Herrensohr
Herrensohr ist ein Stadtteil von Saarbrücken innerhalb des Stadtbezirks Dudweiler (siehe Liste der Stadtteile Saarbrückens). Unmittelbare Nachbarorte sind Dudweiler und Jägersfreude. Der Ort liegt am rechten Ufer des Sulzbaches, einem Nebenfluss der Saar.
Herrensohr wird im Volksmund auch „Kaltnaggisch“ genannt. Der Zweitname des Ortes komme – so die Volksetymologie – von der kahlen Rodungsfläche, auf der er erbaut wurde. Dazu würde auch der Namensbestandteil „sohr“ (Adjektiv) und „sohren“ (Verb) von Herrensohr passen, was – aktuell nur noch im Norddeutschen verwendet – für „verdorrt“, „vertrocknet“, „welk geworden“ bzw. „verdorren“, „vertrocknen“, „welk werden“ steht. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm übersetzt Sohr auch mit Heide.[1]
Der Ort Herrensohr wurde ab 1856 als Bergmannskolonie planmäßig auf einer ehemaligen Waldfläche errichtet. Der Volkskundler Nikolaus Fox bezeichnet allerdings den volkstümlichen Ortsnamen von Herrensohr „Kaltnaggisch“ als sprachliche Tautologie aus der ursprünglichen keltischen Örtlichkeitsbezeichnung „gall/gallt“ (lat. collis; dt. Hügel) und der späteren althochdeutschen Worthinzufügung „nak“ (Spitze). Der ursprüngliche Gewann-Name würde demnach heute einfach „Hügel“ oder „Anhöhe“ heißen.[2]
Der Ort Herrensohr zählt zu den jungen Siedlungen des Saarlandes. Die Ortschaft ist eine planmäßige Gründung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Bergbau und die Hüttenindustrie einen rasanten Aufschwung nahmen und der Bedarf an Steinkohle in ungeahnte Höhen schnellte. Da es hinsichtlich der Förderung von Kohle und der Bearbeitung von Eisen an Arbeitskräften mangelte, bemühte sich die Bergverwaltung an der Saar um die Anwerbung neuer Bergleute: Zunächst im Gebiet links der Saar zwischen Hostenbach und Saarlouis, dann auf dem Hunsrück, im Tal der Mosel, in der Eifel, im Westerwald, in Hessen, im Harz, in Sachsen sowie in Böhmen.
Probleme ergaben sich bei der Unterbringung der Zuwanderer. Ab dem Jahr 1852 plante daher die Bergbehörde die Anlage von Arbeiterkolonien – eine davon in der Nähe von Dudweiler. Man entschied sich, die neue Bergmanns-Kolonie am westlichen Hang des Sulzbachtales zwischen Jägersfreude und Dudweiler anzulegen. Der Knappschaftsverein Saarbrücken hatte zum Zweck der Errichtung einer Bergmannskolonie durch Tausch vom Forstfiskus drei Walddistrikte mit den Namen „Herresohr“ (sic!), „Bärendick“ und „Felsenborn“ erworben, die unter dem Namen „Herresohr“ (sic!) im Dudweiler Grundbuch eingetragen waren. Der Name Herrensohr, ursprünglich auch Herresohr, wird auch mit der „Herrenjagd“ in Verbindung gebracht, da das waldige Gebiet den Grafen von Saarbrücken zu Jagdzwecken gedient hatte.[3]
Eine Eingabe der Einwohner, man solle ihren Ort nach einem der beiden anderen Walddistrikte – Felsenborn oder Bärendick – benennen, wurde von der zuständigen Behörde abgelehnt.[4] Im Folgejahr 1853 wurden zu diesem Zweck die drei im Grundbuch von Dudweiler unter dem Namen „Herre(n)sohr“ eingetragenen Waldstücke Bäresdick/Bärendick, Felsenborn und Herrensohr erworben. Die beiden bewaldeten Hügel werden durch den Römerbach, den Bärenbach sowie den Wolfsbach zum Sulzbach hin entwässert.
Nach der Rodung des vorgesehenen Siedlungsgebietes wurden die Wege markiert und die Bauplätze abgesteckt. Bereits im Jahr 1856 wurden mehr als zehn Häuser errichtet. In Bezug auf den gewaltigen Zustrom an Arbeitern und deren Familien kam es bei den bereits bestehenden Alt-Gemeinden wie Dudweiler zu Unmut, denn sämtliche anfallenden Kosten für Schulgeld, Armenpflege sowie für Schul- und Wegebau fielen zu Lasten der Gemeindeverwaltung Dudweilers, während die Dudweiler Gemeindekasse andererseits infolge der geringen Einkommen der Herrensohrer Bergleute wenig direkte Einnahmen erzielen konnte. So wurde auf einer Konferenz im Jahr 1858, die über die mit der Zuwanderung zusammenhängenden Probleme beriet, entschieden, dass an das neue Herrensohr keine Dudweiler Banngebiete abgetreten werden sollten, sondern der neue Ort ausschließlich als Ortsteil des alten Dudweilers juristisch eingeordnet wurde.
Im Jahr 1858 hatte Herrensohr 362 Einwohner, im Jahr 1865 schon 739, im Jahr 1880 bereits 1876, im Jahr 1885 stieg die Bevölkerung auf 2171 Menschen, um im Jahr 1910 mit 4538 Personen den bisherigen Höhepunkt seiner Bevölkerungsentwicklung erreicht zu haben.
Bei einem schweren Grubenunglück infolge einer Schlagwetterexplosion in der Nacht vom 17. auf den 18. März 1885, kurz vor Mitternacht, auf der Grube Camphausen kamen 180 Bergleute ums Leben. Davon stammten 37 Bergleute aus Herrensohr.
Auch die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts brachten viel Leid und Not über den Ort. Am 1. September 1939, am Tag des Kriegsausbruches, ordnete die Reichsregierung an, dass die Städte und Dörfer der sogenannten Roten Zone, einem Gebietsstreifen zwischen der Reichsgrenze und der Hauptkampflinie des Westwalls von der Zivilbevölkerung innerhalb von drei Tagen geräumt werden müssen. Daraufhin wurden die Einwohner von Herrensohr in sogenannte Bergungsgebiete im Reichsgebiet verbracht. Erst am 13. Juli 1940 wurde Herrensohr für die evakuierte Bevölkerung wieder freigegeben. Am 16. Juli 1944 fielen gegen 9:45 Uhr zahlreiche Sprengbomben auf Herrensohr. Etwa 20 Häuser und die katholische Kirche wurden schwer beschädigt. Die evangelische Kirche wies hingegen leichtere Schäden auf. Bei dem Angriff verloren 22 Menschen ihr Leben. Am 20. März 1945 wurden Dudweiler und Herrensohr von der US-Armee besetzt. Zu dieser Zeit lebten in Herrensohr noch etwa 1.800 Einwohner.[5]
Am 30. April 2014 hatte der Ort 2.113 Einwohner.[6]
Bis 1973 gehörte Herrensohr zur Stadt Dudweiler, bei der saarländischen Gebietsreform von 1974 wurde Dudweiler nach Saarbrücken eingemeindet.[7]
Literatur
- Dieter Hartwich (Hrsg.): Dehemm in Kaltnaggisch – 1856–2006, 150 Jahre Herrensohr. Herrensohr 2006
- Heidelinde Jüngst-Kipper/Karl Ludwig Jüngst: Herrensohr im 19. Jahrhundert, Saarbrücken 2006
- Dieter Hartwig: Herrensohr in der Zeitgeschichte, 2016
- Werner Arend: Johann Maes, ein Mann aus Herrensohr, Historische Beiträge der Dudweiler Geschichtswerkstatt, Band 8, Seite 136 – 142, Dudweiler 2004
- Karl Heinz Ruth: Bergmannskolonie Herrensohr, Historische Beiträge der Dudweiler Geschichtswerkstatt, Band 4, Seite 6 – 23, Dudweiler 1996
- Ralf Hoffmann: Herrensohrer Bergmannswelt um die Jahrhundertwende, Dudweiler Geschichtswerkstatt, Band 1, Seite 27 – 30, Dudweiler 1989
- Dieter Hartwich/Sylvia Schwindt: Kaltnaggisch, das isses, Herrensohr und seine Autoren, OIV Herrensohr,
- Joachim Heinz: Zur Geschichte des Friedrich-Ebert-Denkmals in Herrensohr, Band 2. Dudweiler Geschichtswerkstatt, 1991
- Werner Arend: Die Lichtspieltheater von Dudweiler, Herrensohr und Scheidt, Band 7, Dudweiler Geschichtswerkstatt, 2002
- Karl Ludwig Jüngst: Geißediewels – Ein Hauch von Schinderhannes in Kaltnaggisch, Band 9, Dudweiler Geschichtswerkstatt, 2006
Weblinks
Einzelnachweise
- Internetquelle: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=S30402>, abgerufen am 31. Dezember 2021., Band 16, Spalte 1425f, https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB#1, abgerufen am 31. Dezember 2021.
- Nikolaus Fox: Saarländische Volkskunde, Saarbrücken 1979, Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1927, mit einem Vorwort von Mathias Zender, S. 8–9.
- Im Grimmschen Wörterbuch wird Sohr auch mit Jagdfalke übersetzt.Internetquelle: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=S30402>, abgerufen am 31. Dezember 2021., Band 16, Spalte 1425f, https://woerterbuchnetz.de/?sigle=DWB#1, abgerufen am 31. Dezember 2021.
- http://www.saarlandbilder.net/orte/saarbruecken/herrensohr.html, abgerufen am 5. März 2019.
- Günter Förster: Aus der Ortsgeschichte von Herrensohr, in: Festschrift 100 Jahre Evangelische Kirchengemeinde Herrensohr 1904–2004, hrsg. von der evangelischen Kirchengemeinde Herrensohr, Herrensohr 2004, S. 23–26.
- Landeshauptstadt Saarbrücken - Zahlen, Daten und Fakten. abgerufen am 21. Mai 2014
- Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für die Bundesrepublik Deutschland. Namens-, Grenz- und Schlüsselnummernänderungen bei Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken vom 27.5.1970 bis 31.12.1982. W. Kohlhammer, Stuttgart/Mainz 1983, ISBN 3-17-003263-1, S. 803.