M 612
M 612 war ein deutsches Minensuchboot vom Typ 1943 im Zweiten Weltkrieg, auf dem am 5. Mai 1945 eine Meuterei stattfand. Nach deren Beendigung wurden elf Besatzungsmitglieder zum Tode verurteilt und noch am selben Tag an Bord auf der Reede vor Sønderborg (Dänemark) erschossen.[1]
Dänemark im Mai 1945
Wenige Wochen vor Kriegsende wurde M 612 von der Neptun Werft Rostock ausgeliefert und am 11. April 1945 bei der 12. Minensuchflottille der Kriegsmarine in Dienst gestellt.
Nachdem Lübeck am 2. Mai 1945 von britischen Truppen besetzt worden war, unterzeichnete am 4. Mai der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg im Auftrag des letzten Reichspräsidenten Karl Dönitz, die Kapitulation all jener Wehrmachteinheiten, die im Nordwesten den Truppen des britischen Feldmarschalls Bernard Montgomery gegenüberstanden. Diese Teilkapitulation trat am 5. Mai um 8 Uhr (MESZ) in Kraft und umfasste alle bewaffneten Kräfte in Holland, Nordwest-Deutschland, Schleswig-Holstein und Dänemark, einschließlich der Schiffe in diesem Gebiet. Zu diesem Zeitpunkt war Dänemark noch nicht von alliierten Truppen besetzt.
Die Teilkapitulation wurde am 5. Mai 1945 um 5 Uhr allen deutschen Truppen über Funk bekanntgegeben.
Entgegen den Bestimmungen der Teilkapitulation bekam M 612 die Order, nach Kurland zu laufen, um von dort deutsche Truppen und Zivilisten vor den sowjetischen Truppen zu evakuieren.
Meuterei
Nachdem M 612 am 5. Mai um 8 Uhr von Fredericia ausgelaufen war, um sich einem Transport nach Kurland anzuschließen, erfuhr die Mannschaft das Ziel der Fahrt.[2] Gegen 8.30 Uhr begann die Meuterei, welche von dem 21-jährigen Maschinenmaat Heinrich Glasmacher angeführt wurde. Er sperrte den Kommandanten von M 612, Oberleutnant zur See Dietrich Kropp, bei vorgehaltener Pistole in eine Kammer. Ebenso wurden alle übrigen Offiziere unter Waffendrohung festgesetzt. Glasmacher übernahm die Schiffsführung und setzte Kurs auf Flensburg, wo die Besatzung möglicherweise an Land gehen wollte.[3]
Zur Beteiligung einzelner Besatzungsmitglieder werden in der Begründung des später verhängten Standgerichtsurteils folgende Angaben gemacht:
„Masch.Mt. Rust verweigerte dem lt. Maschinisten den Zutritt zum Maschinenraum; auch ordnet er an, dass kein Offizier oder Feldwebel den Maschinenraum betreten sollte. Fwk.Hpt.Gefr. Nuckelt, der die 7 Gewehre unter Verschluss hatte, verteilte die Gewehre unter die Mannschaften. Btsmt. Kollenda liess sich von Mtr.Gefr. Möller eine Pistole geben, um die Offiziere in Schach zu halten. Mtr.Ob.Gefr. Kölle, der eine eigene Pistole hatte, bewachte den Kommandanten, als dieser in die Kammer eingesperrt war. Mtr.Ob.Gefr. Czak, der sich von Fwk.Hpt.Gefr. Nuckelt ein Gewehr hatte geben lassen, sorgte ebenfalls für ‚Ordnung‘ im Sinne der Meuterer. Die Mtr.Ob.Gefr. Peters und Roth drangen in eine Kammer, wo 2 Offiziere schliefen, und holten sich deren Pistolen. Mtr.Ob.Gefr. Schwirtz hatte sich ebenfalls ein Gewehr aushändigen lassen. Matr.Ob.Gefr. Prenzler hat zugegeben, dass er mit Waffengewalt ein Auslaufen nach Kurland verhindern wollte und hat mit der Pistole die Offiziere bedroht. Matr.Ob.Gefr. Wilkowski hat mit der Pistole die Offiziere bedroht. Matr.Ob.Gefr. Mittelhauser hatte sich von Peters eine Pistole geben lassen und hielt Wache beim Kommandanten, und zwar auf ‚Befehl‘ von Glasmacher und Kolenda. Der Angeklagte Müller hatte den ‚Befehl‘ bekommen, die festgesetzten Offiziere in die Kammer einzuschliessen und führte dies auch aus. Die Offiziere blieben insgesamt etwa 2½ Stunden in ‚Haft‘. Der Angeklagte Pretzke ging in die Kammer, wo 2 Offiziere schliefen und befahl ihnen mit vorgehaltener Pistole, Ruhe zu bewahren und sich gefangen zu geben.“
Auf der Fahrt nach Flensburg wurde ein zufällig entgegenkommendes Schnellboot auf M 612 aufmerksam, als es über Signalscheinwerfer den Kommandanten von M 612 anfragte, der aber nicht auf der Brücke erschien. Weitere Schnellboote wurden herbeigerufen. Die Besatzung von M 612 wurde durch das sichtbare Klarmachen der Torpedorohre zum Aufgeben gezwungen. Ein Kommando mit Offizieren der Schnellboote ging schließlich an Bord. M 612 musste im Alsensund bei Sønderborg unter Geschützbewachung durch das Schnellboot-Begleitschiff Hermann von Wißmann vor Anker gehen.
Prozess und Hinrichtung
Noch am gleichen Tag trat auf Anordnung des Führers der Minenschiffe, Kapitän zur See Hugo Pahl, an Bord von M 612 ein Standgericht zusammen.[4] Den Vorsitz hatte Marineoberstabsrichter Franz Berns. Als Ankläger fungierte Marinestabsrichter Adolf Holzwig. Der Verteidiger war ein Hauptgefreiter. Angeklagt waren 20 Besatzungsmitglieder. Die Verhandlung begann nach 18.00 Uhr und dauerte weniger als eine Stunde. Die Untersuchung stützte sich vor allem auf die Aussagen eines Wachoffiziers, Leutnant zur See Helmut Süß, der Angaben zur Beteiligung an der Meuterei machte. Es wurden elf Besatzungsmitglieder zum Tode und vier Besatzungsmitglieder zu Zuchthausstrafen von drei Jahren verurteilt. Fünf Mann wurden freigesprochen. Als Gerichtsherr bestätigte Kapitän zur See Hugo Pahl die Urteile und machte von der Möglichkeit einer Begnadigung keinen Gebrauch.
Nachdem die Offiziere mit der Urteilsbestätigung an Bord eingetroffen waren, begann um 23.35 Uhr des 5. Mai 1945 die Erschießung der zum Tode Verurteilten auf der von Scheinwerfern beleuchteten Back von M 612. Die gesamte Besatzung von M 612 einschließlich aller Verurteilten musste der Hinrichtung beiwohnen. Die zum Tode Verurteilten standen jeweils zu zweit, ungefesselt und ohne Augenbinde vor dem Erschießungskommando. Ein Arzt zur Feststellung des Todes war nicht an Bord. Nach den Erschießungen hatten die vier zu Zuchthaus verurteilten Besatzungsmitglieder ihre toten Kameraden mit Grundgewichten beschwert in der See zu versenken, bevor die nächsten beiden Verurteilten vor das Erschießungskommando treten mussten.[2]
Zum Tod Verurteilte
Wilhelm Bretzke, | Matrose | * 20. Oktober 1922 in Dortmund |
Heinrich Glasmacher, | Maschinenmaat | * 21. Februar 1924 in Neuss |
Reinhold Kolenda, | Bootsmaat | * 20. November 1924 in Beuthen O.S. |
Gustav Kölle, | Matrosenobergefreiter | * 14. Juli 1923 in Dreilingen |
Helmut Nuckelt, | Feuerwerkshauptgefreiter | * 19. April 1921 in Essen |
Rolf Peters, | Matrosenobergefreiter | * 6. Februar 1924 |
Gerhard Prenzler, | Matrosenobergefreiter | * 1. April 1924 |
Gustav Ritz, | Matrosenobergefreiter | * 5. August 1922 in Milaszew (Wolhynien) |
Anton Roth, | Matrosenobergefreiter | * 22. Oktober 1924 |
Bruno Rust, | Maschinenmaat | * 1. März 1923 in Berlin |
Heinz Wilkowski | Matrosenobergefreiter | * 25. Oktober 1923 in Calbe (Saale) |
Nach der Vollstreckung
Nach der Vollstreckung der Todesurteile lief M 612 nach Sønderborg. Dort ging der Leutnant Süß von Bord. Nachdem es anfänglich hieß, dass M 612 doch noch nach Kurland laufen sollte, fuhr das M-Boot nach Flensburg, wo die restliche Besatzung von Bord und in Gefangenschaft ging.[2]
Im Laufe des Jahres 1945 wurden sieben der Leichname am Strand angeschwemmt und zunächst anonym bestattet. Nachdem die Vorgänge im Oktober 1945 bekannt geworden waren, wurden die Militärjustizopfer umgebettet und haben nun auf dem Friedhof der Christianskirche von Sønderborg ihre letzte Ruhestätte.
Ein Ermittlungsverfahren gegen den Gerichtsherren des Standgerichtsverfahrens, Hugo Pahl, wurde 1949 eingestellt.[4]
Rezeption und Ehrung
- Das Ereignis wurde 1970 unter dem Titel Rottenknechte unter der Regie von Frank Beyer für das Fernsehen der DDR verfilmt. Eine Hauptrolle spielt darin Dieter Mann in der Rolle des Heinrich Glasmacher.
- Am 1. März 1967 wurde in Peenemünde anlässlich des 11. Jahrestages der Nationalen Volksarmee drei Landungsbooten die Namen dreier ermordeter Matrosen von M 612 verliehen: Heinz Wilkowski, Rolf Peters und Gerhard Prenzler.[5]
- Die Erzählung Ein Kriegsende von Siegfried Lenz[6] behandelt eine Situation wie das Geschehen auf M 612.
- In Sønderborg wurde am 9. September 2020 eine Gedenkstätte errichtet.[7]
Einzelnachweise
- Jörg Friedrich: Freispruch für die Nazi-Justiz. Ullstein, Berlin 1998, ISBN 3-548-26532-4, S. 189
- Dieter Hartwig: Zum Kriegsende: Gedenken an elf Opfer. In: Marineforum. Heft 4, 1990.
- Nach Angaben in der Begründung des Standgerichtsurteils vom 5. Mai 1945.
- Manfred Messerschmidt: Die Wehrmachtjustiz 1933–1945. Schöningh, Paderborn 2005, ISBN 3-506-71349-3, S. 438f.
- Der Augenzeuge 1967/12, DEFA-Studio für Wochenschau und Dokumentarfilme, 17. März 1967
- dtv-Verlag, ISBN 3-423-11175-5
- Annette Bruhns: 75 Jahre wurde dieser Menschen nicht gedacht. In: Der Spiegel, Ausgabe 37 vom 5. September 2020, S. 22