Alte Meister (Roman)
Alte Meister. Komödie ist ein im Jahr 1985 erschienener Roman des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard.
Der Titel des Buches bezieht sich auf die Maler der Bilder im Kunsthistorischen Museum in Wien, die vom Protagonisten des Werkes, dem 82-jährigen Reger, unablässig auf Fehler untersucht werden.
Es handelt sich um Bernhards letzte Prosaarbeit vor seinem Tod 1989. Der 1986 veröffentlichte Roman Auslöschung war bereits 1982 weitgehend abgeschlossen.
Inhalt
Reger ist ein philosophischer, lungenkranker, stark negativer Kunstkritiker, er arbeitet für die Times und setzt sich hierzu jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum, auf seine Bordone-Saal-Sitzbank im Bordone-Saal vor den Weißbärtigen Mann von Tintoretto, seit über 30 Jahren, außer montags; an diesem Tag hat das Kunsthistorische Museum geschlossen. Hier, an diesem Ort, kann Reger am besten nachdenken, kritisieren und aufdecken, was es in dieser Welt, aber besonders in Österreich, an Scheußlichkeiten gibt.
Eine zweite Figur, Irrsigler, ist der Museumswärter, von Reger (und einmal indirekt auch von sich selbst) wird er als „Burgenländer Dummkopf“ bezeichnet. Erst durch ihr dreißigjähriges Zusammenleben im Museum sei Irrsigler, Reger zufolge, nach und nach zum Menschen erzogen worden. Jetzt sei er, so Reger, ein Staatstoter, er lebt fast nur mehr für seine Dienste im Museum. Der Erzähler der Geschichte ist Atzbacher. Er ähnelt in seinem kritischen Denken Reger und ist, wie der Autor Thomas Bernhard, lungenkrank.
Die äußere Handlung des Romans ist, wie oft bei Bernhard, knapp: Atzbacher beobachtet seinen Freund Reger, wie er auf seiner Bordone-Bank sitzt und nachdenkt, philosophiert. Dabei denkt Atzbacher über Regers Einstellungen, seine Meinung und sein Leben nach. In der zweiten Hälfte treffen Atzbacher und Reger wie verabredet im Museum zusammen. Doch wird dies weiterhin durch Atzbacher erzählt, so dass dem Leser die Monologe Regers jetzt zwar vorwiegend als zeitlich nahe Begebenheit vermittelt werden, aber die Struktur der Vermittlung sich nicht ändert (besonders greifbar in den häufig wiederkehrenden Inquit-Formeln „so Reger“, „sagte Reger“).
Die Spannung im Buch wird aufrechterhalten, weil Reger Atzbacher gebeten hat, an einem für ihn ungewöhnlichen Tag ins Museum zu kommen, und der eigentliche Grund wird bis zum Schluss des Buches nicht verraten. Erst auf den letzten Seiten wird beschrieben, dass Reger zwei Eintrittskarten zur Aufführung von Kleists Zerbrochenem Krug im Burgtheater gekauft hat, und er macht Aetzbacher den Vorschlag, an diesem Abend diese Aufführung zusammen zu besuchen. Dieser Vorschlag von Reger ist erstaunlich, weil er das Burgtheater immer kritisiert und Jahrzehnte nicht mehr besucht hat. Trotzdem ist Aetzbacher zusammen mit Reger ins Theater gegangen und seine Schlussfolgerung war: „Die Vorstellung war entsetzlich.“
Das Ganze ist durchzogen von Kritik, Abneigung und sogar Ekel gegenüber der österreichischen Kultur und Gesellschaft. Dabei begründet Atzbacher seine Kritikpunkte nicht; sie werden apodiktisch geäußert und, wie häufig bei Bernhard, in sich steigernden, verstärkenden Variationen, einem Musikstück gleichend, wiederholt. Reger, stellvertretend für Bernhard selbst, verurteilt. Dabei schlägt er aber keine Optionen vor, sondern wiederholt immer wieder und wieder, was er auszusetzen hat. Mit diesen vernichtenden Urteilen in einem starken Kontrast steht der Untertitel des Romans, der „Komödie“ lautet.
Unterbrochen wird der Text von der Erzählung einer Begegnung Regers mit einem Engländer. Dieser in Wales lebende Engländer ist Reger sympathisch und Reger gerät in Erstaunen über die Gelassenheit dieses Mannes und bewundert ihn sogar. Der Engländer behauptet, dass in seinem Schlafzimmer in Wales ein ebensolches Bild vom Weißbärtigen Mann von Tintoretto hängt, und deswegen sei er nach Wien gereist, um diese Aussage seines Neffens zu überprüfen. Er war ob der Feststellung, dass tatsächlich die beiden Bilder praktisch identisch waren, ziemlich fassungslos, und vermutete, dass eines dieser Bilder eine Fälschung sein müsste. Wie diese Sache ausgegangen ist, wusste Reger nicht, und deswegen wird auch der Leser darüber nicht aufgeklärt.
Als immer wiederkehrendes Thema erwähnt Reger seine von ihm sehr geliebte Frau, die er ebenfalls in besagtem Museum kennengelernt hat und die für ihn von großer emotionaler Bedeutung war und immer noch ist. Jahrelang saß er verzweifelt auf der für ihn so immens wichtigen Bank und wurde an ebendiesem Ort von ihr „gerettet“, da sie einander dort kennenlernten. Dies erklärt auch die zentrale Bedeutung der Bank im Kunsthistorischen Museum für ihn, welche nach dem Tod seiner Frau zum einzigen verbleibenden Fluchtpunkt für ihn wird. Zwar erfüllen ihn die „Alten Meister“ mit Hass, trotzdem sind sie es, die ihn am Leben erhalten. Sein Leiden resultiert in nicht geringem Maße aus dem Verscheiden seiner Frau, das zum Ausgangspunkt für seine nihilistischen Gedankengänge wird. Der Gedanke, dass sein auf sie übertragenes Wissen auf plötzlichem Wege unerwartet verschwinden konnte, erfüllt ihn mit Bestürzung. Immer hatte er mit einem vorzeitigen Ableben seinerseits gerechnet, so dass ihn ihr überraschender Tod in eine Sinnkrise stürzt, aus der er zwar laut eigenen Aussagen gestärkt hervorgeht, die ihm jedoch als zentrales Thema immer wieder zu schaffen macht.
Themen
Rational begründete Kritik an der Gesellschaft und ihren Erscheinungen: Vergangene Liebe, Musik (Bruckner) und Kunst im Allgemeinen (Stifter), Philosophie (Heidegger), Kitsch und Sentimentalität, Religion, Gerechtigkeit, Staat, Dummheit, Reinlichkeit auf österreichischen Toiletten.
Stil
Wie auch andere Werke Thomas Bernhards besteht das Buch zum Großteil aus Monologen. Reger verallgemeinert negativ kritisierend und stellt dabei seine eigene Meinung als allgemeingültige Tatsache hin. Der Autor scheint sich gegen alles zu wenden. Bernhard schreibt, meist nicht realistisch-abbildend, sondern stilisiert subjektive Wahrnehmungen höchst kunstvoll gebrochen und gesteigert zu einer sich selbst verstärkenden Permutationsfuge mit Kontrapunkt. Nach Ansicht des Germanisten Axel Diller ist Alte Meister „der sprachlich-künstlerisch elaborierteste Prosatext Bernhards“.[1]
Adaptionen
Im Rahmen der Ausstellung Österreich selbst ist nichts als eine Bühne – Thomas Bernhard und das Theater im Österreichischen Theatermuseum fand am 26. April 2010 im Saal II der KHM-Gemäldegalerie eine szenische Lesung des Romans mit Hermann Beil (Irrsigler), Martin Schwab (Reger) und Erwin Steinhauer (Atzbacher) statt. Erstmals wurde dabei das Stück am Originalschauplatz inszeniert. Um der Romanszenerie gerecht zu werden, wurde Tintorettos Bild für diese Aufführung eigens umgehängt.
Am 10. September 2016 hatte in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden ein gleichnamiges Theaterstück vom Staatsschauspiel Dresden Premiere. Reger wurde darin gespielt von Albrecht Goette, Atzbacher von Ahmad Mesgarha.[2]
In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin inszenierte der Schweizer Regisseur Thom Luz den Roman von Thomas Bernhard und entwarf hierfür mit dem Dramaturgen David Heiligers eine eigene Fassung. Premiere war am 14. September 2018 mit Christoph Franken, Camill Jammal, Katharina Matz, Wolfgang Menardi und Daniele Pintaudi.[3]
Beim Styraburg Festival in Steyr fand am 8. März 2019 in der Schlosskapelle eine szenische Lesung des Romans mit Martin Schwab (Reger), Hans-Dieter Knebel (Irrsigler) und Hapé Schreiberhuber (Atzbacher) statt. Dabei dienten auch vier Portraitgemälde aus dem Kunsthistorischen Museum Wien für diese Aufführung.
Ausgabe
- Alte Meister. Komödie, Roman. Werke in 22 Bänden, Band 8, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-41508-5 (Erstausgabe 1985; TB 1988, ISBN 978-3-518-38053-6)
Hörbuch
- Alte Meister, 6 Audio-CDs, gesprochen von Thomas Holtzmann, Dhv Der Hörverlag, 2005, ISBN 978-3-89584-950-3
Ausgabe als Comic
- Andreas Platthaus (Hrsg.): Alte Meister. Komödie. Zeichnungen von Nicolas Mahler. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-46293-5.
Literatur
- Wendelin Schmidt-Dengler: Alte Meister. In: ders.: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945-1990. Residenz Verlag, Salzburg 1995, S. 468–478. ISBN 3-7017-0957-2.
Hinweis
Im Kunsthistorischen Museum in Wien gibt es einige Werke von Paris Bordone. Aber einen Bordone-Saal hat es nie gegeben. Die breit angelegten Sitzbänke gibt es.[4]
Eine Episode betrifft das Bild Landschaft in Suffolk von Thomas Gainsborough, das zurzeit nicht ausgestellt ist. Das Museum führt dieses Landschaftsbild jedoch im offiziellen Museumsführer an.
Weblinks
- Wilhelm Ruprecht Frieling, Rezension „Alte Meister“ in Literaturzeitschrift.de
Einzelnachweise
- Axel Diller: Bernhard, Thomas – Alte Meister. In: Kindlers Literatur Lexikon in 18 Bänden, 3., völlig neu bearbeitete Auflage 2009 online, abgerufen von Bücherhallen Hamburg am 31. Mai 2020.
- Alte Meister. nach dem Roman von Thomas Bernhard. Staatsschauspiel Dresden, abgerufen am 9. Oktober 2018.
- Deutsches Theater Berlin: Deutsches Theater Berlin - Alte Meister, nach Thomas Bernhard. Abgerufen am 22. Oktober 2018.
- Bettina Steiner: Es gibt keinen Bordone-Saal! Die Presse, 22. Jänner 2011