Casanovas Heimfahrt
Casanovas Heimfahrt ist eine Novelle von Arthur Schnitzler, die im Sommer 1918 in der Literaturzeitschrift Die Neue Rundschau in Berlin erschien. Noch im selben Jahr kam die Erzählung bei S. Fischer in Buchform heraus.[1]
Inhalt
1778, in seinem 53. Lebensjahr, wartet Casanova in Mantua auf ein Zeichen aus Venedig: Der Rat der Zehn soll die 25-jährige Verbannung des inzwischen verarmten Venezianers aus der Vaterstadt beenden. Während des Wartens trifft Casanova seinen im bescheidenen Wohlstand lebenden Freund Olivo. Mit dessen Gattin Amalia, nun Mutter von drei jungen Mädchen, hatte Casanova einst eine Affäre. Amalia liebt Casanova immer noch und will die Affäre wieder aufleben lassen. Casanova möchte aber die junge Marcolina, eine blutjunge Nichte Olivos, verführen. Amalia will ihm das ausreden. Der junge schöne Leutnant Lorenzi sei Marcolinas Liebhaber. Casanova weiß es besser. Lorenzi hat von Marcolina einen Korb bekommen. Das Mädchen studiert in Bologna Mathematik und verbringt die Ferien bei den Verwandten. Casanova, der gerade mit einer Streitschrift gegen Voltaire schriftstellerischen Ruhm einheimsen möchte, findet in der schönen und gelehrten Marcolina eine in Sachen Philosophie beschlagene Gegnerin, die durch Geistesschärfe besticht. Beide philosophieren über den Gottesleugner Voltaire.
Olivo bietet dem weltgewandten Gast Zerstreuung. Marchese Celsi kommt auf Olivos Landgut. Man spielt Pharo um hohe Einsätze. Leutnant Lorenzi, der bei dem Marchese untergekommen ist und ein Verhältnis mit der Marchesa hat, beteiligt sich an dem Kartenspiel und verliert schließlich hoch an den Marchese. Casanova hat Glück. Er gewinnt eine beträchtliche Summe. Casanova, dem Marcolina die kalte Schulter zeigt, hat herausbekommen, dass Lorenzi „das tugendhafte Weib“[2] des Nachts aufsucht.
Aus Venedig, vom Rat der Zehn, kommt die Nachricht, dass Casanova nur unter der Bedingung zurückkehren darf, wenn er sich dort als Polizeispion verdingt. Tief beschämt zeigt der Verführer sein wahres Gesicht. Er vergewaltigt[3] die 13-jährige Teresina, die älteste Tochter des Ehepaares Olivo, und schlägt dem verschuldeten Lorenzi ein Geschäft vor: wenn Casanova die kommende Nacht an Lorenzis Stelle bei Marcolina im Bett verbringen darf, begleicht der Verführer die Spielschulden des Leutnants. Lorenzi, der ins Feld abkommandiert wird, geht auf den Handel ein. Casanova bereitet seine Abreise nach Venedig vor und steigt um Mitternacht, von Marcolina unerkannt, in deren Kammer ein, hat Geschlechtsverkehr mit ihr und schläft darauf ein. Als Casanova erwacht, erkennt Marcolina den Betrug. Sie ist entsetzt. Casanova spricht über sich insgeheim das – für einen Mann wie ihn – vernichtende Urteil: Alter Mann. Draußen vor dem Weingut trifft er auf Lorenzi. Die Begegnung endet in einem Duell: Casanova ersticht den Leutnant, lässt die Leiche liegen und macht sich fluchtartig auf die Reise nach Venedig. In der Vaterstadt tritt er den Dienst als Spion an und frohlockt: Bald wird er den ersten Freigeist in die Bleikammern bringen, die er aus eigener Anschauung nach so langer Zeit noch so gut in Erinnerung hat.[Anmerkung 1]
Schnitzler über seine Novelle
- Casanova habe zwar Voltaire in Ferney aufgesucht und der Verführer habe auch in seinem sechsten Lebensjahrzehnt für Venedig als Spion gedient, doch die ganze Novelle sei eine Erfindung.[4]
- Die Expressionisten werfen Schnitzler Umständlichkeit vor. Der Autor erwidert: „Erzählen heißt ihnen nun umständlich sein. Expressionistischer Wahn!“[5]
Interpretationen
- Schnitzler schreibt gegen die Erwartung des Lesers an: Kein Abenteurer Casanova handelt. Der Ermüdete will heim nach Venedig.[6] Gegen das Altern ist auch für einen Casanova kein Kraut gewachsen.[7]
- Sprengel[8] und Scheffel[9] weisen auf autobiographische Elemente in der Novelle hin. Zum Beispiel habe Schnitzler als 53-Jähriger in der Erzählung über den 53-jährigen Casanova geschrieben.
- Die Lektüre der Lebenserinnerungen Casanovas (Geschichte meines Lebens), 1913 in deutscher Sprache erschienen, habe Schnitzler zu der Novelle angeregt.[10]
- Nach Le Rider siegt in dem Duell das Morbide über das Leben.[11] Marcolina sei mit ihrem überlegenen Geist die Ausnahme unter den Frauengestalten Schnitzlers.[12] Schnitzler, der die Novelle gegen Ende des Ersten Weltkriegs schrieb, habe sich vor der Wirklichkeit in das 18. Jahrhundert geflüchtet.[13]
Verfilmung
Die Novelle wurde 1992 von Édouard Niermans als Casanovas Rückkehr mit Alain Delon in der Titelrolle verfilmt. Im Film wird angedeutet, dass die älteste Tochter Amalias Casanovas Kind ist.
Literatur
- Quelle
- Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt. S. 269–378 in Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt. Erzählungen 1909 - 1917. Mit einem Nachwort von Michael Scheffel. S. Fischer, Frankfurt am Main 1961 (Ausgabe 1999). ISBN 3-10-073553-6
- Ausgaben
- Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt. Novelle. S. Fischer Verlag Berlin 1918.
- Erstausgabe als Buch.
- Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt. Von Cynthia Kittler illustrierte Neuausgabe, Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-86406-061-8
- Johannes Pankau (Hrsg.): Arthur Schnitzler: Casanovas Heimfahrt. Novelle. 2003. (Reclams Universal-Bibliothek. 18160.) ISBN 978-3-15-018160-7
- Sekundärliteratur
- Giacomo Casanova, Chevalier de Seingalt: Die Erinnerungen des Giacomo Casanova. Vollständig übertragen von Heinrich Conrad. Mit einer Einleitung von Friedrich Freksa. Casanovas Erinnerungen in sechs Bänden. Verlag Georg Müller, Leipzig 1911–1913.
- Giacomo Casanova. Memoiren. Titel des Originals "Mémoires"; aus dem Französischen übertragen und zeitgemäß bearb. von Nora Urban. Klagenfurt: Neuer Kaiser Verlag GmbH 1089. Neuauflage 2005, ISBN 3-7043-2114-1
- Hartmut Scheible: Arthur Schnitzler. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg Februar 1976 (rowohlts monographien.) ISBN 3-499-50235-6
- Michaela L. Perlmann: Arthur Schnitzler. Stuttgart 1987. (Sammlung Metzler. 239.) ISBN 3-476-10239-4
- Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Arthur Schnitzler. Verlag edition text + kritik, Zeitschrift für Literatur, Heft 138/139, April 1998. ISBN 3-88377-577-0 2., aktualisierte Auflage 2019.
- Gesa Dane: "Im Spiegel der Luft". Trugbilder und Verjüngungsstrategien in Arthur Schnitzlers Erzählung "Casanovas Heimfahrt". S. 61–75 in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Arthur Schnitzler. Verlag edition text + kritik, Zeitschrift für Literatur, Heft 138/139, April 1998. ISBN 3-88377-577-0
- Klaus Mönig: Casanovas Heimfahrt. Alterskrise als Identitätsverlust. S. 172–189 in: Hee-Ju Kim und Günter Saße (Hrsg.): Interpretationen. Arthur Schnitzler. Dramen und Erzählungen. Stuttgart 2007. (Reclams Universal-Bibliothek. 17352.) ISBN 978-3-15-017532-3
- Barbara Neymeyr: Die Entzauberung des Mythos: Schnitzlers Novelle Casanovas Heimfahrt als subversive Charakterstudie im Spannungsfeld intertextueller Bezüge vom Barock bis zur Décadence. In: Textschicksale. Das Werk Arthur Schnitzlers im Kontext der Moderne. Hrsg. von Wolfgang Lukas und Michael Scheffel. Berlin/Boston 2017. S. 139-170. ISBN 978-3-05-006470-3
- Jacques Le Rider: Arthur Schnitzler oder Die Wiener Belle Époque. Aus dem Französischen von Christian Winterhalter. Passagen Verlag Wien 2007. ISBN 978-3-85165-767-8
Weblinks
Anmerkungen
- Giacomo Casanova war im Jahr 1756, nach 15-monatiger Haft, die Flucht aus den Bleikammern gelungen.
Einzelnachweise
- Quelle, S. 489/490
- Quelle, S. 315, 10. Z.v.o.
- Quelle, S. 338, 11. Z.v.u.
- Anmerkung des Autors, siehe Quelle, S. 378 unten
- Schnitzler, zitiert bei Scheible, S. 112, 6. Z.v.o.
- Perlmann, S. 161 unten
- Dane, S. 72, 20. Z.v.o.
- Sprengel, S. 242
- Scheffel im Nachwort der Quelle, S. 486
- Scheffel im Nachwort der Quelle, S. 485 unten
- Le Rider, S. 127, 22. Z.v.o.
- Le Rider, S. 128, 9. Z.v.u.
- Le Rider, S. 193, 14. Z.v.o.