Heinrich Matthias von Thurn
Heinrich Matthias Graf von Thurn-Valsassina (tschech.: Jindřich Matyáš z Thurnu; * 24. Februar 1567 auf Schloss Lipnitz, Böhmen; † 28. Januar 1640 in Pernau, Livland) war einer der Hauptführer des Ständeaufstands in Böhmen (1618) gegen Ferdinand II. in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde er in schwedischen Diensten zum militärischen Anführer der protestantischen böhmischen Exulanten.
Leben
Heinrich Matthias Graf von Thurn und Valsassina wurde am 24. Februar 1567 geboren als Sohn protestantischer Eltern, deren Vorfahren von einem deutschen Zweig des italienischen Patriziergeschlecht Torriani abstammten. Sein Vater Franz erhielt durch militärische Dienste einige Höfe in Böhmen und Mähren, heiratete dort auch zweimal, zunächst Lidmila Berka von Dauba und in der zweiten Ehe Barbora Gräfin Schlick. Aus der zweiten Ehe stammte Heinrich Matthias, als jüngstes von insgesamt 14 Kindern. Nach dem Tod des Vaters wurde er von seinem katholischen Onkel Johann Ambross erzogen, behielt jedoch trotz intensiven katholischen Unterrichts seinen protestantischen Glauben. Den größten Teil seiner Jugend verbrachte er in Österreich.
In den Jahren 1585/1586 gehörte er zur kaiserlichen Gesandtschaft, die Istanbul besuchte, von dort aus begab er sich nach Ägypten, Syrien und Jerusalem. 1592 trat er in die kaiserliche Armee ein und kämpfte gegen die Osmanen in Ungarn. Nach Beendigung des Krieges kehrte er auf seine Höfe bei Jičín (Jitschin) und Vintířov in Böhmen zurück, und nach fünfzehn Jahren verließ er die Armee als Oberst und Kriegsrat.
Durch seine Heirat 1591 mit Magdalena Gall von Losdorf und einige Erbschaften kam er inzwischen zu einem ansehnlichen Vermögen in Österreich, Görz und Krajina. 1605 kaufte er die Herrschaft Veliš im Nordosten Böhmens und wurde Mitglied der böhmischen Stände. 1606 erbte er von der Familie seiner bereits 1600 verstorbenen ersten Frau das Schloss Loosdorf in Niederösterreich. Später heiratete er Susanne Elisabeth von Tiefenbach. Aus erster Ehe stammte sein einziger Sohn Franz Bernhard (1595–1628). Heinrich Matthias führte die Titel Graf von Thurn, Freiherr von Valsassina und zum Heiligen Kreuz, Herr auf Loßdorf, Wellüsch, Godingen und Winterz, Burggraf von Karlstein.
Er beherrschte zwar nicht die tschechische Sprache, mit den Böhmen verband ihn jedoch der protestantische Glaube. 1609 gehörte er zu den führenden Vertretern des Ständeaufstandes, befehligte zu diesem Zeitpunkt bereits deren Heer und galt als der militärische Kopf der Oppositionellen. 1611 führte er die Ständearmee im Kampf gegen die Passauer. König Matthias II. ernannte ihn für seine Verdienste zum Burggrafen von Karlstein. Diesen Titel und damit das einträgliche Amt verlor er jedoch 1617 an Jaroslav Borsita von Martinic, als er sich gegen den neuen König Ferdinand II. stellte. Er wurde zum Hofrichter ernannt, jedoch waren dessen Einkünfte und Ansehen weit unter denen des Burggrafen von Karlstein.
Heinrich Matthias von Thurn war einer der Verfasser der von den böhmischen Ständen verfassten Apologie, mit der sie ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Prager Fenstersturz zu rechtfertigen suchten. Thurn wurde von den Ständen zu einem der 30 Verteidiger des protestantischen Glaubens ernannt. Am 23. Mai 1618 begann der Aufstand der protestantischen Bevölkerung in Böhmen. Thurn wurde vom Direktorium der böhmischen Konföderation zum militärischen Führer des ständischen Heeres ernannt, mit dem er am 5. Juni und am 26. Oktober 1619 vor Wien stand, wo er allerdings aus Mangel an schwerem Belagerungsgerät und Soldaten keinen militärischen Erfolg hatte. Nach der Niederlage der Aufständischen in der Schlacht am Weißen Berg (1620), an der er als Regimentskommandeur teilnahm, ließ Ferdinand II. im Anschluss an den Prager Untersuchungsausschuss alle Rädelsführer des böhmischen Aufstandes ächten, darunter auch Heinrich Matthias von Thurn, der seinen gesamten böhmischen und österreichischen Besitz verlor und der Hinrichtung entging, indem er nach Siebenbürgen zu Gabriel Bethlen und später ins Osmanische Reich flüchtete. Seine von der Böhmischen Kammer konfiszierte Burg Veliš erwarb anschließend der kaiserliche Feldherr Wallenstein, der sie seinem Herzogtum Friedland einverleibte.
In der Folgezeit kämpfte Thurn deshalb weiterhin gegen die Habsburger und beteiligte sich als Diplomat und Feldherr am Dreißigjährigen Krieg. Er war der selbsternannte militärische Anführer der böhmischen Emigranten und befehligte 1626 ein kleines Korps in Schlesien. Danach diente er als Generalleutnant im schwedischen Heer König Gustav II. Adolfs, dem er – im Gegensatz zu den deutschen Protestanten – als einzigem den Willen und die Fähigkeit zutraute, Böhmen erneut (und wenn möglich auch Österreich) der Habsburger-Herrschaft zu entreißen. Fälschlicherweise wird ihm oft eine Teilnahme an der Schlacht bei Breitenfeld (1631) und der Schlacht bei Lützen (1632) nachgesagt. Tatsächlich handelte es sich aber hierbei um seinen jüngeren Vetter Johann Jakob von Thurn, Befehlshaber des sogenannten „Schwarzen Regiments“.
1631 rückte er im Gefolge des sächsischen Feldmarschalls Hans Georg von Arnim-Boitzenburg, begleitet von zahlreichen Emigranten, in Böhmen ein; im selben Jahr war er an der Herstellung eines geheimen Gesprächskanals zwischen Gustav Adolf und Wallenstein beteiligt, der von dessen Schwager Trčka eingefädelt wurde. Als Arnim 1632 von Wallenstein wieder aus Böhmen herausgedrängt wurde, zog Thurn wieder mit. Er misstraute Arnim zutiefst, den er verdächtigte, mit Wallenstein einen Ausgleich zwischen den deutschen Protestanten und dem Kaiser – auf dem Rücken der böhmischen Emigranten – zu suchen. Nachdem Gustav Adolf 1632 in der Schlacht bei Lützen gegen Wallenstein gefallen war, ernannte der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna 1633 Thurn zum Führer eines kleinen schwedischen Korps von etwa 6.000 Mann, das tatsächlich ein böhmisch-protestantisches Emigrantencorps war.[1] Mit diesem rückte Thurn in das von Arnim im Vorjahr besetzte Schlesien ein; Zweck war, die Sachsen zu unterstützen gegen die Kaiserlichen, gleichzeitig ein Auge auf das benachbarte Polen zu haben und die Sachsen zu kontrollieren bzw. zu bekämpfen, falls sie sich mit den Kaiserlichen verständigen sollten.[2] Er war an den – von Emigranten, darunter Wilhelm Kinsky, betriebenen – diskreten Kontakten zwischen Wallenstein und Oxenstierna beteiligt. Im Sommer 1633 traf er sich, wie auch Arnim, während eines Waffenstillstands in Schlesien mit Wallenstein zu Verhandlungen.
Am 11. Oktober 1633 wurde das Korps Thurns bei Steinau an der Oder vom Heer Wallensteins eingeschlossen und er selbst gefangen genommen, dabei zeigte er sich als sehr unfähiger Heerführer. Thurn wurde jedoch nach militärischen Zugeständnissen an Wallenstein (Übergabe aller schlesischer Festungen) wieder frei gelassen, was am kaiserlichen Hof in Wien große Empörung auslöste und die Stimmung gegen Wallenstein verstärkte.[3] Friedrich Schiller beschreibt die Hintergründe dafür in seiner „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ von 1792 so:
„Mit blutdürstiger Ungeduld erwartet man in Wien die Ankunft dieses großen Verbrechers und genießt schon im voraus den schrecklichen Triumph, der Gerechtigkeit ihr vornehmstes Opfer zu schlachten. Aber den Jesuiten diese Lust zu verderben, war ein viel süßerer Triumph, und Thurn erhielt seine Freiheit. Ein Glück für ihn, daß er mehr wußte, als man in Wien erfahren durfte, und daß Wallensteins Feinde auch die seinigen waren. Eine Niederlage hätte man dem Herzog (Wallenstein) in Wien verziehen, diese getäuschte Hoffnung vergab man ihm nie.“
Thurn zog sich danach ins Privatleben zurück, das er in Pernau (im damals schwedischen Livland) verbrachte. Dort starb er am 28. Januar 1640 und fand seine Grabstätte im Dom zu Reval. In seiner in Schweden verfassten „Defensionsschrift“ beschrieb Thurn die Ereignisse von 1618 als verantwortungsbewusste Verteidigung des eigenen Glaubens. Im Baltikum erlosch der Familienzweig mit seinem Enkel Heinrich von Thurn (* 1628; † 19. August 1656), schwedischer General, Reichsrat, Statthalter in Riga und Reval.
Schriften
Zwey denckwürdige Sendschreiben : I. Eines Engeländischen vom Adel an seiner guten Freund und Landleut einen unlangsten abgangen: Auß welchem alle Umbstände, derer den 8. Novembr. deß verschienen 1620 Jahrs, ergangenen Pragerischen Niderlage, zu sehen, unnd wannenhero dieselbe ursprünglich verursacht worden. II. So Graf Heinrich-Matthes vom Thurn, [et]c. an einen fürnehmen Oesterreichischen Landherrn, wegen besagter Niderlag vor Prag, unnd seines vorhabenden Kriegszugs, [et]c. sub dato Newhäusel/ den 14 Iulii/ dieses 1621 Jahrs, abgehen lassen Digitalisat in: Bayerische Staatsbibliothek Digital, Münchener Digitalisierungszentrum
Literatur
- Peter Engerisser: Von Kronach nach Nördlingen. Der Dreißigjährige Krieg in Franken, Schwaben und der Oberpfalz 1631–1636. 2., überarbeitete, verbesserte und erweiterte Auflage. Späthling, Weißenstadt 2007, ISBN 978-3-926621-56-6, S. 273, 283.
- Jörg-Peter Findeisen: Der Dreißigjährige Krieg. eine Epoche in Lebensbildern. Verlag Styria, Graz u. a. 1998, S. ISBN 3-222-12643-7, 138–143.
- Hermann Hallwich: Thurn-Valsassina, Matthias Graf von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 39, Duncker & Humblot, Leipzig 1895, S. 70–92.
- Hans Sturmberger: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges (= Janus-Bücher. Bd. , ISSN 0447-3485). Oldenbourg, München u. a. 1959.
Weblinks
Einzelnachweise
- Golo Mann: Wallenstein. Sein Leben, Frankfurt am Main 2016 (zuerst 1971), S. 903
- Golo Mann, ebd., S. 900
- Cicely Veronica Wedgwood: Der Dreißigjährige Krieg. Cormoran Verlag GmbH Lizenzausgabe 1999, Paul List Verlag, München 1967, ISBN 3-517-09017-4, S. 307.