Josef Ganz
Josef Ganz (* 1. Juli 1898 in Budapest, Österreich-Ungarn; † 26. Juli 1967 in St. Kilda (Melbourne), Australien) war ein deutsch-ungarischer Ingenieur und Journalist.
Leben
Schon als zwölfjähriger Gymnasiast erfand Josef Ganz eine Schutzvorrichtung für elektrische Straßenbahnen, für die ihm ein Patent erteilt wurde.[1] Er studierte zunächst drei Semester an der Technischen Hochschule Wien, 1921 wechselte er an die TH Darmstadt. Im Oktober 1926 schloss er nach neun Semestern sein Studium im Maschinenbau mit dem Diplom erfolgreich ab. Danach arbeitete Ganz für verschiedene Autohersteller wie Adler, Daimler-Benz, BMW sowie für den Motorradhersteller Ardie und war Chefredakteur[2] des Fachmagazins Motor-Kritik. Insgesamt entwickelte er rund 30 Kleinwagen, darunter 1931 einen Prototyp mit dem Namen „Maikäfer“ oder den Bungartz „Butz“. Im Jahre 1932 fand Ganz in der Ludwigsburger Standard-Fahrzeugfabrik einen Hersteller für seinen „Maikäfer“, der 1933 in einer überarbeiteten Version als Standard Superior auf den Markt kam. Wie bereits das Vorgängermodell hatte das Fahrzeug einzeln aufgehängte Räder mit doppelten Querblattfedern vorn und Pendelachse hinten. Der Motor war quer vor der Hinterachse eingebaut. Der Hersteller Standard bewarb den Viersitzer als Volkswagen. Im Frühjahr 1933 präsentierte sie ihn auf der Internationalen Automobil- und Motorradausstellung in Berlin.[3] Adolf Hitler besuchte die Messe und war sichtlich angetan. Die Firma Standard baute von 1933 bis 1935 in Ludwigsburg den Volkswagen.[4]
Viele Jahre umstritten und als nicht eindeutig geklärt galten die frühen Beiträge von Josef Ganz zur Entwicklung des Ur-VWs.[5] Der aktuelle Forschungsstand scheint zu bestätigen, dass die Idee und das Konzept eines massentauglichen Kleinwagens von Josef Ganz einen Teil zu der Entwicklung des VW-Käfer und dessen Prototypen beigetragen hat.[6][7]
Kurze Zeit nach der Ausstellung wurde der jüdische Ingenieur Ganz von der Gestapo am 21. Mai 1933[8] verhaftet und sein Büro in Frankfurt am Main durchsucht. Laut Ganz sollen dabei zahlreiche Dokumente konfisziert worden sein. Nach seiner Freilassung wurde er als Chefredakteur der Motor-Kritik abgesetzt, durfte aber noch einige Artikel schreiben. Im März 1934 floh er nach Liechtenstein, später in die Schweiz. Dort arbeitete er später für Rapid in Dietikon. Im Jahr 1938 wurde ihm vom NS-Regime die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen.[6]
Ab 1934 entwickelte Ganz darüber hinaus in Wien einen preiswerten, leichten Kleinwagen mit Mittelmotor. Das Fahrzeug hatte ein Leergewicht von 450 kg und sollte 3500 S kosten.[9]
Nach dem Krieg bekam Ganz zunehmend Probleme mit den Schweizer Behörden. Der unbequeme Erfinder führte zahlreiche Prozesse, wurde als notorischer Querulant betrachtet und letztlich aus der Schweiz ausgewiesen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris wanderte er 1951 nach Australien aus. In den frühen 1960er-Jahren wurde er nach einer Reihe von Herzinfarkten fast bettlägerig, aber bis zu seiner Pensionierung arbeitete er noch für den zu General Motors gehörenden australischen Autohersteller Holden. 1961 wollte ihm die Bundesrepublik das Bundesverdienstkreuz verleihen und VW machte das Angebot für die Firma zu arbeiten. Wegen einer speziellen australischen Gesetzeslage konnte er das Bundesverdienstkreuz nicht annehmen. Depressiv und verarmt starb er zwei Jahre später einsam.[4]
„Bis zum frisch-fröhlichen Ausbruch des Dritten Reiches galt Ganz' Motorkritik bei den Leuten vom Autobau als richtiggehende Delikatesse. Eine Art ‚Autofackel‘ war das, blendend geschrieben, erfüllt von einem Geist, der stets verneint. Dipl. Ing. Josef Ganz verstand alles besser und das meiste anders. […] Entschieden: Josef Ganz hat der deutschen Autoindustrie auf die Fortschrittsbeine geholfen. Schauen Sie sich, bitte, die Wagen von vorher und nachher an. Auch für sich selbst war Dipl. Ing. Josef Ganz ein guter Prophet. Ein[en] Monat vor seiner Verhaftung zitierte er in der Motorkritik in schwarzumrandeter Fußnote, sozusagen als eigenen Partezettel, den Herrn Goering: ‚…In diesen Tagen kommen sie, die Denunzianten, da klagen sie den oder jenen an, aus Konkurrenzneid und ähnlichen Beweggründen heraus.[‘] Beide haben recht behalten: Goering und Ganz.“
Auf Schilperoord beruhende Quellen
- Paul Schilperoord: Die wahre Geschichte des VW-Käfers. Wie die Nazis Josef Ganz die VW-Patente stahlen. Originaltitel: Het ware verhaal van de Kever übersetzt von Paul von Oojen und Peter Wydler. Orell Füssli, Zürich 2011, ISBN 978-3-7193-1565-8.
- Paul Schilperoord, Lorenz Schmid: Josef Ganz: True father of the VW Beetle concept. In: JosefGanz.org. (englisch).
- Suzanne Raes: Ganz – Die wahre Geschichte des VW-Käfers. Film, WDR 2019.
Weblinks
Einzelnachweise
- Stadt Gottes: Illustri(e)rte Zeitschrift für das katholische Volk. Sammelband 1910, Porträts zur Tagesgeschichte, Seite 377 mit Lichtbild.
- Schutzhaft der Motorkritik. In: Der Morgen. Wiener Montagblatt, 6. Juni 1933, S. 15 (online bei ANNO).
- Internationale Automobil- und Motorradausstellung in Berlin. In: Der Motorfahrer / Automobil- und Motorrad-Zeitung, 17. Februar 1933, S. 6 (online bei ANNO).
- Das ist der wahre Erfinder des VW Käfers – er starb einsam und arm. In: Business Insider. 14. Oktober 2021, abgerufen am 14. Oktober 2021.
- Paul Schilperoord: Der Fall Ganz: Wie der VW Käfer wirklich entstand. In: Technology Review. 26. Oktober 2005, abgerufen am 24. November 2019.
- Bettina Maria Brosowsky: Das Schweigen der Autobauer. taz, abgerufen am 28. Februar 2021.
- Eine „kurze“ Bemerkung zu Josef Ganz und zum VW Käfer (Oldtimer-Blogartikel vom 27.09.2020). Abgerufen am 25. März 2021.
- Ein tüchtiger Bursche. In: Freie Stimmen. Deutsche Kärntner Landes-Zeitung / Freie Stimmen. Süddeutsch-alpenländisches Tagblatt. Deutsche Kärntner Landeszeitung, 28. Mai 1933, S. 12 (online bei ANNO).
- Ein österreichisches Kleinauto um 3500 Schilling. In: Salzburger Chronik. mit der illustrierten Beilage „Oesterreichische Woche“, 10. Juli 1934, S. 4 (online bei ANNO).