Deixis
Deixis (/ˈdɛɪ̯ksɪs/ zu altgriechisch δείκνυμι deíknymi „zeigen“), auch Indexikalität, ist ein Fachbegriff der Sprachwissenschaft, insbesondere der Pragmatik. Deixis bezeichnet die Bezugnahme auf Personen, Gegenstände, Orte und Zeiten im Kontext sprachlicher Äußerungen,[1] die mithilfe von deiktischen oder indexikalischen Ausdrücken wie ich, du, dieses, jenes, dort, hier, morgen, heute … erfolgt. Ein deiktischer Ausdruck wird Deiktikon (Plural Deiktika) genannt.
Das versprachlichende Subjekt – der Sprachproduzent oder Sprechende – ist die Instanz der Deixis und ihr Bezugspunkt. Der Bezugspunkt der Deixis wird Origo („Ursprung“) genannt und entspringt aus dem Akt des Sprechens. Die in Bezug auf diese Origo erstellte sprachliche Ordnung ist eine eigene. Ihre Zeitstrukturen sind nicht die der physikalischen Zeit oder der außersprachlichen Wirklichkeit. Mittelpunkt eines deiktischen Ordnungssystems ist die Sprechsituation, der Zeitpunkt des Sprechens die Origo für temporale Beziehungen, mit denen vorzeitig, gleichzeitig oder nachzeitig situiert werden.[3][4]
Ähnliches gilt für den Verweis auf räumliche Beziehungen, auf Gegenstände oder auf Personen. Die Sprechenden werden jeweils zur Instanz für „ich“, „eigen“, „hier“ und „jetzt“. Die Person des Sprechers stellt durch Bezug auf sich ein deiktisches Zentrum dar, das als Ursprung seines sprachlichen Bezugssystems fungiert.
Durch die Verbindung zwischen Sprecher und Sprache kommt ein semiotischer Prozess zustande, in dem vom Sprecher ausgehend ein Tatbestand zur Sprache gebracht oder ein Ereignis sprachlich dargestellt wird. Dabei kann die Deixis als ein Vorgang aufgefasst werden, bei dem der Sprecher als Origo das Darzustellende an gewisse semantische Domänen[5] verweisen und so „verorten“ kann beziehungsweise muss.[6]
Ein Satz ist eine aus einem Wort oder mehreren Wörtern bestehende in sich geschlossene sprachliche Einheit,[7] mit der ein Sprechakt vollzogen wird. Sätze bzw. die Worte eines Satzes können aber erst interpretiert werden, wenn der Hörer oder Rezipient weiß, in welchem Kontext oder in welcher Situation sie versprachlicht wurden. Für die Verständigung sind situationsgebundene Ausdrücke notwendig, fungieren sie doch gewissermaßen als Wegweiser innerhalb der Sprache, indem sie auf einen Referenten verweisen.[8] Deiktische Ausdrücke verweisen aus der Sprache heraus (exophorisch) in die Situation, im Gegensatz zu der Anaphorik (endophorisch). Sie verweist auf die vorausgegangene Rede bzw. den vorangegangenen Text.
Die Deixis als eine semantische Komponente bezieht sich auf die relative Orientierung zwischen dem Sprecherort, einem Bezugsbereich und einem Verweisbereich (siehe auch Tempussystem von Reichenbach), der sich wiederum in Personal-, Raum- oder Zeitdeixis aufteilt bzw. unterscheidet. „Hier“ gehört zu einem anderen deiktischen Begriffssystem als „jetzt“ und damit zum Gegensatz zwischen Lokalität und Temporalität. „Vorhin“ referiert auf eine andere Zeitrelation als „bald“ und zeigt die Vorzeitigkeit gegenüber der Nachzeitigkeit auf.[9]
Überblick
Eine Sprechsituation ist eine Situation, in der ein Sprechakt vollführt wird. Sie fasst im weitesten Sinne alle Informationen zusammen, die während des Sprechaktes implizit gegeben sind, also nicht explizit verbal geäußert werden. Dazu gehören beispielsweise der Raum, in dem sich die Kommunizierenden befinden, das Weltwissen, über das die am Sprechakt beteiligten Personen verfügen, oder Informationen über den Zeitpunkt, zu dem kommuniziert wird.
Grundsätzlich sind die Kategorien Raum und Zeit die wichtigsten Bereiche menschlicher Orientierung. Die Grundfunktionen der Sprache sind die Darstellung der Räumlichkeit und die der Zeitbezüge von Handlungen, Sachverhalten oder Tatbeständen. Man erfasst die zu versprachlichenden Relationen des Raumes als dreidimensional und statisch und die der Zeit als eindimensional und dynamisch, was eine lineare Orientierungsrichtung im Sinne einer Zeitlinie zur Folge hat.
Wenn ein Sprecher und ein Zuhörer oder einfach Hörer in einer gemeinsamen Sprechhandlung eintritt, gelingt es dem Sprecher vermittels deiktischer Ausdrücke die Aufmerksamkeit des Hörers auf spezifische Charakteristika eines sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer gemeinsamen Bezugs- oder Verweisraum zu fokussieren. Im einfachsten Fall findet die Sprechhandlung in einem für beide reziprok zugänglichen und sinnlich erlebbaren Wahrnehmungsraum statt, hier ist der Verweisraum auch der Wahrnehmungsraum. Allgemein kann man aber in einem Verweisraum einen Nähebereich von einem Fernbereich unterscheiden, etwa hier als Ausdruck der Nähe, da die nahe Ferne und dort drüben als Ausdruck der fernen Ferne. Deiktische Ausdrücke beschreiben oder besser verweisen auf einzelne Charakteristika dieses Wahrnehmungsraumes, so:
- die an der Kommunikation beteiligten Akteure, also Sprecher und Hörer (Personendeixis)
- den Sprechort (Lokal- oder Ortsdeixis)
- die Sprechzeit (Temporal- oder Zeitdeixis)
- die Objekte im Verweisraum (Objektdeixis).[10]
Die Deixis strukturiert sich sprecherzentriert, das deiktische Zentrum ist der Sprecher als zentrale Person, ebenso geht von diesem Zentrum die zentrale Zeit als der Zeitpunkt aus, an dem die Äußerung entsteht sowie als zentraler Ort jener der den Aufenthaltsort des Sprechers zur Äußerungszeit angibt.
Deiktische Ausdrücke sind solche Ausdrücke, die sich auf eine dieser nicht verbal gegebenen Informationen beziehen, deren Bedeutung also erst in der bestimmten Sprechsituation ersichtlich wird.[11] Man nennt solche Ausdrücke auch indexikalische Ausdrücke, deiktische Ausdrücke, Indexausdrücke,[11] Deiktika[11] (Singular: Deiktikon), Indikatoren oder auch Zeig(e)wörter.
„Deiktisch sind jene Ausdrücke, die auf die personellen, temporalen oder lokalen Charakteristika der Sprechsituation verweisen, z. B. ich – du, jetzt – dann, hier – da.“
Die Deixis wird je nach Situation und Standpunkt entweder der Semantik oder der Pragmatik zugeordnet, oder auch als deren Bindeglied gesehen.[12]
Reale Deixis, Anapher und „Deixis am Phantasma“
In einer kommunikativen Situation markiert der Sprecher bzw. Adressat mit der Äußerung „Ich“ (nach Karl Bühler (1934)[13] Hier-Jetzt-Ich-Origo oder deiktisches Zentrum) einen deiktischen Referenz- oder Ausgangspunkt für seine Rede. Er erlaubt und fordert eine personelle, räumliche und zeitliche Orientierung. Hier setzt den Ort, an dem der Sprecher sich im Augenblick der Äußerung aufhält, jetzt beschreibt den Moment der Äußerung. Der Zuhörer wird in der weiteren Folge der Erzählung eine solche nur verstehen und mit den entsprechenden Adverbien, wie etwa gestern, morgen, dort, hinten umgehen können wenn dieser Ausgangspunkt markiert wurde.[14]
Mit dem Beginn der Rede des Sprechers wird die Hier-Jetzt-Ich-Origo markiert. Es zeigt sich aber, dass diese Origo im Verlauf der Rede verschoben wird. Befinden sich Sprecher und Zuhörer im selben Handlungsrahmen, identifiziert sich die Origo mit geringerem Aufwand als in Situationen, in denen Sprecher und Hörer bzw. Leser sich in unterschiedlichen Gefügen aufhalten. Hier gilt es dem Adressaten zu signalisieren, wo der deiktische Referenzpunkt seinen Ausgang nimmt. Danach kann der Hörer durch die Anwendung deiktischer Ausdrücke und den Verweis auf Zeitpunkte, Zeiträume, Orte und handelnde Subjekte die Rede identifizieren. Deiktische Ausdrücke sind Teil unterschiedlicher Wortarten. Deiktische Ausdrücke sind nur im Zusammenhang zu der versprachlichten Äußerung verständlich und sind bedeutungsvolle Träger für die kommunikative Verwertbarkeit in der kommunikativen Handlung.
Deiktische Ausdrücke sind Ausdrucksmittel, mit denen ein Sprecher den Hörer in einem Verweisraum (Situation, Vorstellung, Text, Diskurs) orientiert. Basis ist die Hier-Jetzt-Ich-Origo (lateinisch hic-nunc-ego-Origo), wie sie Karl Bühler beschrieben hat.[15] Das ist der Nullpunkt (lateinisch origo) des Bezugssystems, von dem aus gezeigt wird.
Der Nullpunkt kann sich aus den realen Ich-Hier-Jetzt-Koordinaten des Sprechers ergeben. Der Verweis auf etwas erfolgt dann „im konkreten Wahrnehmungsraum“[16] des Sprechers.
Daneben gibt es nach Bühler auch das anaphorische Zeigen und die „Deixis am Phantasma“. Bei der Deixis am Phantasma bezieht der Sprecher den Nullpunkt auf einen Punkt, der der Ausgangspunkt seiner Darstellung eines Geschehens sein soll.[16]
Die grammatischen Theorien zur Perspektivierung oder Sprecherperspektive sollen daran anknüpfen.[16]
Dimensionen von Deixis
Es gibt unterschiedliche Deixisauffassungen.[17] (vgl. Indexikalität) Manche Autoren sprechen darüber hinaus von einer sozialen Deixis (auch: Sozialdeixis), die sich auf den sozialen Status der am Sprechakt Beteiligten beziehen lasse (Sie, Du). Die Sozialdeixis wird zum Teil als „Spezifizierung der Personaldeixis“[18] angesehen.
Personaldeixis
Die Personal- oder Personendeixis verweist auf einen Kommunikationspartner, wie z. B. ich, du: Um zu wissen, auf wen oder was diese Deixis zeigt, muss man wissen, wer der Sprecher bzw. Adressat ist, also die Gesprächssituation kennen. Die Worte für die Personaldeixis sind im Deutschen folgende Personalpronomina:
- ich für den Sprecher, der eine Äußerung tätigt
- wir für eine Gruppe, in deren Namen eine Äußerung getätigt wird oder der sich der Sprecher als zugehörig ausdrücken will
- du, ihr und Sie für angesprochene Personen, also die Adressaten, denen eine Äußerung als Botschaft zugedacht ist. Dabei wird zwischen Adressaten, die dem Sprecher soziolinguistisch nahestehen (du/ihr) und solchen, die dem Sprecher oder seiner Gruppe fernstehen (Sie) unterschieden.
In Pro-Drop-Sprachen oder Nullsubjektsprachen, in denen das Subjekt(-Personalpronomen) nicht oder nicht immer realisiert wird, kann das personaldeiktische Subjekt allein durch das konjugierte Verb, also dessen Personalform ausgedrückt und eindeutig bestimmt werden. Beispiel Tschechisch:
- píšu – „ich schreibe“
- píšeš – „du schreibst“
Lokale Deixis und Objektdeixis
Die Lokal- oder Ortsdeixis verweist auf einen kommunizierten Ort. Lokaladverbien wie hier, dort oder Pronominaladverbien wie dahin, daher können mit Bezug auf den Sprecher bzw. den Hörer auf Näheres oder Ferneres verweisen. Die Bezeichnung von Orten relativ zum Aufenthaltsort der Teilnehmer der Sprechhandlung wird durch die lokale Deixis gewährleistet (siehe auch räumliche Relation). Damit konstituiert die Lokaldeixis die (menschliche) Dreidimensionalität des Raumes, in dem Objekte verortet werden können. Will der Sprecher etwa ein Objekt identifizieren, so kann er es benennen, beschreiben und/oder im Raum lokalisieren. Hierbei kann ein Objekt, das es zu bezeigen gilt, mindestens danach unterscheiden werden, ob es bezüglich des Sprechers ein nahes oder ein fernes ist. Diese grundlegende Unterscheidung nach Nähe – nahe oder proximal – und Ferne – fern oder distal – kann weiter differenziert werden. Bei medialer lokaler Deixis wird für Lagebeziehungen im Raum mit Bezug auf den Hörer verwiesen, etwa auf ein Objekt in der Nähe des Hörers.
Stufen lokaler Deixis
In Anlehnung an die Person des Sprechers (1. Person) und des Hörers (2. Person) können die folgenden Stufen lokaler Deixis unterschieden werden:
- Proximal, Nahdeixis, Deixis der ersten Person: Es wird auf den Sprecher (ich), auf den Raum in der Nähe des Sprechers (hier), oder einen Gegenstand bzw. eine Person aus diesem Raum verwiesen (dies),
- Medial, Deixis der zweiten Person: Es wird auf den Hörer (du), den Raum in der Nähe des Hörers (spanisch ahí), oder einen Gegenstand bzw. eine Person aus diesem Raum verwiesen (span. eso, italienisch codesto); im Deutschen gibt es keine besonderen Ausdrucksmittel für die mediale lokale Deixis,
- Distal, Ferndeixis, Deixis der dritten Person: Es wird auf eine Person (die so genannte 3. Person), die weder Sprecher noch Hörer ist, auf einen Raum, der von Sprecher und Hörer entfernt ist (dort), oder auf einen Gegenstand bzw. eine Person aus diesem Raum verwiesen (jener).
- Obvial: Für einige indigene Sprachen Amerikas und im Singhalesischen wird eine weitere (seltene) Stufe angenommen, die obviale lokale Deixis, mit der auf einen Raum verwiesen werden kann, der außerordentlich weit von Sprecher und Hörer entfernt ist.
In den meisten Sprachen ist zumindest eine Unterscheidung von Nahdeixis und Ferndeixis festzustellen. Verfügt eine Sprache über Ausdrucksmittel medialer lokaler Deixis, so verfügt sie auch über eine Unterscheidung von proximal und distal.
Objektdeixis
Die Objektdeixis kann mit Demonstrativpronomen wie dieses, jenes auf ein proximal oder ein distal gelegenes Objekt verweisen.
Temporale Deixis
Die temporale Deixis konstituiert das Erleben von Zeit. Ausgehend von der Äußerungssituation werden durch Bezugnahme auf Zeitpunkte in linearer Betrachtung Zeitintervalle aufgespannt. Die Tempora sind ebenfalls deiktisch, ihre Interpretation ist vom Sprechzeitpunkt und von der konkreten Äußerungssituation abhängig. Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der Beziehung zwischen Sprechzeit und Ereigniszeit. Die Deixis ist ichbezogen, der Sprecher zentrale Person und auch temporal ein deiktisches Zentrum. Die zentrale Zeit ist der Zeitpunkt, in welchem der Sprecher sich äußert; der zentrale Ort ist der Aufenthaltsort des Sprechers zu dieser Äußerungszeit.
Durch die grammatische Kategorie des „Tempus“ ergibt sich eine Strukturierung, die nicht direkt zur (physikalischen) Zeit in Beziehung zu setzen ist, sondern stets auf den Sprechzeitpunkt S bezogen werden muss (Ereigniszeit E – Sprechzeit S – Referenzzeit R) und Relationen zum Ausdruck bringen kann (Vorzeitigkeit – Gleichzeitigkeit – Nachzeitigkeit). Im Sinne der Terminologie von Hans Reichenbach sind zur semantischen Bestimmung der Tempora verschiedene Zeiten unterschieden worden.
Nach Horst G. Klein (1969)[19] ist das Tempus deiktisch-relational, d. h., es verweist auf eine Zeitspanne, die relativ zur kontextuellen Sprechzeit S gegebenen ist. Während Tempora Ereignisse E in der Vergangenheit, Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit in Abhängigkeit zum Sprechzeitpunkt S aufzeigen, werden Aspekt und Aktionsart als nicht-deiktische Zeitkategorien angesehen. Bei den beiden Letzteren geht es nicht um die „Verortung“ eines Geschehens auf einem (virtuell-metaphorischem) Zeitstrahl.
Die menschliche Gattung entwirft Zeit metaphorisch nach dem Verständnis des Raumes, der „Zeitraum“. Nachdem eine Hier-Jetzt-Ich-Origo markiert wurde gibt es ein „Vorher“ und „Nachher“. Wenn der Sprecher äußert, dass etwas „jetzt“ stattfände, dann versprachlicht man, dass Ereigniszeit und Sprechzeit zusammenfallen. Durch die Anwendung weitere temporaler Deiktika kann ausgehend von der Sprechzeit und dann relativ zu dieser das Ereignis eingeordnet werden, etwa in der Reihenfolge:
einst – neulich – vorhin – jetzt – sofort – gleich – nachher – bald – demnächst – in ferner Zukunft[20]
Zu beachten sei, dass unterschiedliche Sprachen andere Ordnungen anbieten. Die temporale Deixis bestimmt Zeitpunkte oder Zeitspannen relativ zum Sprechzeitpunkt S. Wesentliches Merkmal einer sich daraus bildenden Zeitrelation ist, dass sie die Zeit der Handlung, des Ereignisses oder Vorfalls auf die der gesprochene oder geschriebene Satz verweist mit der Zeit der Äußerung in Beziehung setzt. Solch einen gesetzten Zeitpunkt nennt man auch Kodierungszeit. Die Kodierzeit kann von der Rezeptionszeit, die Zeit, in der die Äußerung vom Adressaten empfangen wird, abweichen. Stimmen aber beide überein so handelt es sich um eine deiktische Simultanität. Insbesondere in der schriftlichen Kommunikation tritt dies aber selten auf. Dann muss entschieden werden, ob das deiktische Zentrum beim Sprecher und der Kodierungszeit bleibt, Beispiel „Ich schreibe diesen Brief, während ich im Café sitze“ oder auf den Adressaten und die Rezeptionszeit projiziert werden soll wie in „Ich schrieb diesen Brief, während ich im Café saß“.[21] Aus der Kodierungszeit leitet sich die Fundamentalopposition zeitdeiktischer Relationen ab; sie teilt in ein „Jetzt“ und ein „Nicht-Jetzt“. Durch die Tempora Gegenwart (Präsens), Vergangenheit (Präteritum) oder Zukunft (Futur), Zeitadverbien wie dann, nachher, heute, jetzt, übermorgen oder komplexe Zeitadverbiale wie letzten Freitag mit einem deiktischen Modifikator (letzten) und einer Angabe nicht-deiktischer Art (Freitag) kann die Zeitdeixis grammatikalisiert werden.
Die Tempora[22] sind also deiktisch, sie lassen sich nur dann verstehen und interpretieren, wenn der Sprechzeitpunkt S bekannt ist bzw. Kenntnis der konkreten Äußerungssituation vorliegen. Die Sprechzeit S ist ein Zeitmoment, sie bezieht sich auf den Augenblick des Sprechens. Betrachtet man die Tempusformen, so ist beim Präsens der Sprechzeitpunkt identisch mit dem Ereigniszeitpunkt E, beim Präteritum liegt der Ereigniszeitpunkt E vor dem Sprechzeitpunkt S und beim Futur befindet sich der Ereigniszeitpunkt E nach Sprechzeitpunkt S. Die Ereigniszeit E einer Aussage ist das Zeitintervall, in dem der ausgedrückte Zustand gilt oder die versprachlichte Handlung oder das Ereignis sich abspielt. Diese Terminologie stammte von dem Philosophen Hans Reichenbach.[23][24] Er beschrieb die Tempora mittels zweier Relationen zwischen den zuvor genannten drei Bezugspunkten. Für die Charakterisierung der verschiedenen Tempusformen wurde die Relation zwischen der Sprechzeitpunkt S und dem Referenzpunkt R gesetzt sowie diejenige zwischen dem Ereigniszeitpunkt E und dem Referenzpunkt R. In seinem von ihm ursprünglich formulierten Ansatz konnten aber nur temporale Relationen zwischen diesen drei Bezugspunkten beschrieben werden. Weiterentwicklungen seiner Theorie waren dann auch in der Lage komplizierte Beschreibungen der Vergangenheitstempora, wie etwa die des Imperfekts zu erklären. So entwickelte etwa Rainer Bäuerle dieses ursprüngliche Modell weiter.[25][26]
Bei der Zeitrelation des Präsens überlappen sich der Sprechzeitpunkt S und der Referenzpunkt R, bei der Vergangenheit geht der Referenzpunkt R dem Sprechzeitpunkt S vollständig voraus und bei der Zeitrelation des Futurs geht die Sprechzeit S der Referenzzeit R voraus. Die Referenzzeit R in einer Aussage wird als ein von der Sprechzeit S unterschiedenes Zeitintervall verstanden um das Ereignis oder die Handlung auf der Zeitachse zu lokalisieren. Es ist das Intervall, auf das in einem Satz referiert wird und das durch z. B. ein temporales Adverb eingeleitet wird.
Die für die temporale Zeigefunktion notwendige „Zeitachse“ lässt sich mit drei weiteren Bezugspunkten erläutern; diese sind der Sprechzeitpunkt, englisch point of speech S oder auch die deiktisch situierte Sprechzeit englisch time of utterance, dann der Moment der Äußerung, der Ereignispunkt englisch point of event, E, also die Situierung des Ereignisses welches auf der Zeitachse bezeichnet werden soll und der Referenzpunkt, englisch point of reference R, also der Punkt von dem aus das Ereignis situiert wird.[27][28] Dabei ist das temporal-deiktische Zentrum sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer der Sprechzeitpunkt S.[29] Für die vollständige temporal-deiktische Bestimmung eines Ereignisses sind zwei Angaben vonnöten, die Handlungszeit oder Zeitrelation und der Referenzpunkt R.[30]
Die temporale oder auch Temporaldeixis verweist auf eine Kommunikationszeit, wie z. B. jetzt, dann, gestern, morgen: Ein Bezug zum Äußerungszeitpunkt wird hergestellt. Temporaldeixis meint einen deiktischen Ausdruck, der sich auf die zeitliche Dimension der Sprechsituation bezieht. Im Vergleich zu den personal- oder objektdeiktischen Ausdrücken sind die temporaldeiktischen Ausdrücke weniger konkret, da sich die Zeit sinnlichen Zeigehilfen entzieht. Dadurch muss aus der Abfolge der Ereignisse abgeleitet werden. Während die Personendeixis oder Ortsdeixis räumlich wirken ist die temporale Zeigefunktion linear, wobei die Handlungszeit oder Zeitrelation im Verhältnis zur Sprechzeit vorzeitig, gleichzeitig oder nachzeitig sein kann.[31]
Textdeixis
Die Text- oder Diskursdeixis bezieht sich auf vorangehende bzw. folgende Elemente eines Textes: In vielen Sprachen können hierfür auch Demonstrativpronomina verwendet werden. (Was ich sagen will, ist dies/Folgendes: …)
Deixisflexion
Deixis kann nicht nur durch freie Wörter, etwa Demonstrativpronomina, ausgedrückt werden, sondern auch durch gebundene Morpheme, etwa durch an das Substantiv anfügbare Suffixe – so etwa im Mazedonischen:
žena (unbestimmt: ‚(eine) Frau‘) žena=ta (bestimmt-medial: ‚die Frau‘) žena=va (bestimmt-proximal: ‚diese Frau hier‘) žena=na (bestimmt-distal: ‚jene Frau dort‘)
Dabei kongruiert das jeweilige Suffix flexivisch mit dem dazugehörigen Substantiv in Genus und Numerus:
Plural: ženi=te (medial), ženi=ve (proximal), ženi=ne (distal)
Siehe auch
Literatur
- Hadumod Bußmann (Hrsg.): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0.
- Dmitriĭ Olegovich Dobrovol’skij: Deiktische Konstruktionen des Deutschen aus lexikographischer Perspektive. Russian Academy of Sciences, Russian Language Institute, S. 1282–1290
- Holger Diessel: Demonstratives. Form, Function and Grammaticalisation. Benjamins, Amsterdam 1999, ISBN 1-55619-656-3. (Typological studies in language; Bd. 42)
- Gabriele Diewald: Deixis und Textsorten im Deutschen (= Germanistische Linguistik. Band 118). Niemeyer, Tübingen 1991, ISBN 3-484-31118-5 (Nachdruck: De Gruyter, Berlin/Boston 1991, ISBN 3-11-137640-0).
- Konrad Ehlich: Verwendungen der Deixis beim sprachlichen Handeln. Linguistisch-philologische Untersuchungen zum hebräischen deiktischen System. Lang, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-8204-6308-9.
- Claus Ehrhardt, Hans Jürgen Heringer: Pragmatik. Fink, Paderborn 2011, S. 19–29. (Deixis und Anaphorik)
- Charles J. Fillmore: Ansätze zu einer Theorie der Deixis. S. 147–174
- Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler-Lexikon Sprache. 3., neubearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-02056-8.
- Wolfgang Klein, Willem J.M. Levelt: „Sprache und Kontext“, in: Naturwissenschaften 65 (1978), S. 328–335
- Stephen C. Levinson: Pragmatik, Niemeyer, Tübingen 2000, ISBN 3-484-22039-2
- Hans Reichenbach: Elements of Symbolic Logic. MacMillan Co., New York 1947
- Angela Schrott: Einzelaspekt: Tempus und Aspekt. In: Ingo Kolboom, Thomas Kotschi, Edward Reichel (Hrsg.): Handbuch Französisch. Sprache – Literatur – Kultur – Gesellschaft. Erich Schmidt, Berlin 2003, ISBN 978-3-503-09830-9, S. 292–295.
- Klaus Sennholz: Grundzüge der Deixis. Studienverlag Brockmeyer, Bochum 1985. (Bochumer Beiträge zur Semiotik, 9) Erich Schmidt, Berlin 2003, ISBN 978-3-88339-462-6, S. 292–295.
- Truls Wyller: Indexikalische Gedanken. Über den Gegenstandsbezug in der raumzeitlichen Erkenntnis. Alber, Freiburg/München 1994, ISBN 3-495-47789-6.
- Gisela Zifonun u. a.: Grammatik der deutschen Sprache, de Gruyter, Berlin 1999, ISBN 1-55619-656-3.
Weblinks
- David Braun: Indexicals. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Hardarik Blühdorn: Zur Semantik der Konjunktion als. Paradigmatische und syntagmatische Aspekte. In: Linguistik online. Band 13, Nr. 1, 2003, S. 11–53, doi:10.13092/lo.13.869 (bop.unibe.ch [abgerufen am 13. April 2020]).
- Linguistische Grundlagen des Deixisbegriffs. S. 86–140, ellenfricke.de, Textauszug
- Hans Lösener: Die Origo der Subjektivität: ich, jetzt, hier bei Bühler und Benveniste. S. 155–165 in Abraham P. ten Cate; Reinhard Rapp; Jürg Strässler; Maurice Vliegen; Heinrich Weber (Hrsg.): Grammatik – Praxis – Geschichte. Festschrift für Wilfried Kürschner. Narr Francke Attempto, Tübingen 2010, ISBN 978-3-8233-6604-1
- Sprechakte – Actos de habla o Actos verbales. (Recop.) Justo Fernández López. Hispanteca.
- Jörg Meibauer: Deixis und Referenz.
- Jörg Meibauer: Pragmatik: Grundlagen, Entwicklung, Störung.
- W. Klein: Deiktische Orientierung. In M. Haspelmath, E. König, W. Oesterreicher, W. Raible (Hrsg.): Sprachtypologie und sprachliche Universalien. Bd.1/1, de Gruyter, Berlin 2001, S. 575-590; Textauszug
Einzelnachweise
- Claus Ehrhardt; Hans Jürgen Heringer: Pragmatik. (UTB 3480), Fink, Paderborn 2011, ISBN 3-8252-3480-0, S. 147.
- vergleiche hierzu auch den Begriff der „Sprechzeit“ (S) in der Terminologie des Tempussystem von Hans Reichenbach.
- Vergleich auch mit der Terminologie von Hans Reichenbach Sprechzeitpunkt S (die den Moment des Sprechens beschreibt, auch Sprechzeit oder Äußerungszeit, Äußerungszeitpunkt, Sprechakt, S point of speech)
- Joachim Born, Robert Folger, Christopher F. Laferl, Bernhard Pöll (Hrsg.): Handbuch Spanisch, Sprache, Literatur, Kultur, Geschichte in Spanien und Hispanoamerika. Für Studium, Lehr, Praxis. Erich Schmidt, Berlin 2013, ISBN 978-3-503-13793-0, S. 329
- Die semantischen Domänen definieren die Mengen der semantischen Werte, denen syntaktische Konstrukte zugeordnet werden können. Eine semantische Domäne stellt jeweils die Menge aller möglichen Ergebnisse für eine bestimmte semantische Funktion dar. In diesen Domänen, bestimmt über die allen gemeinnsame Attribute verschiedener Wörter, spiegelt sich ein Hauptcharakteristikum der Bedeutung eines Wortes wider durch seine Stellung in Relation zu den anderen Wörtern einer Domäne.
- Gabriele Diewald: Die Modalverben im Deutschen: Grammatikalisierung und Polyfunktionalität (= Germanistische Linguistik. Band 208). Doktorarbeit Universität Erlangen-Nürnberg 1998. Niemeyer, Tübingen 1999, ISBN 3-11-094594-0, S. 167 (Nachdruck: De Gruyter, Berlin/Boston 2012, ISBN 978-3-11-094594-2).
- Wolf Tugendhat: Logisch-semantische Propädeutik. 1983, S. 22: „die kleinste Verständigungseinheit“, womit eine Sprechhandlung vollzogen wird.
- Peter Auer (Hrsg.): Sprachwissenschaft. Grammatik-Interaktion-Kognition. J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02365-0, S. 14.
- Veronika Ehrich: Hier und jetzt: Studien zur lokalen und temporalen Deixis im Deutschen. Bd. 283, Linguistische Arbeiten, Walter de Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-135393-1, S. 3.
- Deixis. Projekt zur Entwicklung und Erprobung von Online-Tutorien für den Schwerpunkt Sprach- und Kommunikationswissenschaft, TU Berlin 2007
- Indexikalität. In: Arnim Regenbogen, Uwe Meyer (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Meiner, Hamburg 2005.
- Deixis. In: Hadumod Bußmann (Hrsg.) unter Mitarbeit von Hartmut Lauffer: Lexikon der Sprachwissenschaft. 4., durchgesehene und bibliographisch ergänzte Auflage. Kröner, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-520-45204-7.
- Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. G. Fischer, Jena 1934; 2., unveränd. Auflage mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz, G. Fischer, Stuttgart 1965; 3. Auflage. G. Fischer, Stuttgart [u. a.] 1999 (UTB für Wissenschaft; 1159).
- Claus Ehrhardt, Hans Jürgen Heringer: Pragmatik. W. Fink, Paderborn 2011, ISBN 978-3-7705-5168-2, S. 19–29.
- Karl Bühler: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien 1978, S. 102 ff. (Erstausgabe 1934)
- Christa Dürscheid: Syntax. Grundlagen und Theorien. 5. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-8252-3319-8, S. 177. (UTB, 3319)
- Vgl. Vater: Referenz-Linguistik. 2005, S. 16.
- Ehrhardt, Heringer: Pragmatik. Fink, Paderborn 2011, S. 134. (UTB 3480)
- Horst G. Klein: Das Verhalten der telischen Verben in den romanischen Sprachen erörtert an der Interferenz von Aspekt und Aktionsart. Egelsbach, Frankfurt am Main 1994/ Hänsel-Hohenhausen, Washington 1994. zugleich: Dissertationsschrift, Frankfurt (Main) 1969.
- Claus Ehrhardt, Hans Jürgen Heringer: Pragmatik. W. Fink, Paderborn 2011, ISBN 978-3-7705-5168-2, S. 25.
- Nam-Seok Lee: Deixis und Honorifica: allgemeine deiktische Phänomene und die pragmatische Komponente des Koreanischen. Bd. 421, Tübinger Beiträge zur Linguistik, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1996, ISBN 3-8233-5086-2, S. 90 f.
- Björn Rothstein: Tempus. Winter, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-8253-5310-0.
- Hans Reichenbach: Elements of Symbolic Logic. Macmillan Co., New York 1947.
- Martin Becker: Die Ingredienzen des romanischen Imperfekts (Memento des Originals vom 13. Januar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF.) In: Günther Grewendorf, Arnim von Stechow (Hrsg.): Linguistische Berichte. Heft 221. Helmut Buske, Hamburg 2010, ISSN 0024-3930, S. 79–108.
- Rainer Bäuerle: Temporale Deixis, temporale Frage, zum propositionalen Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Ergebnisse und Methoden moderner Sprachwissenschaft 5, Narr, Tübingen 1979, ISBN 3-87808-305-X
- Sebastian Löbner: Ansätze zu einer integralen semantischen Theorie von Tempus, Aspekt und Aktionsarten. In: Veronika Ehrich, Heinz Vater (Hrsg.): Temporalsemantik. Niemeyer Verlag, Tübingen 1988, S. 163–191.
- Hans Reichenbach: Elements of Symbolic Logic. Macmillan Co., New York 1947.
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- Andreas Rohde: Verbflexion und Verbsemantik im natürlichen L2-Erwerb. Gunter Narr Verlag, Tübingen 1997, ISBN 3-8233-4716-0, S. 16.
- Helmut Berschin, Julio Fernández-Sevilla, Josef Felixberger: Die Spanische Sprache. Verbreitung, Geschichte, Struktur. 3. Auflage. Georg Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2005, ISBN 3-487-12814-4, S. 215–218.
- Rolf Eberenz: Tempus und Textkonstitution im Spanischen: eine Untersuchung zum Verhalten der Zeitform auf Satz- und Textebene. Bd. 153 Tübinger Beiträge zur Linguistik, Gunter Narr Verlag, Tübingen 1981, ISBN 3-87808-153-7, S. 44