Wohnungsgemeinnützigkeit
In der Wohnungsgemeinnützigkeit erhalten Wohnungsunternehmen dauerhafte Steuerbefreiungen z. B. in Bezug auf die Körperschaft-, Gewerbe-, Grund- und Grunderwerbsteuer dafür, dass sie dauerhaft gemeinnützig handeln, indem sie preisgünstigen und sozialen Wohnraum für Haushalte bereitstellen, deren Einkommen unterhalb bestimmter Grenzen liegen.[1] Sie unterscheidet sich somit in der Art und Weise sowie der Dauer der Förderung und Bindung vom Sozialen Wohnungsbau, der in der Regel durch einmalige Darlehen oder Zuschüsse geprägt ist und zeitlich begrenzt ist, Wohnungen also irgendwann ihre Sozialbindungen verlieren, obgleich sich diese Instrumente meist ergänzen bzw. ergänzt haben.
Während es die Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich und vergleichbare Modelle z. B. in den Niederlanden gibt, wurde sie der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 abgeschafft. Derzeit wird die Neueinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland diskutiert.
Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland
Die Wohnungsgemeinnützigkeit gab es in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990. Sie geriet durch den Skandal um die Neue Heimat in Misskredit und wurde von der Bundesregierung 1990 abgeschafft.
Die Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland leistete einen wesentlicher Baustein für die Schaffung der sozialen Wohnraumversorgung in Deutschland vom Kaiserreich über die Nachkriegszeit bis zur Wendezeit. Dabei wurden gemeinwohloriente Wohnungsunternehmen in verschiedenen Rechtsformen steuerlich und teils durch Zuschüsse gefördert, wenn sie sich dem Aufbau von dauerhaft preiswertem sozialen Wohnraum unterwarfen. Die Wohnungsgemeinnützigkeit war hier im Wesentlichen durch vier Prinzipien gekennzeichnet: 1. Gewinnbeschränkung, 2. Begrenzung auf Bedürftige und breite Schichten der Bevölkerung, 3. Bauverpflichtung sowie 4. Zweckbindung der Mittel als Vermögensschutz.[2] Hierbei gilt das Prinzip: Einmal gefördert, immer gebunden, wodurch Wohnraum von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen einer dauerhaft sozialorientierten Wohnraumversorgung zur Verfügung stehen.[3]
Die Wohnungsgemeinnützigkeit bis 1990
Prinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit wurden bereits im preußischen Gesetz über die Stempelfreiheit (Steuerbefreiung) gemeinnütziger Wohnungsunternehmen von 1867 verankert, die später auch die Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich und im Deutschen Reich prägten. Nach den steuergesetzlichen Regelungen in Preußen ab 1851 war die Wohnungsgemeinnützigkeit von einer Vielzahl von Landes- und Reichsgesetzen unterschiedlich und teilweise widersprüchlich geprägt.[2]
In der Weimarer Republik wurde 1930 die Gemeinnützigkeitsverordnung (GemVO) beschlossen, welche durch eine Ausführungsverordnung (RAV) detailliert wurde und den Status der „Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen“ durch Vorschriften und Bedingungen regelte, wozu etwa eine staatliche Aufsicht sowie eine Kontrolle durch Prüfverbände gehört.[2]
In der NS-Zeit wurden die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen im Sinne der NS-Ideologie gleichgeschaltet, rassistisch gereinigt und teilweise zwangsvereinigt. Das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht wurde 1940 mit den wesentlichen Regelungen der GemVO zu einem neuen „Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz“ (WGG) zusammengefasst. Dieses Gesetz galt mit leichten Veränderungen weiter, bis zu seiner Außerkraftsetzung zu Ende des Jahres 1989.[4]
In der Nachkriegszeit wurde das Wachstum der Wohnungsgemeinnützigkeit zum Wiederaufbau in den 50er und 60er Jahren durch die öffentliche Wohnungsbauförderung „für breite Schichten der Bevölkerung“ befördert. Die Mehrheit der Sozialwohnungen in der Bundesrepublik, nämlich knapp 60 %, waren letztendlich von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen errichtet worden, überwiegend mit direkter Förderung und immer mit Steuerbefreiung für die Unternehmen. Im Ergebnis hatten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zum Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit 1990 eine große Bedeutung auf den Wohnungsmärkten: In Großstädten stellten sie bis zu einem Drittel des Angebots. Als mit ca. 3,3 Mio. Wohnungen größte Sozialwohnungsanbieter hatten sie eine Versorgungsfunktion und spielten bei der Mietenbegrenzung eine besondere Rolle durch Mieten von 10 bis 30 % unterhalb der Marktmiete.[2]
Durch Zusammenschlüsse und Verschmelzungen sowie durch das besondere Wachstum der größeren gemeinnützigen Unternehmen konzentrierte sich der gemeinnützig gebundene Wohnungsbestand teilweisen in großen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen mit unzureichenden Kontrollmöglichkeiten durch Mieter, Aufsicht und Prüfverbände. Ebenso spielte das Argument bedeutsamer Steuermindereinnahmen bei einem weitgehend ausgeglichenen Wohnungsmarkt eine große Rolle. Letztlich wurde Skandal um die Neue Heimat im Jahr 1988 schließlich als Anlass genommen und, nach verschiedenen Diskussionen über eventuelle Novellierungen, die Aufhebung des WGG zum 31. Dezember 1989 beschlossen.[5][6]
Nach 1990 blieben mit § 53 Abgabenordnung nur das Instrument der gemeinnützigen Steuerbefreiung auf Grund einer „mildtätigen“ Aufgabe bei der Wohnraumversorgung, zum Beispiel die Versorgung von besonderen Problemgruppen oder Haushalten ohne eigenes Einkommen, sowie der Steuerbefreiung für spezielle gemeinnützigen Vermietungsgenossenschaften, die ihre Wohnungen nur an Mitglieder vermieten und für diese neu bauen oder ankaufen, aber ansonsten keine relevanten Tätigkeiten vollziehen.[7]
Diskussionen über die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit
Im Zuge der Krise am Wohnungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland wird seit 2017 verstärkt diskutiert, sie wieder einzuführen.[8] So setzen sich die Grünen und die Partei Die Linke dafür ein, die Wohnungsgemeinnützigkeit wieder einzuführen[9][10], auch die Gewerkschaften ver.di und IG BAU[11]. Hintergrund ist hierbei neben dem angespannten Wohnungsmarkt auch der dramatische zunehmende Wegfall von Sozialwohnungen bzw. Sozialwohnungsbindungen, wodurch mitunter selbst in entspannten Märkten preiswerte Mietwohnungen im unteren, preisgünstigen Marktsegment fehlen.[12]
Die Wohnungsgemeinnützigkeit wird als ein Instrument gesehen, um insb. kommunale, genossenschaftliche sowie andere gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen steuerlich zu fördern und eine soziale Wohnraumversorgung zu stärken sowie dauerhaft zu erhalten. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen verblieben im Gegenzug für die dauerhafte Förderung auch nach Wegfall von Sozialwohnungsbindungen in der Pflicht, dauerhaft preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wodurch – so das Argument – ein gemeinnütziges Wohnungssegment geschaffen, dass Mietern bis in die Mittelschicht dauerhaft zur Verfügung stünde.[13]
Ein Gesetzentwurf der Grünen zur Wohnungsgemeinnützigkeit wurde am 19. Mai 2021 im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen im Bundestag abgelehnt. Gegen die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit spricht sich u. a. der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen aus. Er sieht darin "ein starres staatliches System mit Preisfestlegungen, die mit dem tatsächlichen Preisgefüge nichts zu tun haben".[14]
Die Einführung einer Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit ist Bestandteil des Koalitionsvertrags der Ampelkoalition aus SPD, Grüne und FDP vom 24. November 2021.[15]
Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich
Das österreichische System der sozialen Wohnversorgung ist durch einen engen Zusammenhang zwischen Wohnbauförderung und dem Agieren gemeinnütziger Bauvereinigungen qua Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz gekennzeichnet, welche durch die Wohnungsgemeinnützigkeit steuerliche Begünstigungen erhalten und privilegierter Fördernehmer in der Wohnbauförderung sind, hierfür jedoch Regeln bzgl. günstiger Mietpreise – auch bei Auslaufen der Bindungen der Wohnbauförderungen – und kontinuierlichen Neubaus unterliegen. Der gemeinnützige Wohnungssektor hat sich demnach als wesentlicher Träger preisgünstiger Mietwohnungen in allen Bundesländern etabliert. Insbesondere die Verschränkung der Wohnbauförderung mit der Wohnungsgemeinnützigkeit hat sich in Österreich als sinnvoll erwiesen.[16]
Wohnungsgemeinnützigkeit in der Europäischen Union
Auch in anderen Ländern der Europäischen Union gibt es mit der Wohnungsgemeinnützigkeit vergleichbare Instrumente und Rechtsrahmen. So sind etwa die niederländischen Woningcorporaties (Wocos) als gemeinnützige Wohnungsunternehmen zu verstehen, die das gemeinwohlorientierte Bauen, Bewirtschaften, Vermieten und Verkaufen von Wohnraum zur Aufgabe haben. Die Erbringung der sozialen Wohnraumversorgung in den Niederlanden findet fast ausnahmslos durch die Wocos statt.[17]
Einzelnachweise
- Sebastian Schipper: Postneoliberale Verschiebungen von Wohnungspolitiken in Deutschland seit 2011? In: Wohnraum dem Markt entziehen? Wohnungspolitik und städtische soziale Bewegungen in Frankfurt und Tel Aviv (= Stadt, Raum und Gesellschaft). Springer Fachmedien, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-658-17993-9, S. 69–113, doi:10.1007/978-3-658-17993-9_4.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Entwicklung der Wohnungsgemeinnützigkeit bis 1989. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 33–56, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_2.
- Holm, A., S. Horlitz und I. Jensen (2015), Neue Gemeinnützigkeit – Gemein- wohlorientierung in der Wohnungsversorgung, Arbeitsstudie, Bundestagsfrak- tion Die Linke, URL: http://www.heidrun-bluhm.de/fileadmin/kreise/Bluhm/ Neue_Gemeinnuetzigkeit_gesamt_2015-09-16.pdf.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Rechtlicher Bezugsrahmen aus früheren und heutigen Regelungen in Deutschland. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 57–134, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_3.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Rechtlicher Bezugsrahmen aus früheren und heutigen Regelungen in Deutschland. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 57–134, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_3.
- Reportage & Dokumentation: Geschichte im Ersten: Korruption und Wohnungsbau | ARD Mediathek. Abgerufen am 27. Juli 2020.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Gemeinnützig handelnde Wohnungsunternehmen ohne WGG? In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 165–176, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_5.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Es ist Zeit für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 261–274, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_9.
- https://www.wiwo.de/politik/deutschland/wohnungsmarkt-wiener-verhaeltnisse-fuer-alle/24172626.html
- https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw11-de-wohngemeinnuetzigkeitsgesetz-685598
- https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++223f2c6c-e579-11eb-a960-001a4a160129
- Mathias Oberndörfer: Bezahlbarer Wohnraum: Beim sozialen Wohnungsbau drängt die Zeit. In: welt.de. 6. September 2019, abgerufen am 17. Oktober 2021.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Es ist Zeit für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 261–274, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_9.
- https://www.haufe.de/immobilien/wirtschaft-politik/debatte-um-neue-wohngemeinnuetzigkeit-flammt-wieder-auf_84342_511086.html
- Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, auf gfx.sueddeutsche.de
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Die Wohnungsgemeinnützigkeit in Österreich. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 179–186, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_6.
- Jan Kuhnert, Olof Leps: Die gemeinnützigen Woningcorporaties in den Niederlanden. In: Neue Wohnungsgemeinnützigkeit: Wege zu langfristig preiswertem und zukunftsgerechtem Wohnraum. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-17570-2, S. 187–212, doi:10.1007/978-3-658-17570-2_7.