(20000) Varuna
(20000) Varuna (frühere Bezeichnung 2000 WR106) ist ein großes transneptunisches Objekt im Kuipergürtel, das bahndynamisch als Cubewano (CKBO) oder als erweitertes Scattered Disk Object (DO) eingestuft wird. Aufgrund seiner Größe ist der Asteroid ein Zwergplanetenkandidat.
Asteroid (20000) Varuna | |
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Aufnahme durch das Hubble-Weltraumteleskop | |
Eigenschaften des Orbits Animation | |
Orbittyp | CKBO («Heiß»)[1][2][3] oder DO (ESDO),[4] «Distant Object»[5] |
Große Halbachse | 42,781 AE |
Exzentrizität | 0,054 |
Perihel – Aphel | 40,466 AE – 45,097 AE |
Neigung der Bahnebene | 17,2° |
Länge des aufsteigenden Knotens | 97,4° |
Argument der Periapsis | 262,9° |
Zeitpunkt des Periheldurchgangs | 14. März 1928 |
Siderische Umlaufzeit | 279 a 10,0 M |
Mittlere Orbitalgeschwindigkeit | 4,516[6] km/s |
Physikalische Eigenschaften | |
Mittlerer Durchmesser | [2] |
Masse | ≈ 3,7 · 1020 [7][8] kg |
Albedo | [2] |
Mittlere Dichte | [7][9] g/cm³ |
Rotationsperiode | 6,3418 ± 0,0005 h (0,264 d)[10] |
Absolute Helligkeit | 3,760 ± 0,035[2] mag |
Spektralklasse | C[11] B-V= 0,880 ± 0,020[12] V-R= 0,620 ± 0,010[12] V-I = 1,240 ± 0,010[12] B-R= 1,530 ± 0,036[13] |
Geschichte | |
Entdecker | Robert S. McMillan |
Datum der Entdeckung | 28. November 2000 |
Andere Bezeichnung | 2000 WR106 |
Quelle: Wenn nicht einzeln anders angegeben, stammen die Daten vom JPL Small-Body Database. Die Zugehörigkeit zu einer Asteroidenfamilie wird automatisch aus der AstDyS-2 Datenbank ermittelt. Bitte auch den Hinweis zu Asteroidenartikeln beachten. |
Entdeckung und Benennung
Varuna wurde am 28. November 2000 von Robert McMillan, einem Mitarbeiter des Spacewatch-Teams, am 0,9–m-Teleskop des Kitt-Peak-Observatoriums am Steward-Observatorium (Arizona) entdeckt. Die Entdeckung wurde am 1. Dezember 2000 bekanntgegeben; der Planetoid erhielt die vorläufige Bezeichnung 2000 WR106[14] und im Januar 2001 aufgrund seiner damals höher eingeschätzten Größe von der IAU die besondere Kleinplaneten-Nummer 20000.[15][16] - Er erhielt schließlich den Namen Varuna (वरुण, Sanskrit) nach der Hindu-Gottheit der kosmischen und moralischen Ordnung. Varuna war einer der wichtigsten Götter der frühvedischen Inder, der über die Gewässer des Himmels und des Ozeans wachte. Durch seine Assoziation mit dem Wasser wird er oft mit dem griechischen Poseidon und dem römischen Neptun gleichgesetzt.
Nach seiner Entdeckung ließ sich Varuna auf Fotos bis zum 24. November 1954, die im Rahmen des Digitized-Sky-Survey-Programmes (DSS) am Palomar-Observatorium (Kalifornien) gemacht wurden, zurückgehend identifizieren und so seinen Beobachtungszeitraum um 46 Jahre verlängern, so dass seine Umlaufbahn genauer berechnet werden konnte. Seither wurde der Planetoid durch verschiedene Teleskope wie das Herschel- und das Spitzer-Weltraumteleskop sowie durch erdbasierte Teleskope beobachtet. Im April 2017 lagen insgesamt 439 Beobachtungen über einen Zeitraum von 63 Jahren vor. Die bisher letzte Beobachtung wurde im Januar 2019 am Slooh.com–Canary Islands Observatorium durchgeführt.[5] (Stand 9. März 2019)
Eigenschaften
Umlaufbahn
Varuna umkreist die Sonne in 279,83 Jahren auf einer fast kreisförmigen Umlaufbahn zwischen 40,47 AE und 45,10 AE Abstand zu deren Zentrum. Die Bahnexzentrizität beträgt 0,054, die Bahn ist 17,22° gegenüber der Ekliptik geneigt. Derzeit ist der Planetoid 39,05 AE von der Sonne entfernt. Das Perihel durchlief er das letzte Mal 1928, der nächste Periheldurchlauf dürfte also im Jahre 2208 erfolgen.
Die Bahnelemente von Varuna weisen Ähnlichkeiten mit Quaoar auf; Varuna besitzt eine ähnliche Umlaufzeit und Exzentrizität wie Quaoar, doch eine etwas geneigtere Umlaufbahn. Die Orbits von Varuna und Pluto weisen eine ähnliche Bahnneigung auf (beide etwa 17°) und sind ähnlich ausgerichtet, so dass sich die Knoten beider Planetoiden vergleichsweise nah sind. Im Unterschied zu Pluto, der einer 2:3–Resonanz mit dem Planeten Neptun unterliegt und daher zu den Plutinos gehört, erfährt die Umlaufbahn von Varuna keine nennenswerten Bahnstörungen durch Neptun. Die minimale mögliche Entfernung zu Neptun (MOID) beträgt 12,28 AE.[5]
Marc Buie (DES) klassifiziert den Planetoiden als erweitertes SDO (ESDO bzw. DO),[4] während das Minor Planet Center ihn als Cubewano einordnet,[1][2][3] wobei er zu den bahndynamisch «heißen» klassischen KBO gehört; letzteres führt ihn auch als Nicht–SDO und allgemein als «Distant Object».[17][5]
Größe und Form
Nach seiner Entdeckung wurde der Durchmesser von Varuna wie bei Ceres zunächst auf etwa 1000 km geschätzt, woraus die runde Nummerierung resultierte. 2013 wurde der Durchmesser von Varuna auf 668 km bestimmt, was durch Untersuchungen der Daten des Herschel-Weltraumteleskops ermittelt wurde.[2] Bereits aus der Lichtkurve konnte auf die Form eines dreiachsigen Ellipsoides (Jacobi-Typ) geschlossen werden,[9][7] was sich anlässlich einer Okkultation im Februar 2010 nahe Varunas maximaler scheinbaren Helligkeit bestätigte: Der Hintergrundstern wurde von São Luís aus gesehen für 52,5 s verfinstert, was projiziert einem Sehnenabschnitt von 1003 km entspricht. Gleichzeitig wurde vom nur 255 km entfernten Quixadá aus der Hintergrundstern nicht verdeckt, was ein starker Hinweis auf eine langgestreckte Form des Planetoiden ist.[18] Ein möglicher Doppelsystem-Charakter erscheint aufgrund der Lichtkurve eher unwahrscheinlich. Die Untersuchungen ergaben ein Achsenverhältnis von entweder 1:0,63:0,45 oder 1:0,80:0,52, was auf Basis eines angenommenen Maximaldurchmessers von 668 km den Abmessungen von 668 × 421 × 301 respektive 668 × 534 × 347 km entspräche.
Ausgehend von einem Durchmesser von 668 km ergibt sich eine Gesamtoberfläche von etwa 1.402.000 km². Die scheinbare Helligkeit von Varuna beträgt 20,21 m,[19] die mittlere Oberflächentemperatur wird anhand der Sonnenentfernung auf 41 bis 43 K (−230 bis −232 °C) geschätzt.
Es wird davon ausgegangen, dass sich Varuna trotz seiner vermutlich von der Kugelgestalt deutlich abweichenden Form aufgrund seiner Masse im hydrostatischen Gleichgewicht befindet und damit die Kriterien für eine Einstufung als Zwergplanet erfüllt. Mike Brown geht davon aus, dass es sich bei ihm höchstwahrscheinlich um einen Zwergplaneten handelt; auch Gonzalo Tancredi akzeptierte Varuna 2010 als Zwergplaneten, schlug der IAU jedoch nicht direkt vor, ihn offiziell als solchen anzuerkennen.[20][21]
Jahr | Abmessungen km | Quelle |
---|---|---|
2001 | 900,0 + 129,0− 145,0 | Jewitt u. a.[22] |
2002 | 1060,0 + 180,0− 220,0 | Lellouch u. a.[23] |
2005 | 936,0 + 238,0− 324,0 | Grundy u. a.[24] |
2005 | >621,0 ± 150,0 | Stansberry u. a.[25] |
2006 | 586,0 + 190,0− 129,0 | Cruikshank u. a.[26] |
2007 | 502,0 ±100 | Stansberry u. a.[27] |
2008 | 528,0 | Tancredi[28] |
2008 | 714,0 + 178,0− 128,0 | Brucker u. a.[29] |
2010 | 1003,0 ± 9,0 | Sicardy u. a.[18] |
2010 | 500,0 | Tancredi[21] |
2013 | 816,0 | Mommert u. a.[30] |
2013 | 668,0 + 154,0 − 86,0 | Lellouch u. a.[2] |
2014 | 678,0 | Braga-Ribas u. a.[31] |
2015 | 600,0 | LightCurve DataBase[11] |
2018 | 698,0 | Brown[20] |
Die präziseste Bestimmung ist fett markiert. |
Rotation
Anhand von Lichtkurvenbeobachtungen rotiert Varuna in 6 Stunden und 20,5 Minuten einmal um seine Achse. Daraus ergibt sich, dass er in einem Varuna-Jahr 386792,5 Eigendrehungen („Tage“) vollführt. Für ein vergleichsweise großes Objekt wie Varuna ist eine so schnelle Rotationsperiode recht ungewöhnlich; 2006 wurde mit Haumea ein noch größerer und mit 3,9 Stunden noch schneller rotierender Himmelskörper gefunden,[32] der aufgrund seiner schnellen Rotation ebenfalls eine langgezogene Form aufweist.
Oberfläche
Die Oberfläche des Planetoiden ist rötlich gefärbt und zeigt bei 2,0 µm eine Absorptionslinie, was auf das Vorhandensein von kleinen Mengen Wassereis auf der Oberfläche hinweist.[33] Flüchtige Substanzen wie Methan oder Stickstoff konnten nicht nachgewiesen werden. Das Untersuchen der Spektren verschiedener Rotationsphasen zeigte keine Hinweise auf Helligkeitsunterschiede auf der Oberfläche; diese scheint also ziemlich homogen zu sein. Als wahrscheinlichste Bestandteile wird ein Gemisch von komplexen organischen Verbindungen (35 %), amorphen Silikaten (25 %), Wassereis (25 %) und amorphem Kohlenstoff (15 %) angenommen.[34] Es wird aber auch eine mögliche andere Zusammensetzung diskutiert, die bis zu 10 % Methan enthalten könnte. Bei einem Objekt mit den Eigenschaften von Varuna können so flüchtige Stoffe wie Methan nicht primordial sein, so dass ein Ereignis wie ein energiereicher Einschlag vonnöten wäre, um ihre Präsenz auf der Oberfläche erklären zu können.
Siehe auch
Weblinks
- How many dwarf planets are there in the outer solar system? Aktuelle Liste der größten TNO von Mike Brown
- Free the dwarf planets! Kolumne von Mike Brown über die IAU und die Zwergplaneten betreffend deren Einordnungen (23. August 2011) (englisch)
Einzelnachweise
- MPC: MPEC 2010-S44: Distant Minor Planets (2010 OCT. 11.0 TT). IAU. 25. September 2010. Abgerufen am 9. März 2019.
- E. Lellouch u. a.: “TNOs are Cool”: A survey of the trans-Neptunian region. IX. Thermal properties of Kuiper belt objects and Centaurs from combined Herschel and Spitzer observations (PDF; 3,6 MB). In: Astronomy and Astrophysics. 557, Nr. A60, 10. Juni 2013, S. 19. bibcode:2013A&A...557A..60L. doi:10.1051/0004-6361/201322047.
- Wm. R. Johnston: List of Known Trans-Neptunian Objects. Johnston’s Archiv. 7. Oktober 2018. Abgerufen am 12. März 2019.
- Marc W. Buie: Orbit Fit and Astrometric record for 20000. SwRI (Space Science Department). Abgerufen am 9. März 2019.
- (20000) Varuna in der Small-Body Database des Jet Propulsion Laboratory (englisch). Abgerufen am 9. März 2019.
- v ≈ π*a/periode (1+sqrt(1-e²))
- P. Lacerda, D. Jewitt: Densities Of Solar System Objects From Their Rotational Lightcurve. In: The Astronomical Journal. 133, Nr. 4, 26. Februar 2007, S. 1393–1408. arxiv:astro-ph/0612237. bibcode:2007AJ....133.1393L. doi:10.1086/511772.
- Berechnet anhand der Daten von Lacerda und Jewitt (2007) Durchmesser 900 km, Dichte 0,992 g/cm³. Vermutlich ist der aktuelle Wert wesentlich kleiner.
- D. Jewitt, S. Sheppard: Physical Properties Of Trans-Neptunian Object (20000) Varuna (PDF; 413 kB). In: Astronomical Journal. 123, Nr. 4, April 2002, S. 2110–2120. arxiv:astro-ph/0201082. bibcode:2002AJ....123.2110J. doi:10.1086/339557.
- A. Thirouin u. a.: Short-term variability of a sample of 29 trans-Neptunian objects and Centaurs. In: Astronomy and Astrophysics. 522, Nr. A93, 27. April 2010, S. 43. arxiv:1004.4841. bibcode:2010A&A...522A..93T. doi:10.1051/0004-6361/200912340.
- LCDB Data for (20000) Varuna. MinorPlanetInfo. 2015. Abgerufen am 9. März 2019.
- I. Belskaya u. a.: Updated taxonomy of trans-neptunian objects and centaurs: Influence of albedo. In: Icarus. 250, April 2015, S. 482–491. bibcode:2015Icar..250..482B. doi:10.1016/j.icarus.2014.12.004.
- N. Peixinho u. a.: The bimodal colors of Centaurs and small Kuiper belt objects (PDF). In: Astronomy and Astrophysics. 546, Nr. A86, 14. Juni 2012, S. 12. arxiv:1206.3153. bibcode:2012A&A...546A..86P. doi:10.1051/0004-6361/201219057.
- MPC: MPEC 2000-X02: 2000 WR106. IAU. 1. Dezember 2000. Abgerufen am 9. März 2019.
- MPC: MPC/MPO/MPS Archive. IAU. Abgerufen am 9. März 2019.
- MPC 41805. (PDF) The Minor Planet Circulars/Minor Planets and Comets, 9. Januar 2001, abgerufen am 9. März 2019.
- MPC: MPEC List Of Centaurs and Scattered-Disk Objects. IAU. Abgerufen am 9. März 2019.
- B. Sicardy u. a.: The 2010, February 19 stellar occultation by Varuna. In: American Astronomical Society, DPS meeting. 42, Oktober 2010, S. 993. bibcode:2010DPS....42.2311S.
- (20000) Varuna in der Datenbank der „Asteroids – Dynamic Site“ (AstDyS-2, englisch).
- Mike Brown: How many dwarf planets are there in the outer solar system?. CalTech. 12. November 2018. Abgerufen am 12. März 2019.
- G. Tancredi: Physical and dynamical characteristics of icy “dwarf planets” (plutoids) (PDF). In: International Astronomical Union (Hrsg.): Icy Bodies of the Solar System: Proceedings IAU Symposium No. 263, 2009. 2010. doi:10.1017/S1743921310001717. Abgerufen am 9. März 2019.
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- V. Lorenzi u. a.: Rotationally resolved spectroscopy of (20000) Varuna in the near-infrared. In: Astronomy and Astrophysics. 562, Nr. A85, 11. Februar 2014, S. 6. arxiv:1401.5962. bibcode:2014A&A...562A..85L. doi:10.1051/0004-6361/201322251.