Cizre
Cizre ([dʒizˈɾe], kurdisch Cizîr, auch Cizîra Botan; arabisch جزيرة ابن عمر, DMG Dschazīrat Ibn ʿUmar; aramäisch ܓܙܝܼܪܵܐ Gziro) ist eine türkische Stadt und ein Landkreis in der Provinz Şırnak in Südostanatolien. Die Stadt vereint etwa 85 % der Landkreisbevölkerung, die überwiegend kurdischer Abstammung ist.
Cizre | ||||
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Lage von Cizre in der Provinz Şırnak | ||||
Basisdaten | ||||
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Provinz (il): | Şırnak | |||
Koordinaten: | 37° 20′ N, 42° 12′ O | |||
Höhe: | 377 m | |||
Einwohner: | 128.412[1] (2020) | |||
Telefonvorwahl: | (+90) 486 | |||
Postleitzahl: | 73 200 | |||
Kfz-Kennzeichen: | 73 | |||
Struktur und Verwaltung (Stand: 2021) | ||||
Gliederung: | 10 Mahalle | |||
Bürgermeister: | Davut Sinanoğlu | |||
Postanschrift: | Sur Mahallesi Mem U Zin Bulvarı No: 165 73200 Cizre / ŞIRNAK | |||
Website: | ||||
Landkreis Cizre | ||||
Einwohner: | 151.699[1] (2020) | |||
Fläche: | 444 km² | |||
Bevölkerungsdichte: | 342 Einwohner je km² | |||
Kaymakam: | Davut Sinanoğlu | |||
Website (Kaymakam): |
Geografie
Lage
Die Stadt Cizre liegt 45 km von der Provinzhauptstadt Şırnak entfernt an der türkisch-syrischen Grenze am Fluss Tigris. Unmittelbar nördlich der Stadt wurde der Cizre-Staudamm des Tigris errichtet. Cizre markiert den Punkt, an dem der Tigris am weitesten entfernt vom Euphrat ist. Der Tigris ist ab Cizre schiffbar, was der Stadt eine Bedeutung als Hafen gab. In Cizre endet die wichtigste Fernstraße (Fernbusverkehr) in den Südosten der Türkei mit dem Grenzübergang in den äußersten Nordostzipfel Syriens und dem nahegelegenen Grenzübergang (Silopi) in den nordwestlichen Irak (Dreiländereck).
Stadt
Östlich der Stadt erhebt sich der Cudi Dağı (2114 m), an dem nach islamischer Tradition Noah mit seiner Arche Noah gestrandet ist. Die Stadt liegt am nördlichen Ende der Dschazīra-Ebene. In Cizre, der größten Stadt der Provinz, leben mehr als doppelt so viele Menschen wie in der Provinzhauptstadt Şırnak. Die Kreisstadt wird in zehn Stadtviertel (Mahalle) gegliedert, jedes wird im Durchschnitt von 12.841 Menschen bewohnt. Die im Stadtlogo enthaltene Jahreszahl (1908) dürfte auf das Jahr der Ernennung zur Stadtgemeinde (Belediye) hinweisen.
Landkreis
Der Landkreis grenzt im Westen an den Kreis Idil, im Nordwesten an den Kreis Güçlükonak, im Norden an den zentralen Landkreis der Provinzhauptstadt und im Osten und Südosten an den Kreis Silopi. Im Süden verläuft die Staatsgrenze zu Syrien, zum Gouvernement al-Hasaka. Der Landkreis hat die größte Bevölkerung der Provinz und liegt auch mit seiner Bevölkerungsdichte beim Viereinhalbfachen des Provinzdurchschnitts. Der Verstädterungsgrad beträgt 84,65 Prozent.
Verwaltung
Der Landkreis (bzw. Kaza als Vorgänger) bestand schon vor Gründung der Türkischen Republik (1923) im Vilâyet (Provinz) Mardin. Zur ersten Volkszählung nach der Staatsgründung (im Oktober 1927) verzeichnete der Kreis eine Einwohnerschaft von 25.750 in 175 Ortschaften (Mevkiler) auf 760 km² Fläche. Der Verwaltungssitz Djézré (damalige, an das französisch angelehnte Schreibweise) brachte es auf 5.348 Einwohner. Zur folgenden Zählung, acht Jahre später, betrug die Einwohnerzahl des Kreises 28.963.
Ende 2020 besteht der Kreis neben der Kreisstadt mit dem Bürgermeisteramt (Belediye) aus 31 Dörfern (Köy) mit durchschnittlich 751 Einwohnern pro Dorf. Neun davon haben mehr Einwohner als der Durchschnitt, die größten dabei sind: Dirsekli (5.048 Einw., gleichzeitig das größte Dorf der Provinz), Katran (1.607), Düzova (1.276), Korucu (1.217), Çavuş (1.198), Bozalan (1.163) und Güçlü (1.077). Das kleinste Dorf zählt 60 Einwohner (Çağıl).
Bevölkerung
Die Bevölkerung der Stadt nahm entsprechend ihrer Bedeutung vom 19. bis zum 20. Jahrhundert ab. 1890 betrug sie 9.560 und fiel bis 1940 auf 5.575 Einwohner zurück. Seit 1950 ist ein stetiger Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen. Der urbane Anteil am Landkreis hat sich bei ca. 85 Prozent eingependelt.
Der überwiegende Teil der Bevölkerung sind Kurden. In der Vergangenheit gab es auch arabische und aramäische Einwohner.
Volkszählungsergebnisse
Nachfolgende Tabelle gibt die bei den zwölf Volkszählungen dokumentierten Einwohnerstände des Kreises Cizre wieder.
Die fünf oberen Wertezeilen wurden E-Books der Originaldokuments entnommen, die darunter liegenden Werte entstammen der Datenabfrage des Türkischen Statistikinstituts TÜIK – abrufbar über deren Webseite.[2]
Jahr | Gesamt | Kreisstadt | anteilig (%) | ländlich |
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1940 | 21.163 | 5.575 | 26,34 | 15.588 |
1945 | 17.275 | 4.419 | 25,58 | 12.856 |
1950 | 19.588 | 5.425 | 27,70 | 14.163 |
1955 | 25.216 | 5.646 | 22,39 | 19.570 |
1960 | 16.091 | 6.473 | 40,23 | 9.618 |
1965 | 19.367 | 8.662 | 44,73 | 10.705 |
1970 | 22.584 | 11.137 | 49,31 | 11.447 |
1975 | 28.106 | 15.557 | 55,35 | 12.549 |
1980 | 32.633 | 20.003 | 61,30 | 12.630 |
1985 | 44.732 | 29.496 | 65,94 | 15.236 |
1990 | 63.626 | 50.023 | 78,62 | 13.603 |
2000 | 82.042 | 69.591 | 84,82 | 12.451 |
Etymologie
Der antike aramäische Name der Stadt war Gazarta d' Kardū. Unter den Persern hieß sie Gazarta. Auch die Festung Bāzabdā, bekannt aus den Feldzügen Schapurs II., wird mit Cizre oder Eski Hendek[3] gleichgesetzt. Die Abbasiden benannten die Stadt nach ihrem Statthalter Omar in Djasirat-ibn ʿUmar um. Unter den kurdischen Fürsten hieß die Stadt Cizîra Botan. Die Aq Qoyunlu nannten sie Ceziretuşşeref (Ehrenwertes Cizre). Der osmanische Name der Stadt lautete Cezire-i İbn-i Ömer. Nach der Gründung der Türkei 1923 wurde der Name zum heutigen Cizre verkürzt.
Cizre leitet sich vom arabischen Wort Dschazira (arabisch جزيرة ‚Insel‘) ab, da hier der Tigris bei Hochwasser die Stadt wie eine Insel umspült.
Geschichte
Cizre war möglicherweise das Zentrum des eisenzeitlichen Königreiches von Kumme. Im 10. Jahrhundert war die Stadt, zusammen mit Mossul, das Zentrum der ʿUquail.[4] Die Stadt wird mit dem Ort Bāzabdā gleichgesetzt. Dort überquerte Alexander der Große auf seinem Zug gegen die Perser den Tigris. Im Mittelalter gehörte Cizre zu verschiedenen Reichen wie den Marwaniden, den Zengiden und Ayyubiden. Vom 16. Jahrhundert an war Cizre Teil des Osmanischen Reiches.
Die Stadt war vom 15. bis zum 19. Jahrhundert Sitz des kurdischen Fürstentums von Botan, das zeitweise ein Vasall verschiedener Reiche war. Dort herrschte die kurdische Familie der Azizan, deren letzter Herrscher Bedirxan Beg war.
Am 6. September 2015 ist die türkische Armee in die Stadt Cizre, die im kurdischen Teil der Türkei lag, im Zuge einer neuen Eskalation zwischen dem Staat und der PKK einmarschiert. Bei den Kämpfen wurden mehrere Zivilisten getötet.[5]
Im Dezember 2015 kam es in einigen südöstlichen Städten zu Verhängung von Ausgangssperren, so auch in Cizre.[6] Nach Medienberichten aus dem Januar 2016 ist Cizre in vielen Bezirken mittlerweile eine Geisterstadt, ganze Stadtteile seien verwüstet und glichen den Bildern von den umkämpften syrischen Städten. Viele Menschen seien geflohen.[7]
Am 11. Februar 2016 erklärte die türkische Regierung die Militäraktion gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der südostanatolischen Stadt Cizre für beendet. Der Einsatz sei „sehr erfolgreich“ gewesen, sagte Innenminister Efkan Ala. Die Ausgangssperre in Cizre bleibe bis auf Weiteres in Kraft.[8] Am 26. August 2016 kam es bei einem Kontrollpunkt der Polizei zu einem Terroranschlag. Nach Angaben des Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci wurden bei diesem Anschlag mindestens elf Polizisten getötet und 78 weitere verletzt. Zu dem Autobombenanschlag bekannte sich die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK.[9]
Klima
Das Klima ist warm-gemäßigt mit trockenen Sommern, die aber in diesem Bereich besonders heiß sein können (effektive Klimaklassifikation: “Csa”[10]) Cizre hält aktuell mit 48,6 °C den Rekord für die höchste in der Türkei gemessene Temperatur[11]
Cizre (Region Sirnak) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Klimadiagramm | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Cizre (Region Sirnak)
Quelle: Meteoroloji Genel Müdürlüğü, Daten: 1950–2015[13] |
Politik
Bei den Kommunalwahlen 2014 wurde mit Leyla Îmret (BDP) eine 26-jährige Friseurin aus Bremen zur Bürgermeisterin gewählt. Sie erhielt 81,6 Prozent der Stimmen.[14] Imret wurde in Cizre geboren und wuchs seit ihrem siebten Lebensjahr in Deutschland auf. 2013 ging sie in ihren Geburtsort zurück.[15] Am 11. September 2015 wurde sie vom türkischen Innenminister Selami Altınok wegen angeblich „terroristischer Propaganda“ und „Anstiftung zur Rebellion“ ihres Amtes enthoben.[16] İmret wurde im Jahr 2015 einmal und im Folgejahr zweimal festgenommen und anschließend freigelassen. Später floh sie nach Deutschland.
Sehenswürdigkeiten
In Cizre soll sich das Grabmal von Noah befinden. Des Weiteren existiert im Keller der Abdaliye-Medrese eine Türbe, die den Protagonisten des kurdischen Nationalepos Mem û Zîn zugeschrieben wird. Die Große Moschee (Ulu Cami) ist eine der bedeutendsten Moscheen in Südostanatolien. Sie stammt aus dem 13. Jahrhundert.[17]
Sport
In Cizre gibt es den Fussballclub Cizrespor, der während der im September 2018 beginnenden Saison 2018/2019 in der 3. Liga spielte.[18]
Persönlichkeiten
- Ibn al-Athīr (1160–1233), arabischer Historiker
- al-Dschazarī (12./13. Jahrhundert), arabischer Ingenieur, Erfinder und Konstrukteur
- Melayê Cezîrî (1570–1640), kurdischer Gelehrter
- Bedirxan Beg (1802–1868), kurdischer Fürst
- Şerafettin Elçi (1938–2012), kurdischer Politiker
- Tahir Elçi (1966–2015), kurdischer Rechtsanwalt
- Leyla Îmret (* 1987), kurdische Kommunalpolitikerin
Weblinks
- Tarihçe – Geschichte
- Cizre Tarihi – Geschichte
- Viele Infos rund um die Stadt (türkisch)
- N. Elisséeff: Ḏjazīrat Ibn ʿUmar. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition
Einzelnachweise
- Cizre Nüfusu, Şırnak, abgerufen am 26. August 2021
- Genel Nüfus Sayımları (Volkszählungsergebnisse 1965 bis 2000)
- Nigel Pollard: Soldiers, cities, and civilians in Roman Syria. University of Michigan Press, Ann Arbor 2000, S. 288
- M. B. Rowton: Urban Autonomy in a Nomadic Environment. In: Journal of Near Eastern Studies, 32/1/2, 1973, S. 201–215
- Gewalt in kurdischen Gebieten. Türkische Armee stürmt Cizre, Der Spiegel vom 6. September 2015, abgerufen am 18. April 2021
- Luisa Seeling: Ganze Städte in der Türkei sind Sperrgebiet. In: Süddeutsche Zeitung, 20. Dezember 2015
- Gerd Höhler: Droht der Türkei ein Bürgerkrieg? In: handelsblatt.com. 16. Dezember 2015, abgerufen am 11. Februar 2016.
- Türkei verkündet Sieg gegen PKK in Cizre. In: FAZ, 11. Februar 2016
- 11 dead, scores injured in blast at police HQ in south-east Turkey. In: ABC News. 26. August 2016 (net.au [abgerufen am 29. Juli 2018]).
- World Maps of Köppen-Geiger climate classification (Memento vom 13. August 2021 im Internet Archive)
- Serhat Sensoy, Mesut Demircan, Yusuf Ulupınar: Climate of Turkey. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) Turkish State Meteorological Service (Meteoroloji Genel Müdürlüğü), archiviert vom Original am 13. Februar 2015; abgerufen am 12. März 2015.
- Klimainformationen Region Sirnak. Staatlicher Türkischer Wetterdienst (Meteoroloji Genel Müdürlüğü), abgerufen am 12. März 2015.
- Klimainformationen Region Sirnak. Staatlicher Türkischer Wetterdienst (Meteoroloji Genel Müdürlüğü), abgerufen am 12. März 2015.
- secim.haberler.com:CİZRE SEÇİM SONUÇLARI
- Frank Nordhausen: Türkei: Friseurin aus Bremen wird Bürgermeisterin. In: fr-online.de. 8. April 2014, abgerufen am 18. Dezember 2014.
- Die kurdische Bürgermeisterin aus Bremen und der „Bürgerkrieg“ von Cizre. (Memento vom 10. Juli 2018 im Internet Archive)
- A. Beril Tuğrul: A Radiographic Study of the Door of the Great Mosque (Ulucami) at Cizre. In: Journal of Near Eastern Studies, 55/33, 1996, S. 187–194
- Cizrespor. Abgerufen am 29. Juli 2018.