Pendelachse
Die Pendelachse (auch Schwingachse) ist eine einfache Form der Einzelradaufhängung an Automobilen. Der Radträger ist über ein starres Rohr mit einem in Fahrtrichtung liegendem Drehgelenk verbunden. Die beiden Gelenke der Achse befinden sich bei der Zweigelenk-Pendelachse nahe beieinander oder fallen bei der Eingelenk-Pendelachse zusammen. Beim Ein- und Ausfedern ändern sich der Sturz der Räder und die Spurweite.
Für diese Art der Radaufhängung bekam Edmund Rumpler bereits 1903 Patentschutz, wandte sie jedoch erst 1921 im Tropfenwagen an.[1][2]
Unter Pendelachse wird auch eine in der Regel ungefederte starre Achse, die in der Mitte um die Längsachse des Fahrzeugs drehbar ist (Hinterachse von Gabelstaplern, Vorderachse von Traktoren), verstanden.
Technik
Bei angetriebenen Pendelachsen kann das Differentialgetriebe fest mit dem Fahrgestell verbunden sein (Zweigelenk-Pendelachse, Kardangelenke am Differentialausgang),[3] oder es ist als Teil einer der beiden Pendel-Halbachsen seitlich verschoben und in einer am Fahrzeugkörper befestigten gabelförmigen Aufnahme pendelnd gelagert (Eingelenk-Pendelachse).[4][5] Die andere Halbachse wird über ein Kardangelenk angetrieben.[6] Bei der eingelenkigen, „gelenklose Pendelachse“ genannten Konstruktion nach Rumpler wälzen die Kegelzahnräder (Tellerräder) auf im Fahrzeug eingebauten Ritzeln ab.[7]
Das hohe Rollzentrum verursacht beim Einfedern eine „unverhältnismäßig große Spurweitenänderung“, die kurzen Pendelhalbachsen eine Sturzänderung, die die Fahrsicherheit mindern.[8] Bei Kurvenfahrt im Grenzbereich wird das kurvenäußere Gelenk angehoben („Aufstützen“ des Fahrzeugkörpers[9]), das äußere Rad bekommt positiven Sturz, so dass die Reifenseitenführung nachlässt. „Je stärker der positive Sturz schon bei Geradeausfahrt ist und je härter die Hinterachse wechselseitig federt, um so eher stellt sich dieser Effekt bei Kurvenfahrt ein. Ein Nach-außen-Wandern des Hecks kann die Folge sein - also ein starkes Übersteuern - und im Extremfall ein Überschlagen des Fahrzeugs.“[8] Die wechselseitige Federhärte lässt sich durch die Kombination weicherer Tragfedern mit einer nur bei gleichsinnigem Einfedern wirksamen Ausgleichsfeder verkleinern. Diese Maßnahme hat die umgekehrte Wirkung eines Stabilisators. Sie verringert die Übersteuertendenz des Fahrzeugs, indem Wankmoment von der Hinterachse zur Vorderachse verlagert wird. Zusätzlich wird der Aufstützeffekt etwas verringert.
Die Sturzänderung wird geringer, indem man die Achshälften so lang wie möglich macht (bei der Eingelenkpendelachse bis zur Fahrzeugmitte; bei nicht angetriebenen Achsen auch Pendel, die länger als die halbe Fahrzeugbreite sind). Die Spurweitenänderung wird geringer, wenn die Achshälften tiefer angelenkt werden.
Pendelachsen können mit breit abgestütztem Pendelgelenk ohne weitere Führungsteile auskommen (nebenstehende Abbildung). Häufiger sind sie durch Längslenker ergänzt, wie die bei Mercedes[10] oder durch Flachprofil-Längslenker wie beim VW-Käfer. Dessen „Federstreben“ sind torsionsweich, nur um die Drehachse biegesteif, um das Moment aus der Radlast auf den Drehstab übertragen zu können.
Verwendung
Die Pendelachse ist eine der frühen Einzelradaufhängungen. Der Name beschreibt die in der Querebene „pendelnd“ aufgehängten Halbachsen. Sie war für Fahrzeuge mit Hinterradantrieb und Zentralrohrrahmen geeignet. 1923 erschien der Tatra 11 mit „gelenkloser Pendelachse“ nach dem Rumpler-System. Die Achsrohre waren an einem gemeinsamen Drehpunkt mit dem Zentralrohrrahmen verbunden. Zweigelenk-Pendelachsen, wie sie bereits der Rumpler Tropfenwagen hatte, kamen 1931 auch beim Mercedes-Benz W 15 in Serie. In den dreißiger Jahren verwendeten weitere Hersteller die Pendelachse. Ferdinand Porsche begann 1932 die Entwicklung des Auto-Union-Rennwagens Typ A, der mit einer Zweigelenk-Pendelachse als hinterer Radaufhängung ausgerüstet war. Auto Union trat mit dem Typ A 1934 in der 750-kg-Formel an.
Der ab Sommer 1945 zunächst noch ohne Ausgleichsfeder in Serie gebaute VW-Käfer hatte zur Längsführung die oben genannte „Federstrebe“. Jedes Achsrohr war in einem Kugelgelenk seitlich am Getriebe gelagert. Die Bewegung des Achspendels beschrieb also keinen ebenen Kreissektor, sondern einen Teil eines Kegelmantels. Die Achse des Kegels ging durch den Drehpunkt des Pendelgelenks und den Mittelpunkt der Anlenkung der „Federstrebe“ an der Drehstabfeder. Zur großen Sturz- und Spurweitenänderung beim Einfedern kommt noch eine Veränderung der Vorspur hinzu.
Das hohe Momentanzentrum (Rollzentrum) wurde anfangs als Vorteil der Pendelachse bewertet, da es die Wankneigung bei Kurvenfahrt reduziert. Als die fahrdynamischen Anforderungen stiegen, mussten Maßnahmen gegen die Übersteuerungstendenz infolge des großen Wankmoments ergriffen werden. Mercedes-Benz legte 1954 den Anlenkpunkt der Eingelenk-Pendelachse des Mercedes-Benz W 180 (und damit das Momentanzentrum) tiefer und fügte eine Ausgleichsfeder hinzu. In gleicher Bauart folgte in der Luxusklasse 1964 der Mercedes-Benz 600. Die Längsführung übernahmen Längslenker, auf denen sich die Luftfedern mit Niveauregulierung abstützten. Aus Marketinggründen nannte Mercedes-Benz die Schräglenkerhinterachse des 1968 neuen Mercedes-Benz W115 („Strich-8“) „Diagonalpendelachse“. Man wollte die Pendelachse der noch weiter gebauten S-Klasse (W108) nicht veraltet erscheinen lassen.
Pendelachsen sind typisch für Kleinwagen der 1930er- bis 1960er-Jahre mit Heckmotor: Sie wurden beim VW-Käfer (nicht Automatik und 1302/1303), bei den Renaults mit Heckmotor (4CV, Dauphine, 8, 10, Floride), beim Goggomobil auch vorne, nur vorne im Hillman Imp, aber auch in anderen Klassen verwendet (Porsche 356, Borgward Isabella, Mercedes 300 SL, Honda 1300, Tempo Wiking, Tatra).
Pendelachsen wurden mehr als vierzig Jahre lang in Anpassung an unterschiedliche Forderungen eingebaut: vom Kleinwagen bis zur Luxusklasse, angetrieben und nicht angetrieben, an Hinter- und Vorderachse. In neuerer Zeit verwendet sie Tatra in geländegängigen Lastwagen und Piaggio in der Vespa Ape.
Anmerkungen
Literatur
- Kurt-Jürgen Berger, Michael Braunheim, Eckhard Brennecke: Technologie Kraftfahrzeugtechnik. 1. Auflage, Verlag Gehlen, Bad Homburg vor der Höhe, 2000, ISBN 3-441-92250-6
- Karl-Heinz Dietsche, Thomas Jäger, Robert Bosch GmbH: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. 25. Auflage, Friedr. Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden, 2003, ISBN 3-528-23876-3
Einzelnachweise
- Olaf von Fersen (Hrsg.): Ein Jahrhundert Automobiltechnik, Personenwagen. VDI-Verlag, Düsseldorf 1986, ISBN 3-18-400620-4, S. 378 (Auszug online, Google Books).
- Patent US1514862: Rear-axle drive for motor vehicles. Angemeldet am 26. März 1921, veröffentlicht am 11. November 1924, Erfinder: Edmund Rumpler.
- , Zweigelenk-Pendelachse, unteres Bild, VW-Käfer
- , Eingelenk-Pendelachse, schematisch, oberes Bild
- , Eingelenk-Pendelachse
- Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 28. Dezember 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Eingelenk-Pendelachse, Schnittbild, rechte Halbachse mit Kardangelenk angetrieben
- Der Differentialkorb und die die Radwellen antreibenden Kegelritzel drehen um eine Achse parallel zur Fahrzeuglängsachse. Die auf den Radwellen sitzenden Kegeltellerräder wälzen sich beim Schwingen der Halbachsen auf den Kegelritzeln um einen kleinen dem Antriebsdrehen überlagerten Betrag ab. Differentialgetriebe an der Eingelenk-Pendelachse hinten am Pinzgauer: (Standbild), (Video, Funktion ab etwa Minute 2:00)
- Jörnsen Reimpell: Fahrwerktechnik: Radaufhängungen, Vogel Buchverlag 1988, Seite 365–67
- Wolfgang Matschinsky: Radführungen der Straßenfahrzeuge: Statik, Kinematik, Elasto-Kinematik und Konstruktion. 2. Auflage. Springer, 1998, ISBN 978-3-662-09653-6, S. 175 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- , Eingelenk-Pendelachse bei Mercedes