Oberster Gerichtshof (Österreich)
Der Oberste Gerichtshof (OGH) ist in Österreich die letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren. Er judiziert in Senaten, die im Verhältnis zueinander gleichrangig sind. Deren Entscheidungen sind somit unanfechtbar. Neben dem Verfassungs- und dem Verwaltungsgerichtshof ist der Oberste Gerichtshof eines der drei österreichischen Höchstgerichte.
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Staatliche Ebene | Bund | ||
Stellung | für Zivil- und Strafsachen zuständiges Höchstgericht | ||
Aufsichtsorgan(e) | Bundesministerium für Justiz (in Angelegenheiten der Justizverwaltung) | ||
Bestehen | seit 21. August 1848 | ||
Hauptsitz | Wien 1, Schmerlingplatz 11 | ||
Präsidentin | Elisabeth Lovrek | ||
Mitarbeiter | 60 Richter[1] | ||
Website | www.ogh.gv.at |
Der OGH hat seinen Sitz im Justizpalast in Wien und wurde am 21. August 1848 als Nachfolger der von Maria Theresia 1749 gegründeten Obersten Justizstelle geschaffen,[2] die vor der Entstehung des Justizministeriums (ebenfalls im Zuge der Revolution 1848) auch für die Justizverwaltung zuständig war.[3]
Präsidentin des OGH ist seit dem 1. Juli 2018 Richterin Elisabeth Lovrek.
Senate
Einfache Senate
Einfache Senate (§ 6 OGHG) bestehen aus fünf Richtern; sie haben zu entscheiden, sofern die Gerichtsbarkeit nicht in verstärkten Senaten oder Dreiersenaten auszuüben ist. Verstärkte Senate sind – abgesehen von einer tieferstehenden Ausnahme – mit elf Richtern besetzt. Ein Berufsrichter fungiert in allen Senatszusammensetzungen als Vorsitzender. Die einfachen Senate sind die für die Erledigung des Aktenanfalls wichtigsten Spruchkörper. In Arbeits-, Sozialrechts-, sowie in und Kartell- und Patentsachen üben die Gerichtsbarkeit nicht nur Berufsrichter, sondern auch fachkundige Laienrichter aus. Dort sind die einfachen Senate mit drei Berufs- und zwei fachkundigen Laienrichtern besetzt.
Verstärkte Senate
Verstärkte Senate (§ 8 OGHG) haben zu entscheiden, wenn in Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung von der ständigen Rechtsprechung des OGH abgegangen oder eine durch eine Entscheidung des letzten vorangegangenen verstärkten Senats geprägte Leitlinie nicht mehr fortgeschrieben werden soll, oder wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der bisherigen Rechtsprechung des OGH (durch einfache Senate) nicht einheitlich gelöst wurde.
In Arbeits- und Sozialrechtssachen besteht die Senatsbesetzung aus sieben Berufsrichtern und vier fachkundigen Laienrichtern, jene in Ausübung der Kartellgerichtsbarkeit dagegen aus sieben Berufsrichtern und zwei fachkundigen Laienrichtern.
Dreiersenate
Dreiersenate (§ 7 OGHG) entscheiden in bestimmten verfahrensrechtlichen Fragen. In Strafsachen ergehen in dieser Besetzung auch Erkenntnisse nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz. In einigen Materien kann jedes Mitglied eines Dreiersenats die Entscheidung durch den einfachen Senat verlangen. In Kartellsachen werden in Dreiersenaten, die nur mit Berufsrichtern besetzt sind, Angelegenheiten von geringer Bedeutung entschieden.
Begutachtungssenate
Begutachtungssenate (§ 11 OGHG) bestehen aus dem Präsidenten und sechs weiteren Mitgliedern des OGH. Sie erstatten Gutachten über Gesetzes- und Verordnungsentwürfe. Auf Grund der Geschäftsverteilung des OGH sind fünf Begutachtungssenate für unterschiedliche Materien eingerichtet.
Höchstgerichtsbarkeit
Die Höchstgerichtsbarkeit wird derzeit von elf Zivil- und fünf Strafsenaten ausgeübt. Die angeführte Zahl der Zivilsenate enthält auch den in Kartellsachen judizierenden Senat. Verstärkte Senate bilden die Erweiterung, Dreiersenate die Verkleinerung einfacher Senate.
In Zivilsachen entscheidet der OGH in letzter Instanz über (ordentliche und außerordentliche) Revisionen gegen Urteile der Berufungsgerichte, Rekurse gegen Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschlüsse der zweiten Instanzen als Berufungs- oder als Rekursgerichte, sofern ein solches Rechtsmittel in zweiter Instanz zugelassen wurde, (ordentliche und außerordentliche) Revisionsrekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanzen als Rekursgerichte und – in manchen Fällen – über Rekurse gegen bestimmte Beschlüsse der zweiten Instanzen als Berufungs- oder als Rekursgerichte. In Kartellsachen, die gleichfalls zu den Zivilsachen zählen, entscheidet der OGH als Kartellobergericht über Rekurse gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht.
Der Zugang zum OGH in Zivilsachen ist in einigen Angelegenheiten – einerseits nach betroffenen Materien, andererseits infolge des einen bestimmten Geldwert nicht übersteigenden Entscheidungsgegenstands zweiter Instanz – gänzlich ausgeschlossen. Sonst kann der OGH gewöhnlich nur angerufen werden, wenn die zweite Instanz ein solches Rechtsmittel zuließ, weil die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt. Sprach die zweite Instanz aus, dass die Anrufung des OGH nicht zulässig sei, so ist deren Entscheidung – in bestimmten Materien jedenfalls, in anderen Materien dann, wenn der Entscheidungsgegenstand einen bestimmten Geldwert überstieg – mit einem außerordentlichen Rechtsmittel (mit außerordentlicher Revision oder außerordentlichem Revisionsrekurs) anfechtbar. Nur bestimmte in zweiter Instanz ergangene Beschlüsse können jedenfalls bekämpft werden. In solchen Fällen ist ein Ausspruch über die Zulässigkeit oder die Nichtzulässigkeit eines Rechtsmittels an den OGH entbehrlich. Als zweite Instanz entscheidet – je nach dem in den Verfahrensgesetzen vorgesehenen Instanzenzug – immer ein Oberlandesgericht oder ein Landesgericht.
In Strafsachen erkennt der OGH über Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen.
Richter
Die aktuelle Senatszusammensetzung sowie die am OGH tätigen Richter ist in der Geschäftsverteilung des OGH ersichtlich.[4]
Präsidenten
Österreichisch-Ungarische Monarchie
- 1848–1855: Ludwig Graf Taaffe
- 1857–1865: Karl Ritter von Krauss
- 1865–1891: Anton Ritter von Schmerling
- 1891–1899: Karl Ritter von Stremayr
- 1899–1904: Karl Habietinek
- 1904–1907: Emil Steinbach
- 1907–1918: Ignaz von Ruber
Erste Republik
- 1919–1927: Julius Roller
- 1927–1938: Franz Dinghofer
Zweite Republik
- 1945–1953: Guido Strobele-Wangendorf
- 1954–1955: Franz Handler
- 1956–1957: Karl Wahle
- 1958–1965: Ludwig Viktor Heller
- 1966–1968: Hans Kapfer
- 1969–1971: Norbert Elsigan
- 1972–1979: Franz Pallin
- 1980: Wolfgang Lassmann
- 1981–1982: Rudolf Hartmann
- 1983–1986: Leopold Wurzinger
- 1987–1993: Walter Melnizky
- 1994–1998: Herbert Steininger
- 1999–2002 Erwin Felzmann
- 2003–2006: Johann Rzeszut
- 2007–2011: Irmgard Griss
- 2012–2018: Eckart Ratz
- seit 2018: Elisabeth Lovrek[5]
Literatur
- Birgit Feldner: Verstärkte Senate beim Obersten Gerichtshof, Wien 2001
- Veronika Haberler: Die höchstgerichtliche Entscheidung: Eine empirische Studie zur Entscheidungsfindung in Zivilrechtssachen am OGH, Wien 2014, ISBN 978-3-9503816-0-3. Leseprobe
- Georg Kodek: Funktion und Arbeitsweise des OGH – die Binnensicht, in: Kodek (Hrsg.), Zugang zum OGH, Wien 2012, 99–118
Siehe auch
- Gerichtsorganisation in Österreich
- Deutschland: Bundesgerichtshof
- Schweiz: Bundesgericht
Weblinks
Einzelnachweise
- Oberster Gerichtshof: , abgerufen am 14. Juli 2016
- Justiz-Ministerial-Erlaß vom 21. August 1848 (JGS Nr. 1176/1848), dazu Kaiserliches Patent vom 7. August 1850, wodurch die Organisation des obersten Gerichts- und Cassationshofes in Wien festgesetzt wird (RGBl. Nr. 325/1850). Ursprünglich umfasste er 19 Oberlandesgerichtssprengel. Für Ungarn wurde er bereits 1861 wieder durch die 1723 errichtete Curie ersetzt.
- Christian Neschwara: Die Oberste Justizstelle in Wien (1749-1848). Österreichische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 19. April 2019.
- Geschäftsverteilung. In: ogh.gv.at. Abgerufen am 27. Februar 2021.
- Liste der Präsident/inn/en des OGH. Abgerufen am 18. November 2018.