Deutschkanadier
Als Deutschkanadier (englisch German Canadians) werden in Kanada kanadische Staatsbürger mit deutschen Wurzeln bezeichnet. Der Begriff schließt auch ethnische Deutsche ein, die vor ihrer Einwanderung außerhalb des damaligen deutschen Staatsgebiets lebten, so auch Schweizer, Österreicher, Russlanddeutsche oder Rumäniendeutsche sowie deren Nachfahren. Ein großer Teil gehörte religiösen Gruppierungen wie den Mennoniten an, die aufgrund der dort herrschenden Religionsfreiheit Kanada als neue Heimat wählten.
Die kanadische Volkszählung von 2006 ergab eine Anzahl von 3.179.425 Personen mit deutschen Vorfahren. Das entspricht etwa 10,2 % der Gesamtbevölkerung Kanadas.
Geografische Schwerpunkte
Die deutschstämmige Bevölkerung konzentriert sich vor allem auf die Prärieprovinzen Kanadas; in Saskatchewan stellt die Gruppe mit 30 % die größte Bevölkerungsgruppe. Auch Manitoba und Alberta können eine große Anzahl an Deutschstämmigen vorweisen; hier liegen die Werte bei etwa 20 %. Damit sind die Deutschkanadier in diesen Provinzen die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe. In allen genannten Provinzen wird vor allem der bevölkerungsreichere Süden von Deutschstämmigen besiedelt. Ältere Siedlungen Deutscher liegen rund um Kitchener in Ontario und vor allem im Süden der Halbinsel Nova Scotia (siehe auch Abschnitt Geschichte). In letztgenannten Gebieten finden sich auch eine Vielzahl deutscher Ortsnamen und Kirchen.
Die fünf Städte mit der größten absoluten deutschstämmigen Bevölkerung sind:
Geschichte
Frühe Neuzeit
Bereits nach Neufrankreich immigrierten wenige Deutsche und vermischten sich mit der dort ansässigen akadischen Bevölkerung; größere Anzahlen folgten jedoch erst nach der britischen Annexion Nova Scotias. Diese Siedler setzten sich aus deutschen Söldnern in der britischen Armee und sogenannten Foreign Protestants zusammen.
Die Amerikanische Revolution brachte ebenfalls eine Immigrationswelle hervor, da ein großer Teil der deutschen Bevölkerung New Yorks und Pennsylvanias loyal gegenüber der britischen Krone eingestellt war und deswegen nach Kanada umsiedelte, das zu diesem Zeitpunkt immer noch zum britischen Kolonialreich gehörte. Zudem griff die britische Armee auf Söldner aus deutschen Kleinstaaten zurück, die als Hessians bekannt waren. 2200 dieser Soldaten ließen sich nach der Entlassung aus dem Dienst in Kanada nieder; gesichert ist beispielsweise eine Ansiedlung deutscher Söldner in Québec.[1]
Eine größere Anzahl von Mennoniten aus Pennsylvania floh aus den Vereinigten Staaten in Richtung südwestliches Ontario. Die dann dort bestehende große Gemeinde zog auch ca. 50.000 Mennoniten aus dem deutschen Mutterland an.
19. bis 21. Jahrhundert
Im Zuge einer größeren Einwanderungswelle ab 1886 kam wegen der Verfolgung unter dem zaristischen Regime nochmals eine bedeutende Zahl von Mennoniten und Hutterern aus Russland nach Kanada. Die russlanddeutschen Einwanderer konnten sich besonders gut an die Lebenssituation in den Prärien Westkanadas anpassen, da sie ähnliche Verhältnisse von Russland gewohnt waren. Einen zusätzlichen Schub erhielt die Einwanderung in den 1920er Jahren, als die Vereinigten Staaten mit Quoten die Immigration von Osteuropäern einschränkten. Kurz danach allerdings brach auch die Einwanderung nach Kanada ein, da dieser Staat die Immigration ebenfalls zu limitieren begann, um große Einwanderungszahlen von vor dem Nazi-Regime Flüchtenden zu verhindern.
Während des Ersten Weltkriegs war die deutschstämmige Bevölkerung einer allgemeinen antideutschen Stimmung ausgesetzt. Deutsche Zeitungen wurden verboten und deutsche Schulen wurden geschlossen. Unter diesem Druck anglisierten manche Familien ihre Nachnamen; ein Großteil sprach die deutsche Sprache nur im Geheimen. Viele Orte wurden umbenannt, beispielsweise Berlin in Kitchener. Während des Zweiten Weltkriegs war es ebenso und teilweise noch schlimmer. Die überwiegende Mehrheit der Deutschkanadier teilte die Ansichten des Nazi-Regimes nicht, wählten sie doch schon vorher eher liberal. Dem Ruf Hitlers, nach Deutschland zurückzukehren, folgten nur etwa 1 % der Deutschkanadier.
Seit dem Zweiten Weltkrieg sind rund 400.000 Deutsche nach Kanada emigriert.
Kultur
Die Deutschkanadier sind wie auch die Deutschamerikaner in den Vereinigten Staaten in der Öffentlichkeit weniger präsent als andere Einwanderergruppen, da beide Gruppen relativ stark assimiliert sind. Doch ist der Gebrauch der deutschen bzw. plattdeutschen Sprache mit einem Anteil von rund 1 % an der Gesamtbevölkerung Kanadas weiter verbreitet als in den USA. Ein teilweiser Verlust ihrer Kultur und Sprache ist vor allem auf die antideutsche Stimmung in der kanadischen Gesellschaft während der Weltkriege zurückzuführen (siehe Abschnitt Geschichte).
In jüngerer Zeit wird das deutsche Erbe wieder gepflegt. Die Deutschkanadier sind in verschiedenen Klubs und Vereinen organisiert; auch im Zusammenhang mit der Kirche gibt es ein Vereinsleben. Es gibt zudem Kirchen, in denen deutsche oder plattdeutsche Gottesdienste gehalten werden.
Das größte Oktoberfest außerhalb Deutschlands wird in Kitchener gefeiert; dort findet auch ein Christkindlmarkt statt.
Bekannte Deutschkanadier
- Randy Bachman, Rockmusiker
- Bobby Bauer, Eishockeyspieler
- Walter Bauer, Autor
- Henry Beissel, Autor
- William Moll-Berczy, Mitgründer der Stadt York (heute Toronto)
- Justin Bieber, Sänger
- Gregor von Bochmann, wissenschaftlicher Informatiker
- Sarah Chalke, Schauspielerin
- Gary Doer, Politiker
- John Diefenbaker, Premierminister Kanadas
- Woody Dumart, Eishockeyspieler
- William Aberhart, Premierminister der Provinz Alberta
- Leslie Feist, Sängerin
- Sonja Finck, Literaturübersetzerin
- Ron Fischer, Eishockeyspieler
- Karl Friesen, Eishockeyspieler
- Hartmut Froeschle, Germanist, Autor
- Frederick Philip Grove, Autor
- Dany Heatley, Eishockeyspieler
- Gerhard Herzberg, Chemiker und Physiker
- Anna Maria Kaufmann, Musikerin
- Craig Kielburger, Kinderrechtler
- Taylor Kitsch, Schauspieler
- Cindy Klassen, Sportlerin
- Ralph Klein, Politiker
- Harold Kreis, Eishockeyspieler
- Ralph Krueger, Eishockeyspieler
- Kathryn Dawn Lang, Sängerin
- Silken Laumann, Sportlerin
- Heinz E. Lehmann, Psychiater
- Almuth Lütkenhaus, Künstlerin
- Howie Morenz, Eishockeyspieler
- Scott Niedermayer, Eishockeyspieler
- Rob Niedermayer, Eishockeyspieler
- Werner O. Packull, Historiker
- John Polanyi, Chemiker und Physiker
- Roy Roedger, Eishockeyspieler
- Milt Schmidt, Eishockeyspieler
- Earl Seibert, Eishockeyspieler
- Martin Sonnenberg, Eishockeyspieler
- Miriam Toews, Schriftstellerin
- Vic Toews, Politiker
- John Vernon, Schauspieler
- Eberhard Heinrich Zeidler, Architekt
- Deadmau5, Musikproduzent
- Alexander Ludwig, Schauspieler
Siehe auch
- Deutsche Überseewanderung
- Humberghaus, ein lokales Museum im Kreis Wesel, das eine jüdische Familien-Auswanderung 1939–1941 dokumentiert
Literatur
- Patrick Farges: Bindestrich-Kanadier? Sudetendeutsche Sozialdemokraten und deutsche Juden als Exilanten in Kanada. Studie zu Akkulturationsprozessen nach 1933 auf der Grundlage ihrer Selbstzeugnisse und Presse. Ed. Lumière, Bremen 2015, ISBN 978-3-943245-30-1.
Weblinks
- Hans-Jürgen Hübner: Deutsche in Kanada
- Liste der deutschsprachigen Kirchengemeinden in Kanada (PDF; 157 kB)
- The dynamics of German language maintenance in Canada, in „Forum Deutsch“, Zeitschrift der Deutschlehrer in Kanada, 16.1, 2008, von Manfred Prokop und Gerhard P. Bassler[2]
- Gerhard P. Bassler: auf der Website Multicultural Canada, Bereich The Encyclopedia of Canada's Peoples/Germans (Archivversion), erstellt 1999 (Print: Paul Robert Magocsi, Verlag University of Toronto Press ISBN 0802029388)
- Nicolas Groulx: Zwischen deutschem und kanadischem Identitätsdiskurs im „Kanada Kurier“ 1981. Zur Vergangenheitsbewältigung in einer Diasporazeitung. Magisterarbeit, Université de Montréal, 2015 (PDF).
Einzelnachweise
- Wilhelmy: Les Mercenaires allemands au Québec, 1776–1783.
- überarb. Fassung des Schlusskapitels von „German language maintenance: A handbook“, Sherwood Park, 2004. Mit zahlreichen Tabellen und Listen zu Deutschsprachigen in Kanada am Beginn des 21. Jh.