Hans-Christoph von Borstell
Hans-Christoph von Borstell (* 28. Oktober 1897 in Posen[1]; † 17. Juni 1982 in Kronberg am Taunus) war ein deutscher Offizier, zuletzt Oberst der Wehrmacht.
Leben
Hans-Christoph von Borstell war ein Sohn des Oberregierungsrates Reinhold Friedrich Karl Alexander von Borstell (1855–1926) und Auguste Karoline Alexandra Elisabeth Josephine Magdalena, geb. von Schoeler (1864–1939), Tochter von Joseph von Schoeler und Magdalene Adelaide Bertha Gräfin von Monts de Mazin (1838–1924).[1][2]
Hans-Christoph von Borstell wurde Kommandant des am 5. März 1940 aufgestellten Fliegerforstschutzverbandes der Deutschen Luftwaffe auf dem Flugplatz Weimar-Nohra, welcher ab 1. Januar 1944 Erprobungskommando 40 mit neuem Standort in Göttingen[3] hieß. Anfangs noch für den Forstschutz vorgesehen, kam es später zur Zusammenarbeit mit der SS. Nach Versuchen zur Bekämpfung von Malariamücken durch Sprüh- und Bestäubungsflüge und auch Abwürfe von Kartoffelkäfern zur Erntevernichtung, wurde der Verband Anfang September 1944 aufgelöst.[3] Bis Ende 1943 war der Verband dem Höheren Kommandeur für Truppengasschutz unterstellt und besaß eine Geheimhaltungsstufe.[4] Im gleichen Zeitraum hatte Borstell von Kurt Blome, dem Leiter des Zentralinstituts für Krebsforschung, ein geheimes Forschungsprojekt zur Entwicklung eines Flugzeugstreugerätes für streuförmige Insektizide und Fungizide (insbesondere zur Malariabekämpfung) erhalten. Im Frühjahr 1944 hatte der Fliegerforstschutzverband dann einen Flugzeugeinsatz für die Entseuchung von Wasserläufen um das Konzentrationslager Auschwitz gegen Malaria durchgeführt,[5] eine Reduzierung der Fleckfieber übertragenden Kleiderläuse konnte sehr zum Unmut von Himmler nicht erreicht werden.[6] Unter Borstells Leitung wurde u. a. mit Hans Seel[7], Heinz Itzerott[8] und Rudolf Braun[9] zusammengearbeitet und er wurde noch zum Oberst befördert.
Ab 1942 war er, als Oberstleutnant, im Beirat des Entomologischen Instituts des SS-Ahnenerbes, welches im KZ Dachau beheimatet war. In dieser Funktion nahm er Mitte Juni 1943 an einer Zusammenkunft bzgl. des Umbaus des gerade von der Firma Chemische Fabrik Gebr. Borchers AG, welche bereits Schädlingsbekämpfungsmittel herstellte, gekauften, sogenannten Werderhofes bei Goslar zu einem Laboratorium für die Prüfung von Schädlingsbekämpfungsmitteln. Anwesend war dabei auch Eduard May, welcher Leiter des Entomologischen Instituts war[10] und den Vorstand der Gebr. Borchers AG, Friedrich Borchers, persönlich kannte.[11] Weitere Besichtigungen und Besprechungen zum Umbau folgten.[12] So wurde Mitte September 1944 bei einer erneuten Besichtigung des Werderhofes u. a. die Auflösung des Erprobungskommandos 40 und die Übernahme von Borstell in die Waffen-SS besprochen.[13] Nach der Auflösung folgte ein Bericht von Borstell mit den Anträgen auf die Erhaltung der wissenschaftlichen Geräte und dem Einsatz für „Sonderaufgaben“.[14] In der Folge probierte Borstell wohl erfolglos die Weiterführung des Erprobungskommandos 40 zu erreichen.[15] Ob es zu einem Einsatz des Laboratoriums im Werderhof kam, ist nicht bekannt.
In dieser Zeit kam es auch zu Auseinandersetzung mit Dr. Seel, welche vor dem Kriegsgericht endeten. Am 20. Oktober 1944 berichtet Borstell von dem Kriegsgerichtsurteil und gibt an, dass die Vorwürfe Seels unbegründet seien.[16] Im November 1944 kam es zusätzlich zu Ermittlungen des RSHA gegen Borstell[17], welche durch den Sonderbeauftragter des RFSS für Schädlingsbekämpfung der Waffen-SS, Guntram Pflaum, belegt wurden[18] und bereits Mitte November 1944 wurde für ihn ein Ersatz, da er aufgrund neuen Materials beim RSHA als „nicht haltbar“ eingestuft wurde, gesucht.[19] Bis Jahresende gab es keine weiteren Entwicklungen im Fall Borstell, wobei aber eine weitere Verwendung von Borstell später nicht feststellbar ist.
Borstell war zu seiner aktiven Zeit auch Leiter des Arbeitskreises Flugzeug-Schädlingsbekämpfung im Südostinstitut für Wald- und Holzforschung Wien.
Am 29. August 1938 heiratete er in Schoffschütz in Oberschlesien Auguste-Viktoria Hedwig Marie von Geßler (* 1897), welche sich gerade vom Generalmajor Manfred von Schwerin hatte scheiden lassen.[20]
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam von Borstell als Heimatvertriebener nach Heiligenberg in Baden. Dort engagierte er sich in der Vertriebenenpartei GB/BHE, für die er bei der Bundestagswahl 1953 erfolglos auf der baden-württembergischen Landesliste kandidierte.
Literatur
- Erhard Geißler: Biologische Waffen. LIT Verlag, Münster, 1999, diverse Seiten.
- Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich: Wer war was vor und nach 1945. Nikol, 2016, S. 66.
- Borstell, Hans-Christoph von. In: Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.B. – Die Volksvertretung 1946–1972. – [Baack bis Bychel] (= KGParl Online-Publikationen). Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e. V., Berlin 2006, ISBN 978-3-00-020703-7, S. 136, urn:nbn:de:101:1-2014070812574 (kgparl.de [PDF; 568 kB; abgerufen am 19. Juni 2017]).
Einzelnachweise
- Gothaisches genealogisches Taschenbuch der uradeligen Häuser. Justus Perthes, 1917, S. 141 (google.com [abgerufen am 1. Januar 2022]).
- Max Schöler: Die Familien Scholer/Scholer/Scholler unter Einschluss weiterer Schreibverschiedenheiten. Flamm Druck Wagener, 1992, S. 264 (google.com [abgerufen am 1. Januar 2022]).
- Erprobungsstellen der Luftwaffe (Bestand) - Deutsche Digitale Bibliothek. Abgerufen am 20. November 2021.
- Erhard Geissler: Biologische Waffen: nicht in Hitlers Arsenalen : Biologische und Toxin-Kampfmittel in Deutschland von 1915 bis 1945. LIT Verlag Münster, 1999, ISBN 978-3-8258-2955-1, S. 568 (google.de [abgerufen am 20. November 2021]).
- Michael H. Kater: Das "Ahnenerbe" der SS 1935-1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. Oldenbourg Verlag, 2009, ISBN 978-3-486-59468-3, S. 466 (google.com [abgerufen am 20. November 2021]).
- Michael H. Kater: Das "Ahnenerbe" der SS 1935-1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. Oldenbourg Verlag, 2009, ISBN 978-3-486-59468-3, S. 230 (google.de [abgerufen am 21. November 2021]).
- Erhard Geissler: Biologische Waffen: nicht in Hitlers Arsenalen : Biologische und Toxin-Kampfmittel in Deutschland von 1915 bis 1945. LIT Verlag Münster, 1999, ISBN 978-3-8258-2955-1, S. 567 (google.de [abgerufen am 20. November 2021]).
- Gustav Wellenstein: Die grosse Borkenkäferkalamität in Südwestdeutschland, 1944-1951: Berichte und Studien zur Lebensweise, Epidemiologie und Bekämpfung der rindenbrütenden Käfer an Fichte und Tanne. Unter Mitwirkung zahlreicher Sachbearbeiter. Forstschutzstelle Südwest, 1954, S. 468 (google.com [abgerufen am 20. November 2021]).
- Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher: Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im "Ahnenerbe" der SS. Verlag Ferdinand Schöningh, 2014, ISBN 978-3-657-76657-4, S. 101 (google.com [abgerufen am 20. November 2021]).
- Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher: Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im "Ahnenerbe" der SS. Verlag Ferdinand Schöningh, 2014, ISBN 978-3-657-76657-4, S. 99 (google.com [abgerufen am 20. November 2021]).
- Julien Reitzenstein: Himmlers Forscher: Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im "Ahnenerbe" der SS. Verlag Ferdinand Schöningh, 2014, ISBN 978-3-657-76657-4, S. 88 (google.com [abgerufen am 21. November 2021]).
- Dachauer Hefte. Verlag Dachauer Hefte, 1999, S. 110 (google.com [abgerufen am 21. November 2021]).
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 248.
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 252.
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 272.
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 278.
- Detailseite - Archivportal-D. Abgerufen am 21. November 2021.
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 298.
- H-4073, IMT Nuremberg Archives, S. 299.
- Gothaisches genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser. Justus Perthes., 1941, S. 167 (google.com [abgerufen am 20. November 2021]).