Dethlinger Teich
Der Dethlinger Teich ist eine ehemalige Kieselgur-Grube, in die während und nach dem Zweiten Weltkrieg Sprengstoffe und chemische Kampfstoffe, in bundesweit einmaligen Mengen, versenkt wurden.
Lage und Größe
Der Dethlinger Teich liegt ca. 3 km südöstlich von Munster (Örtze) und ca. 1 km nordöstlich von Dethlingen, einem Stadtteil von Munster. An diesem Standort wurde von der Vereinigte Deutsche Kieselgurwerke GmbH bis ca. 1926 Kieselgur im Tagebau abgebaut. Durch Regenwasser bildete sich ein Teich. Die Grube hat eine maximale Größe von etwa 60 Meter im Durchmesser. Die tatsächliche Tiefe der ehemaligen Kieselgurgrube beträgt nach neueren Untersuchungen etwa 9 m. Geophysikalische Messungen in den 1980er Jahren hatten bis zu 21 m Tiefe ergeben. Das mögliche Schadstoffvolumen ist daher geringer als in der Vergangenheit befürchtet. In unmittelbarer Nähe der Grube verläuft die OHE Bahnstrecke Beckedorf–Munster und die Bundesstraße 71. Ende 1996 wechselte die behördliche Zuständigkeit für die Rüstungsaltlast Dethlinger Teich vom Land Niedersachsen auf den damaligen Landkreis Soltau-Fallingbostel, heute Landkreis Heidekreis. Das Grundstück befindet sich nach wie vor in Privatbesitz.
Geschichte
Luftwaffenhauptmunitionsanstalt
Unmittelbar östlich des Dethlinger Teiches wurde ab 1935 während der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen der Aufrüstung der Wehrmacht die Luftwaffenhauptmunitionsanstalt 4/XI Oerrel (umgangssprachlich „Muna“) errichtet. Sie war der Luftzeuggruppe XI Hannover unterstellt. Die Anlage bestand aus mehr als 150 Gebäuden und Bunkern. Die Betonbunker hatten die Größe von 40 m × 25 m, waren zur Tarnung mit Erde überdeckt und im Wald versteckt. Hier wurde die Füllung und Lagerung von Kampfstoffmunition für die Luftwaffe vorgenommen. Ab 1941 wurden auch Brandbomben und ab 1942 Chemische Kampfmittel hergestellt. Die Kampfstoffe wurden dazu in Kesselwagen per Bahn angeliefert. Die hoch kontaminierten Abwässer, die großteils bei der Reinigung der Kesselwagen anfielen, wurden nach vorheriger Überleitung über drei Versickerungsteiche in den Dethlinger Teich entsorgt.
Grubenverfüllung und Sicherung
Im April 1945 übernahm die British Army kampflos das Gelände der Muna mit allen dort noch vorhandenen Kampfstoffen. Der transportfähige Teil der Munition wurde abgefahren und in der Nord- und Ostsee während der Operation Davy Jones’ Locker verklappt. Der Teil, der nicht transportiert werden konnte, und noch unverfüllter Kampfstoff wurde im Dethlinger Teich versenkt. Das Bombenräumkommando der Polizei Hannover, 1948 als Bombenräumkommando für das Land Niedersachsen gegründet, benutzte die Grube auch noch bis 1952 für die Entsorgung von Kampfstoffmunition. Ab Anfang der 1950er Jahre holten Anwohner unter erheblichen Gefahren buntmetallhaltige Munitionsteile aus der Grube, um sie an Schrotthändler zu verkaufen. Auch als Reaktion hierauf wurde der Teich 1952 mit Bauschutt von den ehemaligen Bunkern der Muna aufgefüllt und mit Erde abgedeckt. Die zuständigen Stellen befürchteten allerdings bereits damals, dass das Grundwasser durch die Kampfstoffe gefährdet sein könnte. 1957 wurden die ersten vier Messstellen errichtet. Im Auftrag des Wasserwirtschaftsamtes Celle bzw. Verden wurden ab 1975 in Stufen 16 weitere Messstellen eingerichtet. 1999 wurde der sogenannte „Schrägbrunnen“ und sieben weitere Grundwassermessstellen gebaut.
Inhalt der Grube
Über die tatsächlich versenkten Munitionsmengen besteht große Unsicherheit. Etwaige schriftliche Dokumente oder Zähllisten existieren nicht. Die Angaben stammen von Zeitzeugen, wurden geschätzt und sind daher ungenau.
Zitat der Niedersächsischen Landesregierung 2014 auf eine Kleine Anfrage:[1]
„Die Vielzahl an möglichen Stoffen und deren chemisches Verhalten, auch untereinander, lassen eine seriöse Beschreibung des Teichinhalts derzeit nicht zu.“
Geschätzt werden:
- ca. 100.000 Stck. Zündladungen vom Typ C-98
- ca. 3000 Stck. Kampfstoffgranaten, Kaliber 7,5 cm bis 32 cm
- ca. 150 Stck. Kampfstoffmunition 7,5 cm bis 15 cm
- ca. 200 – 300 Phosgenbomben mit Füllung, entschärft (ca. 100 kg pro Stck.)
- ca. 300 Fässer mit je 250 l Flüssig-Phosgen
- ca. 100 Fässer mit jeweils rd. 100 l Lost[2]
Sanierung
Teichöffnung
Mit Hilfe der eingerichteten Grundwasser-Messstellen wurden Mitte Oktober 2015 vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ die Grundwasserstände und der Grundwasserzustrom ermittelt. Eine Schöpfprobe im Teichbereich ergab eine deutliche Verunreinigung des Grundwassers mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und von Abbauprodukten des Kampfstoffes Lost. Auch außerhalb des Grubenbereiches wurden bereits Schadstoffe gefunden. Im Frühjahr 2018 wurde erstmals der Kampfstoff Clark I an einer Messstelle nachgewiesen. Für die angestrebte Sanierung ist zuvor eine sogenannte „Teichöffnung“ notwendig. Diese soll an einer Stelle vorgenommen werden, an der mit hoher Wahrscheinlichkeit Kampfstoffmunition liegt. Dabei soll die Art, die Menge und der Zustand des Grubeninhaltes festgestellt werden. Das Ergebnis bildet dann die Grundlage für die Sanierung. Die Voruntersuchung ist auch für die Beantragung von Zuschussmitteln zwingend erforderlich. Die Arbeitsgemeinschaft Mull & Partner Ingenieurgesellschaft mbH – Hazard Control GmbH wird die Arbeiten vornehmen. Das Land Niedersachsen wird sich bis zum Jahr 2020 mit maximal zwei Millionen Euro an den Kosten beteiligen. Die Öffnung des Teiches war ursprünglich bereits für den Winter 2017/2018 vorgesehen. In der Zeit vom 16. September 2019 bis voraussichtlich Ende April 2020 nimmt der Landkreis Heidekreis jetzt die erforderlichen Probeentnahmen vor (ursprünglich sollte die Aktion bis zum 20. Dezember 2019 abgeschlossen sein). Es ist hierfür über einem Schacht eine Leichtbauhalle mit Unterdruck und Luftabsaugung/-Behandlung aufgestellt worden. Sie enthält eine Zugangsschleuse für Personal und Material und eine Schleuse für das Andocken von Transport- und Lagercontainern. Kampfstoffgranaten, die bei den Erkundungsarbeiten geborgen werden, werden zur Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (GEKA mbH) nach Munster geliefert, hier untersucht und in deren Verbrennungsanlage vernichtet.[3][4]
Während der Arbeiten am Dethlinger Teich wird die B 71 von Dethlingen bis Oerrel komplett gesperrt (voraussichtlich bis Ende April 2020).
Zeitleiste der Teichöffnung
- 16. bis 20. September 2019 - Einarbeitung der Beteiligten
- 27. September 2019 - Beginn des Abtragens der 1952 aufgebrachten Deckschicht
- 8. Oktober 2019 - Erster Munitionsfund
- 29. Dezember 2019 - Die Arbeiten werden nach einer Weihnachtspause am 7. Januar wieder aufgenommen. Die B71 wird bis zum 30. April 2020 erneut voll gesperrt. Vom 21. Dezember 2019 bis 6. Januar 2020 wird sie für den Verkehr freigegeben.
- 21. Januar 2020 - die Erkundungsarbeiten werden wieder aufgenommen. Da die Wasserhaltung nicht funktioniert hat, wird ein weiterer Erkundungsschacht (Schacht II) abgeteuft.
- 10. Februar 2020 - die Arbeiten an Schacht I werden nach Sümpfung fortgesetzt
- 25. Februar 2020 - alle bisher geborgenen Granaten waren ohne Zünder. Nur wenige Granaten waren undicht. Bei diesen Granaten wurde immer Lost nachgewiesen. Es werden täglich 100 m³ Wasser abgefahren. Um weiterarbeiten zu können, wird eine Grundwasserreinigungsanlage (GWRA) benötigt. Das Vergabeverfahren hierzu wird vorbereitet.
- 28. Februar 2020 - Schacht I und II haben den Grundwasserspiegel erreicht; ohne GWRA kann nicht weitergearbeitet werden. Ein dritter Schacht wird geplant.
Geborgene Munition
Datum | Typ | Anzahl | Bemerkung |
---|---|---|---|
8. Oktober 2019 | 1 | ||
10. Oktober 2019 | 3 | Schacht I ist 1,7 m tief | |
14. Oktober 2019 | Artilleriegranaten der Kaliber 10.5 cm und 15 cm | 8 | alle Granaten waren unbezündert |
28. Oktober 2019 | 100 | Schacht I ist 2,2 m tief | |
22. November 2019 | 760 | Schacht I ist 2,7 m tief. Die Munition stammt aus ca. 12 m³ Aushubmaterial | |
28. November 2019 | 1.006 | ||
5. Dezember 2019 | 1.106 | ||
19. Dezember 2019 | 1.401 | ||
6. Februar 2020 | 1.621 | Schacht I ist ca. 4,5 m tief | |
14. Februar 2020 | 1.842 | ||
27. Februar 2020 | 2.552 | Schacht I ist ca. 4,6 m, Schacht II ca. 4,1 m tief | |
26. März 2020 | Bisher insges. geborgen: 33 t Munition, 2,8 t chemische Füllung, 780 kg Sprengstoff | ||
Nachgewiesene Umweltgifte
In den Entwässerungsbrunnen konnten im Juli 2019 1,4-Oxathian, 1,4-Dithian und 1-Oxa-4,5-Dithiepan, 1,2,5-Trithiepan, Thiodiglycol, Thiodiglycolsulfon und Thiodiglycolsulfoxid sowie Arsen mit bis zu 3,1 mg/L und Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe, die in Ihren Konzentrationen bis zu ca. 1,2 mg/L erreichten, festgestellt werden.[5]
Ablauf der Sanierung
Seit Mitte 2014 beschäftigte sich der Landkreis Heidekreis mit dem Konzept der Gefährdungsabschätzung und der sich gegebenenfalls anschließenden Sanierung der Altlasten. Es stand fest, dass Ende 2019 der Teich geöffnet werden sollte, um aus diesem Feststoff- und Flüssigkeitsproben zu entnehmen. Nach den durchgeführten Detailuntersuchungen sollte der Landkreis Heidekreis dann in einem nächsten Arbeitsschritt mit den neuen Informationen eine Machbarkeitsstudie erstellen. 2019/2020 wurde die Sicherstellung der Finanzmittel und die Vorbereitung und Vergabe der Sanierung vorgesehen. 2021 soll die Durchführung der Sicherungsvariante erfolgen. Einem Konzept des Landkreises Heidekreis vom 25. Februar 2015 ist zu entnehmen, dass nach einer groben Schätzung mit 50 Millionen Euro für die eigentlichen Bauarbeiten der Sanierung und mit zusätzlich etwa 2,7 Millionen Euro sonstigen Kosten gerechnet wird. Es ist geplant, im Herbst 2022 mit der eigentlichen Räumung der Kampfmittel zu beginnen. Aktuell, Stand November 2021, wird mit Kosten von 61,65 Millionen Euro gerechnet.
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies erklärte im Dezember 2019, der Teich „muss und soll komplett saniert werden“. Er sei sicher, mit dem Bund bei der Finanzierung zu einer tragfähigen Lösung zu kommen.[6]
Weitergehende Arbeiten
Mitte August 2020 erfolgte der Abbau des Schutzzeltes, sowie der Personen- und Materialschleuse. Nicht mehr benötigte Anschlüsse für Wasser, Strom und das Datennetz wurden entfernt oder angepasst. Die Geländeüberwachung erfolgt durch Videokameras. Künftige Arbeiten sollen in einem freitragenden Großzelt (80 × 90 m) erfolgen. Bis Ende Herbst 2021 ist die Fertigstellung dieser Einhausung vorgesehen. Mitte 2021 soll mit der Grundwassersanierung begonnen werden. Der Beginn der Kampfmittelräumung ist im Winter 2021/2022 geplant. Es wird damit gerechnet, dass die Arbeiten fünf Jahre in Anspruch nehmen werden.
Am 24. Februar 2021 unterzeichnete der niedersächsische Umweltminister eine Vereinbarung mit dem Heidekreis. Er stellte, zusätzlich zu den bereits in den Vorjahren bereitgestellten 10,3 Millionen, weitere 38,4 Millionen Euro zur vollständigen Sanierung der Grube zur Verfügung. Der Bund wird sich im Rahmen der Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern nach Art. 120 GG und den Grundsätzen der auf die 50er Jahre zurückgehenden Staatspraxis ebenfalls an den Sanierungskosten beteiligen.
Im September/Oktober 2021 soll das Gelände einen Strom-, Abwasser- und Glasfaseranschluss erhalten. Die Abwasserreinigungsanlage soll im November 2021 in Betrieb genommen werden.[7] Im Januar 2022 wurde das Fundament für die Grundwasserreinigungsanlage fertiggestellt. Die Aufbereitungsanlage soll im März 2022 einsatzbereit sein.[8]
Weblinks
Einzelnachweise
- Kleine Anfrage: Altlasten im Dethlinger Teich
- Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag: Dethlinger Teich Entsorgung von Rüstungsaltlasten, Az. WD 7 – 3000 – 042/15 Seite 4 pdf
- NDR Bericht vom 30. Oktober 2019 über die Munitionsbergung
- NDR Bericht vom 30. November 2019 – 10.000 Granaten im Dethlinger Teich
- Fortlaufende Bürgerinformation über den Fortgang der Erkundungsarbeiten
- Pressemitteilung vom 2. Dezember 2019, Abruf am 8. Dezember 2019
- Bürgerinfo Heidekreis
- NDR: Vorbereitende Arbeiten zur Sanierung haben begonnen.