Florian Vetsch (Politiker)
Florian Vetsch (* 11. September 1921 in Grabs; † 8. März 1972 in Vilters-Wangs SG, heimatberechtigt in Grabs) war ein Schweizer Nationalrat und Regierungsrat des Kantons St. Gallen.
Jugendzeit und Ausbildung
Florian Vetsch wuchs als fünftes von sieben Kindern des nachmaligen Bezirksammanns Jakob Vetsch (* 15. Mai 1886; † 5. April 1944) und der Katharina, geb. Lippuner (* 20. Juli 1890; † 25. Februar 1972) im elterlichen Haus in der Grabser Kirchbünt auf. Nach dem Besuch der dortigen Primar- und Sekundarschule absolvierte er von 1937 bis 1940 die Kaufmännische Lehre mit Besuch der Kaufmännischen Berufsschule in Buchs SG.
Berufsleben
Die kommenden fünf Jahre arbeitete er als kaufmännischer Angestellter in der Privatwirtschaft, bis er in den öffentlichen Dienst eintrat: 1945/46 als Kanzlist auf dem Kassier- und Steueramt bei der Gemeindeverwaltung in Grabs, 1946/47 als Kanzlist 1 bei der Kantonalen Steuerverwaltung in St. Gallen und 1947–1954 als Steuersekretär der Stadt Rorschach am Bodensee.
Aus der Stellung heraus wählte ihn die Bevölkerung des ehemaligen Bezirkes Werdenberg am 14. Februar 1954 zum ersten sozialdemokratischen Bezirksammann des Kantons St. Gallen[1] nach Buchs SG. Neben seiner Partei fand er Unterstützung vor allem durch die Jungbauern, die Demokraten, das Gewerkschaftskartell, sowie durch den Verband Evangelischer Arbeiter und Angestellter.[2] Diese Aufgabe versah er bis zu seinem Eintritt in die Kantonsregierung anfangs 1970, in der er dem Justiz- und Polizeidepartement vorstand.[3][4] Dort leitete er zahlreiche Reformen in der Gesetzgebung, im Strafvollzug und in der Organisation der Verwaltung ein. In seine Amtszeit fiel auch die einstweilige moralische Rehabilitierung des 1939 entlassenen und erst 1993 posthum voll rehabilitierten Polizeikommandanten und Fluchthelfers Paul Grüninger durch die St. Galler Kantonsregierung am 22. Dezember 1970.[5][6]
Öffentliches Engagement
Parallel zu seinem beruflichen Werdegang entfaltete Florian Vetsch als überzeugter Sozialdemokrat sein Engagement für die Öffentlichkeit. 1953–54 war er Mitglied des Bezirksschulrates Rorschach, seit 1954 des Kantonsrates[7] und ab 1963 des Nationalrates. Letztere beiden Mandate übte er bis zu seiner Wahl in die St. Galler Regierung Ende 1969 aus.
Unter anderem gehörte Florian Vetsch der kantonalen Steuerrekurskommission sowie der Aufsichtskommission der Kantonsschule Sargans an. In den Jahren 1958–1968 engagierte er sich als Vize-Präsident vom Initiativkomitee für die Schaffung des Neu-Technikums Buchs, der späteren Interstaatlichen Hochschule für Technik NTB Buchs.[8] Mit diesen beiden Ausbildungsstätten wurde ein Brückenschlag zwischen den kulturell unterschiedlichen Bezirken Werdenberg und Sargans angestrebt.
Im Vorfeld der Schweizerischen Strafrechtsrevision von 1971 stellte der Politiker in der Vormittagssitzung des Nationalrates vom 12. März 1969 einen Kommissions-Minderheitsantrag auf Streichung des Artikels 52, wonach Straffällige während Jahren in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt waren, ein Rest der „mort civile“, der sich in Verbindung mit anderen Bestimmungen oft hinderlich auf die Resozialisierung ausgewirkt hatte und in einem modernen Strafrecht keinen Raum mehr für sich zu beanspruchen habe. Florian Vetschs engagiertes Votum überzeugte: Sein Antrag wurde vom Nationalrat mit 49:43 Stimmen gutgeheissen. Die Streichung des Artikels 52 machte Anpassungen weiterer Artikel notwendig, was in der Folge vorgenommen wurde. Der Ständerat schloss sich der Meinung des Nationalrates an.[9]
Reden
In seinen Reden[10][11] bezog der Politiker klar Stellung gegen die atomare Bewaffnung der Schweiz sowie gegen fragwürdigen Waffenhandel und postulierte an deren Stelle gezielte Hilfswerke, vor allem durch Vermittlung von mehr Wissen. Er wehrte sich entschieden gegen die Benachteiligung von Arbeitnehmern, Mietern und Konsumenten sowie für eine sozialere Gestaltung und Auslegung der Steuergesetze. Florian Vetsch rief dazu auf, die Schwachen vermehrt zu unterstützen und über kleinliches Gelddenken hinauszuwachsen zu einer weitreichenden Solidarität. Ganz selbstverständlich hatte er sich auch für die Frauenstimmrechts-Vorlage im Kanton St. Gallen eingesetzt, über welche die Stimmberechtigten am 27. September 1970 zu befinden hatten.
Familie und Freizeit
Am 30. August 1947 heiratete er Anny Engler (* 25. Juni 1922; † 13. September 1986) von Sevelen SG. Besonders während der Ferienzeiten wurde gemeinsam mit den drei Kindern Heidy[12], Jakob und Florian im Erholungsgebiet von Flims-Fidaz gewandert sowie in Wildhaus und auf dem Pizol bei Wangs skigefahren. An Wochenenden und nach parlamentarischen Debatten entspannte sich der Magistrat gerne beim Jass-Spiel, das er auch mit dem politischen Gegner pflegte. Früher selber als Turner aktiv, fühlte er sich der Turner-Gemeinde stets verbunden, so zum Beispiel als Ehrenpräsident vom Turnverein Grabs.[13]
Als junger Mann hatte Vetsch einst das Brevet eines schweizerischen Ski-Instruktors in Arosa erworben. In den 1960er Jahren und anfangs der 1970er Jahre entschied er mehrere Ausmarchungen der britisch-schweizerischen[14][15][16] und der zürcherisch-sanktgallisch-glarnerischen (Ostschweizer) Parlamentarier-Skirennen für sich. Erstere wurden jeweils in Davos, zweitere im Pizolgebiet ausgetragen. Im Anschluss an einen Wettlauf anlässlich des sanktgallischen Polizei-Skitages vom 8. März 1972 ereilte ihn der frühe Herztod auf seinem bevorzugten Berg, dem Wangser Pizol.[17][18][19][20]
Sein Lebensmotto galt dem oft ausgesprochenen Satz Wirket, solange es Tag! welcher dem Jesuswort aus dem Johannesevangelium 9,4 entnommen ist: Wir müssen die Werke dessen, der mich gesandt hat, wirken, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
Quellen und Literatur
- Verena Hubmann: L’image de la mort. Über die mort civile und ihre Abschaffung im französischen Recht und ihre Nachbildungen in den Kantonen Waadt und Wallis. Zürcher Dissertation, erschienen 1990 in der Reihe Zürcher Studien zur Rechtsgeschichte, Band 17. Seiten 452–454.
- Dr. Anton Häfliger: Regierungsrat Florian Vetsch. In: Unser Rheintal, Jahrbuch 1973. Seiten 105 und 106.
- Wolfgang Göldi: Florian Vetsch. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
Weblinks
- Florian Vetsch auf der Website der Bundesversammlung
Einzelnachweise, Fußnoten
- Wahlsieg im Werdenberg: Mit diesem Wahlausgang erhält nun endlich wenigstens einer von den vierzehn st. gallischen Bezirken einen sozialdemokratischen Bezirksammann Die Volksstimme, 15. Februar 1954
- Inserat für die Wahl von Herrn Florian Vetsch in: Werdenberger Nachrichten, 13. Februar 1954
- Das Werdenberg feiert seinen neuen Regierungsrat Bildbericht in: Werdenberger & Obertoggenburger, 4. November 1969
- Vetsch-Engler, Florian (1921-1972): Bezirksammann von Werdenberg, Nationalrat, Regierungsrat, SP (1969) Kanton St. Gallen, Online-Archivkatalog des Staatsarchivs St. Gallen, BMA 515; abgerufen am 28. Dezember 2020
- Gerechtigkeit für Paul Grüninger. Verurteilung und Rehabilitierung eines Schweizer Fluchthelfers von Wulff Bickenbach, Köln 2009. Seiten 218, 219, 224, 277
- Dankesbrief an Paul Grüninger für seine menschliche Haltung (Regierungsrat Florian Vetsch), in: Erste Rehabilitierungs-Forderungen vor 50 Jahren. St. Galler Nachrichten, Mittwoch 11. Juli 2018, Seite 27
- Bezirk Werdenberg: Bezirksammann Florian Vetsch, zurzeit in Rorschach, ehrenvoll zum Kantonsrat gewählt Werdenberger Nachrichten, 11. März 1954
- NTB – Ein langer Weg zum Ziel und kämpferische Buchser Bildbericht H.R.R., in: buchs aktuell, Nr. 79, September 2012, S. 57–59; abgerufen am 30. Dezember 2020
- Markstein in Geschichte des Strafrechts gesetzt. Grabs: Florian Vetsch (1921-1972) und die Schweizerische Strafrechtsrevision von 1971. Von Vreni Hubmann, Zürich; in: Werdenberger & Obertoggenburger, Nr. 160, Freitag/Samstag, 18./19. August 1989, Alvier, Seite 7; Amtliches Bulletin der Bundesversammlung, Nationalrat, 79/1969, Seiten 127 und 128, siehe Fussnote 7
- Kritische Bundesfeier im St. Galler Stadtpark. Regierungsrat Vetsch schlug neue 1.-August-Töne an. Ostschweizer AZ; Montag, 3. August 1970
- Den politischen Leisetretern in Stammbuch. St. Gallen: Maifeier mit Referat von Regierungsrat Vetsch. Ostschweizer AZ; Montag, 3. Mai 1971
- Heidy Kuhn und ihre fünfjährige Deutsche Pinscherhündin Duska / Philipp Kuhn und Hündin Duska nach einer anspruchsvollen Übung. Tierwelt, 3. März 2006. Titelbild und Bildbericht auf Seite 11. Text und Fotos: Werner Brennwalder
- Bezirksammann und Ehrenpräsident Florian Vetsch hielt die Festrede an diesem Jubiläumsabend. Reportage von Hansruedi Rohrer im St. Galler Tagblatt, 11. September 2019, unter dem Titel Turnerische Jubiläumsfeier des Turnvereins Grabs vor 60 Jahren. Samstagabend des 22. Augusts 1959 feierte der Turnverein Grabs mit einer grossen Jubiläumsfeier sein 75-Jahr-Jubiläum; abgerufen am 4. Januar 2021
- British-Swiss Ski Week, 50th 1956–2006, Parlamentarische Skigruppe der Schweizerischen Bundesversammlung Zug 2006, S. 92–93
- Herr Nationalrat, bitte an den Start. Durch den Tunnel am Weissfluhjoch streben ältere und jüngere Herren aus England und der Schweiz gruppenweise ihrem ersten Ziel, dem Start, entgegen: zwei Lords, vier Sirs, acht weitere MP's, ein Ständerat, elf Nationalräte und zwei alt Nationalräte Ein Bildbericht, in: Neue Zürcher Zeitung NZZ, Nr. 210; Montag, 17. Januar 1966, Mittagausgabe, Sport, Blatt 3
- Parlamentarier-Skirennen (1967) Britisch-schweizerisches Parlamentarier-Skirennen in Davos (Antenne vom 16. Januar 1967; NR Florian Vetsch mit Startnummer 2). SRF Archiv, 12. Januar 2017; abgerufen am 19. April 2021
- Regierungsrat Florian Vetsch gestorben. In Wangs-Pizol plötzlich einer Herzkrise erlegen. Ostschweizer AZ; Donnerstag, 9. März 1972
- Trauerfeier für Regierungsrat Florian Vetsch vom 11. März 1972 Kanton St. Gallen, Online-Archivkatalog des Staatsarchivs St. Gallen; abgerufen am 28. Januar 2021
- Abschied von Regierungsrat Florian Vetsch. Eindrucksvolle Trauerfeierlichkeiten in St. Gallen. Ostschweizer AZ; Montag, 13. März 1972
- Totentafel: Regierungsrat Florian Vetsch Appenzeller Kalender auf das Jahr 1973, 252 Jahrgang. Totentafel, Seiten 48 und 49; abgerufen 28. Januar 2021