Deutsche Seewarte
Die Deutsche Seewarte (auch Reichsinstitut Deutsche Seewarte) war von 1875 bis 1945 die Zentralanstalt zur Förderung der maritimen Meteorologie in Deutschland. Der Hauptsitz der Einrichtung befand sich in Hamburg. Die Deutsche Seewarte wurde zuerst durch die deutschen Staaten und dann durch das Deutsche Reich betrieben.
Die Deutsche Seewarte war der amtliche Vorgänger des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie sowie des Deutschen Wetterdiensts.
Geschichte
Vorgänger Norddeutsche Seewarte
1867 wurde von Wilhelm von Freeden in Hamburg die private Norddeutsche Seewarte gegründet. Sie war ein Vorläufer der Deutschen Seewarte. Die Norddeutsche Seewarte wurde im Februar 1875 aufgelöst. Ihre Aufgaben wurden von der staatlichen Deutschen Seewarte übernommen.
Seit Gründung 1874
Die Deutsche Seewarte wurde 1874 gegründet. Diese war als Reichsinstitut dem Chef der Kaiserlichen Admiralität der Kaiserlichen Marine unterstellt, erster Direktor war von 1875 bis 1903 Georg von Neumayer, der zuvor schon an der Norddeutschen Seewarte beteiligt war.[1]
Der Hauptsitz der Deutschen Seewarte befand sich in Hamburg, ab 1881 im Seewartengebäude auf dem Stintfang. „Die Seewarte“, wie das Gebäude in Hamburg allgemein genannt wurde, war nach Plänen der Architekten Gustav Jacob Kirchenpauer und Ludwig Hermann Philippi errichtet und nach zweijähriger Bauzeit am 14. September 1881 in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. eingeweiht worden.
Die Seewarte wurde ab 1919 dem Reichsverkehrsministerium unterstellt. Große Bedeutung hatte für die Deutsche Seewarte, deren Ansehen im Laufe der Jahre etwas gesunken war, die Übernahme der Präsidentschaft durch Vizeadmiral a. D. Hugo Dominik[2] im September 1926. Dominik initiierte vor allem die Vereinigung von Aerologie und Ozeanografie und war insgesamt stark reformierend tätig sowie auch maßgebend an der Organisation des 2. Internationalen Polarjahres 1933 beteiligt. Er leitete die Deutsche Seewarte bis zu seinem Tod im September 1933. Ab 1934 unterstand die Seewarte wieder dem Oberkommando der Marine.
Im Frühjahr 1945 wurde das Gebäude auf dem Stintfang durch Kriegseinwirkung zerstört. Nach 1945 wurden die Aufgaben der Deutschen Seewarte aufgeteilt: Den hydrographischen Teil erhielt das Deutsche Hydrographische Institut (DHI, 1945–1990) und dessen Nachfolger, das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH); jeweils ebenfalls mit Sitz in Hamburg. In der DDR wurden diese Aufgaben ab 1950 vom Seehydrographischen Dienst der DDR bis 1990 übernommen. Die meteorologischen Aufgaben wurden zunächst dem Meteorologischen Amt für Nordwestdeutschland (MANWD) übertragen, das zum 1. Januar 1953 in den neu gegründeten Deutschen Wetterdienst (DWD) integriert wurde.[3]
An der Stelle des vormaligen Gebäudes der Seewarte befindet sich seit 1953 eine Herberge des Deutschen Jugendherbergswerks.
Organisation und Aufgaben
Die Seewarte verfolgte in erster Linie Förderung und Sicherheit des Seeverkehrs. Sie bestand aus vier Abteilungen:
Maritime Meteorologie
Die erste Abteilung bearbeitete die maritime Meteorologie, sammelte die Beobachtungen über physikalische Verhältnisse des Meeres und über die meteorologischen Erscheinungen auf hoher See, verteilte an die Schiffskapitäne, die sich mit der Seewarte in Verbindung setzen wollten, die meteorologischen Schiffsjournale (Wetterbücher), die nach einem gemeinsamen internationalen Schema angelegt waren, gab Anleitung zur richtigen Führung dieser Wetterbücher und sammelte und diskutierte dieselben zum Zweck der Aufstellung allgemeiner und besonderer Segelanweisungen sowie der einzuschlagenden Reiserouten.
Instrumentenprüfung
Die zweite Abteilung besorgte die Beschaffung und Prüfung der nautischen, meteorologischen und magnetischen Instrumente und Apparate. Sie prüfte die Sextanten, Oktanten und Schiffskompasse, beschäftigte sich mit der praktischen Anwendung der Lehre vom Magnetismus in der Navigation und verwaltete die Modell- und Instrumentensammlung, die vorzugsweise zur Erklärung neuer Erfindungen auf dem Gebiet der Nautik und zur Belehrung des nautischen Publikums dienen sollte.
Zentralstelle für ausübende Wetterkunde
Die dritte Abteilung hatte die Küstenmeteorologie und das Sturmwarnungswesen in Deutschland zu bearbeiten. Ihre Hauptaufgaben bestanden seit 1906 (unter Abteilungsvorstand Wilhelm Jacob van Bebber) in der täglichen Einsammlung der telegraphischen Witterungsnachrichten, der darauf fußenden täglichen, größtenteils ebenfalls telegraphischen Berichterstattung und der Bildung von Prognosen. Hieran schlossen sich unmittelbar an die Abfassung, Herstellung und Absendung von „Hafentelegrammen“, Wetterberichten und Wetterkarten an Zeitungen, Behörden und Privatabonnenten.
Chronometerprüfungsinstitut
Die vierte Abteilung der Seewarte, das Chronometerprüfungsinstitut, sollte die Interessen der deutschen Chronometerindustrie fördern und bestimmte den Gang der ihr zur Beobachtung und Prüfung übergebenen Chronometer der deutschen Handelsmarine in verschiedenen Temperaturen. Auch wurden von Zeit zu Zeit Konkurrenzprüfungen von Chronometern abgehalten, bei denen den Lieferanten der besten Chronometer gegen die gewöhnlichen Ankaufspreise wesentlich erhöhte in Aussicht gestellt werden.
Zweigstellen, Nebenstellen und Überseestationen
Um die der Seewarte hinsichtlich der Küstenmeteorologie gestellten Aufgaben lösen zu können, bedurfte sie außer der Zentralstelle in Hamburg noch einer Anzahl von Zweigniederlassungen, Agenturen (Haupt- und Nebenagenturen), Normalbeobachtungsstationen und Signalstellen.
Die Agenturen hatten die verschiedenen nautischen und meteorologischen Instrumente zu prüfen, Untersuchungen über die Deviation (Abweichung der Kompasse an Bord eiserner Schiffe) anzustellen und Rat zu erteilen an Schiffsführer bezüglich der Schiffswege, wichtiger Werke und Karten sowie über alles, was zum Führen der meteorologischen Schiffsjournale eine Beziehung hat.
Auf den neuen Normalbeobachtungsstationen, die in Memel, Neufahrwasser, Swinemünde, Cuxhaven, Kiel, Hamburg, Keitum auf Sylt, Wilhelmshaven (kaiserliches Observatorium) und Borkum errichtet und außer mit den gewöhnlichen meteorologischen Instrumenten mit selbstregistrierenden Barometern und Anemometern, in einzelnen Fällen auch mit registrierenden Thermometern ausgestattet waren, wurden die Beobachtungen angestellt, die der dritten Abteilung der Seewarte einen Teil des Materials für ihre Untersuchungen und Publikationen (Sturmwarnungen etc.) lieferten.
Außerdem wurden auf ihnen regelmäßige Beobachtungen zu bestimmten Terminen wie auf jeder gewöhnlichen meteorologischen Station angestellt. Die Signalstellen brachten die von der Seewarte ausgehenden Witterungsnachrichten und Sturmwarnungen ohne Verzug zur Kenntnis des Publikums.
Im Laufe ihrer Geschichte betrieb die Deutsche Seewarte mehr als 1500 Überseestationen in zahlreichen Weltregionen. Besonders viele Wetterstationen wurden in der Zeit zwischen 1884 und 1914 in den damaligen deutschen Kolonialgebieten betrieben. Die Stationen wurden von der Hauptstelle in Hamburg aus eingerichtet oder übernommen und mit einheitlich abzulesenden, geeichten Messinstrumenten ausgestattet.[4]
Veröffentlichungen
Ein großer Teil der Arbeiten der Seewarte wurde in den vom hydrographischen Amt der kaiserlichen Marine herausgegebenen Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie veröffentlicht.
Außerdem gab die Direktion der Seewarte noch heraus:
- die täglichen autographischen Wetterberichte und Wetterkarten
- die Monatliche Übersicht der Witterung in Nord- und Zentraleuropa
- Meteorologische Beobachtungen in Deutschland von 25 Stationen zweiter Ordnung sowie stündliche Aufzeichnungen von drei Normalbeobachtungsstationen der Seewarte und von Kaiserslautern; die Stürme nach den Signalstellen der Seewarte
- das Nautische Jahrbuch
Die Gesamttätigkeit wurde seit 1878 in dem Sammelwerk und Repertorium Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte mit Rücksicht auf die Geschichte der Entwickelung der betreffenden Disziplinen und der hierfür angewendeten Methoden und Apparate dargelegt. Außerdem enthielten diese selbstständige Abhandlungen von Beamten der Seewarte über verschiedene Gebiete der nautisch-meteorologischen Wissenschaft.
Literatur
- Peter Ehlers (Hrsg.): Schiffahrt und Meer. 125 Jahre maritime Dienste in Deutschland. Herford u. a. 1993.
- Viktor Pröstler: Militäruhren. Präzisions-Pendeluhren. Zeitsignale für die Seefahrt. In: Klassik-Uhren, Ausgabe 2/1998, ISSN 0947-9287 (über die Hauptuhren der Deutschen Seewarte)
- Heinrich Walle: Die Deutsche Seewarte. (PDF) In: Marineforum, Ausgabe 10/2004, S. 26–28.
(historisch)
- Wilhelm von Freeden: Jahresbericht der Norddeutschen Seewarte für das Jahr 1868. Handelskammer in Hamburg (Hrsg.), Hamburg (o. J.), Digitalisat
- Anzeige Nr. 494. betreffend … Norddeutsche Seewarte zu errichtendes nautisch-meteorologisches Institut. In: Hamburger Handels-Archiv. Sammlung der auf Schiffahrt und Handel bezüglichen hamburgischen Verträge, Verordnungen und Bekanntmachungen. Zweiter Band, 2. Heft. Gustav Eduar Nolte, Hamburg 1869, S. 896 ff.
- A. Kirchenpauer: Das neue Dienstgebäude der deutschen Seewarte in Hamburg. In: Centralblatt der Bauverwaltung, 2. Jahrgang 1882,
- 1. Teil. In: Centralblatt der Bauverwaltung. Nr. 8, 1882, S. 62 f. (zlb.de).
- 2. Teil. In: Centralblatt der Bauverwaltung. Nr. 9, 1882, S. 70 (zlb.de).
- Meteorologische Zeitschrift, 51. Jahrgang 1934, Ausgabe Februar 1934, S. 78.
- Georg von Neumayer: Die naturwissenschaftlichen Anstalten. In: Hamburg in naturhistorischer und medicinischer Beziehung. Den Teilnehmern der 73. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte als Festgabe gewidmet. Leopold Voss, Hamburg 1901, Die Deutsche Seewarte, S. 225 ff. (uni-hamburg.de).
- Georg von Neumayer: Die Thätigkeit der deutschen Seewarte während der ersten zwölf Jahre ihres Bestehens (1875–1886). In: Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften. Band X., 1887 (Textarchiv – Internet Archive).
- Georg von Neumayer: VII. Die wissenschaftlichen Institute und Vereine. In: Hamburg in naturhistorischer und medicinischer Beziehung. Den Mitgliedern und Theilnehmern der 49. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte als Festgabe gewidmet. L. Friederichsen & Co, Hamburg 1876, Die Deutsche Seewarte, S. 187 ff. (uni-hamburg.de).
Trivia
Nahe dem ehemaligen Standort der Seewarte befinden sich heute die Seewartenstraße und die Neumayerstraße.
Am 21. Januar 2018 wurde in Australien eine Flaschenpost gefunden, die am 12. Juni 1886 von der deutschen Frachtbark Paula im Auftrag der Deutschen Seewarte in den Indischen Ozean geworfen worden war. Damit ist der Fund mit über 131 Jahren Laufzeit die weltweit älteste bekannte Flaschenpost.[5][6][7]
Weblinks
Einzelnachweise
- Deutsche Seewarte Hamburg. Watch-Wiki
- Personenangaben im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Klaus Wege: Die Entwicklung der meteorologischen Dienste in Deutschland. Geschichte der Meteorologie, Band 5, Offenbach 2002, S. 183–186.
- Überseestationen der Deutschen Seewarte. Deutscher Wetterdienst; abgerufen am 11. November 2017.
- Deutsche Flaschenpost nach 132 Jahren in Australien entdeckt. Süddeutsche Zeitung, 6. März 2018.
- Australierin findet Flaschenpost von 1886: Spur führt in die Wesermarsch. Nord24, 6. März 2018.
- 132 year old message in a bottle found on WA beach. Western Australian Museum, 6. März 2018.