Frieda Riess
Frieda Gertrud Riess (* 21. Juni 1890 in Czarnikau, Provinz Posen; † vor dem 5. Juli 1957[1] in Paris) war eine deutsche Fotografin jüdischen Glaubens. Sie galt als die „erfolgreichste Gesellschaftsfotografin der Weimarer Republik“ und wurde auch respektvoll „die Riess“ genannt.[2]
Leben
Frieda Riess stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Ihr Vater Emil Riess starb, als sie acht Jahre alt war. In den 1890er Jahren zog ihre Mutter Selma Riess (geb. Schreyer) samt den drei Kindern Alfred (* 1882), Walter (* 1884) und Frieda nach Berlin. Dort nahm Frieda Riess Unterricht bei dem Bildhauer Hugo Lederer, wandte sich dann aber der Fotografie zu. Von 1913 bis 1915 absolvierte sie die zweijährige Ausbildung zur Fotografiegehilfin am 1890 errichteten Lette-Verein. Der Verein hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Erwerbsfähigkeit von Töchtern des mittleren und höheren Bürgertums zu fördern. Es ist jedoch nicht überliefert, ob Riess nach erfolgreich beendeter Ausbildung eine Anstellung erhalten hat. Kurt Pinthus schrieb, dass sie „zu keiner Zeit Schülerin eines großen Fotografen war“.[3]
Im Jahre 1917 eröffnete Frieda Riess ein Atelier am Kurfürstendamm 14/15, zwischen Joachimsthaler Straße und Gedächtniskirche, unweit des Romanischen Cafés und gegenüber der Berliner Sezession. Mit der Eröffnung des Ateliers gehörte Frieda Riess zu den ersten selbständigen Unternehmerinnen ihrer Generation. Der Kurfürstendamm gehörte zu den exklusiven Adressen Berlins. Er stand für modernes Leben, Exklusivität und war Experimentierfeld der Moderne. Im Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre trafen sich Literaten und Künstler in den Bars, Cafés und Kneipen und machten mit Drogen und billiger Unterhaltung die Nacht zum Tag. Ab 1922 bewegte sich Frieda Riess täglich in diesem Umfeld, denn zu dieser Zeit bezog sie eine Wohnung in dem Haus, in dem sich ihr Atelier befand. Durch ihre Ehe mit dem Juristen und Literaten Rudolf Leonhard in die Kreise prominenter Persönlichkeiten der Weimarer Republik eingeführt, erfuhr sie einen gesellschaftlichen Aufstieg. Zu den Menschen, mit denen sie verkehrte, gehörten bald Schauspieler, Tänzer, Sänger, Maler und Schriftsteller. Für die Literatur hegte die Riess auch privat großes Interesse. Neben den Porträts machte sie aber auch Fotografien für Filme u. a. für Joe Mays Das indische Grabmal, Ernst Lubitschs Das Weib des Pharao, für Richard Eichbergs Monna Vanna und Carl Boeses Maciste und die chinesische Truhe. Die Aufnahmen waren für den Film-Kurier und die Schaukästen gedacht.[4] Der Verkauf von Aufnahmen an die Presse, für die sie des Öfteren arbeitete, wurde immer zweitrangiger. Bis dato wurden ihre Arbeiten u. a. in der Vogue, der Berliner Illustrirten Zeitung, Die Dame, Der Querschnitt und Uhu veröffentlicht.
Durch den renommierten Kunstsammler und Händler Alfred Flechtheim, der ihr 1925 die Möglichkeit einer Einzelausstellung mit 177 Fotografien gab, schaffte sie den endgültigen Durchbruch, auch über die Grenzen Berlins hinaus. Nun wurde sie gemeinhin nur noch als „Die Riess“ bezeichnet. Den Sommer 1928 verbrachte sie auf dem inzwischen lebensreformerisch geprägten Monte Verità. Dort machte sie das bekannte Foto von Querschnitt-Herausgeber Hermann von Wedderkop im „Luftkleid“.
Im Jahr 1929 porträtierte sie in Rom, durch Vermittlung Margherita Sarfattis, Benito Mussolini, was sie selbst als bedeutendstes Ereignis in ihrem Leben bezeichnet hat.
Ab 1930 verband sie eine Liaison mit dem französischen Botschafter Pierre de Margerie. 1932 gab sie ihr Atelier in Berlin auf und folgte dem als Pensionär nach Paris zurückgekehrten de Margerie. Hier hielt sie regelmäßigen Kontakt zu Thea Sternheim sowie Klaus Mann, zu denen sie noch aus Berliner Zeiten eine Freundschaft hegte. Ab Mitte der 1930er Jahre litten die Lebensumstände Frieda Riess’ erheblich durch eine Krankheit, die die Bewegung einschränkte und zu Lähmungserscheinungen führte.[5] Nachdem deutsche Truppen 1940 Paris besetzt hatten, nannte sich Frieda Riess nun „Riess de Belsine“, um ihre jüdische Herkunft zu verschleiern. 1942 starb Pierre de Margerie, der ihr bis dahin Hilfe gegen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten gewährt hatte. Porträts von Gottfried Benn, die Frieda Riess 1953 nach Thea Sternheims Angaben gemacht haben soll, gingen nach ihrem Tod verloren.
Werk
Frieda Riess stellte sich mit ihrer Arbeit in die Tradition von Nicola Perscheid. Diese klassische Porträtkunst paarte sie mit moderner Bildsprache. Ihren Stil kann man als weich und fließend charakterisieren; der Hintergrund der Fotos ist grau und leicht aufgehellt, das Licht kommt fein dosiert von vorn und hinten. So wird der Kopf und das Gesicht des Porträtierten modelliert. Ein weiterer Effekt der Lichtführung sind fließend wirkende Stoffe. Auf vielen Bildern gibt es auch eine gegenläufige Bewegung von Kopf und Körper. Außerdem weisen die Fotos wegen ihrer malerischen Unschärfe impressionistische Tendenzen auf. Mit ihrem Stil verschrieb sich Frieda Riess dem vorherrschenden Kundengeschmack der Zeit. Sie unternahm jedoch auch Ausflüge in die Aktfotografie und in die Expressionistische Fotografie.
Somit kann man das Œuvre der Riess gemeinhin in drei Kategorien aufteilen, wobei die letzte Kategorie die wohl größte darstellt:
Aktfotografie
- Erich Brandl
- Bartolomeo Pagano
Expressionistische Fotografie
- Ilse Eilers
- Grit Hegesa
- Tamara Karsavina
- Ellen Petz
- Maria Leeser
- Joachim von Seewitz
Gesellschaftsfotografie
- Gottfried Benn
- Xenia Boguslawskaja
- Marc Chagall
- Tilla Durieux
- Alfred Flechtheim
- André Gide
- Claire Goll
- Gerhart Hauptmann
- Max Herrmann-Neiße
- Paul von Hindenburg
- Emil Jannings
- Georg Kaiser
- Ruth Landshoff
- Max Liebermann
- Margo Lion
- Ernst Lubitsch und Leni Lubitsch geb. Helene Kraus
- Klaus Mann
- Ressel Orla
- Anna Pawlowna Pawlowa
- Lotte Pritzel
- Ami Schwaninger
- Renée Sintenis
- Max Slevogt
- Paul Valéry
Ihrem Lebenswerk widmete auf Initiative des Verborgenen Museums im Jahr 2008 die Berlinische Galerie eine erste Retrospektive.[2]
Ausstellungen (Auswahl)
- 1921: „Berliner Photographie“, Kunstgewerbemuseum Berlin
- 1922: Ausstellung bei Friedmann & Weber, Berlin
- 1925: Galerie Alfred Flechtheim, Berlin
- 1929: „Fotografie der Gegenwart“, Essen
- 1930: „Gezeichnet oder geknipst“, Berlin
- 1932: „1. Internationale Faschistische Fotografische Ausstellung“, Rom
- 2008: „Die Riess“, Retrospektive, Berlinische Galerie[6]
Literatur
- Marion Beckers, Elisabeth Moortgat (Hrsg.): Die Riess. Fotografisches Atelier und Salon 1918–1932 in Berlin. = Die Riess. Photographic studio and salon in Berlin 1918–1932. Das Verborgene Museum, Berlin 2008, ISBN 978-3-8030-3326-0 (Ausstellungskatalog, Berlin, Landesmuseum für Moderne Kunst – Fotografie und Architektur, 6. Juni bis 20. Oktober 2008).[7]
Weblinks
- Literatur von und über Frieda Riess im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- „Die Riess“ – Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918 – 1932 6.6. – 20.10.08. Retrospektive in der Berlinischen Galerie 2008. Das Verborgene Museum in der Berlinischen Galerie
- Riess, Die. Das Verborgene Museum
- Carmen Böker: Die Circe vom Kurfürstendamm. In: berliner-zeitung.de. 9. Juni 2008 .
- Frieda Riess. In: photography-now.
- Frieda Riess: Ausstellungsarchiv. In: kunstaspekte.de.
- Die biografische Spur verliert sich im Dunklen. In: Jüdische Zeitung. Juli 2008, archiviert vom Original am 6. Februar 2013 .
- Marc Peschke: Wiederentdeckt: Die Fotografin Frieda Riess. In: Photoscala. 11. Juli 2008 .
Einzelnachweise
- Riess, Die. Das Verborgene Museum, abgerufen am 21. Juni 2020.
- Achim Drucks: Eine Frau verschwindet. In: taz.de. 14. Juni 2008, abgerufen am 21. Juni 2020.
- Kurt Pinthus: Die Rieß. In: 8-Uhr-Abendblatt, 6. November 1925.
- Beckers / Moortgat: Die Riess. S. 197
- Beckers / Moortgat: Die Riess. S. 199.
- 06. June 2008 – 20. October 2008 Die Riess: Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918 – 1932. Das Verborgene Museum, abgerufen am 21. Juni 2020.
- Timm Starl: Eine „moderne Circe“ oder „der beste deutsche Photograph weiblichen Geschlechts“? In: timm-starl.at. Juli 2008, abgerufen am 21. Juni 2020 (Rezension zu Die Riess: Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918 – 1932).