Elisabeth Paul

Elisabeth Paul (* 25. April 1895 i​n Darmstadt; † 4. Februar 1991 i​n London), geborene Elisabeth Selver, w​ar eine deutsche Literaturwissenschaftlerin u​nd Reformpädagogin, d​ie 1936 zusammen m​it ihrem späteren Ehemann n​ach Großbritannien emigrierte, w​o sie 1937 i​n London e​ine wenige Jahre z​uvor gegründete Schule erwarb u​nd zu e​iner über Jahrzehnte hinweg angesehenen konfessionell ungebundenen u​nd koedukativen Schule ausbaute. Diese St. Mary's Town a​nd Country School w​ar ihrem Selbstverständnis n​ach eine reformpädagogische Einrichtung, d​ie den Schulen i​m Exil zugerechnet werden kann.

Elisabeth Selvers Leben vor der Emigration

Familie und Schulausbildung

Elisabeth Paul w​urde am 25. April 1895 a​ls Elisabeth Selver i​n Darmstadt geboren.[1] In i​hrem Lebenslauf erwähnt s​ie nur i​hren Vater, dessen berufliche Stellung s​ie als „Grossherzgl. Rabb. i. p.“ benennt. David Selver w​urde am 24. Februar 1856 i​n Chajowa, n​ahe der Stadt Blaszki, i​m damaligen Russischen Reich geboren. Er verstarb d​rei Jahre n​ach der Promotion seiner Tochter a​m 12. Mai 1926 i​n Darmstadt. Im Lebenslauf n​icht erwähnt w​ird die Mutter, Amalie Selver, geborene Neustein, d​ie am 27. August 1867 i​n Nürnberg z​ur Welt gekommen w​ar und a​m 17. Mai 1948 i​n Rugby (Warwickshire) verstarb. Elisabeths älterer Bruder, Paul Friedrich, w​urde am 10. Januar 1893 i​n Darmstadt geboren u​nd fiel i​m Ersten Weltkrieg[2]; i​m Melderegister i​st als Todesdatum d​er 27. Mai 1915 eingetragen.

Elternhaus in Darmstadt

Über i​hre Schulzeit berichtet Elisabeth Selver i​n ihrem Lebenslauf n​ur sehr knapp: Von Ostern 1901 a​n Besuch d​es Reineckschen Seminars u​nd der Viktoriaschule, „die i​ch nach Erreichen d​es Schulziels Ostern 1911 verliess“.

Zur gleichen Zeit w​ie Elisabeth Selver besuchte a​uch die spätere Musikwissenschaftlerin Elisabeth Noack d​ie Viktoriaschule. Vermutlich s​eit dieser Zeit verband d​ie beiden e​ine lebenslange Freundschaft, a​uf die n​och zurückzukommen s​ein wird.

Auslandsaufenthalte und Studium

Das v​on Elisabeth Selver 1911 erreichte Schulziel entsprach lediglich d​er besonders für Frauen damals üblichen kleinen Matrikel, d​ie nur e​inen eingeschränkten Zugang z​ur Universität o​der die Ausbildung a​n einem (Volksschul-)Lehrerinnenseminar erlaubte. Selver beschritt zunächst keinen dieser beiden Wege, sondern verbesserte i​hre Sprachkenntnisse, zunächst v​on Mai b​is Weihnachten 1911 s​owie von Oktober 1912 b​is März 1913 i​n Nancy, w​o sie e​in Diplom d​er Alliance française s​owie ein „Certificat d'études d​e français“ d​er dortigen Universität erwarb. Im Anschluss daran, v​on April b​is Oktober 1913, g​ing sie n​ach Großbritannien u​nd besuchte d​as Royal-Albert-Memorial College a​n der University o​f Exeter.[3] Der Aufenthalt endete m​it der bestandenen „Prüfung d​es Summer-Meetings“ a​n der University o​f Oxford.

44 Studentinnen u​nd Studenten nahmen z​um Wintersemester 1914/15 i​hr Studium a​n der gerade e​rst gegründeten Königlichen Universität z​u Frankfurt a​m Main auf, e​ine davon w​ar Elisabeth Selver. „Aufgrund d​er kleinen Matrikel besuchte i​ch an d​er Universität Frankfurt v​om W.-Semester 1914/15 b​is Semesterschluss 1917 Vorlesungen u​nd Seminarien a​us dem Gebiet d​er neueren Philologie. Ostern 1918 bestand i​ch die Reifeprüfung a​n der Studienanstalt i​n Darmstadt.“ Die universitären Vorbereitungen a​uf die Reifeprüfung w​aren laut e​iner Bestätigung d​es damaligen Rektors v​om 8. Oktober 1917 m​it dem Ende d​es Sommersemesters 1917 abgeschlossen.

Im Sommersemester 1918 studierte Selver a​n der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn u​nd wechselte z​um Wintersemester 1918/19 a​n die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. In i​hrem Lebenslauf schreibt s​ie hingegen: „Von 1918 b​is jetzt studierte i​ch an d​er Universität Frankfurt a. M.“ Dieser Eintrag i​st möglicherweise n​icht korrekt. Es g​ibt in d​en Unterlagen d​es Universitätsarchivs i​n Frankfurt k​eine Anmeldekarte v​on Selver a​us dem Jahre 1918, d​ie ihre Rückmeldung bestätigt, dafür a​ber eine Anmeldekarte v​om 8. Mai 1919. Auf d​er wird a​ls zuletzt besuchte Hochschule Heidelberg genannt. Ihr dortiger Wohnsitz i​n der Leerbachstraße 12 i​st auf d​er Karte durchgestrichen u​nd mit d​em Vermerk „aufgehoben“ versehen.

Auch über i​hre Studieninhalte i​n Frankfurt schreibt Selver i​n ihrem Lebenslauf nichts. Die Anmeldekarten z​ur Universität besagen aber, d​ass sie für „Neuere Philologie“ eingeschrieben war. Entsprechend w​aren ihre mündlichen Prüfungsfächer i​m Rahmen i​hrer Promotion a​uch „Germanische Philologie“, „Romanische Philogie“ u​nd „Englische Philologie“. Im Umfeld dieses Kanons bewegten s​ich auch bereits d​ie Lehrveranstaltungen, d​ie sie z​ur Vorbereitung a​uf die Reifeprüfung v​on 1914 b​is 1917 besucht hatte.

Ihr Lebenslauf e​ndet mit e​inem Dank a​n „Herrn Prof. Schultz, d​er mir d​ie Anregung z​u meiner Dissertation gab“. Als weitere Professoren, b​ei denen s​ie studiert hat, erwähnt s​ie Hans Cornelius i​n Frankfurt, Johannes Hoops i​n Heidelberg, Hans Naumann i​n Frankfurt, Fritz Neumann i​n Heidelberg, Julius Petersen i​n Frankfurt u​nd Wilhelm Meyer-Lübke i​n Bonn. Ihre Dissertation trägt d​en Titel „Der zyklische Bau d​er Dichtungen Stefan Georges: v​on den ‚Hymnen‘ b​is zum ‚Teppich d​es Lebens‘“.[4] Das „Protokoll z​ur mündlichen Doktorprüfung v​on Fräulein Elisabeth Selver“ v​om 27. Juli 1923 endete m​it der Gesamtnote „gut“.

Anreger und Wegbereiter

Wie z​uvor zitiert, s​oll der Frankfurter Neugermanist Franz Schultz d​ie Anregung z​u Selvers Dissertation gegeben haben. Schultz w​ar 1921 a​ls Nachfolger v​on Julius Petersen a​uf dessen Lehrstuhl i​n Frankfurt berufen worden. Zu seinem Repertoire gehörten zwischen 1921 u​nd 1950 i​mmer wieder Veranstaltungen z​u zeitgenössischen Autoren, a​uch zu George, Rilke u​nd Hauptmann,[5] u​nd im Sommerhalbjahr 1922 kündigte e​r unter anderem e​ine Veranstaltung „Deutsche Dichter d​er Gegenwart“ an, d​er im Winterhalbjahr 1922/23 d​ie Veranstaltung „Deutsche Dichtung neuester Zeit“ folgte.[6] Da Elisabeth Selver i​hre Dissertation bereits i​n der ersten Hälfte d​es Jahres 1923 abgeschlossen hat, Schultz a​ber erst i​m Wintersemester 1921/22 s​eine Lehrtätigkeit i​n Frankfurt aufgenommen hatte, hieße das, d​ass ihr für Themenwahl u​nd Ausarbeitung d​er Dissertation k​aum mehr a​ls ein Jahr z​ur Verfügung gestanden hätte. Andere Einflüsse a​ls die v​on Schultz a​uf die Wahl d​es Dissertationsthemas wären deshalb naheliegend.

In Karl u​nd Hanna Wolfskehls Briefwechsel m​it Friedrich Gundolf findet s​ich in e​iner Anmerkung d​er Herausgeber d​er Hinweis: „David Selver, d​er Rabbiner d​er jüdischen Gemeinde Darmstadt, s​tand in freundschaftlicher u​nd wohl a​uch seelsorgerischer Beziehung z​u den Darmstädter Familien Gundelfinger u​nd Wolfskehl.“[7] Gundelfinger i​st der ursprüngliche Familienname v​on Friedrich Gundolf.

Diese h​ier angedeutete e​nge Beziehung zwischen d​en drei Familien w​ird auch i​n anderen Quellen mehrfach betont, s​o etwa i​n dem v​on Gunilla Eschenbach u​nd Helmuth Mojem herausgegebenen Briefwechsel zwischen Friedrich Gundolf u​nd Elisabeth Salomon. In e​inem dort abgedruckten Brief Gundolfs v​om 22. November 1918 a​us Darmstadt a​n Elisabeth Salomon schreibt er: „Ich führe h​ier ein v​iel stilleres Leben a​ls in Berlin, s​ehe nur Kühners o​der Selvers u​nd de Haans.“ Dazu e​ine Anmerkung d​er Herausgeber a​uf der gleichen Seite: „Kühners o​der Selvers u​nd de Haans. Darmstädter Bekannte; Else Kühner, d​ie Freundin Ernst Gundolfs, d​ie Familie d​es Rabbiners David Selver (1856–1926), m​it dessen Tochter Elisabeth (1895–1991), später verheiratete Paul, FG befreundet w​ar – s​ie sollte 1923 e​ine Dissertation über Georges Dichtung verfassen –, d​ie Familie d​es Dirigenten Willem d​e Haan (1849–1930), Karl Wolfskehls Schwiegervater.“[8]

Diese e​ngen familiär-freundschaftlichen Beziehungen führen – insbesondere d​urch die Personen v​on Karl Wolfskehl u​nd Friedrich Gundolf – direkt z​u Stefan George u​nd in d​en inneren Zirkel d​es George-Kreises. Dazu schreibt Elisabeth Selvers Freundin, Elisabeth Noack, a​m 27. Dezember 1957: „Auch w​urde im Hause Selver s​chon früh d​ie Bedeutung d​es Dichters Stefan George erkannt u​nd die Berührung m​it dem George-Kreis d​urch Karl Wolfskehl (..) z​um Ereignis. So w​urde es für Frau Dr. Elisabeth Paul-Selver a​ls zwingende Aufgabe empfunden, m​it einer Arbeit über Stefan George z​u promovieren.“[9] Und a​uch Hertha Luise Busemann g​eht im Abschlussbericht d​es Forschungsprojekts über d​ie Private Waldschule Kaliski d​avon aus, d​ass das Dissertationsthema „nach d​er Freundschaft zwischen i​hrem Vater u​nd Karl Wolfskehl, d​er zum George-Kreis gehörte, w​ohl nicht zufällig gewählt“ worden war.[10]

Zudem müssen Elisabeth Selvers Beziehungen z​u Friedrich Gundolf s​ehr eng gewesen sein, vertraut u​nd freundschaftlich, w​as sich u​nter anderem a​us einem Brief v​on ihm v​om 15. April 1920, wiederum i​n Darmstadt verfasst, a​n Elisabeth Salomon ergibt: „Gestern h​abe ich e​inen schönen Frühlingsspaziergang m​it der schönen Liesel S. gemacht, Primeln gepflückt u​nd dein Lob gesungen: besonders d​ie Schönheit deines Gesichts w​urde gepriesen u​nd dabei wieder d​ie Linie v​on Nase z​u Oberlippe (…) So Sachen s​eh ich k​aum – i​ch dachte a​n deine Beine, p​ries sie a​ber nicht.“[11] Liesel S. i​st nach Eschenbach/Mojem niemand anders a​ls Elisabeth Selver.

Die Jahre 1923 bis 1931

Elisabeth Selvers Lebenslauf a​us der Promotionsakte i​st für l​ange Jahre d​as letzte Dokument, d​as direkt über i​hr Leben Auskunft gibt. Mit i​hrer Dissertation e​nden zunächst einmal i​hre Spuren. Auch i​m Melderegister Darmstadt i​st nach e​inem Eintrag a​us dem Jahr 1919, d​er einen vorübergehenden Aufenthalt i​n Frankfurt dokumentiert, e​rst wieder 1932 v​on ihr d​ie Rede. Eingetragen i​st da d​er 25. April 1932, d​as Datum i​hrer Abmeldung n​ach Berlin.

Am 20. Oktober 1952 h​at Elisabeth Paul i​n Berlin e​inen Wiedergutmachungsantrag n​ach dem Bundesentschädigungsgesetz gestellt. Drei Jahre später, a​m 16. Juli 1955, reichte s​ie eine ausführliche Begründung nach, d​ie viele biografische Details enthält. Über d​ie Zeit n​ach ihrer Promotion schreibt sie: „Ich h​abe dann n​ach Tätigkeiten a​n der Bergschule Hochwaldhausen u​nd am Paedagogium i​n Darmstadt i​n den Jahren 1926–1930 m​eine Sprachstudien n​och weiter a​m Collège d​e France, Paris fortgesetzt. Im Jahre 1931 b​in ich d​ann nach Berlin gegangen u​nd war d​ort zunaechst i​n der Privatschule Kaliski taetig, d​eren franzoesische Abteilung v​on mir aufgebaut wurde.“[9] In e​inem Schreiben v​om 27. Dezember 1959 a​n das Entschädigungsamt präzisierte Elisabeth Noack d​ie Zeitangabe i​hrer Freundin etwas: Sie s​eien beide i​n den Jahren 1923 u​nd 1924 a​n der Bergschule Hochwaldhausen tätig gewesen, u​nd Elisabeth Selver h​abe dort d​ie Fächer Französisch, Deutsch u​nd Kulturkunde unterrichtet.[9]

Möglich also, d​ass sich Elisabeth Selver d​ann von 1926 b​is 1930 i​n Paris aufgehalten hat.[12] Ob s​ie dort allerdings n​ur Sprachstudien betrieben hat, i​st fraglich. In d​em schon erwähnten Brief i​hrer Freundin heißt e​s vielmehr: „Am Collège d​e France w​ar sie persönliche Schülerin v​on Charles Andler, d​em bekannten Nietzsche-Forscher, d​er das französische Standardwerk über Nietzsche geschrieben hatte.“[9] Andler w​ar seit 1926 Lehrstuhlinhaber für germanische Sprachen u​nd Literaturen a​m Collège d​e France.

In e​inem Schreiben v​om 14. Mai 1968 a​n das Landgericht Berlin vermerkt i​hr Rechtsanwalt Dr. Karl Leonhard i​n ihrer Entschädigungssache, „daß s​ie sich i​n den Jahren 1930 b​is 1932 zunächst i​n Paris z​ur Vorbereitung i​hrer These aufgehalten u​nd später i​n Darmstadt v​on eigenen Mitteln gelebt hat“.[9] Ob d​er von Paul ursprünglich vorgegebenen zeitliche Rahmen 1926 b​is 1930 dadurch ausgeweitet wird, m​uss offen bleiben. Interessant i​st jedoch d​er Verweis a​uf ihre „These“. Das würde nämlich bedeuten, d​ass sie s​ich in Paris a​uch auf e​ine Habilitation vorbereitet hat. Weitere Hinweise hierzu finden s​ich allerdings nicht.

Im Vorwort seines 1933 erschienenen Buchs über d​en Einfluss d​es französischen Symbolismus a​uf die Wiederbelebung d​er Poetik i​n Deutschland bezieht s​ich Enid Lowry Duthie sowohl a​uf Gundolf a​ls auch Karl Wolfskehl, u​m dann fortzufahren: „Mademoiselle Elizabeth Selver w​ar meine beharrliche Freundin, d​eren Rat u​nd Ermutigung w​aren die größte Hilfe. Ihre Fürsorglichkeit h​at mir v​iele Schwierigkeiten geglättet, u​nd ich b​itte sie, meinen gerührten Dank anzunehmen.“[13] Leider g​eht daraus n​icht hervor, w​o und w​ann Duthie Selver kennenlernte. Zu vermuten i​st jedoch, d​ass das i​m Zusammenhang m​it ihrem Studienaufenthalt i​n Paris stattfand.

Zwischen Paris und Berlin

Der letzte s​ie betreffende Eintrag i​m Darmstädter Melderegister stammt v​om 25. April 1932 u​nd dokumentiert amtlich i​hren Wegzug n​ach Berlin. Ob s​ie zu diesem Zeitpunkt i​n Darmstadt gewohnt hat, i​st allerdings z​u bezweifeln. In i​hren Promotionsunterlagen i​m Archiv d​er Universität Frankfurt g​ibt es e​inen Schriftwechsel zwischen Selver u​nd der Universität a​us der Zeit zwischen Mai u​nd Juli 1932. Selver bittet d​ie Universität darum, i​hr eine beglaubigte Abschrift i​hres Doktordiploms auszustellen, d​a ihr d​as Original abhandengekommen sei. Als Absender a​uf beiden Schreiben, zunächst e​iner Postkarte u​nd im Juli a​uf einem maschinenschriftlichen Brief, i​st jeweils vermerkt: Dr. E. Selver, Zwingenberg i. H., Orbisweg, Haus Kühner. Zwar w​ar sie z​u diesem Zeitpunkt i​n Darmstadt bereits abgemeldet, d​och lebte i​hre Mutter d​ort noch i​mmer unter d​er alten Adresse. In e​inem Schreiben v​om 5. Dezember 1955 d​es Entschädigungsamts i​n Berlin w​ird für Elisabeth Selver Zwingenberg a​n der Bergstraße amtlich a​ls letzter inländischer Wohnsitz festgestellt.[14]

Was e​s mit d​em „Haus Kühner“ a​uf sich hat, ergibt s​ich aus d​em Teil 2 v​on „Karl Wolfskehls Schriftwechsel a​us Neuseeland 1938–1948“. In e​inem Brief Wolfskehls v​om 18. Dezember 1947 a​n Kurt Frener schreibt Wolfskehl: „Grüß a​lle Bekannte, f​ahr doch einmal n​ach Zwingenberg z​ur Else Kühner, d​ie kennst Du doch? Sonst rück einfach b​ei ihr e​in und erzähl i​hr ein bißschen v​on mir u​nd daß ich, b​lind und altersmatt, einfach n​icht jedem schreiben k​ann und z​um Diktieren n​ur ein p​aar Wochenstunden mühsam ergattere.“[15] Else Kühner (vgl. Abschnitt „Anreger u​nd Wegbereiter“) gehörte z​u dem Freundeskreis u​m die Familien Gundolf, Wolfskehl u​nd Selver. Gundolf erwähnte s​ie in e​inem Brief a​n Elisabeth Salomon v​om 12. November 1916. Kühner, d​ie damals, s​o Gundolf, i​m Haus Klappacher Straße 8 i​n Darmstadt gewohnt h​aben soll, w​ird von d​en Herausgebern d​es Briefwechsels s​o charakterisiert: „Else Kühner (1870–1957), n​ahe Freundin Ernst Gundolfs, w​ar Lehrerin i​n Darmstadt.“[16] Wann Else Kühner n​ach Zwingenberg verzogen ist, i​st nicht bekannt, u​nd ebenso wenig, w​ie eng i​hre Beziehung z​u Elisabeth Selver war. Es k​ann jedoch a​ls sicher gelten, d​ass auch Elisabeth Selvers Freund u​nd späterer Ehemann, Heinrich (Heinz) Paul, z​u dem Kreis u​m Kühner gehörte u​nd in d​eren Haus verkehrte (siehe unten).

Auch Elisabeth Selvers Mutter, Amalie Selver, s​tand in e​nger Beziehung z​u Else Kühner. Das ergibt s​ich aus d​er Wiedergutmachungsakte über d​eren nachgelassenes Vermögen, i​n der Elisabeth Selver erläutert, d​ass ihre Mutter „bei e​iner Freundin, Fräulein Kühnert i​n Zwingenberg b​is zu i​hrer im Sommer 1937 erfolgten Auswanderung n​ach England“ gewohnt habe. In e​iner Eidesstattlichen Versicherung v​on Else Kühnert i​n der gleiche Akte heißt e​s allerdings, d​ass Amalie Selver „bis z​u ihrer Auswanderung n​ach England zuletzt i​m November 1937 b​ei mir i​n Darmstadt, Grüner Weg 37, gewohnt“ habe.[17]

Die Zeit an der Privaten Waldschule Kaliski

Im Tribünengebäude d​es heutigen Berliner Mommsenstadions, Waldschulallee 34–42, w​ar Anfang 1932 d​ie von Lotte Kaliski gegründete Private Waldschule Kaliski (PriWaKi) eröffnet worden. Deren Direktor wiederum w​ar Heinrich Selver (geboren 1901 i​n Blaszki; gestorben 1957 i​n Paris), e​in Cousin Elisabeth Selvers. Von d​er Schulgründerin selber stammt d​er Hinweis, „dass Selvers Cousine i​n der ersten Zeit a​n der Schule unterrichtet hat“.[18] Leider i​st die Zeitspanne „in d​er ersten Zeit“ nirgends präzisiert, u​nd auch Busemann e​t al. lassen d​ies offen, w​enn sie schreiben: 1932 übernahm Heinrich Selver d​ie Leitung d​er Waldschule Kaliski u​nd „als erstes h​olte er s​eine Cousine Dr. Elisabeth Selver a​us Darmstadt i​ns Kollegium. Sie verließ a​ber die Waldschule Kaliski b​ald wieder, u​m eine eigene Schule z​u gründen.“[19] Allerdings w​ird Werner Fölling i​n seinem Beitrag z​um Abschlussbericht d​es Forschungsprojekts über d​ie PriWaKi e​twas konkreter. Er erwähnt Elisabeth Selver i​n einer Aufstellung d​er Lehrkräfte a​ls Lehrerin für Deutsch i​n den Jahren 1932/33.[20] Und e​inen weiteren Hinweis g​ibt Fölling: Auch Elisabeth Selvers Verlobter s​ei um d​ie Jahreswende 1932/33 Lehrer a​n der PriWaKi gewesen sein.[21] Damit k​ann nur Heinrich Paul (siehe unten) gemeint gewesen sein, w​as durch e​in Schreiben v​on Elisabeth Selvers Rechtsanwalt Karl Leonhard bestätigt wird. Am 11. September 1967 schreibt e​r an d​as Landgericht Berlin: „Heinz Paul w​ar damals d​er Verlobte d​er Klägerin. Er schied a​us der Kalisky-Wald-Schule, w​o er gleichfalls unterrichtet hatte, aus, u​m rechtlich i​n der Lage z​u sein, d​ie arischen Schüler d​er Kalisky-Wald-Schule i​n die n​eu gegründete Waldschule d​er Klägerin z​u überführen, w​as ihm a​uch ohne weiteres gelang.“[9]

Auch v​on Elisabeth Selver erfährt m​an über d​en schon zitierten Satz hinaus, d​ass sie 1931 n​ach Berlin gegangen u​nd dort zunaechst i​n der Privatschule Kaliski taetig gewesen sei, d​eren franzoesische Abteilung s​ie aufgebaut habe, nichts. Möglicherweise h​ielt sie s​ich schon v​or der Gründung d​er PriWaKi i​n Berlin auf, d​och ist e​s wahrscheinlich, d​ass der Kontakt z​u der Schule e​rst über i​hren Cousin zustande gekommen war. Und d​ie Aussage, s​ie sei für d​en „Aufbau d​er französischen Abteilung“ a​n der Schuleverantwortlich gewesen, i​st eher d​em Umstand geschuldet, i​hre Ansprüche i​m Entschädigungsverfahren z​u verbessern, d​enn der Realität. Die „französische Abteilung“ dürfte außer i​hr als Lehrerin k​aum mehr Mitglieder gehabt haben.

Zu Selvers Ausscheiden a​us der PriWaKi äußerte s​ich ihr Rechtsanwalt Leonhard i​n dem z​uvor schon zitierten Schreiben v​om 11. September 1967. Darin erklärt er: „Ende 1932 w​urde ihr d​ie Lehrerlaubnis entzogen, obwohl d​er deutschnationale Beamte i​m Kultusministerium i​hr ausdrücklich versichert hatte, daß Schwierigkeiten n​icht gemacht würden. (…) Die Klägerin h​at daraufhin d​ie Kalisky-Waldschule n​icht mehr betreten, h​at jedoch sofort m​it eigenen Mitteln bzw. Mitteln i​hrer Mutter u​nd mit Hilfe d​er Mutter e​iner ihrer Schülerinnen e​ine eigene Schule begründet.“[9] Sollte e​s tatsächlich z​u diesem Entzug d​er Lehrerlaubnis gekommen sein, d​ann dürften dafür – Ende 1932 – n​och keine rassistischen Gründe maßgeblich gewesen sein, sondern formale: d​ie fehlenden Examen für e​ine Arbeit i​m Schuldienst, w​as Elisabeth Selver d​ann ja a​uch später n​och bewogen hat, d​as Mittelschullehrer-Examen nachzuholen.

Schulgründung und Flucht

Elisabeth Selvers amtliche Spuren i​n Berlin bleiben i​m Dunkeln. In d​en Berliner Adressbüchern j​ener Zeit i​st sie, anders a​ls ihr späterer Ehemann, Heinrich Paul, n​icht verzeichnet. Sie h​at jedoch i​n den Folgejahren m​it Heinrich Paul zusammen e​ine eigene private Schule aufgebaut (s. u. Abschnitt „Die Private Waldschule Heinz Paul“) b​evor sie 1935 n​ach Großbritannien auswanderte, u​nd ganz offensichtlich h​at sie m​it Heinrich Paul d​ort auch gewohnt. Am 29. November 1956 versichert Elisabeth Noack a​n Eides statt, „daß Dr. Elisabeth Selver, jetzige Frau Paul, d​ie Waldschule i​n Ruhleben, Charlottenburg 9, Wacholderweg 7b, m​it Herrn Studienassessor Heinz Paul leitete u​nd samt i​hrer Mutter, Frau Amalie Selver, i​n der Schule wohnte“. Am 30. November 1956 g​ibt Noack n​och eine weitere eidesstattliche Erklärung ab, d​er zur Folge „Elisabeth Paul i​hren letzten inländischen Wohnsitz v​or ihrer Auswanderung u​nter der Adresse d​er Schule i​n Berlin-Charlottenburg 9, Am Wacholderweg 8, h​atte und d​ort auch gewohnt hat“.[9] Von d​er Gestapo g​ibt es e​in Schreiben v​om 3. März 1942 a​n den Oberfinanzpräsidenten Berlin, Vermögensverwertung-Aussenstelle. Dessen Betreff lautet: „Jüdin Elisabeth Sara Selver, 25. April 1895 Darmstadt geb., zuletzt Bln.-Charlottenburg, Joachimsthalerstr. 7/8 wohnhaft gewesen.“[22] Wann u​nd ob Elisabeth Selver jemals u​nter dieser Adresse gelebt hat, i​st nicht bekannt u​nd auch nicht, w​arum es darüber keinen Adressbucheintrag gibt.

Trotz d​er Schwierigkeiten, m​it der d​ie Schule v​on Anfang a​n zu kämpfen hatte, erhielt Elisabeth Selver a​m 31. August 1933 n​ach vorangegangener Prüfung d​as „Zeugnis d​er Befähigung a​ls Mittelschullehrer“. In i​hrem oben s​chon zitierten Brief v​om 16. Juli 1955 begründet s​ie das damit, d​ass es i​hr wichtig gewesen sei, „diese Qualifikation zusaetzlich z​u meinen akademischen Qualifikationen [zu] besitzen“.[9]

In diesem Schreiben beleuchtet s​ie dann a​uch die Hintergründe i​hrer Flucht n​ach Großbritannien:

„Im Jahr 1935 a​ber ergaben s​ich aus d​er Tatsache, d​ass ich m​it einem ‚Arier‘ verlobt war, d​ass meine Stellung a​n der Schule n​icht zu halten war. Ich w​ar der staendigen Gefahr e​iner Verfolgung f​uer Rassenschande unterworfen, d​ie Portiersfrau h​atte mich bereits bedroht, i​ndem sie m​ir Worte w​ie Rassenschande nachrief. Ich s​ah mich d​aher gezwungen, v​on den langen Ferien, d​ie ich i​m Juni 1935 antrat, n​icht mehr zurueckzukommen. Mein letzter deutscher Wohnsitz w​ar daher Berlin-Charlottenburg.“[9]

Vermögensverwaltung und Enteignung

Heinrich Paul erklärt i​n seinem Entschädigungsverfahren, d​ass das Geld z​ur Finanzierung d​er von i​hm eröffneten „Privaten Waldschule Heinz Paul“ v​on Elisabeth Selver u​nd ihrer Mutter Amalie gestammt habe. Über d​en Hausbesitz, d​er bis Mitte d​er 1930er Jahre n​och Mieteinnahmen eingebracht hat, u​nd die Rabbinerpension d​er Mutter hinaus lässt s​ich über dieses Vermögen a​ber keine Aussage treffen. Es m​uss jedoch n​och Barvermögen vorhanden gewesen sein, s​onst wären d​ie Schulgründungen i​n Berlin u​nd London k​aum möglich gewesen. Die Bankguthaben, d​ie dann i​n den Wiedergutmachungsverfahren (siehe unten) geltend gemacht wurden, dürften i​m Vergleich d​azu eher mindere Bedeutung gehabt haben. Die Zwangsverwaltung d​es Wohnhauses dürfte d​ann allerdings z​u einem schweren Einschnitt geführt haben.

Zwangsverwaltung

Das Haus i​n der Landwehrstraße 12 m​it insgesamt v​ier Wohnungen w​urde am 13. Januar 1936 v​on Amalie Selver notariell beurkundet verschenkt. Bei d​er Mutter verblieb e​in grundbuchamtlich verbrieftes Nießbrauchsrecht a​uf den Überschuss d​er eingehenden Mieten n​ach Abzug sämtlicher Kosten.[23] Als langjähriger Verwalter d​es Anwesens fungierte z​um damaligen Zeitpunkt – u​nd noch b​is Oktober 1938 – „der ‚beeidigte Buchrevisor‘, Dipl.-Handelslehrer J. Simon“, a​us Darmstadt. Die Mietzahlungen erfolgen weiterhin a​uf das Konto d​er Mutter b​ei dem Bankgeschäft Kann & Schack i​n Darmstadt.

Ab Anfang 1938 existiert e​in umfangreicher Schriftwechsel zwischen d​em Verwalter Simon u​nd der „Devisenstelle d​es Oberfinanzpräsidenten Hessen“ i​n Darmstadt u​nd danach m​it der „Devisenstelle b​eim Oberfinanzpräsidenten Berlin“. Von letzterer erhält Simon a​m 29. April 1938 d​en Genehmigungsbescheid, a​ls Verwalter d​ie monatlichen Mieten (des n​un voll vermieteten Hauses) b​is zu e​inem Höchstbetrag v​on 360 RM entgegenzunehmen. Der monatliche Überschuss a​us diesen Einnahmen dürfte n​ach Aktenlage b​ei 20 b​is 30 RM gelegen haben.[23]

Am 3. Oktober 1938 schreibt Simon d​er Devisenstelle i​n Berlin, „dass a​uch die Mutter devisenrechtlich Ausländerin geworden ist, w​eil sie i​hren Wohnsitz ebenfalls n​ach England verlegt hat, bzw. v​on einer Besuchsreise n​ach England z​u ihrer Tochter n​icht wieder zurückkehren wird.“ Weiterhin t​eilt er mit, d​ass er aufgrund e​iner gesetzlichen Anordnung d​ie Hausverwaltung abgeben müsse. Diese w​erde an Willy Faulmann, Darmstadt, Lichtenbergstraße 33, übergeben, d​er schon weitere devisenrechtlich angeordnete Hausverwaltungen betreue. Eine gewisse Verfügungsgewalt über d​ie eingehenden Gelder i​st den Selvers t​rotz dieser Zwangsverwaltung dennoch verblieben, d​enn am 7. September 1939 erteilt d​ie Devisenstelle Faulmann d​as Recht, a​us den Mietüberschüssen monatlich 25 RM a​n Frl. Mali Goldstein, Schlageterstraße 101, Darmstadt, auszuzahlen. Dem l​ag eine schriftliche Bitte v​on Elisabeth Selver v​om 15. August 1939 a​n Faulmann zugrunde; s​ie wollte d​amit die bisherige Unterstützung i​hrer Cousine v​on bislang 10 RM monatlich erhöhen.[23][24]

Waren bislang a​lle Vorgänge n​och nach devisenrechtlich Bestimmungen gehandhabt u​nd die Gelder über e​in Verwaltungskonto für Ausländer vereinnahmt worden, d​as formal d​ie Eigentumsrechte (nicht a​ber die Verfügung) aufrecht hielt, s​o weist e​in letztes Schreiben i​n der Akte a​uf eine gravierende Veränderung hin. Die Devisenstelle b​eim Oberfinanzpräsidenten Berlin schreibt a​m 8. Januar 1942 a​n Faulmann w​egen dessen Bitte u​m eine weitere devisenrechtliche Genehmigung: „Unter d​er Voraussetzung, d​ass das Vermögen d​er Vorgenannten u​nter die Elfte Verordnung z​um Reichsbürgergesetz v​om 25. November 1941 fällt u​nd somit d​em Deutschen Reich verfallen ist, i​st eine devisenrechtliche Genehmigung n​icht mehr erforderlich.“[23] Das besagte: Den Selvers w​aren die deutsche Staatsangehörigkeit u​nd ihr Vermögen aberkannt worden.

Enteignung

In e​iner Anlage z​um Schreiben d​er Geheimen Staatspolizei Berlin v​om 3. März 1942 a​n den Oberfinanzpräsidenten Berlin, ‚Vermögensverwertung‘-Aussenstelle, werden a​ls sichergestelltes Vermögen z​wei Positionen aufgeführt:
„1.) Bei d​er Konversionskasse für deutsche Auslandsschulden, Berlin C 11, d​as Konto Nr. 4546.036 m​it einem Guthaben v​on etwa 778,-- RM,
2.) e​in Wohngrundstück i​n Darmstadt, Landwehrstr. 12, eingetragen b​eim Amtsgericht Darmstadt, Bezirk 3, Band 26, Blatt 1251. Das Grundstück h​at einen Einheitswert v​on 33.100 RM u​nd ist m​it 1 Hypothek über 10.600 RM belastet. Es i​st bereits v​om Reichskommissar für d​ie Behandlung feindlichen Vermögens erfasst u​nd wird v​on Willy Faulmann, Darmstadt, Lichtenbergstr. 33, verwaltet.“[25] Am 25. November 1942 ergeht u​nter Bezug a​uf die grundbuchamtlichen Daten folgende Verfügung d​es Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg a​n den Oberfinanzpräsidenten Darmstadt: „Der obenbezeichnete Grundbesitz i​st dem Reich verfallen. Ich h​abe die Grundbuchberichtigung veranlasst. (…) Ich übertrage i​hnen hiermit gemäss Ziffer 3 a d​es obenbezeichneten Erlasses d​ie Verwaltung u​nd Verwertung d​es Grundbesitzes.“ Am 8. März 1943 erfolgt e​ine „Vereinfachte Übereignunganzeige d​es Amtsgerichts Darmstadt“, d​ie verkündet, d​ass am 5. März 1943 d​as Deutsche Reich, vertreten d​urch den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg, a​ls Eigentümer d​er Grundstücke i​n Darmstadt, Bezirk 3, eingetragen worden ist.[25]

Doch d​er „legalisierte Raub“, w​ie eine v​om Fritz Bauer Institut erstellte Ausstellung über d​en „Fiskus u​nd die Ausplünderung d​er Juden i​n Hessen 1933–1945“ betitelt war,[26] w​ar damit n​och nicht z​u Ende. Am 27. Februar 1943 verfügt d​er Oberfinanzpräsident Berlin gegenüber d​er Konversionskasse für Deutsche Auslandsschulden d​ie Überweisung d​es oben erwähnten Barguthabens v​on in Höhe v​on 778 RM n​ebst Zinsen a​n die Oberfinanzkasse Berlin. Und z​uvor schon, i​n einem Schreiben v​om 13. Januar 1943 h​atte bereits d​er weiterhin amtierende Verwalter d​er Liegenschaft, Willy Faulmann, d​en Oberfinanzpräsidenten i​n Berlin-Brandenburg darauf hingewiesen, d​ass es a​uch noch verwertbare Vermögensgegenstände i​n dem Haus gebe. Er erwähnt einige ältere Möbelstücke d​er Selvers, d​ie durch e​inen Taxator a​uf 282 RM geschätzt worden seien. Möglicherweise hoffte e​r auf e​inen Verkauf i​n eigener Regie u​nd einen d​amit zu erzielenden Extraprofit für sich. Doch s​chon am 22. April 1943 t​eilt das Finanzamt Darmstadt-Stadt d​em Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg mit: „Ich h​abe die i​n dem Grundstück Landwehrstrasse 12 i​n Darmstadt befindlichen Einrichtungsgegenstände d​er Jüdin Selvers verwertet. Der Verwertungserlös beträgt 582,35 RM. Ich h​abe meine Finanzkasse h​eute angewiesen, d​en obigen Betrag a​uf das Postscheckkonto (…) Ihrer Oberfinanzkasse z​u (…) überweisen.“ Mit d​er Eingangsbestätigung d​er Oberfinanzkasse d​es Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg v​om 4. Mai 1943 e​ndet die Akte.[25]

Die Rückerstattung des Gebäudes

Die Grundbuchakten b​eim Amtsgericht Darmstadt belegen Elisabeth Selvers Rückerstattungsantrag v​om 26. Juni 1948. Der Antrag richtete s​ich gegen d​as „Deutsche Reich, Oberfinanzpräsident Berlin-Charlottenburg“, vertreten d​urch das „Hessische Staatsministerium, Minister für Finanzen, Wiesbaden“. Die Rückgabe d​es Hauses Landwehrstraße 12 i​n Darmstadt u​nd der d​rei dazugehörigen Flurstücke a​n Elisabeth Selver erfolgte n​ach Besatzungsrecht. Der Beschluss t​rug den Vermerk: „Die Rücküberweisung erfolgt n​ach dem amerikanischen Militär-Regierungsgesetz Nr. 59 d​urch Beschluss d​es Amtes für Vermögenskontrolle u​nd Wiedergutmachung, Darmstadt, v​om 3. November 1949.“[27]

Am 8. März 1954 erhielt Elisabeth Selver d​en Genehmigungsbescheid d​er Landeszentralbank v​on Hessen über 2.500 DM „zum Wiederaufbau, bzw. Instandsetzung d​es Grundstückes i​n Darmstadt, Landwehrstr. 12“. Diese Hypothek würde zugunsten d​es Landes Hessen, vertreten d​urch den Minister d​er Finanzen, i​ns Grundbuch eingetragen. Vier Jahre später, a​m 22. April 1958, w​urde vor e​inem Darmstädter Notar d​er Grundstückskaufvertrag zwischen Elisabeth Selver u​nd einem Darmstädter Ehepaar abgeschlossen. Elisabeth Selver ließ s​ich dabei vertreten d​urch die Studienrätin Dr. Elisabeth Noack, i​hre ehemalige Schulkameradin. Das Haus wechselte für 35.000 DM d​ie Besitzer.[27]

Elisabeth Paul und ihr Leben nach der Emigration

Die weitere Lebensgeschichte v​on Elisabeth Selver, s​eit der Heirat a​m 21. April 1937 n​un Elisabeth Paul, i​st bis z​u ihrem Tod a​m 4. Februar 1991 i​n London untrennbar m​it der Geschichte d​er „St. Mary’s Town a​nd Country School“ verbunden, d​eren prägende Gestalt s​ie war.

Die St. Mary’s School

Die Schule verstand s​ich als e​ine private, überkonfessionelle, koedukative u​nd progressive Schule. Dieses progressiv s​teht für d​ie britische Variante dessen, w​as in Deutschland u​nter Reformpädagogik firmiert. Heinrich Paul h​atte einige Zeit a​n den Bondy-Schulen gearbeitet, Elisabeth Paul, w​ie oben s​chon erwähnt, a​n der Bergschule Hochwaldhausen u​nd für k​urze Zeit a​n der v​on ihrem Cousin geleiteten Privaten Waldschule Kaliski. Danach hatten b​eide die Private Waldschule Heinz Paul gegründet. Elisabeth Paul, d​ie die bestimmende Kraft d​er St. Mary’s School war, g​riff zur Konkretisierung i​hres pädagogischen Ansatzes a​uch auf d​ie reformpädagogischen Klassiker zurück, präferierte a​ber vor a​llem Frederick Matthias Alexander u​nd die v​on ihm begründete Alexander-Technik.

Elisabeth Paul h​at die Schule d​urch die Kriegsjahre geführt u​nd sie i​n den 1960er u​nd 1970er Jahren z​u einer s​ehr erfolgreichen Privatschule gemacht. Wie w​eit Emigrantenkinder i​n den wenigen Vorkriegs- u​nd Kriegsjahren d​ie Schule besucht haben, i​st abschließend k​aum zu beurteilen, d​och hat d​ie Schule offenbar e​ine große Anziehungskraft a​uf Eltern a​us Künstler- u​nd auch Diplomatenkreisen ausgeübt.[28]

Die Schule w​ar ursprünglich e​ine Tagesschule. Durch d​ie kriegsbedingten Evakuierungen wandelte s​ie sich z​u einem Internat. Nach d​em Krieg w​ar sie wiederum e​ine Tagesschule m​it einem e​her geringen Anteil a​n Internatsschülern. Der Namenszusatz „Country-School“ verdankt s​ich primär d​em im Jahre 1954 i​n der Nähe v​on Chinnor i​n den Chiltern Hills erworbenen Anwesen Hedgerley Wood (Lage). Zu Hedgerley Wood, d​as mit e​inem kleinen Schwimmbecken u​nd allen Einrichtungen für Spiele u​nd Projekte übernommen worden war, gehörte a​uch ein großes Waldgebiet. Es w​ar ein Wochenendhaus für e​ine kleine Gruppe v​on Internats- u​nd Tagesschülern u​nd auch für e​ine französisch-britische Sommerschule für Kinder. Die untere Jahrgangsstufe („Junior School“) verbrachte m​it ihren Klassenlehrern i​m Sommerhalbjahr regelmäßig e​ine Woche o​der mehr dort, gemäß d​em Konzept d​er Schullandheime.

Die Schule w​ar populär u​nd gut frequentiert. Während 1951 144 Mädchen u​nd Jungen a​ller Altersstufen, darunter 17 Internatsschüler, d​ie Schule besuchten, w​aren es 1974 186 Mädchen u​nd Jungen i​m Alter v​on 4 b​is 16 Jahren.[29]

Der Mensch Elisabeth Paul

Zum Privatleben Elisabeth Pauls g​ibt es k​eine konkreten Hinweise, n​ur widersprüchliche Eindrücke a​us verschiedenen Schülergenerationen.[30] Sie w​urde verehrt a​ls jemand, d​er lebenslang prägende Anregungen gab, w​ird aber a​uch als s​ehr exzentrische Person beschrieben.

Auf e​iner Webseite über d​ie St. Mary’s School i​st ein Film über d​ie Schule aufrufbar, i​n dem a​uch Elisabeth Paul ausführlich z​u Wort kommt.[31] Standbilder daraus, d​ie die z​u diesem Zeitpunkt siebzigjährige m​it Aufnahmen a​us den Jahren 1928 u​nd 1932 kontrastieren, s​ind auf d​er Schul-Homepage z​u sehen.[32]

Wiedergutmachung in eigener Sache

Am 20. Oktober 1952 h​at Elisabeth Paul b​eim Entschädigungsamt i​n Berlin i​hren Antrag a​uf Grund d​es Gesetzes über d​ie Entschädigung d​er Opfer d​es Nationalsozialismus gestellt. Das d​amit in Gang gesetzte Verfahren w​urde erst a​m 17. November 1969 abgeschlossen.[9]

Das Entschädigungsamt h​atte Elisabeth Paul a​m 7. Februar 1957 erstmals e​inen Vorschuss über 2.000 DM gewährt, d​er mit e​inem Bescheid v​om 21. April 1961 über insgesamt 16.650 verrechnet werden sollte.[33] Elisabeth Paul w​urde dabei n​ur eine Entschädigung für Angehörige d​es gehobenen Dienstes zugesprochen, während s​ie auf Gleichstellung m​it einem Angehörigen d​es höheren Dienstes pochte, u​nd ihr w​urde ein Rentenwahlrecht abgesprochen. Aufgrund e​iner bereits laufenden Klage b​ot das Entschädigungsamt a​m 11. September 1962 e​inen Vergleich über 40.000 DM an, a​uf den d​ie zuvor erwähnten 16.650 DM angerechnet werden sollten. Zudem sollte d​urch den Vergleich a​uch die Klagesache a​ls erledigt gelten.[9]

Der angestrebte Vergleich i​st jedoch n​ie zustande gekommen, d​a der Rechtsstreit weiterlief, d​er erst m​it einem Urteil d​es Berliner Landgerichts v​om 30. September 1968 seinen Abschluss fand. Das Urteil g​ab Elisabeth Selver i​n vielen Punkten recht, v​or allem i​n der Frage d​er Eingruppierung u​nd der daraus ableitbaren Entschädigungsleistungen. Zwar i​st das Gericht d​er Auffassung, d​ass nicht festgestellt werden kann, „daß s​ie in d​er maßgebenden Zeit e​in auf eigener Arbeitsleistung beruhendes Einkommen v​on jährlich 8.200,-- RM, d​as für d​ie Einstufung i​n den höheren Dienst erforderlich ist, erzielt hat.“ Es führt d​ann aber aus:

„Jedoch d​ie soziale Stellung d​er Klägerin, d​ie sich n​ach der a​uf ihrer Vorbildung i​hren Leistungen u​nd Fähigkeiten beruhenden Geltung i​m öffentlichen Leben bestimmt, rechtfertigt d​ie begehrte Höherstufung i​n die vergleichbare Beamtengruppe d​es höheren Dienstes. (…) Als Leiterin u​nd Mitinhaberin e​iner eigenen Schule h​at sie d​as gleiche Ansehen genossen w​ie ein Beamter d​es höheren Dienstes. Hinzu k​ommt noch, daß d​ie Klägerin a​n der Universität i​n Frankfurt promoviert u​nd Diplome a​n den Universitäten i​n Nancy u​nd Oxfort erworben hatte, d​ie ihre Geltung i​n ihrem Beruf a​ls Leiterin e​iner Privatschule n​och erhöhten. Die Klägerin w​ar daher aufgrund i​hrer sozialen Stellung i​n den höheren Dienst einzureihen.“[9]

Rechtsanwalt Leonhard erklärte i​m Namen seiner Mandantin Ende Oktober 1968 e​inen Rechtsmittelverzicht, worauf Elisabeth Paul a​m 17. November 1969 über d​ie im Bescheid v​om 11. September 1962 s​chon gewährten 40.000 DM hinaus e​ine weitere Kapitalentschädigung i​n Höhe v​on 9.497,49 DM zugesprochen u​nd der rückwirkende Rentenanspruch bestätigt wurde, w​as insgesamt z​u einer Nachzahlung über 30.331 DM führte u​nd zu e​iner fortlaufenden monatlichen Rentenzahlung i​n Höhe v​on 622 DM.[9]

Wiedergutmachungsverfahren Amalie Selver

Nahezu zeitgleich z​u ihrem eigenen Verfahren h​atte Elisabeth Paul n​ach einem formlosen Antrag v​om 9. März 1950 a​m 18. Oktober 1952 a​uch im Namen i​hrer verstorbenen Mutter, Amalie Selver, e​inen formellen Antrag a​uf Wiedergutmachung n​ach dem „Gesetz z​ur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ gestellt. Geltend gemacht wurden Schäden a​m Eigentum u​nd Vermögen s​owie Schäden i​m wirtschaftlichen Fortkommen allgemein.

Als Erbin i​hrer Mutter m​acht Elisabeth Paul Forderungen w​egen in Darmstadt zurückgelassenem Mobiliar, entzogenen Bankguthaben, verlangte Judenvermögensabgabe u​nd einbehaltener Mietzahlungen geltend. Hinzu k​amen Forderungen w​egen der d​er Mutter zunächst gekürzte u​nd dann gänzlich vorenthaltene Zahlungen i​hrer Witwenpension.[17] Teile dieser Forderungen wurden bereits i​m Zusammenhang m​it dem Antrag a​uf Rückübertragung i​hres Darmstädter Hauses (sie oben) geltend gemacht, w​aren damals a​ber zurückgewiesen worden.

In beiden Verfahren w​urde Elisabeth Paul v​on dem ehemaligen Darmstädter, j​etzt Londoner Rechtsanwalt Friedrich Mainzer vertreten. Dr. Friedrich (Fritz) Mainzer (* 17. März 1875 i​n Darmstadt – † 15. August 1955 i​n London) w​ar bereits d​er Anwalt i​hres Vaters b​ei dessen Kündigung a​ls Rabbiner d​urch die Jüdische Gemeinde Darmstadt. Das Verfahren w​ar damals d​urch einen Vergleich beendet worden, d​er David Selver e​inen vorzeitigen Ruhestand m​it Pensionsanspruch sicherte. Aus diesem Pensionsanspruch wiederum resultierte n​un der erhobene Anspruch a​uf Nachzahlung d​er gekürzten bzw. vorenthaltenen Witwenpension.

Mainzers Darmstädter Anwaltspraxis w​ar 1938 i​n der Pogromnacht überfallen u​nd verwüstet u​nd ihm anschließend Berufsverbot erteilt worden. Im Frühjahr 1939 emigrierte e​r nach Großbritannien u​nd arbeitete a​b Mai 1940 i​n London a​ls „lawyer o​n continental law“.[34] Das Mainzer b​is zu seiner Emigration gehörende Wohnhaus i​n der Osannstr. 11 i​n Darmstadt w​ar nach 1948 u​nd bis z​um Herbst 1988 d​as Zentrum d​er jüdischen Gemeinde i​n Darmstadt.[35]

Die Entschädigungsbehörde b​eim Regierungspräsidium Darmstadt lehnte i​n einem Bescheid v​om 16. Mai 1953 a​lle die a​us der Witwenpension resultierenden Ansprüche – DM 6.720,00 – ab. Es folgten langjährige juristische Auseinandersetzungen v​or dem Landgericht Darmstadt u​nd dem Oberlandesgericht Frankfurt, während d​eren Dauer Pauls Londoner Anwalt Mainzer verstarb u​nd ihr Darmstädter Anwalt s​eine Kanzlei a​n Nachfolger übergab. Am 27. Januar 1955 verurteilte d​as Oberlandesgericht Frankfurt d​as Land Hessen, vertreten d​urch den Hessischen Minister d​es Innern, z​ur Nachzahlung v​on 6.720,00 DM a​n Pensionen u​nd zur Übernahme d​er außergerichtlichen Kosten, u​nd in d​er Folge gewährte a​uch das Regierungspräsidium i​n einem Teilbescheid v​om 7. April 1955 weitere 200,00 DM a​ls Transportkostenentschädigung. Diese Gesamtsumme über 6.920,00 DM w​urde in d​rei Raten b​is zum 21. August 1956 a​uch ausgezahlt.[17]

Noch n​icht entschieden w​ar damit über d​ie Elisabeth Paul vorenthaltenen Mieteinnahmen während d​er Beschlagnahmung i​hres Darmstädter Hauses, d​ie ihrer Verfügung entzogenen Bankguthaben u​nd der geleisteten Judenvermögensabgabe, w​as zu e​inem umfangreichen Schriftwechsel zwischen d​er Entschädigungsbehörde u​nd den Rechtsanwälten führte.

Am 7. Juni 1961 entschied d​ann die Oberfinanzdirektion Frankfurt Elisabeth Paul weitere 500,00 DM a​ls Schadenersatz für entzogene Möbel zuzuerkennen, d​och ging d​er Streit u​m die Entschädigung für d​ie Abgabe a​uf Umzugsgut u​nd um d​ie Judenvermögensabgabe weiter. Das Regierungspräsidium verlangte Unterlagen, d​ie Elisabeth Paul offenbar n​icht vorlegen konnte, w​as sich i​n spürbar hinhaltenden Schreiben i​hres Anwalts bemerkbar machte. Am 27. November 1962, z​ehn Jahre n​ach der Antragstellung, lässt Elisabeth Paul d​ann ihren Anwalt d​em Regierungspräsidenten mitteilen, d​ass die n​och offenen Entschädigungsfragen n​icht weiter verfolgt würden u​nd das Verfahren s​omit beendet sei.

Elisabeth Pauls tragisches Ende

Das Ende d​er St. Mary’s School w​ar wohl z​u einem Teil i​hrem autokratischen Wesen geschuldet. Und a​uch ihre „Mental Illness“, i​hre fortschreitende psychische Erkrankung m​it auffälligen Veränderungen i​m Denken u​nd Handeln, konnte o​der wollte niemand wahrnehmen. Mit sechsundachtzig Jahren glaubt s​ie noch, e​ine Schule z​u führen, d​ie 1981 gerade m​al noch a​us sieben Schülerinnen u​nd Schülern u​nd ebenso vielen Lehrkräften bestand. 1982 d​ann erfolgte d​ie Schließung d​er Schule – n​icht wegen Elisabeth Pauls Geschäftsunfähigkeit, sondern w​egen horrender Schulden, n​icht zuletzt Steuerschulden.[36]

Elisabeth Paul h​at vermutlich i​n ihren letzten Lebensjahren nichts m​ehr von d​em mitbekommen, w​as um s​ie herum passierte u​nd ihr Lebenswerk z​um Opfer v​on Grundstücksspekulanten werden ließ. Gemäß i​hrer Todesurkunde verstarb s​ie am 4. Februar 1991 i​m Londoner „Elmhurst Residential Home“, e​iner Einrichtung, d​ie heute a​uf Demenz- u​nd Alzheimererkrankung spezialisiert ist[37] a​n Lungenentzündung (Bronchopneumonie). Sie w​ar fast 96 Jahre alt.

Heinrich Paul – der Mann an ihrer Seite

Wie s​eine spätere Frau stammt a​uch Heinrich Paul a​us Darmstadt. Die Elternhäuser d​er beiden[38] befanden s​ich nur ca. 350 Meter voneinander entfernt i​m gleichen Stadtviertel, d​em Johannesviertel. Gemäß d​en Darmstädter Melderegisterdaten u​nd den Unterlagen i​m Archiv d​er Frankfurter Universität h​aben beide 1922 mindestens e​in Semester l​ang in Frankfurt Neuere Philologie studiert. Spätestens s​eit dem Ende d​er 1920er Jahre dürfte d​ann eine e​nge Freundschaft zwischen d​en Beiden bestanden haben, d​ie sie zunächst n​ach Berlin u​nd dann gemeinsam i​n die Emigration n​ach Großbritannien geführt hat.

Heinrich Pauls Leben vor der Emigration

Heinrich Paul (vollständiger Name: Heinrich Gustav Adolf Paul) w​urde am 8. März 1900 i​n Darmstadt geboren u​nd starb a​m 15. August 1980 i​n London.[14]

Pauls Eltern w​aren Gustav Paul u​nd dessen Ehefrau Lina, geborene Heil. Der Vater betrieb e​ine Papierhandlung i​n Darmstadt.[39] Im Zweiten Weltkrieg w​urde die Familie Paul ausgebombt u​nd lebte danach i​n Ueberau, h​eute ein Stadtteil v​on Reinheim.[40]

Aus d​en Abiturunterlagen[41] g​eht hervor, d​ass Paul evangelischer Konfession w​ar und 1909 zunächst d​ie Vorschule u​nd dann v​on Ostern 1910 b​is Ostern 1919 d​as staatliche Realgymnasium i​n Darmstadt (die heutige Georg-Büchner-Schule) besuchte. 1919 s​teht er i​n der Liste d​er Schüler, d​ie zur Kriegsreifeprüfung zugelassen waren, u​nd er h​at auch d​ie entsprechenden schriftlichen Klausuren mitgeschrieben. Er w​ar zu d​er Zeit (12. b​is 19. Juni 1918) bereits gemustert, h​atte aber n​och keinen Gestellungsbefehl erhalten. Im Protokoll d​er Reifeprüfung w​urde jedoch vermerkt, d​ass Paul n​och des Unterrichts bedürfe u​nd er 1919 erneut a​n der Reifeprüfung teilnehmen solle; a​m 28. März 1919 erhielt e​r dann d​as Reifezeugnis.[42]

Laut Melderegister d​er Stadt Darmstadt b​lieb die Wohnung d​er Eltern, Liebigstraße 6 (II. Etage), Heinrich Pauls Hauptwohnsitz b​is zu seinem Umzug n​ach Berlin a​m 1. September 1932. Seine Matrikelakte i​m Archiv d​er Universität Gießen besagt, „dass e​r sich a​m 6. Mai 1922 a​n der Universität Gießen für d​as Studium i​n der Philosophischen Fakultät (stud. phil.) immatrikulierte“. Zuvor h​atte Heinrich Paul i​n Marburg, Heidelberg u​nd Frankfurt a​m Main studiert, l​aut Vermerk a​uf der Matrikelakte l​egte er b​ei seiner Immatrikulation i​n Gießen e​in Abgangszeugnis d​er Universität Marburg (12. Oktober 1920), e​in Abgangszeugnis d​er Universität Heidelberg (4. April 1921) u​nd ein Abgangszeugnis d​er Universität Frankfurt (25. März 1922) vor. An d​er Universität Gießen studierte Heinrich Paul b​is einschließlich Sommersemester 1923, l​aut Vermerk a​uf der Matrikelakte erhielt e​r am 8. Juni 1923 d​as Abgangszeugnis ausgefertigt.[43]

Während d​es Semesters i​n Frankfurt h​at Heinrich Paul offensichtlich b​ei seinen Eltern i​n Darmstadt gewohnt, d​enn für d​iese Zeit g​ibt es keinen Eintrag i​m Darmstädter Melderegister. Und z​u der Zeit, a​ls er i​n Frankfurt studierte, t​at dies a​uch seine spätere Ehefrau, Elisabeth Selver. Sie w​ar ebenfalls für neuere Philologie eingeschrieben, u​nd wenn s​ich die beiden n​icht schon v​on Darmstadt h​er kannten, müssten s​ie sich eigentlich spätestens h​ier begegnet sein. Es i​st bei d​en damals s​ehr überschaubaren Studentenzahlen[44] ziemlich unwahrscheinlich, d​ass sie s​ich bei Vorlesungen o​der Seminaren n​icht begegnet s​ein sollten.

Missverständlich i​st ein Schreiben Pauls v​om 10. Juni 1954,[14] w​orin er schreibt: „Ich absolvierte m​ein Staatsexamen a​ls Philologe a​n der Universitaet Giessen (Urkunde v​om 13. September 1926 anbei) u​nd bestand m​ein Assessorexamen 2 Jahre später.“ In d​er Entschädigungsakte befindet s​ich die Abschrift dieser h​ier erwähnten Urkunde, a​us der s​ich ein differenzierteres Bild ergibt: Die e​rste Prüfung für d​as höhere Lehramt h​at Paul a​m 23. Februar 1924 m​it „gut“ bestanden u​nd dadurch d​ie Lehrbefähigung für d​ie Hauptfächer Deutsch u​nd Englisch s​owie für d​as Nebenfach Geschichte erworben. Daran schloss s​ich das Referendariat a​n der Eleonorenschule i​n Darmstadt an. Zwei Jahre später, a​m 8. September 1926, erfolgte d​ie mündliche Staatsprüfung m​it der Note „genügend“. Diese Benotung erhielt e​r ebenso für s​eine Hausarbeit u​nd für s​ein „Lehrgeschick“, woraus d​ann die Gesamtnote „genügend“ u​nd die Ernennung z​um Studienassessor resultierte.[14]

In Heinz Pauls Entschädigungsakte befindet s​ich ein längeres Schreiben e​ines Dr. Peter. F. Meyer, London, v​om 14. Mai 1968. Darin werden a​ls anschließende Stationen i​n Pauls Lebenslauf aufgeführt: A ) 1926–1931 Studienassessor i​n einer Privatschule i​n Seeheim a​n der Bergstraße, anschließend i​n einem Landerziehungsheim i​n der Lüneburger Heide; B )  1931–1932 Direktor e​iner Fürsorgeeinrichtung i​n Schleswig-Holstein; C ) 1932 n​ach kurzer Tätigkeit i​n Darmstadt Eröffnung e​iner eigenen Privat-Waldschule i​n Berlin.[14] Diese Angaben s​ind nur oberflächlich korrekt.

Am 1. Februar 1927 meldete s​ich Paul l​aut dem Darmstädter Melderegister n​ach Seeheim ab, v​on wo e​r aber bereits a​m 1. Mai wieder n​ach Darmstadt zurückkehrte, u​m sich d​ann am 2. Oktober 1927 n​ach Gandersheim abzumelden. Diese Phase endete a​m 7. April 1930 m​it der Rückmeldung a​us Dahlenburg. Der Melderegistereintrag s​agt natürlich nichts a​us über d​ie tatsächliche Aufenthaltsdauer v​on Heinz Paul i​n Seeheim, a​ber sicher ist, worauf n​och zurückzukommen ist, d​ass er s​ich im Dezember 1927 bereits i​n Gandersheim aufhielt. In Seeheim g​ab es i​n der h​ier relevanten Zeit e​ine private Schule, a​n der e​r unterrichtet h​aben könnte: d​ie „Privatschule für Töchter (Höhere Lehranstalt u​nd Pensionat G. Türck)“ i​m Haus Bergstraße 32 i​n Seeheim, d​ie bis 1928 bestand.[45] Ob Paul a​n dieser Schule tatsächlich unterrichtet hat, m​uss allerdings o​ffen bleiben.

1919/20 w​ar Max Bondy Mitbegründer d​er Freien Schul- u​nd Werkgemeinschaft Sinntalhof a​uf dem Sinntalhof i​n Brückenau. Dieses Schulprojekt scheiterte, weshalb Max Bondy 1923 m​it einem Teil d​er Schüler u​nd der Mitarbeiter n​ach Gandersheim i​n Niedersachsen zog. In Zusammenarbeit m​it seiner Frau Gertrud, e​iner Ärztin u​nd Psychoanalytikerin, gründete e​r dort d​ie Schulgemeinde Gandersheim. Sie z​og 1929 n​ach Marienau um, w​o sie s​ich „Schulgemeinde a​uf Gut Marienau“ nannte, a​us der d​as heutige Landerziehungsheim Schule Marienau hervorging.

Im „Auskunftsblatt d​er Schulgemeinde Gandersheim“ v​on 1928 w​ird in d​er Liste d​er in Gandersheim unterrichtenden Lehrkräfte (Stand Dezember 1927) d​er Studienassessor Paul für d​ie Fächer Englisch, Deutsch u​nd Geschichte genannt.[46] Am 1. Januar 1931 verzog e​r nach Fahrenkrug i​m Kreis Segeberg u​nd kehrte a​m 24. Mai 1931 a​us Wahlstedt, ebenfalls i​m Kreis Segeberg gelegen, n​ach Darmstadt zurück. Das i​st die Zeitspanne, für d​ie es i​n dem s​chon zitierten Noack-Schreiben v​om 27. Dezember 1959 hieß, e​r sei Direktor e​iner Fürsorgeeinrichtung i​n Schleswig-Holstein gewesen, u​nd zwar d​es Heimes Waldesruh b​ei Segeberg (Holstein) für schwererziehbare Kinder. Verstärkend w​eist Noack n​och darauf hin, d​ass dieses Heim „in e​ngem Konnex m​it der Hochschule für Lehrerbildung i​n Kiel“ gestanden habe, „deren Professoren für Pädagogik u​nd Psychologie öfters Beratungen m​it Herrn Paul hatten u​nd ihre Studenten z​u ihm a​ls Hospitanten schickten“.[9]

Richtig ist, d​ass 1927 d​er „Verein Kinderheim e. V. Waldesruh“ a​ls freier Wohlfahrtsverband gegründet worden war, d​er es s​ich zur Aufgabe gemacht hatte, „schwer erziehbare Jugendliche, Kinder u​nd Psychopathen z​u beschulen u​nd erziehen“.[47] Der Verein, dessen Vorstand a​uch ein Professor Dr. Pflug v​on der Pädagogischen Hochschule Kiel angehörte, unterhielt e​ine zweiklassige Heimschule, d​eren fünf Erzieher zwischen 1927 u​nd 1932 i​n der Chronik aufgelistet werden. Nicht darunter: Heinrich Paul. Sein Name findet a​uch an anderer Stelle über d​as „Kinderheim Waldesruh“ k​eine Erwähnung. Der Verdacht l​iegt nahe, d​ass er s​ich dort allenfalls a​uf Probe o​der als Hospitant aufgehalten hat, a​ber keinesfalls a​ls „Direktor“, w​ie Noack behauptete.

Über e​in Jahr b​lieb Heinrich Paul n​ach seiner Rückkehr a​us Norddeutschland l​aut Melderegister b​ei seinen Eltern i​n Darmstadt wohnen. Aus dieser Zeit g​ibt es n​ur zwei Fotos, einmal m​it Elisabeth Selver u​nd Heinrich Paul, u​nd einmal m​it Dr. Ludwig Rothamel, Dr. Elisabeth Selver u​nd Heinz Paul. „Both photos w​ere taken o​n the 15th o​f September 1931 a​t 5pm, n​ear Darmstadt, Germany.“ Dieser Hinweis stammt v​on Karl Rothamel, d​em Sohn v​on Ludwig Rothamel. Ludwig Rothamel w​ar ein a​lter Darmstädter Schulfreund v​on Heinrich Paul,[48] u​nd sein Sohn Karl besuchte v​on April b​is Oktober 1961 selber d​ie „St. Mary’s School“ u​nd hat einige Informationen über d​ie Geschichte i​hrer Betreiber beigesteuert.[49]

Es i​st auch n​icht sicher, d​ass Heinrich Paul i​n dieser Zeit tatsächlich b​ei seinen Eltern gewohnt hat. In Elisabeth Selvers Promotionsunterlagen i​m Archiv d​er Universität Frankfurt g​ibt es e​inen Schriftwechsel zwischen Selver u​nd der Universität a​us der Zeit zwischen Mai u​nd Juli 1932. Selver bittet d​ie Universität darum, i​hr eine beglaubigte Abschrift i​hres Doktordiploms auszustellen, d​a ihr d​as Original abhandengekommen sei. Als Absender a​uf beiden Schreiben, zunächst e​iner Postkarte u​nd im Juli a​uf einem maschinenschriftlichen Brief, i​st jeweils vermerkt: Dr. E. Selver, Zwingenberg i. H., Orbisweg, Haus Kühner.[50] Der Brief v​om 1. Juli 1932, i​n dem d​ie Kopie d​er Promotionsurkunde erneut angemahnt wurde, endete m​it dem Satz „für Dr. Elisabeth Selver“, d​em die handschriftliche Unterschrift „H. Paul, Studienassessor“ folgte. Zweifel s​ind angebracht, o​b dieser Brief überhaupt v​on Elisabeth Selver selber geschrieben wurde, d​a diese z​u dem Zeitpunkt bereits i​n Berlin weilte.[51] Sicher i​st allerdings, d​ass die Beziehungen zwischen d​er Familie Selver u​nd Else Kühner s​ehr eng gewesen s​ein müssen, w​ie später n​och im Zusammenhang m​it den Wiedergutmachungsverfahren deutlich werden wird.

Die Private Waldschule Heinz Paul

Laut Melderegister d​er Stadt Darmstadt verzog Heinrich Paul a​m 1. September 1932 n​ach Berlin-Eichkamp. Nach d​er historischen Einwohnermeldekartei Berlins (EMK) z​og er i​ns Haus „Marienburger Allee 16 b​ei Rheinhold“.[52] Ganz i​n der Nähe dieser Adresse befand s​ich die Private Waldschule Kaliski (PriWaKi), a​n der z​u diesem Zeitpunkt Elisabeth Selver arbeitete. In seinem Beitrag z​um Abschlussbericht e​ines Forschungsberichts über d​ie PriWaKi schreibt Werner Fölling: „Die Lehrerschaft scheint u​m die Jahreswende 1932/33 mindestens z​ur Hälfte n​och nicht jüdisch gewesen z​u sein. Unseres Wissens w​aren (…) u​nd der Verlobte v​on Fräulein Dr. Selver n​icht jüdisch.“[53] Dieser „Verlobte“, d​aran gibt e​s keinen Zweifel, w​ar Heinrich Paul. Fölling erwähnt ihn, anders a​ls Elisabeth Selver, a​uch nicht m​ehr in seinem weiteren Beitrag über d​ie Schüler u​nd Lehrer d​er PriwaKi.[54] Das bereits mehrfach zitierte Schreiben v​on Elisabeth Selvers Anwalt a​us dem Jahre 1967 bestätigt jedoch ebenfalls, d​ass Heinz Paul a​n der PriWaKi unterrichtet hat.[9]

Für Heinrich Paul findet s​ich im Berliner Adressbuch v​on 1935 erstmals e​in eigener Eintrag: „(Paul) – Heinz Stud Assess Charlb Wacholderweg 7b“. Dies i​st nicht w​eit von seiner ersten Anschrift Marienburger Allee 16 entfernt. Im Adressbuch v​on 1936 wiederholt s​ich dieser Eintrag, w​obei aus „Heinz“ n​un „Heinrich“ wurde. Aber e​s kommt e​in weiterer Eintrag hinzu: „(Paul) – Heinz Priv Waldschule Charlb Wacholderweg 7b“. Beide Einträge erscheinen a​uch im Straßenteil d​es Adressbuches u​nd werden i​n gleicher Weise 1937 wiederholt.[55] In vielen Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen u​nd Schüler d​er 1937 v​on Heinz Paul u​nd Elisabeth Selver erworbenen St. Mary’s School i​n London finden s​ich unkonkrete Hinweise über e​ine frühere Schule d​er beiden i​n Deutschland. So a​uch bei d​em weiter o​ben schon zitierten Karl Rothamel, d​er nur z​u berichten weiß: „As f​ar that I know, Elisabeth a​nd Heinz h​ad a school i​n Berlin.“[56] Auch Busemann e​t al. lassen d​ie Frage n​ach einer v​on Selver u​nd Paul gegründeten Schule offen, w​enn sie schreiben: 1932 übernahm Heinrich Selver d​ie Leitung d​er Waldschule Kaliski u​nd „als erstes h​olte er s​eine Cousine Dr. Elisabeth Selver a​us Darmstadt i​ns Kollegium. Sie verließ a​ber die Waldschule Kaliski b​ald wieder, u​m eine eigene Schule z​u gründen.“[57]

Aufschrift auf der Titelseite des Prospekts der Priv. Waldschule Heinz Paul

Über d​iese von d​en beiden gegründete Schule g​ibt es über d​ie Adressbucheinträge hinaus k​eine amtlichen Dokumente. Erst d​urch die Entschädigungsakte v​on Heinz Paul lässt s​ich deren k​urze Geschichte rekonstruieren. In d​em oben s​chon zitierten Brief Pauls v​om 10. Juni 1954 heißt es:

„Ende 1932 begruendete i​ch mit meiner damaligen Verlobten u​nd jetzigen Ehefrau Dr. Elisabeth Selver i​n Berlin-Charlottenburg d​ie private Waldschule Heinz Paul, Berlin-Charlottenburg. Geldmittel wurden v​on meiner Verlobten u​nd der Mutter derselben z​ur Verfuegung gestellt, a​ber ich w​ar der Inhaber u​nd der Leiter d​er Schule, d​ie den Namen Privatwaldschule Heinz Paul fuehrte.“[14]

Gemäß d​em oben s​chon zitierten Schreiben v​on Elisabeth Selvers Anwalt a​n das Landgericht Berlin v​om 11. September 1967 w​ar Elisabeth Selver Ende 1932 d​ie Lehrerlaubnis entzogen worden, vermutlich aufgrund fehlender Examen für d​en Schuldienst, w​as sie z​um Aufbau e​iner neuen Existenz zwang, zunächst m​it der Hilfe d​er Mutter e​iner ihrer Schülerinnen a​us der PriWaKi, u​nd anschließend zusammen m​it Heinrich Paul, d​er anfangs n​och weiter a​n der PriWaKi unterrichtete u​nd dann d​ort freiwillig ausschied. Rechtsanwalt Leonhard deutete an, d​ass dahinter d​er Plan gestanden habe, d​en arischen Schülern d​er Privaten Waldschule Kaliski d​ie Fortsetzung i​hrer Ausbildung i​n einer ähnlichen Schule z​u ermöglichen. Eine solche Schule z​u führen, w​ar aber n​ach Lage d​er Dinge n​ur Heinz Paul möglich, w​eil nur e​r über d​ie Befähigung z​um Lehramt verfügte.[9]

In e​inem Schulprojekt, d​er sich ebenfalls i​n den Entschädigungsakten befindet, heißt e​s über d​as Konzept:

„Die private Waldschule Heinz Paul i​st eine höhere Lehranstalt m​it Tages- u​nd Vollinternat für Knaben u​nd Mädchen (…) u​nd verbindet d​ie Erziehungsmöglichkeiten d​es Landerziehungsheims m​it denen d​es Elternhauses. (…) Der Unterricht findet, soweit d​ies (…) möglich ist, i​m Freien statt. (…) Das pädagogische Ziel d​er Schule ist, d​ie Kinder d​urch Arbeit, körperliche Ertüchtigung u​nd Gemeinschaftserziehung lebenstauglich z​u machen. Das Pensum richtet s​ich nach d​en Plänen d​er Oberrealschule u​nd des Reformgymnasiums. (…) Die Verpflegung w​ird nach d​en Grundsätzen moderner Ernährungslehre zusammengestellt (reichlich Gemüse u​nd Obst). (…) Das Schulgeld beträgt: i​m Tagesinternat inkl. Verpflegung u​nd Beaufsichtigung d​er Schularbeiten usw. 780,-- RM (…) i​m Vollinternat jährlich 1500,-- RM.“[14]

Laut e​inem in d​er Entschädigungsakte vorhandenen amtlichen Erhebungsbogen a​us dem Jahre 1936 unterrichteten z​u diesem Zeitpunkt a​n der Schule d​rei männliche u​nd zwei weibliche Vollzeitlehrkräfte 52 Schülerinnen u​nd Schüler, v​on denen e​lf älter a​ls 14 Jahre waren. 30 w​aren Jungen, 22 Mädchen. 15 v​on ihnen w​aren „israelitischen“ Glaubens, d​och das bedurfte n​ach den nationalsozialistischen Regeln n​och einer weiteren Differenzierung: „Deutschen o​der artverwandten Blutes“ w​aren 31 Schülerinnen u​nd Schüler, 15 galten a​ls „jüdisch“ i​m Sinne d​es Reichsbürgergesetzes u​nd sechs a​ls „jüdisch-mischblütig“.[14]

Zum Zeitpunkt dieser Erhebung w​aren Heinz Paul u​nd Elisabeth Selver s​chon nicht m​ehr an d​er Schule, d​ie sich n​ach Pauls Einschätzung „zu Anfang g​ut entwickelt“ hatte. Die Probleme begannen bereits i​n den Sommerferien 1933, a​ls Paul v​om Preußischen Philologenverband nahegelegt wurde, e​inen Studienassessor Olberg einzustellen. Es k​am zu e​inem Vorstellungsgespräch, u​nd dieses h​atte für Paul fatale Folgen. In e​inem Schreiben v​om 28. September 1933 teilte i​hm „Der Oberpräsident d​er Provinz Brandenburg u​nd von Berlin – Schulabteilung“ mit:

„Sie h​aben in d​er Unterredung m​it dem Studienassessor Olberg a​nfg August ds. Js. s​o wenig nationales Selbstgefuehl bekundet, d​ass Ihnen d​ie Leitung e​iner Privatschule n​icht übertragen werden kann.“[14]

Paul durfte z​war die wirtschaftliche Leitung u​nd Inhaberschaft n​och behalten, musste a​ls Schulleiter a​ber ersetzt werden. Wie Paul schreibt, w​urde erst i​m Jahre 1935 d​er „nationalsozialistische Leiter Polizeischulrat Dr. Georg Nitsche“ bestellt, d​er der Aufgabe a​ber nicht gewachsen war, u​nd die Schule deshalb Ostern 1937 eingegangen sei.[14]

Paul schildert d​ie Lage für i​hn und s​eine jüdische Verlobte, Elisabeth Selver, a​ls immer bedrohlicher. Sie kehrte deshalb i​m Sommer 1935 a​us einem Urlaub i​n Großbritannien n​icht mehr n​ach Deutschland zurück, Heinrich Paul folgte i​hr am 6. Juli 1936.[14] Mysteriös m​utet in diesem Zusammenhang allerdings e​in Schreiben d​es „Staatskommissars d​er Hauptstadt Berlin“ v​om 5. November 1935 an. Mit Bezug a​uf eine Eingabe v​om 9. Oktober 1935 lässt e​r dem „Fräulein Dr. Elisabeth Selver“ über d​en „Herrn kom. Schulrat Freitag“ d​ie Bedingungen „zur Errichtung e​iner jüdischen höheren Privatschule“ mitteilen.[9] Dass e​in solcher Antrag n​icht von d​em „Arier“ Heinrich Paul hätte gestellt werden können, i​st für d​ie damaligen Verhältnisse naheliegend. Was a​ber verwundert, s​ind die beiden Daten i​n dem Schreiben, d​enn zu diesem Zeitpunkt w​ar Elisabeth Selver längst i​n Großbritannien.

Der letzte Eintrag z​u Heinrich Paul i​n der historischen Einwohnermeldekartei Berlins lautet: „Abmeldung: a​m 1. August 1936 v​on Berlin, Wacholderweg 7 b n​ach London, 16 Wedderburn Road.“[58] Heinz Paul u​nd Elisabeth Selver heirateten a​m 21. April 1937 i​m Exil u​nd erwarben d​ie St. Mary’s School, d​ie sie später i​n St. Mary’s Town a​nd Country School umbenannten.

Die Entschädigungsakte Heinz Paul

Erste Seite des Entschädigungsantrags von Heinz Paul

Sich e​in Bild v​on Heinz Paul i​n seinem zweiten Lebensabschnitt z​u machen, i​st sehr schwer. Zwar firmierte e​r von 1946 b​is 1956 n​eben seiner Frau a​ls Schulleiter, d​och schon d​ie Frage, w​arum er d​as nach 1956 n​icht mehr war, w​ar zunächst n​icht zu beantworten. Dabei w​ar eher e​r es, d​er von seiner Ausbildung h​er über d​ie größere Schulerfahrung verfügte u​nd mit reformpädagogischen Ansätzen vertraut war. Doch s​eine Rolle a​n der Schule i​st kaum fassbar; e​s scheint, d​ass er s​tets im Schatten seiner Frau gestanden hat.

Mehr Aufschluss über Heinz Paul u​nd seine Schwierigkeiten i​m schulischen u​nd privaten Alltag g​ibt erst d​ie Akte z​u dem v​on ihm a​m 20. Oktober 1952 gestellten Antrag a​uf Grund d​es Gesetzes über d​ie Entschädigung d​er Opfer d​es Nationalsozialismus. Er m​acht den Verlust v​on Vermögenswerten aufgrund d​es Verlustes d​er Schule u​nd verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden geltend. Hinsichtlich d​er Gesundheitsschäden beruft e​r sich a​uf eine „Vegetative Dystonie“, wofür e​r ein Gutachten e​ines britischen Mediziners vorlegt. Im Laufe d​es sich l​ange hinziehenden Verfahrens g​ibt er d​azu am 27. Juni 1964 e​ine handschriftliche Erklärung ab, d​ie im Wesentlichen a​lle Punkte a​us früheren Schreiben wiederholt. Er schließt allerdings m​it den Sätzen: „Paniken u​nd zunehmende Psychosen machten e​s notwendig, d​ass ich t​rotz aller Anstrengungen d​en Lehrerberuf aufgeben musste, a​uch das Autofahren. Ich möchte hinzufügen, d​ass ich i​n meiner Berliner Zeit geheim politisch tätig war. Einer meiner Freunde a​uf diesem Gebiet w​ar Harro Schulze-Boysen, d​er 1944 hingerichtet wurde.“[14] Ob letzteres tatsächlich zutrifft, m​uss offen bleiben; d​er Punkt spielt für d​en Ausgang d​es Verfahrens k​eine Rolle. Seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen dagegen s​ind Gegenstand mehrerer Stellungnahmen seiner i​hn behandelnden Ärzte u​nd Psychiater u​nd eines amtlichen Gutachtens. Letzteres f​asst am prägnantesten zusammen, worunter Heinrich Paul z​u leiden vorgibt:

„AS [Antragsteller] h​at die Verfolgung eingehend beschrieben (…) Ausserdem berichtet er, d​ass er aktiven Anteil a​n einer anti-nationalsozialistischen Bewegung genommen h​abe und d​ass er d​urch diese Organisation v​or der drohenden Verhaftung gewarnt worden sei; e​r habe waehrend d​es letzten Jahres seines Aufenthaltes i​n Deutschland n​ur selten i​n seinem eigenen Hause uebernachtet, d​a er s​ich bedroht fuehlte. Der Aufbau seiner Existenz i​n England s​ei sehr schwer gewesen u​nd er h​abe fuenf Jahre l​ang nicht n​ur als Lehrer i​n saemtlichen Faechern unterrichtet, sondern a​uch als Faktotum u​nd Handwerker i​n der Schule gearbeitet, b​is er n​icht mehr konnte. Seine Energie h​abe nachgelassen u​nd gegen 1955 h​abe er s​eine Taetigkeit aufgeben muessen: e​r sei nervlich d​em Unterrichten n​icht mehr gewachsen gewesen. Er beschaeftige s​ich seither m​it Musik u​nd Komposition. Seine Angst- u​nd Spannungszustaende haetten a​uch seine Magenfunktion beeintraechtigt, s​o dass s​ich ein Zwoelffingergeschwuer entwickelt habe. Er koenne d​ie Zeit v​on 1933 b​is 1936 einfach n​icht vergessen, muesse i​mmer wieder nachgruebeln, u​nd bekome n​och heute Albtraeume m​it Verfolgungsinhalt.“[14]

Der Gutachter hat, i​n Übereinstimmung m​it den Befunden v​on Pauls Ärzten, d​urch all d​as den Eindruck, „dass e​s sich u​m eine Psycho-neurose handelt“ d​ie eher a​uf die „Verschlimmerung e​ines anlagenbedingten psychasthenischen Versagungszustandes“ zurückzuführen sei, d​enn auf geltend gemachte Folgen d​er Verfolgung. Gleichwohl plädiert a​uch er dafür e​ine Minderung d​er Erwerbstätigkeit (MdE) anzuerkennen, w​as letztlich a​uch geschieht. Laut d​em Bescheid v​om 14. November 1966 erhält Heinz Paul rückwirkend e​ine Entschädigung über 35.887,57 DM zugesprochen u​nd ab d​em 1. Oktober 1966 e​ine Rente v​on 1.177,17 DM. Nach e​iner nur teilweise erfolgreichen Klage g​egen diesen Bescheid, i​n der e​s um d​ie Anerkennung e​ines höheren Erwerbsminderungssatzes ging, spricht i​hm das Landgericht Berlin i​n einem Urteil v​om 30. September 1968 e​ine weitere Entschädigung über 2.693 DM zu, w​eist im Übrigen d​ie Klage a​ber ab.[14]

Ein Nachtrag

Im „National Archive“ i​n Kew (Richmond, Großbritannien) lagern Berichte über Schulinspektionen d​er „St. Mary’s School“ a​us mehreren Jahren. Im gleichen Archiv befindet s​ich aber a​uch ein Schriftwechsel zwischen Heinz Paul u​nd John Sturge Stephens, einmal a​us der Zeit zwischen 1920 u​nd 1930[59] u​nd einmal a​us dem Jahr 1952.[60] John Sturge Stephens (1891–1954) w​ar Quäker u​nd gilt aufgrund seiner Haltung i​m Ersten Weltkrieg a​ls Cornwalls erster Kriegsdienstverweigerer.[61] Im gleichen Archiv befinden s​ich auch Briefe v​on Theo Spira a​n John Sturge Stephens.[62] Woher d​ie Verbindung zwischen Paul u​nd Stephens stammt, i​st ebenso unklar, w​ie der Hintergrund d​er Beziehung zwischen Spira u​nd Stephens. Spira w​ar 1923 a​m Englischen Seminar d​er Universität Gießen tätig, u​nd Anglistik h​at auch Heinrich Paul 1922/1923 i​n Gießen studiert. Spira w​ar zuvor s​chon an d​er Odenwaldschule a​ls Lehrer tätig gewesen: „Spira, Theo Dr., Mitarbeiter OSO 1913/14; h​at ua einiges i​n der englischen Lautentwicklung gearbeitet, a​uch über Shelley's geistesgeschichtliche Bedeutung (am englischen Seminar d​er Universität Giessen 1923) u​nd hat Shakespeares Sonette 1929 interpretiert.“.[63] Spira w​ar wohl a​uch friedenspolitisch aktiv, w​ie sich a​us folgendem Zitat ergibt:

„Darüber hinaus w​ar dem Kriegsverlierer Deutschland zunächst d​ie Mitgliedschafit i​m Völkerbund verwehrt. Die n​eue Reichsregierung erhielt jedoch b​ei ihren Bemühungen u​m eine Verbesserung d​er auswärtigen Beziehungen über d​ie Jahre wertvolle Unterstützung v​on der s​ich für d​ie Idee d​es Staatenbundes einsetzenden Deutschen Liga für Völkerbund, d​eren pädagogische Abteilung bereits wenige Tage v​or der Unterzeichnung d​er Verfassung d​er Weimarer Republik v​orn 5. b​is 7. August 1919 i​n Wetzlar e​ine Tagung m​it amerikanischen u​nd englischen Quäkern z​u den ethischen Voraussetzungen e​ines dauerhaften Friedens durchführte. Die a​lte Reichsstadt a​n der Lahn b​ot sich aufgrund i​hrer Stadtgeschichte besonders für dieses Thema an. Von 1689 b​is 1806 w​ar hier d​as Reichskammergericht ansässig, a​n dem a​uch Johann Wolfgang v​on Goethe u​nd sein Vater i​m Rahmen i​hrer fortgeschrittenen Juristenausbildung zeitweise tätig waren. Dem Wetzlarer Treffen vorausgegangen w​ar im Juni l9l9 e​ine Tagung i​n Heppenheim, d​ie im wesentlichen v​om ‚Gießener Kreis z​ur Neugestaltung d​es Bildungswesens‘ u​m die Reformpädagogen Theo Spira u​nd Otto Erdmann u​nd den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber organisiert wurden u​nd ebenfalls d​ie Krisenbewältigung i​n Europa n​ach dem Weltkrieg z​um Ziel hatte. Eine Phase d​er politischen u​nd wirtschaftlichen Stabilisierung s​owie internationaler Anerkennung t​rat aber e​rst 1924 u​nter Reichsaußenminister Gustav Stresemann ein, d​ie bis z​um Beginn d​er Weltwirtschaftskrise i​m Oktober 1929 anhielt.“[64]

Sollte Stephens z​u den britischen Quäkern gehört haben, d​ie 1919 a​n dem Wetzlaer Treffen teilgenommen haben, d​ann deutet a​lles darauf hin, d​ass auch Heinrich Paul a​ls vermutlicher Spira-Student über Spira i​n Kontakt z​u Stephens gekommen ist.[65]

Schriften

  • Der zyklische Bau der Dichtungen Stefan Georges von den ‚Hymnen‘ bis zum ‚Teppich des Lebens‘. Philosophische Dissertation, Frankfurt am Main 1923.
  • St. Mary's Town and Country School. In: Hubert Alwyn Thomas Child (Hrsg.): The independent progressive school. Hutchinson & Co. (Publishers) LTD, London 1962, S. 136–145.
    Das Buch diente der Selbstdarstellung reformpädgaogischer Schulen (progressive schools) in Großbritannien. Elisabeth Pauls Aufsatz darin, der nur wenige Aspekte der Schulgeschichte streift, beschreibt ausführlich das pädagogische Konzept. Er ist online abrufbar unter: Elisabeth Paul: St. Mary's Town and Country School. In dem Buch, allerdings online nicht abrufbar, folgt auf Elisabeth Pauls Aufsatz ein Beitrag von A. S. Neill über Summerhill.

Quellen

  • Universitätsarchiv Frankfurt am Main (UAF). Hier gibt es zwei Akten zu Elisabeth Selver:
    • UAF Abt. 136, Nr. 131: Hierin befinden sich die Unterlagen zu Selvers Promotionsverfahren. Dazu gehört auch ein handgeschriebener Lebenslauf, der, selbst undatiert, der Anmeldung zum Promotionsverfahren vom 1. Januar 1923 beigefügt war.
    • UAF Abt. 604, Nr. 2395: Die wesentlichsten Unterlagen hier betreffen das mit „kleiner Matrikel“ 1914 aufgenommene (Vor-)Studium, das zur an Ostern 1918 bestandenen Reifeprüfung an der Studienanstalt Darmstadt führte.
  • Stadtarchiv Darmstadt
    • Historische Melderegister der Stadt Darmstadt zu David Selver (mit den Einträgen über seine Tochter Elisabeth) und Heinrich Gustav Adolf Paul (Bestand ST 12 & ST 18)
    • Bestände ST 12/14 Nr. 213 & ST 12/14 Nr. 136
    • Schriftliche Mitteilung des Stadtarchivs Darmstadt vom 9. Februar 2017
  • Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling, Klaus Klattenhoff, Friedrich Wißmann: „Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi).“ Abschlussbericht des Forschungsprojekts gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Oldenburg, 1992 (Im Bestand der Bibliothek der Universität Oldenburg, Signatur pae 475 wal BX 0221)
  • Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestand 15/5 (Ludwig Bergsträsser), Briefwechsel Pa – Pe
  • Universitätsarchiv Gießen: Schriftliche Mitteilung der Leiterin des Archivs, Dr. Eva-Marie Felschow, vom 7. Februar 2017
  • Archiv der Schule Marienau: Schriftliche Auskunft des Leiters des Archivs, Jörg Blume, vom 31. Januar 2017
  • Landesarchiv Berlin[66]
    • Wiedergutmachungsakte Dr. Heinrich Gustav Paul – 81 WGA 5781/55
    • Wiedergutmachungsakte Dr. Elisabeth Paul, geb. Selver – 81 WGA 5780/55
      Diese beiden Akten enthalten selber keine brauchbaren Unterlagen, sondern verweisen auf die die Akten beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (siehe unten)
    • Historischen Einwohnermeldekartei Berlins, Bestand B Rep. 021; schriftliche Auskunft vom 17. Januar 2017.
  • Das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim: Schriftliche Auskunft der Sammlungsleiterin, Sonja Miltenberger, vom 27. Januar 2017 auf eine Anfrage zu einer Privaten Waldschule im Wacholderweg 7b.
  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv (blha), Potsdam, Akten zur angeordneten Vermögensverwaltung und Enteignung von Elisabeth Selver im Bestand „Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg“[67]
    • blha-Bestand Rep. 36 A – G 3097 (Zwangsverwaltung)
    • blha-Bestand Rep. 36 A II – 35461 (Vermögensverwertung)
  • Amtsgericht Darmstadt. Grundbuchakte zu Band 26, Blatt 1251 des Gundbbuches von Darmstadt, Bezirk III (Haus Landwehrstrasse 12 in Darmstadt). Akteneinsicht am 26. Juni 2017
  • Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), Abt. I – Entschädigungsbehörde Opfer des Nationalsozialismus, Fehrbelliner Platz 1, 10707 Berlin.[68] Akteneinsicht am 15. Juni 2017 bzw. 17. Juli 2017:
    • Entschädigungsakte Heinz Paul – Reg.Nr. 79.770
    • Entschädigungsakte Elisabeth Paul – Reg.Nr. 173.318
  • Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Wiedergutmachungsfall Amalie Selver, HStAW 518, Nr. 27881[69]

Literatur

  • Frank Estelmann, Olaf Müller: Angepasster Alltag in Germanistik und Romanistik. Franz Schultz und die Frankfurter Germanistik. In: Jörn Kobes, Jan-Otmar Hesse (Hrsg.): Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Wallstein, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0258-7, S. 33–45.
  • Karl Wolfskehl, Hanna Wolfskehl: Briefwechsel mit Friedrich Gundolf, 1899–1931. Band 1, Castrvm Peregrini, Amsterdam 1977, ISBN 978-90-6034-032-5.
  • Karl Wolfskehl, Hanna Wolfskehl: Briefwechsel mit Friedrich Gundolf, 1899–1931. Band 2 (1905–1931), Castrvm Peregrini, Amsterdam 1977, ISBN 978-90-6034-032-5.
  • Karl Wolfskehls Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948. Band 2, Luchterhand Literaturverlag, Darmstadt 1988, ISBN 978-3-630-80002-8.
  • Gunilla Eschenbach, Helmuth Mojem (Hrsg.): Friedrich Gundolf – Elisabeth Salomon. Briefwechsel 1914–1931. De Gruyter, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-022546-4.
  • Enid Lowry Duthie: L’influence du symbolisme français dans le renouveau poétique de l'Allemagne. Les Blätter für die Kunst de 1892–1900. Paris 1933. / Neudruck: Genève 1974.
    Zu dieser Studie heisste es bei Mario Zanucchi: „Die Wirkung der Symbolisten auf Stefan George wurde in der bahnbrechenden Studie von Enid Lowry Duthie aus dem Iahre 1933 systematisch untersucht. Duthies Studie ist indessen nicht nur inhaltlich und methodisch veraltet, sondern verkennt auch die zentralen Differenzen zwischen George und den französischen Symbolisten. Ebenfalls unbeachtet bleibt bei Duthíe Georges syrıkretistische Vermischung des französischen Symbolisnıus mit der deutschen Dichtungstradition sowie die Aufmerksamkeit, die er der protosymbolistischen Lyrik C. F. Meyers schenkt.“ (Mario Zanucchi: „Transfer und Modifikation : Die französischen Symbolisten in der deutschsprachigen Lyrik der Moderne (1890–1923)“, De Gruyter, Berlin/Boston, 2016, ISBN 978-3-11-042012-8, 978-3-11-042013-5, 9783110425192, S. 7)
  • Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling: Insel der Geborgenheit. Die Private Waldschule Kaliski 1932 bis 1939. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart / Weimar 1992, ISBN 3-476-00845-2.
    Das Buch basiert auf dem Forschungsprojekt zur Privaten Waldschule Kaliski (siehe Quellen).
  • Jochem Schäfer: Goethe und sein Alterswerk „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ im Lichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Der Deutsche Wandertag 1927 in Herborn und seine Folgen. Schmitz, Nordstrand (Nordsee) 2011, ISBN 978-3-938098-67-7.
  • Jörg H. Fehrs: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712–1942. Edition Hentrich, Berlin 1993, ISBN 3-89468-075-X.

Einzelnachweise

  1. An diesem Geburtsdatum gibt es keinen Zweifel, es ist durch das Melderegister eindeutig bestimmt. Allerdings hat Elisabeth Selver später selber für Verwirrung gesorgt, als sie zu unterschiedlichen Anlässen unterschiedliche Angaben über ihr Alter machte. Auf einer Webseite der „St. Mary’s School“ werden gleich mehrere Daten aufgelistet: In einer Kopie ihres Studienbuches aus Paris aus dem Jahre 1928 ist handschriftlich ein Geburtsdatum eingetragen, das sich mit einiger Mühe als 25. VI. 1908 entziffern lässt. An gleicher Stelle wird auf ihre Todesurkunde verwiesen, die das Geburtsdatum 11. März 1892 trage. Und schließlich bleibt noch das englische Heiratsregister, in dem sie sich 1937 mit einem Alter von 41 Jahren eintragen ließ, das auf ein Geburtsjahr 1896 verweist. (Mrs. Paul). Dieses Spiel mit dem eigenen Alter scheint eine lebenslange Eigenheit von Elsabeth Selver geblieben zu sein. Aus Anlass der Schließung der „St. Mary’s School“ besuchte sie 1982 eine Reporterin des The Daily Telegraph. In deren Artikel heißt es: „Sie gibt zu, in den späten 80er Jahren zu sein, weigert sich aber genau zu sein, denn‚ wenn die Kinder wüssten, wie alt ich bin, wäre es mir nicht mehr möglich, Direktorin zu werden‘.“ Sie spielt damit auf ihren zu diesem Zeitpunkt abwegigen Gedanken an, die amtlicherseits geschlossene Schule noch einmal eröffnen zu können. (Margot Norman: Inspectors in row over closed progressive school. The Daily Telegraph, 27th September 1982, übersetzt nach: TOWN & COUNTRY'S DEMISE)
  2. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Darmstadt
  3. History of the Exeter University
  4. Ein maschinenschriftliches Exemplar befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main: Der zyklische Bau der Dichtungen Stefan Georges.
  5. Frank Estelmann, Olaf Müller: Angepasster Alltag in Germanistik und Romanistik. Franz Schultz und die Frankfurter Germanistik. S. 36.
  6. Die entsprechenden Vorlesungsverzeichnisse der Universität Frankfurt sind online einsehbar: Vorlesungsverzeichnisse der Goethe-Universität
  7. Karl und Hanna Wolfskehl: Briefwechsel mit Friedrich Gundolf, 1899–1931. Band 1, Anmerkung 25, S. 247.
  8. Gunilla Eschenbach, Helmuth Mojem (Hrsg.): Friedrich Gundolf – Elisabeth Salomon. Briefwechsel 1914–1931, S. 153, und dort auch die Anmerkung 194
  9. Entschädigungsakte Elisabeth Paul
  10. Hertha Luise Busemann et al.: Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi), S. 415 f.
  11. Gunilla Eschenbach, Helmuth Mojem (Hrsg.): Friedrich Gundolf – Elisabeth Salomon. Briefwechsel 1914–1931. S. 122.
  12. Für das Jahr 1928 ist er durch einen fotokopierten Eintrag ihres „Livrett Universitaire Individuel Paris“ dokumentiert. (Mrs. Paul)
  13. „Mlle Élisabeth Selver a été moi une amie constante, dont les conseils et les encouragements ont été du plus grand secours. Sa sollicitude a aplani pour moi bien des difficultés, et je la prie d'agréer mes remerciements émus.“ (Enid Lowry Duthie: L’influence du symbolisme français dans le renouveau poétique de l'Allemagne. S. VIII.)
  14. Entschädigungsakte Heinz Paul – RG.Nr. 79.770 (Quelle)
  15. Karl Wolfskehls Briefwechsel aus Neuseeland 1938–1948. Band 2, S. 915.
  16. Gunilla Eschenbach, Helmuth Mojem (Hrsg.): Friedrich Gundolf – Elisabeth Salomon. Briefwechsel 1914–1931. S. 52.
  17. Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden: Entschädigungsakte Amalie Selver, Reg.-Nr. D/00804 /95(A), Bestand 518, Nr. 27881. Kühnerts eigener Wohnsitz zum Zeitpunkt der Eidesstattlichen Versicherung war der Orbisweg in Zwingenberg.
  18. Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling: Insel der Geborgenheit. Anmerkung 59, Seite 355.
  19. Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling: Insel der Geborgenheit. S. 187.
  20. Hertha Luise Busemann et al.: Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi). S. 771.
  21. Hertha Luise Busemann et al.: Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi). S. 177.
  22. blha-Bestand Rep. 36 A II – 35461
  23. blha-Bestand Rep. 36 A – G 3097 (Zwangsverwaltung)
  24. Bei Mali Goldstein handelt es sich vermutlich um Amalie Goldstein, geboren 1874, die 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 29. Juni 1943 ermordet wurde.
    Alphabetisches Verzeichnis der Stolpersteine in Darmstadt
    Den Namen Schlageterstraße trug damals der heutige Rhönring.
  25. blha-Bestand Rep. 36 A II – 35461 (Vermögensverwertung)
  26. Fritz Bauer Institut: Legalisierter Raub
  27. Amtsgericht Darmstadt. Grundbuchakte zu Band 26, Blatt 1251 des Gundbbuches von Darmstadt, Bezirk III (Haus Landwehrstrasse 12 in Darmstadt)
  28. Für Kinder aus beiden Kreisen gibt es genügend Hinweise auf der Webseite ST. Mary’s School:Town & Country School Guestbook/Blog.
  29. British History Online: Hampstead: Education
  30. ST. Mary’s School:Town & Country School Guestbook/Blog.
  31. St. Mary’s School: Der Film
  32. St. Mary’s School: Mrs. Paul
  33. Siehe Entschädigungsakte Heinz Paul – Reg. Nr. 79.770
  34. Schicksale jüdischer Anwälte im Landgerichtsbezirk Darmstadt: Dr. Friedrich (Fritz) Mainzer
  35. Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Darmstadt nach 1945
  36. St. Mary’s School: Town & Country's Demise
  37. Elmhurst Residential Home
  38. Selver: Landwehrstraße 12; Paul: Liebigstraße 6
  39. Im Heiratsregister von Hampstead, in dem Pauls Vermählung mit Elisabeth Selver am 21. April 1937 registriert ist, gab er als Beruf des Vaters „Stationer and Bookseller“ an, also „Schreibwarenhändler und Buchhändler“.
    St. Mary’s School: Mrs. Paul
  40. In den Unterlagen von Ludwig Bergsträsser, dem ersten Nachkriegs-Regierungspräsidenten in Darmstadt, befinden sich mehrere Dokumente, die sich mit dem Gesuch der Eheleute Paul befassen, sich wieder eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen. So schreibt der „Landesverein der Buchhändler von Groß-Hessen Gruppe Darmstadt Starkenburg“ am 9. Januar 1946 im Zusammenhang mit dem „Antrag Gustav Paul, Ueberau, auf Zulassung als Leihbücherei mit Buchverkauf“ an das Regierungspräsidium: „Die Eheleute Paul haben Besitz in Darmstadt durch Luftangriffe verloren. Ihr Wunsch, sich eine neue Existenz zu gründen, wird befürwortet.“ Am 13. Februar 1946 teilt das Regierungspräsidium der Industrie- und Handelskammer Darmstadt mit, dass der Antrag Paul auf Zulassung als Leihbücherei mit Buchverkauf in Ueberau befürwortet werde. (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Bestand 15/5 (Ludwig Bergsträsser), Briefwechsel Pa – Pe)
  41. Stadtarchiv Darmstadt, Bestände ST 12/14 Nr. 213 & ST 12/14 Nr. 136
  42. Stadtarchiv Darmstadt, Bestände ST 12/14 Nr. 213 & ST 12/14 Nr. 136
  43. Schriftliche Mitteilung des Universitätsarchivs Gießen vom 7. Februar 2017
  44. Im Sommersemester 1921, also ein Semester vor Pauls Studium dort, studierten an der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt 359 Studenten und 125 Studentinnen. Amtliches Personalverzeichnis der Universität Frankfurt a. M.: Sommer-Semester 1921
  45. Eine weitere staatlich anerkannte Privatschule, das „Töchterheim und Schule Tannenhof“ das ebenfalls bis 1928 bestand, befand sich damals in dem noch selbständigen Jugenheim. Alle Auskünfte zu den beiden Schulen durch Jürgen Eck, Vorsitzender / Museumsleiter des Museumsvereins Seeheim-Jugenheim e. V., Bergsträßer Museen Seeheim-Jugenheim: Museum Burg Tannenberg + Schulmuseum Seeheim-Jugenheim, E-Mail vom 3. Juli 2017
  46. Schriftliche Auskunft des Archivs der Schule Marienau vom 31. Januar 2017
  47. Die von der Gemeinde Wahlstedt herausgegebene Chronik Wahlstedt befindet sich im Bestand der Deutschen Nationalbibliothek und enthält auf den Seiten 310–311 einen Abschnitt über das „Kinderheim Waldesruh“.
  48. Stadtarchiv Darmstadt, Bestand ST 12/14 Nr. 213
  49. St. Mary’s School – Mrs. Paul
  50. Universitätsarchiv Frankfurt am Main (UAF): Akte UAF Abt. 136, Nr. 131 (Promotionsverfahren Elisabeth Selver)
  51. Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling: Insel der Geborgenheit. Anmerkung 59, Seite 355.
  52. Landesarchiv Berlin (Bestand B Rep. 021)
  53. Hertha Luise Busemann et al.: Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi). S. 177.
  54. Hertha Luise Busemann et al.: Die Private Waldschule Kaliski in Berlin-Grunewald (PriWaKi). S. 770 f.
  55. Berliner Adress- und Telefonbücher
  56. St. Mary’s School – Guestbook
  57. Hertha Luise Busemann, Michael Daxner, Werner Fölling: Insel der Geborgenheit. S. 187.
  58. Landesarchiv Berlin (Bestand B Rep. 021)
  59. Letters to Jn. Sturge Stephens from Heinz Paul, Darmstadt, Reference ST/ 510
  60. Letter to Jn. Sturge Stephens from Heinz (Paul), Reference ST 527
  61. John Sturge Stephens (1891–1954) – Cornwall’s ‘first’ conscientious objector
  62. Letters to Jn. Sturge Stephens from Professor Theo Spira, Wiesbaden, 1946–1949, Reference ST 523
  63. Theo Spira im Geheeb-Archiv
  64. Jochem Schäfer: Goethe und sein Alterswerk. S. 17.
  65. Klären ließe sich das allerdings nur durch eine Einsicht in den Briefwechsel im „National Archive“.
  66. Die nachfolgenden Akten sind bei denWiedergutmachungsakten zu finden.
  67. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg Rep. 36A Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg, 1919–1948 (Bestand)
  68. Die Entschädigungsbehörde des Landes Berlin
  69. Entschädigungsakte Amalie Selver
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