Kroatisch-bosniakischer Krieg
Als Kroatisch-bosniakischer Krieg wird der bewaffnete Konflikt zwischen Bosniaken und Kroaten in Bosnien und Herzegowina vom 19. Juni 1992 bis 23. Februar 1994 bezeichnet. Der Konflikt zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina und der selbsternannten Kroatischen Republik Herceg-Bosna wird oft als „Krieg im Kriege“ bezeichnet, weil er ein Teil des Bosnienkriegs im Rahmen der Jugoslawienkriege war. Schauplatz der kriegerischen Auseinandersetzungen waren vor allem Orte in Zentralbosnien wie Vitez, Bugojno, Novi Travnik, Gornji Vakuf-Uskoplje, Prozor-Rama, Busovača, Vareš, Kreševo, Žepče sowie besonders Mostar in der Herzegowina. In anderen Regionen des Landes arbeiteten Einheiten beider Volksgruppen weiter militärisch zusammen. Der Konflikt wurde unter massivem Druck der Vereinigten Staaten am 18. März 1994 durch das Abkommen von Washington zur Gründung der Föderation Bosnien und Herzegowina beendet.
Auf beiden Seiten wurden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, darunter ethnische Säuberungen, massive Plünderungen und vereinzelte Massaker an der Zivilbevölkerung. Es wurden Internierungslager betrieben, deren Insassen gefoltert und geschlagen wurden. Dabei wurden auch Frauen misshandelt und vergewaltigt.[1] Für diese Verbrechen wurden Angehörige des Kroatischen Verteidigungsrates (HVO) und der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina (ARBiH) bzw. Mudschahedin sowie führende Politiker beider Seiten verantwortlich gemacht und vom Internationalen Strafgerichtshof (ICTY) angeklagt und verurteilt.
Geschichte
Ende 1991 organisierten sich in Kiseljak Kroaten, um sich Waffen zu beschaffen und sich auf den kommenden Bürgerkrieg vorzubereiten. Die Kaserne in Kiseljak wurde ohne Opfer von der jugoslawischen Volksarmee übernommen. Mit den Waffen der Kaserne rüsteten sich die Kroaten großteils und formten später die HVO. Direkt in Kiseljak brach der Krieg erst mit den Konflikten zwischen den Kroaten und den Bosniaken, welche sich später zur ARBiH organisierten, aus. Die charakteristischsten Auseinandersetzungen zwischen dem HVO und der ARBiH ereigneten sich in den Dörfern Han Ploča, Gomionica, Kazagići i Žeželovo. In allen Kämpfen dort gewann das HVO. Die Kämpfe in Kakanj, Vareš, Konjic, Bugojno entschied die ARBiH für sich.
Ab April 1993 eskalierte der kroatisch-bosniakische Konflikt.[2] Mit der Unterstützung Kroatiens forderte die HVO den Rückzug der bosnischen Regierungstruppen aus den Gebieten, welche nach dem Vance-Owen-Plan von den Kroaten kontrolliert werden sollten. Als Alija Izetbegović ablehnte, begann die HVO die Gebiete zu besetzen und führte ethnischen Säuberungen durch. So wurden im April 1993 im ganzen Lašva-Tal bosniakische Zivilisten vertrieben.[1] Zunächst befanden sich die kroatischen Truppen auf dem Vormarsch und verübten unter anderem am 16. April das Massaker von Ahmići, bei welchem Truppen des HVO etwa 120 bosniakische Zivilisten ermordeten und deren Häuser in Brand setzten.[1][3] Dabei gingen Einheiten der HVO von Haus zu Haus, ermordeten die Dorfbevölkerung und zerstörten einen großen Teil der Ortschaft.[2]
Am gleichen Tag wurde auch das Massaker von Vitez begangen, bei dem etwa 120 bosniakische Zivilisten ermordet wurden. Dabei belagerten Truppen der HVO die Ortschaft Vitez und bombardierten bosniakische Gebiete. Der Großteil der bosniakischen Häuser wurde in Brand gesetzt, 172 bosniakische Zivilisten ermordet, 5.000 vertrieben und zahlreiche Gefangene ins Lager Dretelj interniert.[1][4] Im September 1993 registrierte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz 1200 bosniakische Gefangene im Lager Dretelj, wo nach Angaben von Helsinki Watch auch 1500 Serben inhaftiert gewesen sein sollen.[5] Ein weiteres Lager war Heliodrom.
Während des Krieges kam es auch in Mostar zu Kämpfen. Dabei wurde die Stadt unter anderem durch Vertreibungen in einen kroatisch-westlichen, sowie in einen bosniakisch-östlichen Teil aufgeteilt. So attackierte von Mai 1993 bis Januar 1994 die HVO Mostar und führte eine ethnische Säuberung durch. Tausende wurden vertrieben und ihre Häuser geplündert. Während des Krieges wurde das Wahrzeichen Mostars, die Brücke Stari most, bei einem mehrstündigen Beschuss durch kroatische Streitkräfte gezielt zerstört.[6][7]
Im Juli 1993 fielen Soldaten und Einheiten des HVO in Bugojno ein und verübten an der bosnisch-muslimischen Bevölkerung des Stadtteils Vrbanja ein Massaker.[8] Nach der Gegenoffensive nahmen bosniakische Truppen mehrere kroatische Soldaten und bewaffnete Zivilisten fest.
Man brachte die gefangenen Kroaten in neun Gefangenenlager, die meisten wurden im Sportstadion der Stadt grausam gefoltert und getötet. Außerdem wurde ein Großteil der hinterbliebenen kroatischen Zivilbevölkerung von Anhängern der ARBiH getötet.[9][10] Im September 1993 kam es zum Massaker von Grabovica seitens der Bosniaken an dem bis zu 35 kroatischen Zivilisten ermordet wurden, darunter junge Frauen und auch Kinder.
Der Krieg wurde schließlich am 18. März 1994 durch das Abkommen von Washington beendet.
Juristische Aufarbeitung
Mehrere am Krieg beteiligte Personen, die mehrheitlich auf kroatischer Seite gekämpft hatten, wurden nach Kriegsende verurteilt.
Bosniaken
Der Oberkommandeur der bosniakischen Armee, Rasim Delić, wurde 2008 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wegen verschiedener Kriegsverbrechen zu drei Jahren Haft verurteilt. Delić trage die Verantwortung für Verbrechen der Militäreinheit „El Mujahidd“, die Gefangene in Mittelbosnien misshandelt hatte.[11]
Drei nach Skandinavien geflüchtete bosniakische Kollaborateure der kroatischen Kriegspartei, die jeweils im Lager Dretelj tätig gewesen waren, wurden unabhängig voneinander im Exil vor Gericht gestellt:
- Am 23. November 1994 wurde Refic Sarić, ein nach Dänemark geflüchteter bosniakischer Kollaborateur der Lagermannschaft, in Kopenhagen wegen seiner Beteiligung an 14 Folterungen, zwei davon mit Todesfolge, zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.[12]
- Im März 2010 befand das Berufungsgericht in Oslo den Aufseher Mirsad Repak in 13 von 14 Anklagepunkten für schuldig, Kriegsverbrechen an Gefangenen begangen zu haben; Repak kündigte Revision an.[13] Im Dezember 2010 hob Norwegens oberster Gerichtshof die Verurteilung wegen Kriegsverbrechen auf, da diese in Norwegen erst 2005 unter Strafe gestellt worden waren; ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung wurde weitergeführt.[14] Am 14. April 2011 wurde Repak vom obersten Gerichtshof Norwegens wegen Freiheitsberaubung und illegaler Festnahme von Zivilisten zu acht Jahren Haft verurteilt.[15]
- Am 8. April 2011 wurde Ahmet Makitan, Mitglied der Wachmannschaft, in Stockholm wegen Kriegsverbrechen und Entführung zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren verurteilt.[16]
Kroaten
Am 29. Juli 2004 wurde Tihomir Blaškić, General des Kroatischen Verteidigungsrates, in der Berufungsinstanz des Internationalen Strafgerichtshofs zu einer neunjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, nachdem die erstinstanzlich verhängte Strafe von 45 Jahren reduziert worden war, und am 2. August 2004 aus der weitgehend verbüßten Haft entlassen.
Im Mai 2013 verurteilte der Strafgerichtshof sechs Verantwortliche der Kroatischen Republik Herceg-Bosna wegen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber auch wegen Zerstörung der Brücke erstinstanzlich zu langjährigen Haftstrafen:
- Jadranko Prlić, Regierungschef der Republik Herceg-Bosna, zu 25 Jahren
- Bruno Stojić, deren Verteidigungsminister, zu 20 Jahren
- Slobodan Praljak, ehemaliger General, zu 20 Jahren
- Milivoj Petković, ehemaliger General, zu 20 Jahren
- Valentin Ćorić, Kommandant der bosnisch-kroatischen Militärpolizei, zu 16 Jahren
- Berislav Pušić, ehemaliger Offizier, zu 10 Jahren[17]
Praljak beging am 29. November 2017 in Den Haag Suizid, nachdem er auch im Berufungsverfahren wieder zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war und seine Verurteilung kritisiert hatte.[18] Die Urteile gegen seine Mitangeklagten wurden ebenfalls in zweiter Instanz bestätigt.[19]
Literatur
- Željko Ivanković, Dunja Melčić: Der bosniakisch-kroatische „Krieg im Kriege“. In: Dunja Melčić (Hrsg.): Der Jugoslawien-Krieg : Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007, ISBN 978-3-531-33219-2, S. 415–438.
- Charles R. Shrader: The Muslim-Croat Civil War in Central Bosnia : A Military History, 1992–1994 (= Eastern European studies. Band 23). Texas A&M University Press, 2003, ISBN 1-58544-261-5.
- Central Intelligence Agency [CIA] – Office of Russian and European Analysis (Hrsg.): Balkan Battlegrounds : A Military History of the Yugoslav Conflict. Band 1. Washington DC 2002, Chapter 46–49, S. 200–207.
Einzelnachweise
- Norman M. Naimark: Flammender Hass : Ethnische Säuberung im 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2004, S. 214 ff.
- Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten: »Ethnische Säuberungen« im modernen Europa. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 248.
- Artikel über Ahmići auf der Website der European Stability Initiative
- ICTY: Kordić und Čerkez Urteil. (PDF; 3,3 MB) Abgerufen am 23. November 2012.
- Michael Sells: Crosses of Blood (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.today), Sociology of Religion (Memento vom 8. Mai 1999 im Internet Archive), Wake Forest University, Winston-Salem, Herbst 2003
- Anklageschrift des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien, 2. März 2004 (Anklagepunkte 116 und 118)
- Die Brücke von Mostar. Seite zu einer Fernsehdokumentation des ZDF (2003) (Memento vom 28. März 2010 im Internet Archive)
- ZLOÈINI HVO-a POÈINJENI U JULU 1993. GODINE – Bosnjaci.Net
- Visit to former Bugojno detention camps (Memento vom 1. Juli 2008 im Internet Archive) Balkan Investigative Reporting Network, 6. Juni 2008
- Ratni zločini u BiH, Bugojno (Memento vom 14. Mai 2011 im Internet Archive)
- Bericht der Deutschen Welle
- Bosnia Camp Guard Convicted in Denmark, New York Times, 23. November 1994
- Ba om åtte års fengsel for krigsforbrytelser , Aftenbladet, 9. März 2010
- Norway court cancels Bosnian's war crimes sentence, The Telegraph, 3. Dezember 2010
- Mirsad Repak auf TRIAL International, 13. Juni 2016
- Profil von Ahmet Makitan t (Memento vom 20. Januar 2011 im Internet Archive) bei TRIAL Watch, Abruf am 1. Juni 2011
- UN-Tribunal verurteilt sechs bosnische Kroaten, Deutsche Welle, 29. Mai 2013
- Kriegsverbrecher Praljak nach Gifteinnahme tot. Spiegel online vom 29. November 2017
- Gift-Tod in Den Haag – Verurteilter Slobodan Praljak gestorben. Die Welt vom 29. November 2017