Der Schleier der Beatrice
Der Schleier der Beatrice ist ein Versdrama von Arthur Schnitzler in fünf Akten. Es wurde 1900 am Breslauer Lobe-Theater uraufgeführt und erschien in Buchform zunächst 1900 in Berlin im Verlag des Theateragenten und Verlegers Albert Entsch, 1901 im S. Fischer Verlag. Der Schleier der Beatrice gilt als literarische Parallele zu Freuds Traumdeutung.[1]
Daten | |
---|---|
Titel: | Der Schleier der Beatrice |
Gattung: | Schauspiel in fünf Akten |
Originalsprache: | Deutsch |
Autor: | Arthur Schnitzler |
Erscheinungsjahr: | 1900 |
Uraufführung: | 1. Dezember 1900 |
Ort der Uraufführung: | Lobe-Theater, Breslau |
Ort und Zeit der Handlung: | in Bologna im Zeitalter der Renaissance |
Personen | |
|
Hintergrund
In seiner Jugend hatte Arthur Schnitzler mit Versdramen begonnen: Ägidius und sein frühester gedruckter dramatischer Versuch Alkandi’s Lied (1890). Schnitzlers Tagebuch zeigt im Frühjahr 1898 Eintragungen, die auf den Beginn der Arbeiten an dem Stück hinweisen; er schrieb eine „Pantomime“, hieß es.[2] Schnitzler schrieb das Werk Mitte 1899 zu Ende, kurz nachdem seine Geliebte Maria „Mizi“ Reinhard am 18. März an einer Sepsis gestorben war. Nicht zufällig wird Schnitzler bei fast allen öffentlichen Lesungen die Schlussverse des Dramas zitieren:
- Das Zeichen tönt, und mächt’ge Neubegier
- Wie nie zuvor beflügelt meinen Schritt.
- Ich freue mich des guten Kampfs, der kommt;
- Die frischen Morgenlüfte atm’ ich durstig
- Und preise dieses Leuchten aus den Höh’n,
- Als wär’ es mir allein so reich geschenkt.
- Das Leben ist die Fülle, nicht die
- Und noch der nächste Augenblick ist weit.
- Das Zeichen tönt, und mächt’ge Neubegier
Das Werk gilt als literarische Parallele zu Freuds Traumdeutung; Freud selbst schrieb in einem Brief an Schnitzler:
- „Ich habe mich oft verwundert gefragt, woher Sie diese oder jene geheime Kenntnis nehmen konnten, die ich mir durch mühselige Erforschung des Objekts erworben, und endlich kam ich dazu, den Dichter zu beneiden, den ich sonst bewundert. So habe ich den Eindruck gewonnen, daß Sie durch Intuition – eigentlich aber infolge feiner Selbstwahrnehmung – all das wissen, was ich in mühsamer Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe.“[3]
1900 demonstrierte Hermann Bahr erneut seine Freundschaft, als Schnitzler mit Regisseur Paul Schlenther vom Wiener Burgtheater über sein jüngstes Stück Der Schleier der Beatrice in Kontroversen geriet.[4] 1900 war das Jahr der Beatrice-Affäre, als Schnitzler – der, von seinen Freunden unterstützt, auf einer Zusage beharrte, die ihm der damalige Burgtheaterdirektor Paul Schlenther gemacht hatte, nämlich dass der Schleier der Beatrice im Burgtheater uraufgeführt würde.[5] Während Schnitzler mit Leutnant Gustl einen Erfolg im Bereich der Prosa erlebte, erfuhr er dagegen an der Bühne einen Einbruch: Nach einem Zerwürfnis mit Paul Schlenther aufgrund der Ablehnung von Der Schleier der Beatrice folgte – trotz des Protestes namhafter Freunde und Dichterkollegen – ein fünfjähriger Ausschluss seiner Stücke vom Wiener Burgtheater.[6]
Bereits am 7. Oktober 1899 hatte Schnitzler Otto Brahm den Schleier der Beatrice vorgelesen. Das Drama beeindruckte diesen zwar sehr, doch konnte es ihn nicht veranlassen, dieses Stück (am Deutschen Theater in Berlin) aufzuführen, weshalb die Aufführung auch in Breslau (am 1. Dezember 1900) stattfand.[7] Aber nach dem Berliner Erfolg der Lebendigen Stunden (4. Januar 1902) trat Brahm dem Gedanken einer Aufführung wieder näher, wenn auch seine Briefe (an Schnitzler) den Eindruck bewusster Verzögerungstaktik erweckten. Als Schnitzler von Hugo von Hofmannsthal hörte, Brahm hätte sich abwertend über den Schleier der Beatrice geäußert, weil es zu viel Sex enthalte, war er völlig verärgert. Am 7. März 1903 war es (trotz der Bedenken von Otto Brahm) durch die Fürsprache von Max Reinhardt so weit: das Stück hatte Premiere am Deutschen Theater in Berlin. Reinhardt meinte, dass dieses Stück „derzeit an keiner anderen Bühne so gespielt, inszeniert und ausgestattet werden kann wie auf der unseren“.[8]
Das zeitgenössische Urteil über das Stück war zwiespältig. Max Koch hielt das Werk für „eine der bedeutendsten Schöpfungen“ der Jahrhundertwende. Rainer Maria Rilke urteilte in einem Brief an Schnitzler: „Wunderbar einfach ist das komplizierte Wesen der Beatrice gefasst, und mit wirklich großer Gerechtigkeit stehen Sie über ihm und seine Wirren“. Alfred Polgar schrieb in einer ausführlichen Kritik zu einer Neuinszenierung (am Burgtheater, Wien 23. April 1925, mit Raoul Aslan und Hilde Wagener) in „Die Weltbühne“ (16. Juni 1925): „Niemand kannte die Frauen, auch Arthur Schnitzler nicht, der sie genau kennt“. Der Schnitzler-Biograph Reinhard Urbach weist auf die Parallelität zwischen dem Schleier der Beatrice (im Kontext mit dem Protagonisten Filippo Loschi = Dichter) und der Traumdeutung (von Sigmund Freud) hin. Beatrice hatte den Traum nicht als Wunschtraum akzeptiert und nicht als Möglichkeit gedeutet. Aber was für Beatrice nur ein Traum ist, ist für den der Traumdeutung kundigen Filippo Begierde ohne Mut.[9]
Wie Sigmund Freud in der Psychoanalyse bringt Arthur Schnitzler etwa zur gleichen Zeit jene – vor allem sexuellen – Tabus zur Sprache, die die damalige ganz auf Rationalität und Fortschritt orientierte Gesellschaft verdrängt. Er zeigt, dass im Unterbewussten des Menschen Kräfte wohnen, die sich der Kontrolle des Verstandes entziehen.[10] Wie bereits erwähnt wurde Schnitzler als literarisches Pendant zu Sigmund Freud bezeichnet, der dies in einem Brief an Schnitzler 1922 auch hervorhob:
- „Verehrter Herr Doktor Schnitzler. Seit vielen Jahren bin ich mir der weitreichenden Übereinstimmung bewußt. So habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie durch Intuition alles das wissen, was ich in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe. Ja, ich glaube, im Grunde Ihres Wesens sind Sie ein psychologischer Tiefenforscher, so ehrlich, unparteiisch und unerschrocken, wie nur je einer war. Aber ich weiß eben auch, dass die Analyse kein Mittel ist, sich beliebt zu machen. Ihr in Verehrung ergebener Dr. Freud.“[11]
Schnitzler schrieb schließlich Der Schleier der Pierrette 1910 nach Motiven des Stücks Schleier der Beatrice.[12]
Handlung
Die Handlung ist im Bologna der Renaissance angelegt, wo die Truppen Cesare Borgias die Stadt belagern. Beatrice liebt den Poeten Filippo Loschi, hat aber einen Traum, in dem sie sich mit dem Herzog von Bologna, Lionardo Bentivoglio, verheiratet sieht. Das genügt Fipippo, um die Geliebte zu verstoßen. Was für Beatrice nur ein Traum ist, bekommt für Filippio die Bedeutung eines heimlichen Wunsches.
Rezension
Der Schleier der Beatrice gehört nicht zu Schnitzlers stärksten Bühnenwerken, schrieb Max Haberich. „Das liegt unter anderem auch daran, dass es durchgehend in Versen gehalten ist, die verhindern, dass die psychologischen Motive für das Handeln der Figuren so deutlich werden wie in Dramen mit ungebundenner Sprache.“[13]
Buchausgaben
- Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten. Berlin: A. Entsch 1900
- Der Schleier der Beatrice. Berlin, S. Fischer, 1901.
- Die Theaterstücke. Zweiter Band. (Paracelsus. Die Gefährtin. Der grüne Kakadu. Der Schleier der Beatrice. Lebendige Stunden). Berlin, Fischer, o. J. (1912)
- Der Schleier der Beatrice: Dramen 1899–1900. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1999, ISBN 9783596115044
Weblinks
Literatur
- Giuseppe Farese: Arthur Schnitzler: Ein Leben in Wien 1862–1931. München : C.H. Beck, 1999, ISBN 3406452922 / 3-406-45292-2
- Sabler, Wolfgang: ›Der Schleier der Beatrice‹ und das historische Drama. In: Les relations d’Arthur Schnitzler avec la France. Hrsg. von Martine Sforzin 2013.
- Schnitzler-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Christoph Jürgensen, Wolfgang Lukas, Michael Scheffel. J.B. Metzler Verlag, 2014, ISBN 9783476024480
Einzelnachweise
- Zeitschrift für Germanistik, Band 18. Verlag Enzyklopädie, 2008
- Arthur Schnitzler, Otto Brahm: Der Briefwechsel Arthur Schnitzler, Otto Brahm. M. Niemeyer, 1975
- Die Traumnovelle Literarische Psychoanalyse
- Arthur Schnitzler, Hermann Bahr: The Letters of Arthur Schnitzler to Hermann Bahr. University of North Carolina Press, 1978
- Andrea Willi: Arthur Schnitzlers Roman Der Weg ins Freie: eine Untersuchung zur Tageskritik und ihren zeitgenössischen Bezügen. C. Winter, 1989
- Arthur Schnitzler, eine biographische Skizze von Kristina Fink in: Arthur Schnitzlerdigital
- Giuseppe Farese, Arthur Schnitzler: ein Leben in Wien 1862–1931. München : C.H. Beck, 1999, S. 86 ff
- Max Reinhardt, Edda Fuhrich, Gisela Prossnitz: Max Reinhardt: die Träume des Magiers, Salzburg und Wien, Residenz, 1993, Seite 42.
- Urbach, Reinhard: Arthur Schnitzler. Felber bei Hannover, Friedrich Verlag, 1972
- Schnitzler-Biografie
- WG 2/S. 1366/Nr. 12.
- Claudia Wolf: Arthur Schnitzler und der Film: Bedeutung, Wahrnehmung, Beziehung, Umsetzung, Erfahrung. Universitätsverlag Karlsruhe.
- Max Haberich: Arthur Schnitzler: Anatom des Fin de Siècle. Kremayr und Scheriau 2017, ISBN 9783218010641.