Australische Literatur
Die australische Literatur begann kurz nach der Besiedelung des Kontinents durch die Europäer. Die populären Werke der Frühzeit gehörten meistens zur „ripping yarn“-Variante, in der Geschichten vom Wagemut gegen die neue Grenze des australischen Outbacks erzählt wurden. Autoren wie Rolf Boldrewood, Marcus Clarke und Joseph Furphy verkörperten diese Ideale in ihren Geschichten und v. a. Letzterer versuchte, die Umgangssprache der Australier genau festzuhalten. Diese Schriftsteller liefern Einblicke in die Strafkolonien, die das Land formten, und die Besiedlung durch Europäer. Der Transport der Gefangenen, die Emigration in dieses einst so ferne Land sowie die Verfolgung und Vorurteile, unter der die Aborigines leiden mussten, tragen alle zu einem Gefühl von Verfremdung und Exil bei, das sich zumindest durch die frühe Literatur Australiens zieht.
Poesie
Die Poesie spielte eine wichtige Rolle in der Begründung der australischen Literaturen. Zwei Dichter, die um den Titel des größten australischen Poeten konkurrieren, sind Christopher Brennan und Adam Lindsay Gordon. Gordon wurde nicht in Australien, sondern auf den Azoren, als Sohn schottischer Eltern, geboren. Trotzdem wird er oft als „australischer Nationaldichter“ bezeichnet und er ist der einzige Australier mit einem eigenen Monument in der Poets’ Corner der Londoner Kathedrale Westminster Abbey.
Sowohl Gordons als auch insbesondere Brennans Werk umfasst klassisch-romantische Lyrik, die stark von der Bildungstradition Europas geprägt war. Daneben existierte eine konkurrierende, lebhafte Tradition der Volksmusik und Balladen. Henry Lawson und Banjo Paterson waren die bedeutendsten Vertreter solcher populären Balladen und Banjo zeichnete für das wahrscheinlich berühmteste australische Lied Waltzing Matilda verantwortlich.
20. Jahrhundert
Im Gegensatz zu diesen frühen Autoren waren die meisten europäischstämmigen Einwohner Australiens Stadtbewohner. Sogar Banjo Paterson, der über den typischen „Swagman“ (Wanderarbeiter, Landstreicher) schrieb, lebte als Anwalt in der Stadt. Dennoch trugen ihre romantischen Blicke auf das Outback und dessen robuste Bewohner deutlich dazu bei, die Seele der australischen Nation zu formen, ähnlich wie der „Wilde Westen“ Amerikas Selbstverständnis prägte.
Henry Handel Richardson (Pseudonym der Ethel Florence Lindsay Richardson) war nicht nur eine der ersten australischen Schriftstellerinnen, sondern auch die erste, die etwas über das städtische Leben der Mittelschicht schrieb. In den 1920er Jahren traten zwei der wichtigsten Befürworter australischer Literatur, Vance und Nettie Palmer hervor. Die Eheleute vermarkteten nicht nur ihre eigenen Werke (Vance verfasste Romane und Nettie Prosa), sondern schrieben auch eine Literaturgeschichte der früheren Autoren.
Doris Pilkington Nugi Garimara war die erste Aborigine, die als Schriftstellerin das Problem der Rassentrennung und der Umerziehung nicht „reinrassiger“ Australier thematisierte.
Zu den prominenten australischen Dichtern des 20. Jahrhunderts gehörten ferner Alec Derwent Hope, Francis Webb, Judith Wright, Kenneth Slessor, Gwen Harwood, David Rowbotham, Robert Gray, die vielfach preisgekrönte Lyrikerin Jennifer Maiden (* 1949), ferner William Henry Ogilvie und Kevin Hart.
Australische Literatur wurde sozusagen erwachsen, als Patrick White 1973 als erster und bislang einziger Australier den Nobelpreis für Literatur erhielt, obwohl er in Übersee geboren wurde und lange dort lebte. Andere nennenswerte Autoren aus der Zeit nach 1970 sind Peter Carey, der zweifache Gewinner des Booker Prize, und David Malouf.
Der Lyriker Les Murray, dessen Werk in viele Sprachen übersetzt wurde, veröffentlichte 1998 sein gewaltiges Versepos Freddy Neptune, ein Panorama der Geschichte Australiens im 20. Jahrhundert und des Schicksals seiner deutschen Einwanderer, wofür er von J. M. Coetzee als „the angry genius“ bezeichnet wurde. Das Buch erschien 2004 in kongenialer deutscher Übersetzung.
Als Jugendbuchautor wurde in neuester Zeit der deutschstämmige Markus Zusak vielfach ausgezeichnet.
Immigranten und Auswanderer
Einer der international bekanntesten australischen Romanciers, Nevil Shute, war – wie viele Menschen in einer durch Immigration entstandenen Nation – kein gebürtiger Australier. Er ließ sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Australien nieder und porträtierte globale Ereignisse wie den Weltkrieg und den drohenden Atomkrieg aus australischer Perspektive. Einige Jahre zuvor, in den frühen 20ern, besuchte David Herbert Lawrence Australien und beschrieb das Land in seinem Roman Kangaroo als einer der ersten ausländischen Schriftsteller als etwas, das mehr ist als eine Strafkolonie.
Andere Autoren spürten das Bedürfnis, der australischen Ferne zu entfliehen. George Lewis Becke (oder Louis Becke) verbrachte einen Teil seines Lebens vom 16. Lebensjahr bis zum 30. Lebensjahr auf verschiedenen Pazifikinseln, wo er Schiffbrüche erlitt, diverse Geschäfte betrieb und wieder schließen musste, Fischer bei der Arbeit beobachtete, einheimische Gebräuche übernahm und darüber halbfiktionale Kurzgeschichten (The fisher folk of Nukufetau, The rangers of the Tiakau, Kennedy the boatsteerer) schrieb, die ihn in die Nähe Joseph Conrads und Robert Louis Stevensons rückten. Er lebte auch zwei Jahre in den USA, 15 Jahre in Europa und ein Jahr in Neuseeland.
Germaine Greer, Verfasserin von Der weibliche Eunuch, hat einen großen Teil ihrer Karriere in England verbracht und erwies sich in der Vergangenheit als scharfe Kritikerin ihres Heimatlands, verbringt aber nun regelmäßig einige Monate des Jahres in New South Wales. Obwohl Greer als Pionierin der feministischen Literatur gilt, war Louisa Lawson, Mutter des Dichters Henry Lawson, eine Suffragette und Herausgeberin von The Dawn Journal, einer propagandistischen Publikation. Zusammen mit Nettie Palmer und Ethel Florence Lindesay Richardson ist Louisa Lawson eine bedeutende Vorläuferin Greers.
In der Geschichte der australischen Literatur gab es einige Skandale um die fragliche Identität von angeblich eingewanderten Schriftstellern. 1944 führte die Affäre um einen fiktiven englischstämmigen Dichter Ern Malley zu einem Obszonitätsverfahren. In den 1990er Jahren trat eine Autorin namens Helen Darville als in der Ukraine geborene Helen „Demidenko“ auf und gewann bedeutende Literaturpreise für Hand that Signed the Paper, bis ihre Identität aufgedeckt wurde und eine Kontroverse über den Inhalt ihres Romans, der von Nazis in der Ukraine handelte, auslöste.
Andere Genres und Literaturbetrieb
In seiner Sammlung The Asian Saga behandelt James Clavell ein wichtiges Merkmal australischer Literatur: ihr Porträt der Kultur des Fernen Ostens aus der zugegebenermaßen noch östlicheren, aber dennoch westlich geprägten Perspektive, wie es Nevil Shute präsentiert hatte. Clavell war auch ein erfolgreicher Drehbuchautor und erweiterte zusammen mit anderen Schriftstellern wie Thomas Keneally, der den Booker Prize für den Roman Schindlers Liste gewann, die Themen australischer Literatur weiter über das eigene Land hinaus. Andere Romanciers, die internationale Themen behandeln, sind Gerald Murnane und Brenda Walker. Die aktuellen Science-Fiction- und Fantasy-Autoren Greg Egan, Joel Shepherd und Traci Harding entfernen sich sogar noch weiter.
Das Krimi-Genre floriert derzeit in Australien, am deutlichsten durch Bücher von Kerry Greenwood, Shane Maloney, Garry Disher, Arthur W. Upfield und Peter Temple.
Der in Australien geborene Geschäftsmann Rupert Murdoch ist einer der mächtigsten Männer in der Welt der Massenmedien. Sein Einfluss auf die australische Literatur zeigt sich in dem Besitz zahlreicher Zeitungen und des Verlags HarperCollins.
Die Stimme der Aborigines wird neuerdings durch den noch relativ unbekannten Dramatiker Jack Davis vertreten. Auch Sally Morgans Roman My Place gilt als Durchbruch der literarischen Bearbeitung der Geschichte der Aborigines.
Ein weiterer bedeutender Meilenstein ist die sieben Bände umfassende History of Australia des Historikers Manning Clark, die als maßgebliche Darstellung der Nation gilt.
Die wichtigsten literarischen Zeitschriften Australiens sind Meanjin, Overland, Island, Heat und die Southerly-Magazine sowie die jährlichen Publikationen Verandah, Sleepers Almanac und Going Down Swinging.
Die bedeutendste literarische Auszeichnung des Landes ist der jährlich verliehene Miles Franklin Award.
Literatur
- Metzler Lexikon Englischsprachiger Autorinnen und Autoren. 631 Porträts – Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Eberhard Kreutzer und Ansgar Nünning, Metzler, Stuttgart/Weimar 2002, ISBN 3-476-01746-X
- Nicholas Birns (Ed.): A companion to Australian literature since 1900. Camden House 2007. ISBN 978-1-571-13349-6.
- Elizabeth Webby (Ed.): The Cambridge companion to Australian literature. Cambridge University Press 2000. ISBN 0-521-65122-0.
- William H. Wilde, Joy Hooton, Barry Andrews (Eds.): The Oxford companion to Australian literature. 2. ed. Oxford University Press 1994. ISBN 0-19-553381-X.