Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) (amtlich: Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption) ist in Österreich eine spezielle Anklagebehörde mit Sitz in Wien. Die spezialisierte Staatsanwaltschaft ist bundesweit für alle in einem eigenen Deliktskatalog aufgezählten Delikte vom Ermittlungsverfahren über die Anklage und das Hauptverfahren bis hin zum Rechtsmittelverfahren vor dem Oberlandesgericht zuständig.[1] Leiterin der WKStA ist seit Dezember 2012 Ilse-Maria Vrabl-Sanda.[2]
Die WKStA betreibt gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung ein anonymes Hinweisgebersystem zur Korruptionsbekämpfung.[3]
Geschichte
Die WKStA wurde am 1. Jänner 2009 gegründet. Am 1. September 2011 wurde sie in die nun bestehende neue Strafverfolgungsbehörde umgewandelt, um neben dem Bereich der Korruption hinkünftig auch in Wirtschaftsstrafsachen tätig werden zu können.
Organisation
Mit Stand August 2018 sind bei der WKStA 40 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte tätig.[4] 13 davon sind Experten aus dem Finanz-, Wirtschafts- und IT-Bereich.[1]
Zuständigkeiten
Die WKSTA ist für folgende Delikte zuständig:[5]
- Veruntreuung, schwerer oder gewerbsmäßig schwerer Betrug, betrügerischer Datenverarbeitungsmissbrauch, Untreue, Förderungsmissbrauch und betrügerische Krida (soweit der durch die Tat herbeigeführte Schaden 5 Millionen Euro übersteigt oder eine derartige Tatbegehung versucht wurde)
- Betrügerisches Anmelden zu Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (soweit die vorenthaltenen Beiträge oder Zuschläge 5 Millionen Euro übersteigen oder eine derartige Tatbegehung versucht wurde)
- Organisierte Schwarzarbeit
- Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (Befriedigungsausfall mehr als 5 Millionen Euro bzw. Schädigung der wirtschaftlichen Existenz vieler Menschen)
- Ketten- und Pyramidenspiele (bei schwerer Schädigung einer größeren Zahl an Menschen)
- Geschenkannahme durch Machthaber, wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren und wenn die Tat in Bezug auf einen 3 000 Euro übersteigenden Vorteil begangen wurde Bestechlichkeit, Vorteilsannahme, Vorteilsannahme zur Beeinflussung, Bestechung, Vorteilszuwendung, Vorteilszuwendung zur Beeinflussung, Verbotene Intervention, Geschenkannahme und Bestechung von Bediensteten oder Beauftragten (sowie, wenn eine derartige Tatbegehung versucht wurde)
- Unvertretbare Darstellung wesentlicher Informationen über Verbände und unvertretbare Berichte von Prüfern bestimmter Verbände („Bilanzfälschungsdelikte“), Vergehen nach dem Immobilien-Investmentfondsgesetz, Investmentfondsgesetz, Kapitalmarktgesetz (soweit die betroffene Gesellschaft über ein Stammkapital von zumindest 5 Millionen Euro oder über mehr als 2 000 Beschäftigte verfügt)
- Verfahren nach dem Börsegesetz („Insiderhandel“)
- Verfahren nach dem Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG) 2010 und Gaswirtschaftsgesetz (GWG) 2011
- Finanzvergehen, soweit der strafbestimmende Wertbetrag 5 Millionen Euro übersteigt
- Geldwäscherei bezüglich obiger Straftaten
- Kriminelle Vereinigung oder kriminelle Organisation bezüglich obiger Straftaten
- Rechtshilfe im Zusammenhang mit obigen Straftaten
Kooperation mit Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften
Die Polizei muss bei Bekanntwerden von Korruptionsfällen umgehend der WKStA berichten. Besteht kein besonderes öffentliches Interesse an einem Fall, kann die WKStA das Verfahren an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft übertragen. Das Anschlussstück zur Polizei bildet das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), das am 1. Jänner 2010 das Büro für Interne Angelegenheiten abgelöst hat. Im Falle der Ibiza-Ermittlungen wurde allerdings nicht das BAK, sondern die sogenannte Soko Tape (Soko Ibiza) des Bundeskriminalamts mit den Ermittlungen beauftragt.
Berichtspflicht
Im Gegensatz zu anderen Staatsanwaltschaften war die WKStA in Fällen von öffentlichem Interesse oder ungeklärten Rechtsfragen zunächst nur einer beschränkten Berichtspflicht gegenüber der Oberstaatsanwaltschaft Wien unterworfen, nämlich lediglich bei der Entscheidung über Anklage oder Einstellung, nicht jedoch über den Anfall oder über einzelne Ermittlungsschritte. Ursprünglich wurde angedacht, auch eine Weisungsfreiheit der KStA, eine direkte Unterstellung unter das Justizministerium sowie eine Kronzeugenregelung einzurichten, jedoch kam es nicht dazu.
Nach einer umstrittenen Genehmigung einer vom Innenministerium unter Herbert Kickl vorangetriebenen Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (siehe BVT-Affäre) im Februar 2018 führte der damalige Justizminister Josef Moser (ÖVP) auch für die WKStA eine Berichtspflicht ein.[6] Seither muss die Behörde drei Tage vor jedem bedeutendem Ermittlungsschritt der Oberstaatsanwaltschaft Wien einen Vorhabensbericht erstatten, welcher aufgrund einer Weisungspflicht der OStA Wien an das Justizministerium weitergeleitet wird.[7] Die Opposition forderte wiederholt die Berichtspflicht der WKStA wieder abzuschaffen, um mögliche Vorabinformationen (etwa über geplante Hausdurchsuchungen) an die politische Führungsspitze zu verhindern.[8] Im Jahr 2019 war fast jedes zweite Ermittlungsverfahren berichtspflichtig.[7]
Aktuelle Ermittlungen
Die WKStA ermittelt aktuell in zahlreichen brisanten Fällen, u. a. in der Ibiza-Affäre rund um den ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und den einstigen FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus, in der Casinos-Affäre gegen die ehemaligen Finanzminister Josef Pröll (ÖVP), Hartwig Löger (ÖVP) und den ehemaligen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) sowie gegen Raiffeisen-Manager und den Chef der Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG). Mittlerweile ermittelt die WKStA auch gegen den ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli, beide werden der Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss beschuldigt.[9]
Auch in der sogenannten Schredder-Affäre rund um die Vernichtung von Festplatten des Bundeskanzleramtes kurz nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos ermittelte die WKStA, bis ihr der Fall gegen ihren Willen von der Oberstaatsanwaltschaft Wien entzogen wurde.[10]
Dirty Campaigning
Im Zuge des Ibiza-Untersuchungsausschusses wurde bekannt, dass der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien Johann Fuchs und der Spitzenbeamte im Justizministerium Christian Pilnacek sich in abendlichen E-Mails überlegten, wie man der WKStA medial schaden könnte.[11] Zudem tauchte ein Dokument mit einem Wasserzeichen der ÖVP auf, das an Journalisten verteilt wurde, um verdecktes „Dirty Campaigning“ gegen die WKStA zu betreiben.[12] Gegen Fuchs und Pilnacek wurden Anfang 2021 auch Ermittlungen wegen Falschaussagen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss eingeleitet.[13]
Anzeige gegen Journalistin
In einer Aussendung wendete sich der ORF-Redakteursrat und andere Journalisten scharf gegen die Bedrohung der „Presse“-Redakteurin Anna Thalhammer durch Mitarbeiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und die Anzeige durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) selbst. Der Journalistin seien mit einer Anzeige Delikte unterstellt worden, die mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bedroht sind. Der ORF-Redakteursrat und andere Journalisten sehen dies als einen massiven Angriff auf die Pressefreiheit in Österreich. Die Androhung von Haftstrafen für kritische Berichterstattung über staatliche Organe sei in demokratischen Ländern aus gutem Grund nicht vorgesehen. Unliebsame Berichterstattung dürfe nicht zu persönlichen Repressionen gegen Journalisten führen. Das Medienrecht hätte genügend Möglichkeiten geboten, mit denen sich diese Oberstaatsanwälte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hätten wehren können, wenn die Berichterstattung der Tageszeitung „Die Presse“ aus ihrer Sicht unrichtig oder ehrenrührig gewesen wäre. Dieses Vorgehen sei auch in einem Rechtsstaat üblich. Die persönliche Einschüchterung einer einzelnen Redakteurin mit Anzeigen wegen Verleumdung, übler Nachrede und „öffentlicher Beleidigung einer Behörde“ erscheinen dagegen dem ORF-Redakteursrat als ein Versuch, eine kritische Journalistin in ihrer Arbeit zu behindern und damit letztlich die unabhängige Presse mundtot zu machen. Dass die Staatsanwaltschaft Wien nicht einmal einen Anfangsverdacht erkennen konnte und deswegen die Anzeige zurückgelegt habe, zeige, dass das Vertrauen in den österreichischen Rechtsstaat an sich gerechtfertigt sei.[14][15][16][17][18]
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft räumte aufgrund der massiven Kritik ein, dass diese Anzeigen ein Fehler waren und sich solche nicht wiederholen werden. Für den interimistischen Justizminister Werner Kogler (Grüne) hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) mit diesen Anzeigen gegen eine „Presse“-Journalistin „eine rote Linie überschritten“.[19]
Kritik
Im Oktober 2021 übte die Rechtsschutzbeauftragte der Justiz Gabriele Aicher, die als oberstes Kontrollorgan über die Staatsanwaltschaften auch die WKStA überwacht, in einer Presseaussendung heftige Kritik an der Vorgehensweise der Behörde. Aicher bestritt die Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise der WKStA im Fall der ÖVP-Inseratenaffäre in mehreren Punkten. Einerseits stellte sie in Frage, ob der Zufallsfunden von Chat-Nachrichten auf dem Handy des ehemaligen ÖBAG-Vorstands Thomas Schmid, die mit zum Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz führten, überhaupt im Akt der Staatsanwaltschaft verwertbar sei. Anderseits beurteilte sie die im Zuge der Untersuchungen der Affäre durchgeführten Hausdurchsuchungen bei der Mediengruppe Österreich und deren Eigentümern Helmut und Wolfgang Fellner als rechtswidrig und „eine Gefahr für die Pressefreiheit“. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass „alle Verfahren gemeinsam unter dem Dach des Strafverfahrens gegen Heinz-Christian Strache geführt“ würden, wodurch es immer derselbe Richter sei, der alle Entscheidungen in diesem Ermittlungsverfahren trifft. Da auch am Oberlandesgerichtier in der zweiten Instanz immer derselbe Senat die Entscheidungen fällt sah sie damit „das Recht auf den gesetzlichen Richter systematisch unterlaufen“. Am 14. Oktober brachte Aicher eine Beschwerde beim Obersten Gerichtshof ein.[20]
Ende November wurde zunächst bekannt, dass Aicher sich bei der Formulierung der Pressemitteilung von Anwälten beraten ließ, die auch als Strafverteidiger Beschuldigte in jenen Verfahren vertreten, deren Untersuchung durch die WKStA sie kritisierte.[21][22] An sie gerichtete Rücktrittsaufforderungen folgten einerseits von Vertretern der Oppositionsparteien, anderseits unter anderem von den Proponenten des geplanten Volksbegehrens für Anstand und gegen Korruption, darunter die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes Irmgard Griss und der erste Leiter der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft Walter Geyer.[23]
Leitung
Bisherige Behördenleiter der WKStA:
- September 2009 – November 2012: Leitender Staatsanwalt Walter Geyer[2]
- seit Dezember 2012: Leitende Staatsanwältin Ilse-Maria Vrabl-Sanda[2]
Weblinks
- Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) – Bundesministerium für Justiz.
Einzelnachweise
- Allgemeine Informationen, auf justiz.gv.at
- Ilse-Maria Vrabl-Sanda, Österreichs neue Korruptionsjägerin. In: Wiener Zeitung. 30. November 2012, abgerufen am 8. Februar 2020.
- Helfen Sie mit bei der Aufklärung schwerer Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität und Korruption! Wir wahren Ihre Anonymität., auf bkms-system.net
- Manfred Seeh: Vorzeige-Staatsanwalt als einsamer Korruptionsjäger (Memento vom 2. Januar 2017 im Internet Archive). In: Die Presse. 9. Oktober 2008, abgerufen am 8. März 2020.
- Zuständigkeit, auf justiz.gv.at
- Disput um Berichtspflicht, Wienerzeitung vom 11. April 2019
- Berichtspflicht an Ministerium zieht Ermittlungen in die Länge, Kurier vom 11. April 2019
- U-Ausschuss – SPÖ, NEOS und FPÖ verlangen Abschaffung der Drei-Tages-Berichtspflicht der WKStA an OStA, auf ots.at
- Die WKStA beschuldigt Kurz, dreimal falsch ausgesagt zu haben. Abgerufen am 13. Mai 2021 (österreichisches Deutsch).
- Oberstaatsanwaltschaft wollte nicht, dass Schredder-Akt an U-Ausschuss geht, Der Standard vom 27. Juni 2020
- Wie die WKStA ins Fadenkreuz von ÖVP und Vorgesetzten geriet, Der Standard vom 22. Jänner 2021
- Korruptionsjäger sieht "unsachliche Angriffe", Wiener Zeitung vom 16. Juli 2020
- Opposition fordert Suspendierungen, auf orf.at
- ORF-Redakteursrat verurteilt Anzeige gegen Journalistin, Webseite: APA-OTS vom 20. Januar 2021.
- Korruptionsstaatsanwälte zeigten Journalistin wegen übler Nachrede an, Webseite: derStandard.at vom 17. Jänner 2021.
- Strafjustiz gegen journalistische Aufklärung: Was soll das sein oder noch werden?, Webseite: APA-OTS vom 20. Jänner 2021.
- die Staatsanwältin die Journalistin anzeigt, Webseite: Falter.at vom 20. Jänner 2021.
- Korruptionsstaatsanwälte zeigten Journalistin an, Webseite: medianet.at vom 20. Januar 2021.
- Kogler kritisiert WKStA-Anzeige gegen Journalistin, Webseite: orf.at vom 24. Jänner 2021.
- Ida Metzger: Harte Kritik an der WKStA: "Rote Linie des Rechtsstaats wurde überschritten". 29. Oktober 2021, abgerufen am 29. Oktober 2021.
- Rechtsschutzbeauftragte ließ sich bei Angriff auf WKStA von Kanzlei Ainedter beraten. In: derstandard.at. 26. November 2021, abgerufen am 27. November 2021 (österreichisches Deutsch).
- ORF at/Agenturen red: ÖVP-Affäre: Beschuldigten-Anwalt beriet Rechtsschutzbeauftragte. 26. November 2021, abgerufen am 27. November 2021.
- Salzburger Nachrichten: Zadic will mit Rechtsschutzbeauftragter über WKStA reden. 27. November 2021, abgerufen am 27. November 2021.