Jaroslav Borsita von Martinic
Jaroslav Borsita von Martinic, auch Martinitz, tschechisch: Jaroslav Bořita z Martinic, (* 6. Januar 1582; † 21. November 1649 in Prag) war ein böhmischer Adliger und einer der beiden königlichen Statthalter, die beim zweiten Prager Fenstersturz 1618 aus einem Fenster der böhmischen Kanzlei in der Prager Burg gestürzt wurden.
Leben
Seine Eltern waren der gleichnamige kaiserliche Rat, Kämmerer und Oberst-Hofmeister König Rudolfs II., Jaroslav Borsita d. Ä. von Martinic, und Johanka Dašická von Barchov auf Běrunice und Veltruby. Sein Vater verstarb im Jahre 1581 durch einen Unfall. Jaroslav Borsita wuchs mit seinen älteren Geschwistern Isolde und Jiřík bei der Mutter auf, die danach mit Albrecht Leskovec von Lestkov und nach dessen Tod mit Johann Wenzel Popel von Lobkowitz auf Dux und Oberleutensdorf verheiratet war. Sein Halbbruder war Albrecht Sebastian Leskovec von Lestkov. 1592 verstarb seine Mutter; ihre Güter vererbte sie ihren Kindern aus erster und zweiter Ehe.[1]
Jaroslav Borsita wurde im Jahre 1596 mit 14 Jahren für mündig erklärt. Zwei Jahre später beerbte er seinen Onkel Georg Borzita von Martinic auf Smetschno († 22. Januar 1598), der Hofmarschall und Oberstkanzler im Königreich Böhmen war.
Aus dem umfangreichen Erbe des Onkels gab Jaroslav Borsita von Martinic dem unter ständigen Geldmangel leidenden König Rudolf II. ein Darlehen von 100.000 fl. Legendenhaft ist eine Überlieferung, welche sich um 1600 zugetragen haben soll: Martinic soll auf einer Studienreise nach Siena und Rom von Papst Clemens VIII. als Auszeichnung für sein Festhalten am Katholizismus eine Reliquie für den Altar der Familienkapelle des im Jahre 1583 gekauften Hauses am Hradschiner Platz Nr. 8 in Prag erhalten haben. Urkundlich gesichert ist hingegen, dass Jaroslav Borsita im Jahre 1598 den Großgrundbesitz und das Schloss in Smetschno erbte und die Herrschaft Stochau bei Kladno kaufte. König Rudolf II. ernannte ihn zum Stadthauptmann der Königstadt Schlan, welche sich dem evangelisch-reformierten Glaubensbekenntnis angeschlossen hatte. Die mütterlichen Güter Běrunice und Veltruby verkaufte er 1607 zusammen mit seiner Schwester Isolde und deren Mann Friedrich von Donin an Adam d. J. von Waldstein auf Dymokury. Im Jahre 1609 wurde Jaroslav Borsita von Martinic Hofmarschall und Oberstkanzler in Königreich Böhmen ernannt.
Während der Zeit der Auseinandersetzungen zwischen König Rudolf II. und seinem Bruder Matthias um die Erbfolge als König von Böhmen hatte sich Martinic aus der aktiven Politik zurückgezogen und widmete sich der Verwaltung seines Besitzes. Am 9. Juli 1609 gewährte König Rudolf II. den evangelischen Standesherren in Böhmen durch den Majestätsbrief weitgehende Religionsfreiheit, welche den Bau von Schulen und Kirchen für die evangelisch-reformierten Gläubigen mit einschloss, und zwar nicht nur auf den Besitzungen des Adels, sondern auch im Gebiet der königlichen Kammergüter. Wegen der letzten Bestimmung kam es in den folgenden Jahren zu schweren Konflikten zwischen den böhmischen Katholiken und Protestanten. Es war umstritten, ob auch die Besitzungen der katholischen Stifte – diese gehörten in Böhmen nicht zu den Ständen – als königliche Kammergüter anzusehen seien und sie deshalb den Bau evangelischer Kirchen in ihren Dörfern zulassen müssten. Die Zerstörung einer evangelischen Kirche in Klostergrab, deren Bau die Katholiken als illegal empfanden, war 1618 der Auslöser für den böhmischen Ständeaufstand. Der militärische Anführer dieses Aufstandes war Heinrich Matthias von Thurn, der einen persönlichen Groll gegen Martinic hegte, da Thurn ihm 1617 das einträgliche Amt des Burggrafen von Karlstein hatte abtreten müssen. Gleichzeitig wurde Martinic zum königlichen Statthalter in Böhmen auf der Prager Burg ernannt. Er war damit einer der Hauptvertreter der katholischen Standesherren und damit der Gegenreformation und Gegnerschaft des Majestätsbriefes.
1617 wurde Ferdinand II. von den Ständen zum König von Böhmen gewählt. Ferdinand war dafür bekannt, dass er als eifriger Anhänger der Gegenreformation selbige auch umzusetzen suchte, indem er den Majestätsbrief bekämpfte und die Rechte des protestantischen Adels stark einschränkte. Aus den genannten Gründen kam es dann zum Zweiten Prager Fenstersturz: Am 23. Mai 1618 eilte nach einer Protestversammlung in der Prager Universität eine wütende Menge protestantischer Ständevertreter unter Führung des Heinrich Matthias von Thurn nach einem Marsch über die Karlsbrücke zur Prager Burg, wo sie nach einer lautstarken Auseinandersetzung die beiden königlich-katholischen Statthalter Martinic und Wilhelm Slavata, sowie den Schreiber Fabricius aus einem Fenster der böhmischen Kanzlei etwa 17 Meter tief in den Burggraben warfen. Die drei Betroffenen überlebten, der Fenstersturz an sich wurde jedoch zu einem Ereignis von weitreichender Bedeutung, da dieser den Dreißigjährigen Krieg auslöste.
Jaroslav Borzita von Martinic konnte sich in das nahegelegene Haus des Oberstkanzler Lobkowitz retten, stellte sich todkrank, ließ einen Priester für die Beichte und die letzte Ölung bestellen und täuschte damit seine Verfolger. Als Stallknecht verkleidet, flüchtete er über München und Passau nach Bayern und damit unter die Protektion des Führers der Katholischen Liga, Herzog Maximilian I. von Bayern. Zwei Jahre später, am 8. November 1620, siegten die vereinten Heere der Kaiserlichen und der katholischen Liga in der Schlacht am Weißen Berg über das Heer der böhmischen Aufständischen. Am 21. Juni 1621 wurden am Prager Altstädter Ring 27 Teilnehmer des Aufstandes hingerichtet, ihre Ländereien wurden größtenteils eingezogen und an den katholischen Adel verteilt.
Mit den Siegern zog auch Jaroslav Borzita von Martinic in Prag ein. Er erhielt sein Eigentum zurück und wurde vom König Ferdinand II. am 10. Mai 1621 zum Reichsgrafen erhoben. Am 6. Januar 1622 erhielt er eine Wappenbesserung und die Bestätigung des Grafenstandes für das Königreich Böhmen. Von der Vermögensverwaltung des Kaisers kaufte er die Stadt Schlan, welche sich zuvor auf die Seite der aufständisch-protestantischen Stände gestellt hatte und 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag enteignet worden war. Damit war Martinic Eigentümer von Smetschno und Schlan, sowie der Herrschaften und Schlösser Grünberg, Hagensdorf und Brunnersdorf.
In den Jahren nach der Erhebung in der Grafenstand setzte sich die politische Karriere von Graf Martinic fort. Er wurde 1624 Oberstlandrichter, 1625 Oberstlandkämmerer, 1628 Obersthofmeister, 1634 Hofpfalzgraf mit großem Palatinat und im Jahre 1638 Oberstburggraf von Böhmen. Vom spanischen König Philipp IV. erhielt er den Orden vom Goldenen Vlies. Jaroslav Borsita Graf von Martinic war viermal verheiratet und wurde Vater von fünf Söhnen, welche die Stammlinie der Martinic fortsetzten; und drei Töchtern, welche sich mit Standesherren aus Böhmen verehelichten.
Die kurze Zeit der schwedischen Besatzung nach der Eroberung der Prager Kleinseite am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 durch schwedische Truppen unter General Hans Christoph von Königsmarck überstanden Martinic und seine Familie unbehelligt, lediglich das Palais Martinic am Hradschiner Platz wurde beschlagnahmt und wurde mit schwedischer Einquartierung belegt. Martinic erlebte noch den Abzug der Schweden und damit das Ende des Dreißigjährigen Krieges, verstarb jedoch schon im Jahr darauf als 67-Jähriger und wurde in der Kirche von Schloss Smetschno beigesetzt. Die Stadt Smetschno führt zur Erinnerung an die Familie der Martinic die bewurzelten, sich erhebenden zwei Seerosenblattstengel aus deren alten Stammwappen im Wappen der Stadt.
Literatur
- Constantin von Wurzbach: Martinitz, Jaroslaw Bořita Graf von. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 17. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1867, S. 48 f. (Digitalisat).
- Hans von Zwiedineck-Südenhorst: Martinitz, Jaroslav Borita Graf von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 20, Duncker & Humblot, Leipzig 1884, S. 515–517.
- Die Wappen des Böhmischen Adels, in: J. Siebmacher´s großes Wappenbuch, Band 30, reprographischer Nachdruck von Siebmacher´s Wappenbuch, Nürnberg IV. Band, 9. Abteilung, 1886, Grafen von Martinic Regierer des Hauses Smetschna, S. 145, S. 147. Stammwappen und Grafenwappen auf Tafel 68, Bauer und Raspe, Neustadt an der Aisch, ISBN 3-87947-030-8
- Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges (= Janus-Bücher. Bd. 13, ISSN 0447-3485). Oldenbourg, München u. a. 1959.
- Johanna von Herzogenberg: Prag – Ein Führer. Prestel-Verlag München 1966, Der Prager Fenstersturz S. 60 bis 63.
- Roman von Procházka, Genealogisches Handbuch erloschener böhmischer Herrenstandsfamilien, Jaroslav Borsita Graf (Smeczensky) von Martinicz (1582-1649), 1638 Oberstburggraf in Prag, Verlag Degener & Co, Neustadt an der Aisch 1973, ISBN 3-7686-5002-2. Übersicht und Ahnentafel des Herrengeschlechtes Martinic von S. 183 bis 186, mit weiterführenden umfangreichen Quellenangaben.
- Heribert Sturm (Hg.): Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Oldenbourg Verlag, München 1984, Band II, S. 588 f., ISBN 3-486-52551-4
- Zdenek Hojda: Martinitz, Jaroslav Bořita Graf von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-00197-4, S. 302 f. (Digitalisat).