Künstler (Tankred Dorst)
Künstler ist ein Theaterstück von Tankred Dorst, das am 1. Februar 2008 unter der Regie von Christian Pade im Theater Bremen uraufgeführt wurde.[1]
Stationen auf dem Lebensweg des Kommunisten Heinrich Vogeler aus dem Worpsweder Kreis[A 1] werden nachgezeichnet.
Handlung
Während Heinrich den Worpsweder Sommer malt, lernt er die sieben Jahre jüngere Martha, damals noch ein junges Mädchen, kennen. Jahre später werden die beiden ein Ehepaar. Rainer – von seiner Clara angehimmelt – kommentiert die ersten Ehejahre Marthas mit Heinrich: Das vordem so zarte Mädchen Martha werde nach jeder Geburt breiter und Heinrichs Kunst immer unsicherer.
Das „freie Liebesleben“ in der Worpsweder Künstlerkolonie kommt zur Sprache. Martha betrügt Heinrich mit Kurt[A 2]. Kurt, angeblich Lyriker und später Maler, der in Heinrichs Worpsweder Hause, dem Birkenhof – im Plattdeutschen Barkenhoff genannt – untergekommen ist, provoziert mit seinen aufmüpfigen Reden die Maler in der Sonntagsrunde im Birkenhof. Otto nennt Kurt darauf einen Schnösel. Kurt gibt keine Ruhe; macht dem Hausherrn Heinrich die Frau streitig. Fritz wirft Kurt aus dem Hause. Heinrichs Frage an Martha, ob sie Kurt folgen möchte, bejaht die Ehebrecherin nicht.
Im Ersten Weltkrieg verliert der Worpsweder Kreis den Maler Hans. Heinrich verflucht den Kaiser. Eigentlich will Ludendorff den Kommunisten Heinrich erschießen lassen. Die Worpsweder Genossen des Malers verhindern das; lassen ihn kurzerhand in eine Irrenanstalt einweisen.
Heinrich, der von dem Mäzen Roselius aufgesucht wird, schwärmt von seinem kommunistischen Kollektiv Birkenhof; spricht von seinen russischen Bewunderern. Roselius stellt klar, der singuläre Worpsweder Kommunismus funktioniere nur mit finanzieller Beihilfe deutscher Kapitalisten.
Fritz denunziert die kommunistischen Umtriebe im Birkenhof bei der Polizei. Otto rauft sich in Worpswede mit Kurt zusammen. Beide malen. Heinrich, inzwischen aus der Anstalt entlassen, erscheint mit seiner neuen Liebe, der 26 Jahre jüngeren Sonja Marchlewska[2] – Tochter des polnischen Spartakisten Julian Marchlewski. Sonja ist schwanger. Heinrichs neues Kind soll im freien Russland geboren werden. Sonja stempelt das kommunistische Projekt Birkenhof als bourgeoisen Traum ab.
Martha bewirtet Sonja mit selbstgebackenem Apfelkuchen. Die Schwangere rührt das Backwerk nicht an. Martha will mit ihren Kindern in Worpswede bleiben. Sie erzählt von Berichten an die Adresse der Polizei, verfasst von Fritz. Inhalt: Das geschäftige Treiben auf dem Birkenhof. Mitten in Marthas Rede vollführt Tankred Dorst einen Zeitsprung über reichlich zwei Jahrzehnte vorwärts: Heinrich verkommt in Russland zum durchschnittlichen Plakatmaler. Thema: stalinistische Propaganda. Heinrichs russischer Sohn fällt im Zweiten Weltkrieg[A 3]. Überm Erzählen ist Martha in wenigen Minuten eine sehr alte Frau geworden.
Tankred Dorst reicht jedoch die von Martha skizzierte Zukunft in den restlichen zehn Szenen detaillierter nach. Heinrichs Sohn Petja – durch und durch stalinistisch verblendet – findet im Gespräch mit dem nachsichtigen Vater Heinrich keinen gemeinsamen Nenner. In Deutschland zertrümmert die SA derweil den Birkenhof. Kurt besucht Heinrich und Sonja in Moskau. Der Ankömmling soll im Auftrage der Westeuropäer einen Film über die sowjetischen Errungenschaften drehen. Heinrich hingegen will etwas über Martha hören. Kurt, der Deutschland nur noch illegal aufsuchen kann, erzählt von Fritz, der die Naziprominenz porträtiere.
Kurt ist es auch, der letztlich das elendigliche Ende des todkranken Heinrich auf einem primitiven Bauernhof in der Steppe Kasachstans referiert.
Nebenhandlung
Das Stück ist komplexer gebaut als obige Zusammenfassung vielleicht suggeriert. Da musste zum Beispiel Roselius Paulas Bilder von den Nazis verstecken. Zudem erfährt der Zuschauer Einzelheiten über die junge Paula, ihre Ehe mit Otto und den frühen Tod dieser bedeutenden produktiven deutschen Malerin. Auch manches von Rainers Statements zu Kunst und Künstler – zum Beispiel anlässlich eines Rodin-Besuchs in Paris – ist erwähnenswert; beispielsweise: „Die Kunst kann sich nicht wiederholen.“[3]
Hörspiel
- 27. Mai 2007, Deutschlandradio Kultur: Künstler. Regie: Jörg Jannings. Mit Ingo Hülsmann als Heinrich Vogeler.
Rezeption
- Andreas Schnell bei nachtkritik.de: Künstler – Tankred Dorsts Stück über Heinrich Vogeler. Sternenlose Utopie
- 2. Februar 2008 bei focus.de: Künstler
- Kurzbesprechung bei Suhrkamp: Synopse
- Kurzbesprechung bei theatertexe.de: Künstler
Literatur
Textausgaben
- Tankred Dorst: Künstler. Ein Stück. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007 (edition suhrkamp 2515). 106 Seiten ISBN 978-3-518-12515-1.[4]
- Künstler S. 221–287 in Tankred Dorst. Prosperos Insel und andere Stücke. Mitarbeit Ursula Ehler. Werkausgabe 8 (Inhalt: Othoon. Purcells Traum von König Artus. Die Wüste. Ich bin nur vorübergehend hier. Künstler. Prosperos Insel. Sich im Irdischen zu üben (Frankfurter Poetikvorlesungen)). Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008 (1. Aufl.), ISBN 978-3-518-42039-3, 416 Seiten (verwendete Ausgabe).
Anmerkungen
- In dem Stück treten in Worpswede noch auf beziehungsweise werden von den Figuren erwähnt: Rilke, Paula Modersohn-Becker, Otto Modersohn, Fritz Mackensen und Hans am Ende.
- Hier liegt anscheinend ein Fall von dichterischer Freiheit vor. Denn Tankred Dorst teilt nicht mit, wer Kurt sein soll. Kurt zitiert aber aus einem angeblich eigenen Gedicht: „Hinter alten Stirnen wälzt sich der Tod...“ (Verwendete Ausgabe, S. 263, 7. Z.v.o.). Dessen Verfasser heißt jedoch nicht Kurt, sondern Ludwig – Ludwig Bäumer. Dieser hatte zwar eine Affäre mit Martha, konnte Heinrich allerdings nicht um 1933 in Moskau besuchen. Denn Ludwig Bäumer ist bereits 1928 gestorben. Demnach kann es sich bei Kurt um eine „zusammengesetzte“ Figur handeln. Vielleicht könnte Kurt Schwitters für den Tankred-Dorst-Forscher in dem Zusammenhang interessant sein.
- Das erscheint als weitere dichterische Freiheit. Vogelers Sohn starb nämlich 2005 in Worpswede.
Einzelnachweise
- Anmerkungen in der verwendeten Ausgabe, S. 414, letzter Eintrag
- poln. Sonja Marchlewska
- Verwendete Ausgabe, S. 247, 13. Z.v.o.
- Künstler (PDF; 209 kB)