Karl Boy-Ed
Karl Boy-Ed (* 14. September 1872 in Lübeck; † 14. September 1930 in Grönwohld) (Pseudonym: Nordmann) war ein deutscher Seeoffizier, Diplomat und Spion.
Biografie
Frühe Jahre (1872–1911)
Karl Boy-Ed wurde 1872 als eines von vier Kindern der Schriftstellerin Ida Boy-Ed (1852–1928) und des Lübecker Kaufmanns Carl Boy (1845–1900) geboren. Sein Großvater mütterlicherseits war der Reichstagsabgeordnete und Journalist Christoph Marquard Ed. Zu den Bekannten der Familie zählten unter anderem die Lübecker Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann.
Sein Bruder Walther erblickte zwei Jahre später das Licht der Welt. Beide weilten beim Eintreffen der Nachricht vom Tode Kettelers in Travemünde. Walther meldete sich daraufhin fast umgehend als Freiwilliger zum Expeditionskorps nach China.
Im April 1891 trat Boy-Ed als Kadett in die Kaiserliche Marine ein, wo er bis in den Rang eines Kapitäns zur See befördert wurde und in den Stab des Staatssekretärs des Reichsmarineamts Alfred von Tirpitz übernommen wurde, dessen Protegé er wurde. Tirpitz machte Boy-Ed in der Folge unter anderem von 1906 bis 1909 zum Leiter der Nachrichtenabteilung (i. e. Geheimdienst) im Reichsmarineamt.
Marineattaché in Washington (1911–1917)
1911 wurde Boy-Ed als Marineattaché der deutschen Botschaft in Washington, D.C. in den Vereinigten Staaten entsandt. Dort fiel er zunächst als Mitglied der feinen Gesellschaft auf, in der sich der hochgewachsene und monokelbewehrte Offizier dank seines schneidigen Auftretens, seiner Gewandtheit und seiner umgänglichen Art großer Beliebtheit erfreute. Zu seinen Bekannten in Washington zählte unter anderem Franklin D. Roosevelt, der ab 1913 als Unterstaatssekretär für Marinefragen in der Regierung Wilson vertreten war und mit dem Boy-Ed in beruflicher Beziehung stand.
Ab 1913 arbeitete Boy-Ed eng mit dem Attaché für Militärangelegenheiten, Franz von Papen, und dem Handelsattaché Heinrich Albert zusammen. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs organisierten die drei von New York aus verschiedene Spionage- und Sabotageaktionen in den Vereinigten Staaten, die im Wesentlichen darauf zielten, die Kriegsführungsfähigkeit der Entente-Mächte zu stören und einem amerikanischen Engagement in Europa entgegenzuwirken. So stellten Boy-Ed und Papen unter anderem gefälschte Pässe an in den Staaten lebende deutsche Armeereservisten aus, um diesen die Einreise durch die britische Seeblockade nach Deutschland und somit die Kriegsteilnahme zu ermöglichen; sie versuchten Eisenbahnstrecken und den Wellandkanal nach Kanada zu sprengen, um die Einfuhr von kriegswichtigen Waren aus den neutralen USA nach Kanada, das auf Seiten der Entente gegen das Deutsche Reich kämpfte, zu erschweren. In Connecticut gründeten Boy-Ed und Papen die Firma, die das Ziel verfolgte die Produktionskapazitäten der kriegsrelevanten amerikanischen Industriebetriebe mit privaten Aufträgen derart zu belasten, dass diese keine Produktionsressourcen mehr frei hätten, um für die alliierten Mächte Waffen, Munition und andere für die Kriegsführung verwendbaren Güter produzieren zu können. Die so georderten Waren wurden in den Staaten als vermeintlicher Privatbesitz in den Warendepots der Company eingelagert und so dem europäischen Kriegsschauplatz vorenthalten. Die Informationen gab im Prozess gegen Papen der Kronzeuge der Anklage Horst von der Goltz weiter.
Nachdem von Papen im Dezember 1915, wie alle deutschen Marine- und Militärattaches, auf Ersuchen von Präsident Wilson aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen worden war, verblieb Boy-Ed auf seinem Posten und fungierte fortan als Zentralfigur der deutschen Störaktionen in den Staaten. Als die Beweislast gegen Boy-Ed, insbesondere nach der Sprengung auf Black Tom Island, dem wichtigsten Umschlagsplatz für Munitionslieferungen aus den Staaten nach Europa, immer weiter anwuchs, wurde schließlich auch er im Frühjahr 1917, kurz vor dem Eintritt der USA in den Weltkrieg, auf Wilsons Aufforderung vom Auswärtigen Amt in Berlin von seinem Posten abgezogen und nach Berlin zurückbeordert.
Späterer Lebensweg (1917–1930)
Nach seiner Ausweisung aus den Vereinigten Staaten durfte Boy-Ed als Diplomat unter freiem Geleit nach Deutschland zurückkehren. Dort wurde er von Kaiser Wilhelm II. für seine Verdienste mit dem Roten Adlerorden ausgezeichnet und war für den Rest des Krieges im Pressebüro des Marineministeriums tätig. In dieser Position tat er sich 1918 noch einmal mit einem Buch über den Unterseebootkrieg und die Vereinigten Staaten hervor.
Nach 1918 lebte Boy-Ed auf seinem Gut Grönwohldhof bei Hamburg und hielt Vorträge. So sprach er am 8. März 1921 im Hause der Gemeinnützigen Gesellschaft einen viel beachteten Vortrag „über die Lage und die Haltung der Deutsch-Amerikaner“.[1] In Hamburg hatte er am 10. Februar 1921 die zu dieser Zeit in Deutschland weilende Virginia, eine Tochter des einstigen Bischofs Alexander Mackay-Smith von Pennsylvania, eine Amerikanerin, die er schon vor seiner Ausweisung kannte, geheiratet.[2]
Aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Virginia Ida Boy-Ed (* 11. März 1922 in Hamburg; † 2006 in Barryville), verheiratete Mrs. Stacy Lloyd.
1930 verstarb er an seinem Geburtstag bei einem Reitunfall.
Reputation und Nachwirken
Negativ-Reputation in den Vereinigten Staaten
In den Vereinigten Staaten von Amerika erlangten Boy-Ed und seine Komplizen von Papen und Albert wegen ihrer konspirativen Aktivitäten Berühmtheit als „Teutonic Schemers“ und „Prussian Plotters“. Wesentlich wurde dieses Bild von der offiziösen amerikanischen Propagandainstitution Committee on Public Information aufgebaut. Insbesondere Boy-Ed, der in der Presse mit dem formelhaft wiederkehrenden Attribut „the notorious German Captain“ identifiziert wurde, nahm im öffentlichen Blickfeld den Rang einer besonders verrufenen Gestalt ein. Sein negatives Renommee schlug sich unter anderem in dem zwanzigteiligen Stummfilm-Serial Eagle’s Eye (Laufzeit 600 Minuten) von 1918 nieder, in dem – propagandaträchtig noch während des Krieges – die Aktivitäten des deutschen Spionagerings in Washington und New York nacherzählt wurden und in dem Boy-Ed von John P. Wade gespielt wurde.
Das negative Bild von Boy-Ed in den USA war auch in den Nachkriegsjahren noch derart verfestigt, dass die amerikanische Botschaft in Berlin ihm noch 1926 als „persona non grata“ ein Visum zur Einreise in die USA verweigerte. Als Boy-Ed sich daraufhin mit seiner Bitte an das amerikanische Außenministerium, das State Department, wandte, kam es zu heftigen Protesten in der amerikanischen Öffentlichkeit: zahlreiche Eingaben „patriotischer Bürger“ wandten sich mit Eingaben und Petitionen an den damaligen Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Frank Billings Kellogg, in denen sie diesen in heftigen Worten dazu aufforderten, Boy-Ed die Einreise in die Vereinigten Staaten nicht zu gestatten. Das Time Magazine titelte in diesem Zusammenhang im Mai des Jahres unheilschwanger-suggestiv „Is Boy-Ed Coming?“ und gab an, die Nachricht von Boy-Eds Einreisewunsch habe die Amerikaner vor Entsetzen „bis ins Mark erschüttert“ („felt the marrow of their bones chill with affrighted horror“). Darüber hinaus erinnerte es an die „feigen und schamlosen“ Versuche Boy-Eds, die Vereinigten Staaten durch (kriminelle) Methoden wie „Brandstiftung, Sprengstoffanschläge und Mord“ an der Unterstützung der Entente-Staaten zu hindern.
Ansehen in der deutschen Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit
Im Gegensatz zur enormen Publizität, die Boy-Ed, Albert und von Papen während des Krieges und in der Zeit danach in den Vereinigten Staaten erfuhren, waren die drei in ihrer Heimat lange Zeit als Persönlichkeiten nahezu vollkommen unbekannt. Während von Papen durch seine Kanzlerschaft im Jahre 1932 – die er als ein einem Großteil der Regierten nicht einmal namentlich bekannter Mann antrat – und seine Verstrickung in das NS-Regime in der deutschen Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit später große Aufmerksamkeit auf sich zog, ist Boy-Ed bis heute in Deutschland eher ein „unbeschriebenes Blatt“ geblieben. In der Öffentlichkeit ist er bis heute kaum bekannt, in der Geschichtsschreibung tritt er nur mehr als Randfigur in anderen Zusammenhängen auf. Eine Boy-Ed-Biografie gibt es bis heute nicht.
Werke
- Die Vereinigten Staaten von Amerika und der U-Boot-Krieg. Sigismund, Berlin 1918.
- Verschwörer? Die ersten 17 Kriegsmonate in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. Scherl, Berlin 1920.
Literatur
- Chad Millman: The Detonators: The Secret Plot to Destroy America and an Epic Hunt for Justice. New York, NY [u. a.] 2006, ISBN 0-316-73496-9
- Michael Wala: Weimar und Amerika (Transatlantische Historische Studien (Ths)). Verlag Steiner (Franz), 2001, ISBN 978-351-507865-8
- Richard, Folmar: Call Down the Hawk: The Special Agents. Trafford Publishing, 5. Juli 2005, ISBN 978-141-205401-0
Weblinks
Einzelnachweise
- Rubrik: Chronik. In: Vaterstädtische Blätter, Jahrgang 1920/21, Nr. 13, Ausgabe vom 13. März 1921, S. 52.
- Boy-Ed Marries American Girl War Tore Him from in 1917. In: Evening Star, 11. Februar 1921, S. 3. Abgerufen am 24. August 2016.