André Marty (Politiker)
André Marty (* 6. November 1886 in Perpignan; † 23. November 1956 in Toulouse) war ein französischer Kommunist, Politiker und Journalist. Für rund 15 Jahre zählte er zu den einflussreichsten Funktionären der Komintern.
Leben und Wirken
Nach einer Lehre als Kesselschmied ging der Sohn eines Weinhändlers zur Marine. Im April 1919 gehörte er als leitender Maschinist der französischen Schwarzmeerflotte an, die beabsichtigte, die weißen Truppen im Kampf gegen die Rote Armee zu unterstützen. Dies wurde durch eine Meuterei vor Sewastopol verhindert, die angeblich Marty in Gang gesetzt hatte. Zwar ist seine Rolle bei dieser Solidaritätsaktion umstritten,[1] doch damals avancierte er über Nacht zum Helden der Sowjetunion und des Kommunismus überhaupt. Zu 20 Jahren Haft verurteilt, aber bald darauf begnadigt, schloss sich Marty 1923 der französischen Kommunistischen Partei an. Er stieg zum Abgeordneten der Nationalversammlung und Mitglied des Zentralkomitees auf. Um 1927 musste er wie viele andere aktive Antimilitaristen erneut ins Gefängnis. Von 1934 bis 1935 war er Chefredakteur des einflussreichen Parteiblattes L’Humanité.
Spanischer Bürgerkrieg
Zu Beginn des Spanischen Bürgerkrieges war Marty daran beteiligt, die ersten kommunistischen Freiwilligen aus Frankreich zur Verteidigung von Irun zu organisieren.[2] 1936 wurde er als Instrukteur der Komintern, nach dem Beschluss zur Aufstellung der Internationalen Brigaden, nach Spanien geschickt. Die Aktivitäten der rund 2.000[3] sowjetischen Kämpfer und „Berater“ im Spanischen Bürgerkrieg dienten in erster Linie den geopolitischen Interessen Moskaus. Er gewann als oberster Politischer Kommissar der gegen Franco kämpfenden Internationalen Brigaden eine ausgesprochen starke Stellung. Marty ging dabei nicht mit Samthandschuhen vor. Nach etlichen Zeugen – wie Gustav Regler,[4] Ilja Ehrenburg,[5] Ernest Hemingway in Wem die Stunde schlägt[6] – war der in Albacete stationierte hünenhafte massige Franzose krankhaft machtbesessen, argwöhnisch, jähzornig, skrupellos und zu allem Unglück auch noch in militärischer Hinsicht inkompetent. Er habe nie Ratschläge angenommen, stets in hysterischem Tonfall gesprochen und schon wegen geringster Vergehen Exekutionen angeordnet, schreibt Jason Gurney.[7] „In short he was a real menace.“[8] Marty entwickelte die Wahnvorstellung, dass „faschistisch-trotzkistische Spione“ die Internationalen Brigaden infiltriert hätten. Er sah es unter dem Eindruck der Moskauer Schauprozesse als seine Pflicht an, Verschwörer zu entlarven und diese zu liquidieren.[9] Nach dem Scheitern eines Angriffes der XIV. Internationalen Brigade am 24. Dezember 1936 an der Andújarfront erschien André Marty im Hauptquartier der Brigade und ließ den Kommandanten des La-Marseillaise-Bataillon, Major Gaston Delasalle, vor ein Kriegsgericht stellen. Er wurde wegen Spionage verurteilt und erschossen.[10] Laut dem Historiker Antony Beevor triff aber nicht zu, dass Marty die Liquidierung von 500 Interbrigadisten befohlen hat. Er trug aber dazu bei, in den Reihen der Internationalen Brigaden eine Atmosphäre zu schaffen, die von Furcht vor willkürlichen Exekutionen bestimmt wurde. Gleichwohl wirkt der für Marty geprägte „Spitzname“ Schlächter von Albacete überzogen.[11]
Marty war während der Schlacht um Madrid Generalinspekteur der XI. Internationalen Brigade. Nach Marty wurde das André-Marty-Bataillon benannt, welches bei der Schlacht am Jarama gänzlich aufgerieben wurde. Er reiste im Januar 1937 mit Manfred Stern (General Kléber) nach Moskau,[12] wo ihm Komintern-Generalsekretär Dimitroff eine Aufgabe in Lateinamerika übertragen wollte. Marty bestand jedoch darauf, nach Spanien zurückzukehren, wo er eine Kontrolle durch Palmiro Togliatti akzeptieren musste. Als Folge von Togliattis harschen Berichten wurde Marty das Kommando über die XI. Internationale Brigade entzogen. Im April 1938 wurde er auf Anordnung des Zentralkomitees der PCE als unerwünschte Person aus Spanien ausgewiesen. Der Grund war, dass er sich am 11. März 1938 an der Aragon-Front in einer äußerst kritischen Gefechtssituation unangekündigt von der Truppe entfernt hatte. Er kehrte hierauf nach Frankreich zurück.[13]
Zweiter Weltkrieg und Lebensende
Nach dem Sieg Francos im Jahre 1939 begab sich Marty in die Moskauer Zentrale der Komintern und arbeitete dort bis zu ihrer Auflösung im Mai 1943 als Sekretär und Instrukteur. Anschließend wurde er nach Algerien beordert, um die dortigen Verbände von de Gaulles Freien Französischen Streitkräften zu unterstützen. Nach der Befreiung von Paris im August 1944 ins Mutterland zurückgekehrt, versuchte er allerdings, de Gaulles provisorische Regierung revolutionär zu durchkreuzen. Das misslang, weil Moskau solche Umsturzpläne nicht guthieß. Obwohl Marty erneut in die Nationalversammlung gewählt worden war, schwand seine Hausmacht in der KP. 1952 kam er durch die Affaire Marty-Tillon zu Fall, die der prominente kommunistische Funktionär und Pressebaron Etienne Fajon durch die Behauptung in Gang gesetzt hatte, bei Marty und Charles Tillon (Martys Mitstreiter aus alten Meuterzeiten) handle es sich um Polizeispitzel. Marty wurde als Zweiter Sekretär des ZKs abgesetzt und bald darauf (wie auch Tillon) sogar aus der Partei ausgeschlossen. Wahrscheinlich hatte er Moskau und dem rechten Flügel im französischen ZK nicht mehr ins Konzept gepasst.[14] Er blieb jedoch Abgeordneter bis 1955 und veröffentlichte im selben Jahr ein Buch über jene Affaire. Ende 1956 starb er an seinem Rückzugsort bei Toulouse an Lungenkrebs.
Wenig später wurde die nach Marty benannte Großwerft am Südlichen Bug im ehemaligen Kriegsgefangenenlager 126 Nikolajew, die vor der Oktoberrevolution dem französischen Konzern Naval gehört hatte, in Tschernomorskij Sudostroitelnij Sawod (Schwarzmeer-Schiffbaubetrieb) umbenannt. Die Legende hatte sich erledigt.
Literatur
- Fred Copeman: Reason in Revolt. Blanford Books, London 1948 (Seine Erinnerungen als Interbrigadist).
- André Figueras: Marty sans laisser d’adresse. Selbstverlag, Paris 1976.
- Jack Jones: Union Man. The autobiography. Collins Publ., London 1986, ISBN 0-00-217172-4.
- Carlos Serrano: L’enjeu espagnol. PCF et guerre d’Espagne. Messidor, Paris 1987, ISBN 2-209-05870-8, besonders S. 124–128.
- Claude Pennetier: Thorez-Marty. Paris-Moscou, Moscou-Paris. In: Mikhail Narinski, Jürgen Rohjahn (Hrsg.): Centre and Periphery. The History of the Comintern in the Light of New Documents. IISH, Amsterdam 1996, ISBN 90-6861-121-6, S. 203–217 über Martys Charakter und Persönlichkeit.
- Antony Beevor: The Battle for Spain. The Spanish Civil War 1936–1939. Weidenfeld & Nicolson, London 2006, ISBN 0-297-84832-1.
Einzelnachweise und Anmerkungen
- Siehe Bemerkung von Harald Laeuen: André Marty. In: Die Zeit, Nr. 39/1952
- Antony Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg. 2. Auflage. ISBN 978-3-442-15492-0, S. 153.
- Teneriffa September 2003, abgerufen am 20. Mai 2011. Siehe auch Wikipedia
- Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Köln 1958, S. 368–370 und 430–431. Der Schriftsteller Regler war im Spanienkrieg Politischer Kommissar der 12. Internationalen Brigade. Er wurde beim Tod des beliebten „General Lukacz“ (Máté Zalka) schwer verwundet.
- Menschen Jahre Leben. (Memoiren), Ausgabe München 1962/65, Band II, S. 474. Der Schriftsteller Ehrenburg war im Spanienkrieg Korrespondent der Moskauer Tageszeitung Iswestija.
- Hemingways Roman über den Spanienkrieg erschien 1940. Der US-Schriftsteller, tätiger Sympathisant der Antifaschisten, hielt sich damals ebenfalls als Kriegsberichterstatter in Spanien auf. Man sollte dich übern Haufen schießen, Andre Marty! In: Der Spiegel. Nr. 40, 1952 (online – Auszug).
- Crusade in Spain, 1974. Der Brite kämpfte in den Internationalen Brigaden. Aufgrund einer Verwundung an der Hand konnte er anschließend seinen Beruf als Bildhauer nicht mehr ausüben.
- Je nach Übersetzung: er war eine wirkliche Gefahr / Plage / Landplage … Zitiert nach Anthony Beevor: The Battle for Spain: The Spanish Civil War (1936–1939). Weidenfeld & Nicolson, London 2006, ISBN 0-297-84832-1, S. 161.
- Antony Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg. 2. Auflage. 2008, ISBN 978-3-442-15492-0, S. 208.
- Hugh Thomas: Der spanische Bürgerkrieg, Verlag Ullstein, Berlin West 1962, S. 271.
- Siehe Huber/Uhl 2004, abgerufen am 20. Mai 2011, resümierend auf Seite 34, sowie Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936–1939, Darmstadt 2005, S. 113.
- Antony Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg. 2. Auflage. 2008, ISBN 978-3-442-15492-0, S. 250.
- Siehe Huber/Uhl 2004, abgerufen am 20. Mai 2011, resümierend auf Seite 34, sowie Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936–1939. Darmstadt 2005, S. 19.
- Michel Pablo, abgerufen am 20. Mai 2011.
Weblinks
- Zeitungsartikel über André Marty in der Pressemappe 20. Jahrhundert der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft