Inge Deutschkron

Inge Deutschkron (* 23. August 1922 in Finsterwalde) ist eine deutsch-israelische Journalistin und Autorin.

Leben

Wohnhaus Inge Deutschkrons 1941–1943 in Berlin-Schöneberg, im Mai 2007

Inge Deutschkron ist die Tochter der Ella und des sozialdemokratischen Gymnasiallehrers Martin Deutschkron[1]. 1927 zog die Familie nach Berlin. 1933 erfuhr Inge Deutschkron von der Mutter, dass sie Jüdin sei.[2] Der Vater wurde im April 1933 als SPD-Mitglied wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Schuldienst entlassen. Er unterrichtete danach an der zionistischen Theodor-Herzl-Schule Berlin.[3] Anfang 1939 erlangte er über seine Cousine, die für ihn eine hohe Kaution hinterlegt hatte, ein Visum für Großbritannien.[4]

Da das Geld nur für eine Person reichte, sollte er zuerst ausreisen und für das Nachfolgen der Familie sorgen. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 konnten Inge Deutschkron und ihre Mutter jedoch nicht mehr fliehen. Von 1941 bis 1943 arbeitete Inge Deutschkron in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt in Berlin-Mitte, der sie vor der Deportation bewahrte. Ab Januar 1943 lebte sie illegal in Berlin und versteckte sich, um dem Holocaust zu entgehen, mit ihrer Mutter bei nichtjüdischen Freunden. Mehrere der Personen, die Inge Deutschkron und ihre Mutter unterstützten und versteckten, waren Mitglieder oder aus dem Umfeld der linkssozialistischen Widerstandsgruppe Roter Stoßtrupp, so z. B. Otto Ostrowski.[5]

1946 zog sie mit der Mutter nach London zu ihrem Vater, studierte Fremdsprachen und wurde Sekretärin bei der Sozialistischen Internationale. 1954 folgte eine Reise nach Indien, Birma, Nepal und Indonesien, von der sie 1955 nach Deutschland zurückkehrte und nach der sie in Bonn als freie Journalistin arbeitete. 1958 wurde sie Korrespondentin für die israelische Tageszeitung Maariw. 1963 nahm sie als Beobachterin für Maariw am Frankfurter Auschwitz-Prozess teil. 1966 erhielt sie die israelische Staatsbürgerschaft.

Aus Verärgerung über wieder aufflammenden Antisemitismus in der deutschen Politik und die aus ihrer Sicht antiisraelische Haltung der 68er-Bewegung zog sie 1972 nach Tel Aviv. Bis 1988 arbeitete sie dort als Redakteurin für Maariw. Dabei widmete sie sich besonders der internationalen und der Nahost-Politik. Ihre Autobiografie Ich trug den gelben Stern machte sie 1978 berühmt.[2]

Für das Theaterstück Ab heute heißt Du Sara, eine Bühnenadaption ihrer Autobiographie Ich trug den gelben Stern, am GRIPS-Theater kehrte sie im Dezember 1988 nach Berlin zurück. Seit 1992 lebte sie als freie Schriftstellerin in Tel Aviv und Berlin; seit 2001 lebt sie ganz in Berlin.[2] Sie setzt sich dafür ein, dass die „Stillen Helden“ (Menschen, die Juden gerettet haben) vom deutschen Staat gewürdigt werden. Auf ihre Initiative wurde der Förderverein Blindes Vertrauen gegründet, dessen Vorsitzende sie ist.

1994 entstand unter der Regie von Wolfgang Kolneder mit und über Inge Deutschkron der Dokumentarfilm Daffke…! Die vier Leben der Inge D. Eine weitere Dokumentation mit dem Titel Plötzlich war ich Jüdin. Das unglaubliche Leben der Inge Deutschkron von Jürgen Bevers wurde 2012 im WDR ausgestrahlt.[6]

Am 30. Januar 2013 hielt sie im Deutschen Bundestag die Rede anlässlich der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.[7][8] Als Zeitzeugin führte sie Anfang 2014 durch das Doku-Drama Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt, das auch ihre Geschichte erzählt.

Ihre Lebensgeschichte wird auch in der Dauerausstellung Wir waren Nachbarn im Berliner Rathaus Schöneberg dargestellt.[9]

Inge Deutschkron ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Inge Deutschkron Stiftung

Am 6. Oktober 2006 hat Inge Deutschkron ihre Stiftung gegründet. Die Stiftung soll die Erinnerung an die Frauen und Männer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus wachhalten, die Auseinandersetzung der Deutschen mit diesem Teil der Geschichte fördern und ein Aufkeimen und Wiederaufleben rechtsradikaler Tendenzen verhindern.

Auszeichnungen

Das Bundesverdienstkreuz hat Inge Deutschkron mehrfach abgelehnt, weil in den 1950er-Jahren viele Nazis damit ausgezeichnet worden seien.

Werke

  • 1965: ... denn ihrer war die Hölle. Kinder in Gettos und Lagern. Wissenschaft und Politik, Köln.
  • 1978: Ich trug den gelben Stern. Wissenschaft und Politik, Köln, ISBN 3-8046-8555-2, dtv, München 1992, ISBN 3-423-30000-0.
  • 1983: Israel und die Deutschen: Das schwierige Verhältnis. Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, ISBN 3-8046-8612-5. Neuauflage 2000.
  • 1985: … denn ihrer war die Hölle: Kinder in Gettos und Lagern. Wie vor, ISBN 3-8046-8565-X.
  • 1988: Milch ohne Honig: Leben in Israel. Wie vor, ISBN 3-8046-8719-9.
  • 1992: Unbequem: Mein Leben nach dem Überleben. Wie vor, ISBN 3-8046-8785-7.
  • 1996: Sie blieben im Schatten: Ein Denkmal für „stille Helden“. Edition Hentrich, Berlin, ISBN 3-89468-223-X.
  • 2000: Mein Leben nach dem Überleben. dtv, München, ISBN 3-423-30789-7.
  • 2001: Das verlorene Glück des Leo H. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main / Wien / Zürich, ISBN 3-7632-5105-7.
  • 2001: Emigranto: Vom Überleben in fremden Sprachen. Transit, Berlin, ISBN 3-88747-159-8.
  • 2001: Papa Weidt: Er bot den Nazis die Stirn. Butzon & Bercker, Kevelaer, ISBN 3-7666-0210-1 (mit Lukas Ruegenberg)
  • 2004: Offene Antworten: Meine Begegnungen mit einer neuen Generation. Transit, Berlin, ISBN 3-88747-186-5.
  • 2007: Wir entkamen. Berliner Juden im Untergrund. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Beiträge zum Widerstand 1933–1945, Berlin[14]
  • 2018: Auschwitz war nur ein Wort. Berichte über den Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963-1965, Metropol-Verlag Berlin, ISBN 978-3-86331-417-0.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Deutschkron, Martin, in: Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. München : Saur, 1988, ISBN 3-598-10477-4, S. 68
  2. Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2013, Franziska Augstein: Inge Deutschkron.
  3. Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, dipf.de: „Wir gehen gern in unsere Schule.“ Eine Ausstellung über die zionistische Theodor-Herzl-Schule in Berlin bis 1939 (Memento des Originals vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bbf.dipf.de (PDF; 6,2 MB)
  4. Zeit.de, 9. März 1979, Rolf W. Schloss: Den unbesungenen Helden : Inge Deutschkrons ungewöhnliches Überleben in schrecklicher Zeit. (Buchbesprechung zu „Ich trug den gelben Stern“)
  5. Dennis Egginger-Gonzalez: Der Rote Stoßtrupp. Eine frühe linkssozialistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Lukas Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3867322744, S. 291–298
  6. Plötzlich war ich Jüdin. Das unglaubliche Leben der Inge Deutschkron. In: WDR-dok vom 14. März 2012 (zur Sendung am 23. März 2012)
  7. bundestag.de: Rede von Inge Deutschkron (Memento des Originals vom 5. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bundestag.de, abgerufen am 31. Januar 2013.
  8. sueddeutsche.de, 30. Januar 2013, Oliver Das Gupta: Holocaust-Überlebende rührt den Bundestag (9. Juli 2016)
  9. Ausstellung Wir waren Nachbarn
  10. Inge Deutschkron nimmt Carl-von-Ossietzky-Preis entgegen (Memento des Originals vom 3. Juli 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.oldenburg.de, Website der Stadt Oldenburg.
  11. Philipp Gessler: Geschmäht, versteckt, endlich geehrt. taz, 18. Juli 2007.
  12. Louise-Schroeder-Medaille : Schriftstellerin Inge Deutschkron wird vom Land Berlin ausgezeichnet. Tagesspiegel, 22. März 2008, online auf tagesspiegel.de, abgerufen am 2. April 2011.
  13. Pressemitteilung vom 22. Juni 2018
  14. gdw-berlin.de (Memento des Originals vom 7. Januar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gdw-berlin.de
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