Lotterieaufstand
Im März 1997 wurde Albanien von einer tiefen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Krise getroffen. Der Volkszorn, der sich im sogenannten Lotterieaufstand entlud, wurde von Betrügereien erregt, bei denen viele Albaner ihr ganzes Vermögen verloren.
Ausgangssituation
Nach dem Fall des Kommunismus erwirtschaftete die junge Privatwirtschaft zusammen mit den Überweisungen der mehr als 400.000 im Ausland, überwiegend in Griechenland und Italien, arbeitenden Albaner steigende inländische Spareinlagen. 1995 betrugen die privaten Vermögen bereits 15 % des Bruttoinlandproduktes (ca. 350 Millionen US-Dollar). Diese summierten sich mit den Überweisungen aus dem Ausland auf mehr als 600 Millionen US-Dollar im Jahr 1995 und auf über 700 Millionen US-Dollar im Jahr 1996. Wegen des schlecht ausgebildeten Bankenwesens wurden nur geringe Teile der Vermögen in Sparkonten angelegt.
Pyramidensysteme
Die neue Klasse unerfahrener „Geldbesitzer“ wurde leichte Beute für Schwindler, die all jenen gewaltige Zinssätze versprachen, die in ihre nach dem Ponzi-Schema aufgebauten Systeme einstiegen. Anfangs hielten sie ihre Versprechen und kamen ihren Zahlungsverpflichtungen mit dem Geld der nächsten Welle an Investoren nach. Die Leute verkauften teilweise ihr (Grund-)Eigentum, um zusätzliches Geld „investieren“ zu können.
Der Gesamtwert der Einlagen aller 16 Pyramiden-Firmen summierte sich vor Ausbruch der Krise im Frühjahr 1997 – ohne die bis dahin angefallenen Zinsen – auf 1,2 Milliarden US-Dollar, also auf mehr als 50 % des damaligen Bruttosozialproduktes des Landes. Zum Schein tätigten die Pyramiden-Firmen kleinere Investitionen in Produktionsstätten und in den Tourismussektor. Viel Geld wanderte aber auch in die Taschen der Firmeneigentümer. Die Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität, Politik und den Pyramidenfirmen sind bis heute nicht geklärt.
Der Zusammenbruch
Im letzten Quartal des Jahres 1996 erhöhten sich die von den Pyramidensystemen gezahlten Zinssätze rasend schnell auf 30 %, dann auf 40 % und schließlich sogar auf 50 % pro Monat. Die jährliche Inflationsrate lag deutlich unter 20 % und so war klar, dass der Zusammenbruch bevorstand. Schließlich meldeten alle bis auf vier Pyramidensysteme Ende 1996 und Anfang 1997 Insolvenz an, andere reduzierten die Zinsversprechen. Das Volk, das sein Geld zurückwollte, gab der Regierung die Schuld: Sie habe ihre Aufsichtspflichten nicht wahrgenommen und von den Machenschaften profitiert.
In der südalbanischen Stadt Vlora kam es zu ersten Massenprotesten, die schnell gewalttätig wurden und sich auf den Süden des Landes und dann auf den Rest Albaniens ausdehnten. Der endgültige Zusammenbruch der Pyramidensysteme eskalierte im Februar und März des Jahres 1997 in einem Aufstand gegen die Regierung und in weitverbreitetem Widerstand gegen die Staatsgewalt. In Südalbanien brach die öffentliche Ordnung vollständig zusammen, da die Aufständischen militärische Lager plünderten und sich mit Schusswaffen ausrüsteten. Militär und Polizei waren meist auf der Seite des Volkes und gingen deshalb nicht oder nur halbherzig gegen die Protestierenden vor. Die Wut und Enttäuschung der Menschen richtete sich nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen Geschäfte und staatliche Einrichtungen wie Archive, Schulen und Hotels. Das Fehlen der Staatsgewalt wurde schnell von vielen kriminellen Banden ausgenutzt, die plünderten oder sich zu Lokalherren ernannten. Interpol geht davon aus, dass 100.000 Blanko-Pässe gestohlen wurden.
Übergangsregierung und Neuwahlen
Trotz der landesweiten Proteste wählte das Parlament den damals amtierenden Präsidenten Sali Berisha wieder in sein Amt. Mittels Ausnahmezustand, Panzern und Zensur versuchte er, der Lage Herr zu werden. Am 9. März 1997 konnten sich die Parteien des Landes auf eine breit abgestützte Übergangsregierung, die Regierung der nationalen Versöhnung, einigen. Bashkim Fino (PS) wurde zum Premierminister ernannt. Berisha durfte bis zu den Neuwahlen, die innerhalb zweier Monate durchgeführt werden sollten, Präsident bleiben. Bis Mitte März hatte der Staat im ganzen Land die Kontrolle verloren. Überall wurde geplündert und zerstört.
Mit US-amerikanischen, italienischen und deutschen Helikoptern (siehe Bundeswehr-Operation Libelle) wurden Ausländer auf Flugzeugträger in der Adria und nach Montenegro evakuiert. Auch Albaner flüchteten in den Westen.
Die Übergangsregierung bat angesichts der ausweglosen Lage das Ausland um eine militärische Intervention. Am 16. April 1997 landeten 6.000 Mann aus Italien, Frankreich, Spanien, der Türkei, Rumänien, Griechenland, Österreich und Dänemark in Albanien. Die sogenannte „Operation Alba“ stand unter italienischer Führung. Die Ausländer hatten von der UNO den Auftrag, humanitäre Hilfe und die geordnete Durchführung von Neuwahlen zu ermöglichen.
Bei den Parlamentswahlen am 29. Juni 1997 siegte die Opposition; es fand am gleichen Tag auch ein Referendum über die Restaurierung der Monarchie statt. Die ausländischen Truppen verblieben noch für Monate im Land. Nach und nach konnte die Ordnung wiederhergestellt werden. In einzelnen abgelegenen Landesteilen dauerte es aber noch Jahre, bis die Staatsgewalt wiederhergestellt war.
Literatur
- Fred C. Abrahams: Modern Albania. From dictatorship to democracy in Europe. New York University Press, New York 2015, ISBN 978-1-4798-3809-7.
- Hans Krech (Hrsg.): Der Bürgerkrieg in Albanien 1997. 2. Auflage. Köster, Berlin 2000, ISBN 3-89574-280-5.
- Bashkim Fino: Humnere'97. Tirana 2007, ISBN 978-99943-940-1-2.
Weblinks
- Chronologie der Ereignisse
- Carlos Elbirt: Albania under the Shadow of the Pyramids (Weltbank Transition-Newsletter Oktober 1997 (PDF; 4,3 MB), S. 8; http://www.worldbank.org/html/prddr/trans/so97/albania2.htm (Memento vom 28. Juni 2011 im Internet Archive))