 2006 Fraktionsvorsitzender wurde.
Bei den Kammerwahlen Ende 2006 erhielt Verdonk deutlich mehr Stimmen als Rutte, was ihm einen gehörigen Ansehensverlust bescherte. (In den Niederlanden wählt man einen einzelnen Kandidaten und damit gleichzeitig die Partei.) Ein solcher Stimmenerfolg ist für die Nummer zwei einer Wahlliste sehr ungewöhnlich. Verdonk wurde allerdings schon 2007 wegen provokanter Äußerungen aus der Fraktion ausgeschlossen. Sie verließ die Partei und gründete Trots op Nederland.
Ministerpräsident
Umfrageergebnissen vom Mai 2010 zufolge war die VVD unter Rutte stärkste Partei –, mit 31 (von 150 Sitzen) noch vor der sozialdemokratischen PvdA. Der Zugewinn für die Liberalen wurde vor allem mit dem Niedergang der Christdemokraten erklärt (nur noch 21 Sitze in der Umfrage). Rutte galt als ernsthafter Anwärter auf das Amt des Ministerpräsidenten, aber auch die EU-Kommissarin Neelie Kroes (ebenfalls VVD) hatte ihr Interesse nicht ausgeschlossen.[2]
Die Wahl am 9. Juni 2010 ergab 31 Sitze für die VVD, einen Sitz mehr als für die sozialdemokratische PvdA als zweitstärkste Partei. Das ist zwar nicht der höchste je von der VVD errungene Wert, aber erstmals wurde die VVD die stärkste Partei (vor allem wegen der Verluste der Christdemokraten). Am 8. Oktober 2010 übertrug die damalige Königin Beatrix Rutte die Regierungsbildung, nachdem die drei beteiligten Parteien und Fraktionen den Koalitions- und Duldungsverträgen zugestimmt hatten.[3]
Das Kabinett Rutte I löste daraufhin am 14. Oktober 2010 das Kabinett Balkenende IV als Regierung der Niederlande ab.[4] Es war eine Minderheitsregierung aus der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) sowie dem Christdemokratischen Appell (CDA), welche von der Freiheitspartei (PVV) toleriert wurde. Die Koalition verfügte zusammen mit der PVV über 76 von 150 Mandaten in der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments.
Am 23. April 2012 bot Mark Rutte Königin Beatrix den Rücktritt seines Kabinetts an, nachdem die PVV der Minderheitsregierung die Unterstützung entzogen hatte. Die PVV wollte das Sparpaket der Regierung nicht mittragen, das diese für erforderlich hielt, um den EU-Stabilitätspakt nicht zu verletzen.[5] Im September 2012 folgten vorgezogene Neuwahlen, aus denen Ruttes VVD als stärkste Kraft hervorging. Nach dem vorläufigen Endergebnis erreichte die Partei 41 der 150 Mandate der Zweiten Kammer des Parlaments. Dies waren zwei Mandate mehr als jene der PvdA mit ihrem Spitzenkandidaten Diederik Samsom.[6] Ende Oktober 2012 einigten sich die VVD und die PvdA auf die Bildung einer Großen Koalition, Rutte stand auch der neuen Regierung als Ministerpräsident vor (Kabinett Rutte II).[7] Auch nach der Parlamentswahl 2017 konnte Rutte weiterregieren, musste aber neue Koalitionspartner finden. Die neue Koalition besteht aus der liberal-konservativen VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie), dem christdemokratischen CDA (Christen-Democratisch Appèl), der linksliberalen D66 (Democraten 66) und der christdemokratischen ChristenUnie.[8] Sie bildete am 26. Oktober 2017 das Kabinett Rutte III.
Am 15. Januar 2021 kündigte Rutte infolge von Verletzungen der rechtsstaatlichen Basisprinzipien im Rahmen von fälschlich zurückgeforderten Kinderbeihilfen (Toeslagenaffaire) den Rücktritt seines gesamten Kabinetts an, welches jedoch bis zu einer neuen Regierungsbildung nach der Parlamentswahl im März 2021 geschäftsführend im Amt bleiben soll.[9][10]
Bei der Parlamentswahl 2021 wurde die VVD erneut stärkste Partei.[11] Am 10. Januar 2022 wurde er erneut vom König zum Ministerpräsidenten ernannt und mit seinem vierten Kabinett vereidigt.[12]
Standpunkte
2008 sagte Rutte in einem Interview, die Niederlande müssten weg vom „Terror der Mittelmäßigkeit“:
„Der Staat muss klein und kräftig sein, keine Glücksmaschine, die den Menschen das gesamte Leben aus den Händen nimmt. Menschen müssen mit Verve leben können, Raum bekommen, um aus ihrem Leben etwas Außergewöhnliches zu machen. Die VVD kämpft für die Hebung der unteren Klasse, mit gutem Unterrichtswesen wollen wir Menschen auf ihren eigenen Beinen stehen lassen. Das Glück sitzt im Menschen, nicht im Staat.“
Gleichzeitig betonte er, dass man Ausländern gegenüber Grenzen setzen müsse und den Mut haben zu sagen: „Diese Zivilisationsgrundlagen, die Sprache, die Verfassung und die niederländische Geschichte, das alles gehört zu uns!“[13]
Im Mai 2009 kam Rutte mit der Forderung in die Medien, dass Holocaustleugnung im Sinne der Meinungsfreiheit nicht mehr strafbar sein solle. Das Verbot habe er schon immer „dumm, albern“ (malloterig) gefunden. Dafür wurde er innerhalb und außerhalb seiner Partei kritisiert.[14]
Rutte sprach sich im Mai 2010 für eine strengere Asylpolitik aus. Asylbewerber sollten nur noch dauerhaft in den Niederlanden bleiben können, wenn sie um die Staatsbürgerschaft ersuchten. Es seien nur noch „echte Flüchtlinge“ und keine „Glückssucher“ aufzunehmen.[15] Ferner steht Rutte für ein Beibehalten der bisherigen Regelung zur hypotheekrenteaftrek, der steuerlichen Begünstigung von Hypothekenzinsen.[16]
Während der Koalitionsverhandlungen 2010 sagte Rutte im September über ein zunächst gescheitertes Abkommen der drei rechten Parteien, dass die niederländische Rechte sich dabei die Finger geleckt hätte. Später bei den Verhandlungen und bei seinem Amtsantritt betonte Rutte hingegen, er wolle Ministerpräsident für alle und nicht nur für die Rechte sein.[17]
Im März 2017 erklärte Rutte gegenüber der türkischen Regierung, dass eine geplante Wahlkampfveranstaltung mit Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu zur Volksabstimmung über die Verfassung der Türkei in den Niederlanden unerwünscht und der öffentliche Raum generell kein Ort für den Wahlkampf anderer Länder sei.[18]
Literatur
- Sheila Sitalsing: Mark, Portret van een premier. Prometheus, Amsterdam 2016, ISBN 978-90-446-3059-6.
- Petra de Koning: Mark Rutte. Uitgeverij Brooklyn, Leiden 2020, ISBN 978-9492754288.
Weblinks
- Website
- Offizielle Seite des Ministerpräsidenten (niederländisch/englisch)
Einzelnachweise
- Status Single – ein letztes Tabu? Abgerufen am 31. Dezember 2020.
- VVD grote winnaar in peiling. In: Nieuws.nl. 22. Mai 2010, archiviert vom Original am 25. Mai 2010; abgerufen am 8. Dezember 2016 (niederländisch).
- Der Standard: Beatrix lässt Rutte regieren, 8. Oktober 2010, Abgerufen am 15. Januar 2021.
- Rutte ontvangt zijn laatste kabinetsleden, De Telegraaf, 13. Oktober 2010. Abgerufen am 1. Februar 2012.
- tagesschau.de: Regierung Mark Ruttes bietet Rücktritt an. Abgerufen am 23. April 2012.
- Niederlande: Ministerpräsident Rutte gewinnt Parlamentswahl bei zeit.de, 13. September 2012 (abgerufen am 13. September 2012)
- Neue Zürcher Zeitung: Grosse Koalition in Den Haag, 29. Oktober 2012.
- Formatiedag 209: het regeerakkoord is gepresenteerd, NOS, 10. Oktober 2017. Abgerufen am 26. Oktober 2017.
- Thomas Gutschker, Brüssel: Kurz vor Parlamentswahl: Regierung in den Niederlanden tritt wegen Beihilfen-Skandals zurück. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. Januar 2021]).
- tagesschau.de: Niederländische Regierung tritt wegen Beihilfen-Skandal zurück. Abgerufen am 15. Januar 2021.
- Bekijk hier de uitslagen van de verkiezingen. Abgerufen am 18. März 2021 (niederländisch).
- Thomas Gutschker, Brüssel: Niederländische Regierung: Rutte bleibt Ministerpräsident, sonst ändert sich einiges. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 11. Januar 2022]).
- NRC: Die Niederlande müssen weg vom Terror der Mittelmäßigkeit (Memento vom 6. Januar 2010 im Internet Archive), Aufruf am 22. Mai 2010.
- NRC: Ophef in VVD om uitspraak Rutte Holocaust (Memento vom 14. Juli 2009 im Internet Archive), Aufruf 22. Mai 2010.
- Trouw: Mark Rutte pleit voor strenger asielbeleid, Aufruf am 22. Mai 2010.
- Ron Meerhof: Ontspannen Rutte scoort. In: Volkskrant.nl. 21. Mai 2010, archiviert vom Original am 24. Mai 2010; abgerufen am 8. Dezember 2016 (niederländisch).
- Trouw: Rutte niet alleen kabinet voor rechts, Abruf am 15. Oktober 2010.
- Werbung für Verfassungsreform: Niederlande erklären türkischen Wahlkampf für unerwünscht, FAZ.net, 4. März 2017