Villa Haas
Die Villa Haas ist eine historistische Villa in Sinn im mittelhessischen Lahn-Dill-Kreis, am westlichen Rand der Hörre und am Fuße des Naturparks Lahn-Dill-Bergland.
Villa Haas | ||
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Rhododendron säumt die Auffahrt zu Herrenhaus und Remise | ||
Daten | ||
Ort | Sinn bei Herborn | |
Architekt | Ludwig Hofmann | |
Baustil | Historismus | |
Baujahr | 1892 | |
Koordinaten | 50° 39′ 29″ N, 8° 19′ 39″ O | |
Die Villa, der Park und die umliegende Gesamtanlage „Hansastraße / Rudolfstraße“ sind Kulturdenkmale aufgrund ihrer geschichtlichen und künstlerischen Bedeutung.[1]
Sie ist eine der wenigen erhaltenen Anlagen aus der Zeit der Industrialisierung Mittelhessens und erzählt die Geschichte vom künstlerischen Anspruch des Bauherrn und seiner Familie. Das Bauwerk wie sein Umfeld geben dem Besucher viele Informationen über die Zusammenhänge seiner Entstehung. Es berichtet über die Zeiten des Kaiserreichs, der Diktatur, der Demokratie, gewinnt dadurch an Authentizität und bleibt durch seinen typischen Stil in Erinnerung.
Entstehung
Herrenhaus, Nebengebäude (Remise) und Parkanlage gehen auf einen Entwurf des Herborner Architekten Ludwig Hofmann (1862–1933) zurück, den der Geheime Kommerzienrat Rudolf Haas, Besitzer des am linken Ufer der Dill in Sinn niedergelassenen Unternehmens Neuhoffnungshütte,[2] 1892 mit dem benachbarten Bau beauftragte. Dieser entwickelt ein bedeutendes noch erhaltenes Beispiel für die Stilsynthesen im späten Historismus. Bis dato waren die Landschaftsgärtner für die Gestaltung der Umgebung zuständig. Hier wurde, und das war neu, der für den Hausbau verantwortliche Architekt auch mit der Planung einer Außenanlage betraut. Damals eine fast revolutionäre Vorgehensweise, die sich im deutschsprachigen Raum erst nach 1910 mit dem Übergang zur Moderne durchsetzte.[3] L. Hofmann entwarf einen weitgehend natürlich wirkenden Villenpark mit Anleihen an den Englischen Landschaftsgarten. Ziel war durch gestalterische Elemente der Renaissance, wie z. B. Terrassen, Außenräume einzuplanen die eine Einheit von Wohnhaus und Garten suggerieren. Aspekte einer nachhaltigen Nutzung wie ein Geflügelhof, eine Bleichwiese oder der Platz für ein Festzelt auf dem Rondell sind berücksichtigt. Als typisch deutsches Parkmodell zur Zeit des Historismus sind die Brezelwege, Teppichbeete[4] oder der Umriss des Gartenteiches, der einem fjordhaften Schweizer Bergsee ähneln sollte zu verstehen.
Überregionale Bekanntheit in Büchern und Fachzeitschriften erhielt die Anlage bereits um 1894 durch Stiche und Tafeln des Illustrators Georg Loesti.
Bewohner
Rudolf Haas (* 1843; † 1916) führte die Neuhoffnungshütte W. Ernst Haas & Sohn. Er investierte zukunftsbezogen und setzte sich für technische Innovation ein. Die Neuhoffnungshütte bei Sinn betrieb Eisenstein-Bergbau sowie eine Eisengießerei mit Herd- und Ofenfabrikation, Puddel, Sägewerk und Walzwerk, Hufeisenfabrik, Stangenblankzieherei, Drahtzieherei, Drahtstiftenfabrik und Blech- und Kupferschmiede für Kesselöfen. Als Montanunternehmer war Rudolf Haas Mitbegründer des Vereins der Eisenhüttenleute (heute Stahlinstitut VDEh) sowie Mitglied im renommierten Wiesbadener Nassauischen Verein für Naturkunde.
Otto Rudolf Haas (* 1878; † 1956) übernahm 1916 die Leitung der Firma als geschäftsführender Gesellschafter bis 1938. Er war Vorstandsmitglied der Industrie- und Handelskammer Dillenburg und des örtlichen Arbeitgeberverbandes. Nach 1945 erfolgte die kurzzeitige Besetzung durch amerikanische Offiziere sowie eine Einquartierung von Flüchtlingen.
Haas’ Nachfolger als Leiter des Unternehmens, Helmut Prawitz (* 1893; † 1982), langjähriger Präsident der Industrie- und Handelskammer Dillenburg sowie Träger des Bundesverdienstkreuzes 1954 und Ehrenbürger der Gemeinde Sinn 1968, bewohnte die Villa bis 1976. Er war ein früher Förderer des Architekten Hermann Fehling und des Designers Peter Raacke. Bis 1977 wurde die erste Etage als Film- und Fotostudio für Werbeaufnahmen genutzt.
Ende 1977 erwarb Klaus F. Müller, dessen Familie in der dritten Generation mit der Neuhoffnungshütte verbundenen war, das Anwesen aus dem Firmenbesitz von W. Ernst Haas & Sohn. Umbau und Renovierung mit Planung einer zahnärztlichen Praxis[5] incl. Labor erfolgten durch den Architekten Helmut Müller (1919–1990). Sein Sohn, der als einer der Pioniere der deutschen oralen Implantologie[6] gilt, betrieb hier seine Praxis bis 2007.
Architektur
Zu den Stilelementen des zweigeschossigen großvolumigen Anwesens gehören reich behauene Werksteingliederungen über dem Sockelgeschoss, mit Sandstein umrandete Fenster- und Giebelmotive, die sich an der deutschen Neorenaissance orientieren. Malerisch wirken die Dach- und Giebelformationen mit Lukarnen, mehrere Altane (Söller), gekuppelte Fenster (Biforium) und der schmale Glockenturm. 22 Kaminzüge und sieben verschiedene Gaubentypen, Auslucht und Erker sind Details der architektonischen Elemente. Typisch für diesen auch im Späthistorismus (nach 1890) vertretenen Baustil sind die halbkreisförmigen Giebel oder die mit schneckenförmigen Voluten verzierten Zwerchhäuser. Neben den mit Lisenen und Pilastern kunstvoll verzierten Fassadengliederungen dienen Obelisken und Steinkugeln zur Ausschmückung der Gebäudeteile. In den kunstschmiedeeisernen Arbeiten des Außen- und Innenbereiches von Geländern oder Korbgittern setzen sich Doppelvoluten, Flechtwerke und Ranken als Motive fort. Auch der vorgesetzte Treppenturm mit Dachhelm, Bergbausymbol und Bleiglasfenster mit Themen der Rheinromantik des deutschen Landschaftsmalers Johann Heinrich Schilbach sowie die detailreichen Fassaden verstärken diesen Gesamteindruck. Schützenswerte Bauteile sind auch ein kleiner Pavillon (Teehaus)[7] sowie die schmiedeeisernen Haupt- und Nebenportale.[8]
- Ansicht von Südwest
- Ansicht von Osten
- Ansicht von Nordost
- Ansicht von Norden
- Wintergarten (über Zisterne), Arkadengang
- Bossenquader aus Lungstein am Sockel
- Glockenturm mit Geläut
- Blick aus der Beletage nach Süden
Details zur Architektur
Der herrschaftliche Haupteingang zum Treppenturm ist im Stil einer Archivolte gehalten. Die traditionellen Verzierungen im roten Mainsandstein finden ihren Abschluss in einem leicht vorgekragten Segmentgiebel. Zum Wetterschutz wird dieser von einem entsprechend gerundeten Glasdach fortgesetzt. Seitlichen Stützen der vernieteten Konstruktion bestehen aus schweren schmiedeeisernen im historistischen Stil reichlich verzierten Konsolen. Die eingearbeiteten Glasplatten deuten jedoch, wo sie farblich gehalten werden, den aufkommenden Jugendstil an.
Das eichengeschreinerte zweiflüglige Portal zeichnet sich durch stilvolle Applikationen aus, die das Wesen des Gebäudes widerspiegeln. Dazu gehören, neben diversen Profilen und gedrechselten Auflagen, Diamantbossen-Formationen in Quadratfülllungen, Zopfmotive sowie zwei Spitzgiebel. Zwei dahinter platzierte Lichtaustritte haben mit Rosetten gestaltete Ziergitter, die mit den Initialen NH (Neuhoffnungshütte) versehen sind. Nach innen befinden sich hier drehbare Flügelfenster aus Bleiglas. Der aus Messing gegossene Türknauf mit dem gegenüberliegenden Türgriff vervollständigen den künstlerischen Gesamteindruck. Flankierend zur Treppenstufe sind zwei Bronze-Hasen als Fußabstreifer angebracht. Im gepflasterten Vorhof wird das familiäre Wappensymbol aus farbigen Steinmosaiken dargestellt.
Über den Windfang und die Garderobe erreicht man das Vestibül. Noch heute sind originale Ausstattungen wie Terrazzoböden, Stuck, Wandtäfelungen und Parkett erhalten. Die Kamine sind zum Teil mit neoklassizistischen Applikationen aus Naturstein wie Lahnmarmor und belgischem Granit versehen, aber auch neohistoristische Elemente mit großflächigen Keramiken und Motiven der in der Renaissance so beliebten Tierkreiszeichen wurden hinzugefügt.[9] Die 12 Reliefplatten stammen von Villeroy und Boch, entsprechen dem historisierenden Stil der Postmoderne und sind mit J.Hortös signiert. Alle Kellergewölbe bestehen aus den im 19. Jahrhundert entwickelten Tonnengewölben, die auch preußische Kappendecke genannt werden und sich durch hohe Belastbarkeit sowie Feuchtigkeitsresistenz auszeichnen.
Ansprüche historistischer Wohnkultur
Tageslichteinfall durch variantenreiche Fenster, wie Kreuz- oder Kämpferfenster. Ausgeglichene Raumproportionen und optimale Ausrichtung des polygonalen Gebäudes. Beschattung- und Hitzeschutz (wurden schon 1892 eingeplant und qualitätsvoll umgesetzt). Typisch für die neue gehobene Wohnkultur ist der separate Etagenzugang über den Treppenturm. Alle privaten Zimmer sind durch Verriegelung, Geheimtüren und Schlupfe so verbunden, dass Familienmitglieder jeden Raum erreichen konnten, ohne von Besuchern oder Bediensteten vom Flur oder Vorplatz gesehen zu werden. Das Dachgeschoss war die Unterkunft der Hausangestellten, Kinder und Besucher. Begehbare Staukammern enthielten z. B. Waschtische oder den Antrieb des Speiseaufzuges. Ein internes elektrisches Klingelsystem sorgte für die einfache Kommunikation im Haus.
Eine Tür führt auf den weitreichenden Dachboden. Er diente im Winter zum Trocknen der Wäsche sowie als zusätzlicher Lagerraum. Hier befindet sich auch die Turmuhr und früher der hauseigene Druckwasserspeicher. Ein Leitersystem erschließt die Dachplattform sowie den Zugang zum Glockenturm mit den Schlagwerken.
Der Dienstboteneingang im Erdgeschoss führte zu Nähzimmer und Küche. Über den Treppenabgang erreichte das Personal die darunter liegende Waschküche, Versorgungskammern und den gut gesicherten Weinkeller. Die Wildkammer befand sich im gegenüberliegenden Wirtschaftsgebäude. Die Räume des Faktotum waren im Souterrain durch einen separaten, über eine Loggia verbundenen, Zugang erreichbar.
Vom Wintergarten am Hochparterre führt eine Treppe mit zwei Viertelpodesten zu den weiß gekiesten Parkwegen. In diesem Bereich setzt der Architekt auf künstlerische wie materielle Vielfalt. Das erste Podest besteht aus einer konsolengetragenen Sandsteinplatte und wirkt wie eine Kanzel. Ein schmiedeeisernes Geländer auf gusseisernen Treppenstufen lehnt sich an die nach außen gerundete Hauszisterne. Das folgende Podest und die weiterführende Treppe bestehen aus handgehauenem Trachyt. Es ruht auf einem aufsteigenden Tonnengewölbe aus Ziegelsteinen, welches auf der sichtbaren Seite die aus lokal gebrochenen Bruchsteinen gefertigte Fassade fortsetzt. An dem Punkt, wo sich die Treppen vom Gebäude löst und in den Park abzweigt, wird sie breiter und beidläufig. Gegenüber erhebt sich aus rotem Buntsandstein die Freitreppe zum Teehaus. Dem Architekten gelingt hier eine Synthese zwischen Kunst am Bau und Technik, ohne in den oft kritisierten überladenen Stil des Historismus abzugleiten.
Ausstattung
Zu den Besonderheiten zählt eine Zisterne mit vorgeschaltetem Filterraum, die sich unter dem pavillonhaften eisernen Grünhaus (heute Wintergarten) befindet. Weiter gehören ein Speiseaufzug, ein zweiter Eiskeller, ein Hummerbecken zur Fischhälterung mit damals neuartiger Belüftung durch elektrisch betriebene Kolbenverdichter (Siemens-Schuckert) sowie eine elektrische Nachtspeicherheizung (Baujahr 1910) zur damals außergewöhnlichen Ausstattung.
Eine von Perrot, Calw, mit elektromagnetischem Schlagwerk nachgerüstete Turmuhr ist noch in Funktion. Das Rechenschlagwerk mit Stundenzählung (Wiener Schlag) zeigt über zwei Glocken der Glocken- und Kunstgießerei Rincker viertel und ganze Stunden an. 1983 bekam die Bronzeglocke mit der Inschrift „Fortuna Virtutis Comes“ (Schlagton C-Dur) eine Läutemaschine mit elektromechanischem Antrieb und Steuerung nach Friedrich Bokelmann von den Herforder Elektromotoren-Werken (HEW). Im Rahmen der Teilrestauration wurden Joch und Glockenstuhl der besseren Resonanz wegen aus dem wetterbeständigen Holz der Milicia (Kambala) gefertigt.
Selbstversorgung
Ehemalige Gärtnerei, Palmenhaus, Geflügelstall und Bienenhaus dienten bis Ende der 60er Jahre der Selbstversorgung. Zur Eigenherstellung von Tabak war ein Trocken- und Fermentierraum vorhanden. Erhalten ist noch ein Annexbau zum großen Eiskeller für die Zuchtchampignons. Aus dem damals noch zugehörigen landwirtschaftlichen Gut Rupperstmühle auf der gegenüberliegenden Dill-Seite entstand in den 90er Jahren eine Reitanlage. Westlich davon auf der Anhöhe befindet sich die kleine Villa Marie. Sie ist eine in den 1920er Jahren errichtete Dependance für Familienmitglieder inmitten einer großen Gartenanlage. Der östlich des Parkes der Villa Haas gelegene etwa 2 Hektar große pomologische Garten, im Volksmund Kirschgarten genannt, wurde als Kurzrasenweide genutzt und ist heute überbaut. Dieses Gebiet gehörte früher zur nassauischen Domäne und hatte mit Wingert, Obsthain, Quelle und Bachlauf die ursprünglichen Merkmale des deutschen Gartens.
Relikte
Vom Zweiten Weltkrieg zeugt im nördlichen Teil des Parkes noch ein Flakfundament. Daneben liegt der Eingang eines großräumigen gewölbeartigen Tiefenbunkers. Ein kleiner Luftschutzraum wurde in den Berghang neben der Remise gebaut. Oberhalb dieser Anlagen an der Grenze nach Herborn befindet sich ein ypsilonförmiger Wasserstollen (Baujahr 1928). Auch eine große wasserführende Kaverne liegt auf dem hinteren Parkgelände. Die von der Bevölkerung oft als Geheimgänge zur Villa bezeichneten unterirdischen Tunnel stellen eher Luftschächte und Notausgänge dar. Heutzutage sind sie geflutet, teilweise verschüttet und ein Habitat für Fledermäuse.
Reitwege führten vom Park durch den Sinner und Herborner Beilstein (heute Dernbachwiesenweg) zu den Dillklippen. Der am Aussichtspunkt befindliche Pavillon ging nach familiärer Erzählung, wie sein Pendant in der Villa (Teehaus), auf eine Idee von Oberstleutnant Arnold Retzlaff[10][11] zurück und wurde in den Arbeiterunruhen 1928 zerstört.
Park
Gestaltungsmittel
Die denkmalgeschützte Gartenanlage enthält neben seltenen Pflanzen, Sträuchern und Bäumen viele Stilelemente und Staffagen des historistischen Parks. Hierzu zählen Ruine mit Eiskeller, Grotte, Laubengänge, Spiegelteich, Rondell, Springbrunnen, Exedren, Schneckengang auf einen Kunsthügel, Putten, Scheinfriedhof und mehr.[12] Die schmiedeeiserne Wetterstation mit Sonnenuhr sowie die Außen-Voliere wurden leider 1978 entwendet.
Zum Verständnis des Bergparkes und seiner Geschichte sollte sich der Interessierte auf geologische Spurensuche begeben und auch verschiedene Gesteinsansammlungen beachten. Sie sind stumme Zeugen eines über 100-jährigen Haas'schen Engagements in Bergbau und Hüttenwesen des Lahn-Dill-Sieg Gebietes. Als Blickfang dienen Eisenkiesel Härtlinge, Vulkansteine, Quarzite, Grünlinge etc. Die regionalen Vertreter der metamorphen, sedimentären magmatische Gesteine entstammen dem auslaufenden Rheinischen Schiefergebirge und der Hörre-Zone.
Umgebung
Der Park ist eine der wenigen erhaltenen Neuschöpfungen des Historismus und weist über hundert verschiedene Pflanzenarten auf. Er ist Teil des Gebietes Beilstein / Hörre, das von Johann Daniel Leers in seiner Flora Herbornensis[13] in der Artenvielfalt mit genauen Standorten 1775 beschrieben wurde. Diese Auflistungen sind nach Karl Löber „von unübertroffener Genauigkeit und ermöglichen heute noch eine mühelose Nachprüfung“.[14][15]
Ursächlich für das Interesse der Botaniker und Forstwirtschaftler ist das besondere Klima des unteren Dilltals. Im Vergleich zum angrenzenden hessischen Westerwald hat die von Nord- und Ostwinden geschützte Hanglage eine im Jahresmittel höhere Temperatur und geringere Niederschläge. Eine günstige Voraussetzung für wärmeliebende einheimische wie exotische Gehölze. Bis in die 1970er Jahre fanden Begehungen im Rahmen der praxisnahen Ausbildung von Forstämtern statt. Umliegende Gärtnereien ernteten Zapfen und Zweige der zum Teil exotischen Nadelbäume zu Dekorationszwecken.
Kunstgriffe
Hofmann als Landschaftsarchitekt nutzt geschickt optische Möglichkeiten zur Wahrnehmungstäuschung. Durch die Hanglage des Gartens entsteht im Sinne der Renaissance eine dreidimensionale Raumwirkung, die in Tallage einer größeren Fläche bedürft hätte.[16] Die Kulisse der rauchenden Schlote, der Lärm von Giesserei und Eisenwerk wurden damals bewusst in die Inszenierung einbezogen. In den letzten vier Jahrzehnten wurde versucht, Kernpark und Gebäude in ihrem historischen Ursprung als Gesamtkunstwerk zu erhalten. Daher verzichtete man auf allseits beliebte schmückende Ausstattungen und Dekorationen. In diesem Sinne wurden z. B. auch die Parkleuchten im Stile eines sachlichen Funktionalismus (Bauhaus) belassen.
Parkanlagen unterliegen zeitgemäß Veränderungen. Wen wundert es, wenn kulturelle Sichtweisen hierzu (Goethe, Kant, Hegel) hinterfragt werden und bezüglich des Kunstbegriffes Erweiterungen erfahren. Bisher war die Schönheit eines Parkes Sinnbild für die gute Natur. Man orientierte sich an der bürgerlichen Naturästhetik. Der Landschaftsgarten galt als utopisches Gegenstück zur Gesellschaft. Die natürliche Schönheit begriff man stets als Beigabe. Mit dem Aufkommen der ökologischen Naturästhetik (Gernot Böhme) wird die Schönheit eines Parkes als ökologisches Gefüge mit eigenen Atmosphären und Befindlichkeiten für die betroffenen Menschen aufgefasst.[17]
Trivia
Die Remise von 1892 mit Stall für Geflügel und Pferde wirkte sehr unrepräsentativ. Danach erweiterte man diese Stallung für Kutschen und errichtete eine durch eine Quelle gespeiste Pferdetränke. Die heutige Version von 1910 wurde in den Hang gebaut und wirkt durch Scheinarchitektur wesentlich größer. Mit einer beheizten Werkstatt, Abgasleitung und Inspektionsgrube hielt die Motorisierung Einzug.
Kuriosa
Am nordwestlichen Parkausgang liegen die Reste einer ehemaligen Freiluftdusche mit einem Relief des Ritters von Berlichingen und dem Götz-Zitat (Schwäbischer Gruß) über dem Ablaufbecken. Auf der Entlüftung des Eiskellers steht der in Vulgärlatein gehaltene Spruch „Hi tut dip heim“. Dies bedeutet im Verständnis der mittelalterlichen Sprachallegorien soviel wie: Wenn der Fuchs predigt, so hüte die Gänse.
Eine mit Wappen und Ornamenten reich verzierte Kanone hat am Kopfstück die Aufschrift „Gayre ay Ghapet“. Sie ist am Rondell platziert. Mutmaßlich gehörte sie zum schottischen Minard Castle und dem ominösen Clan Gayre.
Villa Haas heute
Die Anlage befindet sich in Privatbesitz, wird von mehreren Generationen bewohnt und ist daher nicht öffentlich zugängig. Im Rahmen von kulturellen Veranstaltungen ist eine Besichtigung des historistischen Gartens mit Blick in das repräsentative Treppenhaus möglich. Die Kulissen sind gefragt für Fotoshooting, Werbespots und regionale Filmproduktionen.[18] Alle Einnahmen hieraus fließen als direkte Spenden zu einer Stiftung für Bildung in Uganda (Foundation 22stars).[19][20]
- Parkplan um 1892
- Rondell
- Laubengang
- Teich
- Grotte
- Ruine
- Teehaus
- Eiskeller (Plan)
- Schmiedeeisernes Hauptportal
- Geologische Gesteinssammlung
- Drohnenperspektive aus ca. 100 m Höhe auf Villa und Park Juli 2021
Literatur
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Lahn-Dill-Kreis I. (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Hessen.) Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/ Wiesbaden 1986, ISBN 3-528-06234-7.
- Friedhelm Gerecke: Historismus, Jugendstil, Heimatstil in Hessen und im Rheinland. Die Bauten des Architekten und Denkmalpflegers Ludwig Hofmann (1862–1933) aus Herborn. Verlag Michael Imhof, Petersberg 2010, ISBN 978-3-86568-458-5.
- Klaus F. Müller: Park und Villa Haas – Historismus, Kunst und Lebensstil. Verlag Edition Winterwork, 2012, ISBN 978-3-86468-160-8.
- Architektonische Rundschau. 10. Jhg., Heft 1, 1894, Tafel 3–7 (Techn. Hochschule Darmstadt, Fachgebiet Baugeschichte).
- Oswald Haenel: Einfache Villen und Landhäuser. Eine Sammlung von interessanten Bauten und originellen Entwürfen namhafter Architekten des In- und Auslandes. Gilbers'sche Königl. Hof-Verlagsbuchhandlung (J.Bleyl), Dresden 1902.
- Gerd Andriessen: 100 Jahre W. Ernst Haas und Sohn. Sonderdruck. Dillzeitung, 26. Mai 1954.
- Michael Balston: The Well-Furnished Garden. Simon & Schuster, 1987, ISBN 0-671-63474-7.
- Lothar Abel: Das elegante Wohnhaus. Wien, Pest, Leipzig 1890
- Rainer Laun: Historische Hauseingänge – Türen, Tore und Portale im Rhein-Neckar-Kreis. Journals.ub.uni-heidelberg.de
Villa Haas in der Presse
- Herborner Tageblatt 26.6.17, S. 1 + 10: Jungfrauengrotte und Hummerbecken – Einblicke: Die Villa Haas ist ein einzigartiges Zeugnis der Gründerzeitarchitektur
- Herborner Tageblatt 25.10.18, S. 9: Traumhauft schöne Autos in traumhaftschöner Kulisse
- Sonntag Morgenmagazin 29.10.18: Junggebliebene Oldtimer vor grandioser Kulisse
- Herborner Tageblatt 15.8.19: Tolles Wetter bei „Diner en Blanc“
- Sinner Nachrichten Nr. 30/2019 S. 7+8, Nr. 31/2019 S. 6, Nr. 33 S. 7: Gartenfest in der Villa Haas
- Herborner Tageblatt Nr. 181. 7.08.21 „Erinnerungen und Erbe bewahren“
Weblinks
- Offizielle Internetseite über die Villa Haas, zuletzt abgerufen am 29. August 2021
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Villa Haas In: DenkXweb, Online-Ausgabe von Kulturdenkmäler in Hessen
- Industriekultur Mittelhessen: https://industriekultur-mittelhessen.de/wohnen/
- Mammutbaum Register Standort Hessen - Ort Sinn Nr. 11274 und 11275. http://mbreg.de/wiki/index.php/Mammutbaum-Register_Deutschland
Einzelnachweise
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Lahn-Dill-Kreis I. S. 352.
- Ingrid Bauert-Keetman, Helmut Prawitz: Geschichte des Eisenwerkes Neuhoffnungshütte und der Firma W. Ernst Haas & Sohn, Sinn, Dillkreis. Sinn 1963.
- A. Götche: Wiener Villengärten zwischen Historismus und Moderne. http://othes.univie.ac.at/704/
- Swantje Duthweiler: Historische Pflanzenverwendung – Ein Überblick, in "Schau an der schönen Gärten Zier. Zeitschrift Denkmalschutz Rheinland-Pfalz 2012.
- Aus der alten Villa Haas wurde eine Zahnarztpraxis. In: Herborner Tageblatt. 4. November 1978.
- Anke K. Brinkmann, Egon L. W. Brinkmann: Die Geschichte der zahnärztlichen Implantologie in Deutschland. ISBN 3-00-000527-7, S. 210 und 211.
- Simone Hoffmann: Die Welt der Teehäuser. In: Lifestyle. 21. August 2018. (lifestylegewinnspiele.de)
- W. Bauer: Von Türbeschlägen, Fensterkörben, Wetterfahnen und anderem Eisenzeug. In: Heimatjahrbuch für den Dillkreis. Band 14 (1971). Weidenbach, Dillenburg 1970, S. 53–96.
- Klaus F. Müller: Park und Villa Haas – Historismus, Kunst und Lebensstil. 2012.
- Stellenbesetzung der Stamm- und Ersatz-Seebataillone, auf marine-infanterie.de
- archiv.preussische-allgemeine.de (PDF; 9,7 MB), S. 10
- Christiane Rossner: Vom Reiz der Staffagebauten in historischen Parkanlagen., auf monumente-online.de, August 2016
- Johann Daniel Leers: Flora Herbornensis. Exibens plantas circa herbornam nassoviorum crescentes. 1775. (lateinisch)
- Karl Löber: Johann Daniel Leers und seine Flora Herbornensis. In: Heimatjahrbuch für den Dillkreis 1962. S. 37.
- Karl Löber: Wanderungen durch die Heimatnatur, Frühsommerleben im Sinner „Beilstein“. S. 48–52.
- Marie Luise Gothein: Geschichte der Gartenkunst. 2. Band, Diederichs Verlag, München, ISBN 3-424-013676-1, S. 454 ff.
- Anita Aquino Garcia, Bettina Gruber: Gernot Böhme: "Atmosphären, Atmosphärisches" / Die schöne Natur und die gute Natur.", Theoretische Positionen und Kontroversen in der zeitgenössischen Nasturästhetik.
- Nina Paeschke: in "Cadbury Hall": Villa Haas in Sinn wird zum Drehort., auf mittelhessen.de, 27. November 2021
- Kathrin Weber: Ganz in Weiß Gutes tun. Herborner Tageblatt vom 27. Juli 2019, S. 11
- Carolin Wahnbaek: Good Job!.Focus 39.2021, S. 53 ff